Auf Umwegen zum Masterabschluss
Ohne Abitur zum Master? "Das erleben wir relativ häufig. Bei uns am Zentrum für Akademische Weiterbildung an der Technischen Hochschule Deggendorf sind bestimmt um die 40 Prozent der Studierenden zunächst mit mittlerem Abschluss in den Beruf gestartet und entscheiden sich erst später für ein berufsbegleitendes Bachelor- und ein Masterstudium", sagt Corina Welsch, akademische Leitung.
Nun könnte man sagen: Deggendorf, eine 35.000-Einwohner-Stadt am "Tor zum Bayerischen Wald", ist ländlich geprägt, und da ist es üblich, zunächst eine "handfeste" Berufsausbildung zu absolvieren. Erst nach einigen Jahren im Job kommt dann der Wunsch nach Weiterentwicklung auf akademischer Ebene, und dann geht man an die nächstgelegene Hochschule. Aber ganz so ist es nicht: Die Studierenden kommen aus dem kompletten DACH-Raum, wie Corina Welsch berichtet. Die lokale Herkunft der Studierenden ist vor allem themenabhängig. "Es gibt Studiengänge, die eher regional geprägt sind, weil sie auch an vielen Hochschulen im Umkreis angeboten werden, zum Beispiel Studiengänge rund um klassische Betriebswirtschaft und General Management. Bei spezifischen Programmen wie Corporate Entrepreneurship, Risiko- und Compliance-Management, Sicherheitsmanagement, Kosmetikwissenschaften oder ganz neu dem MBA Defence and Security kommen die Studierenden aus ganz Deutschland und dem deutschsprachigen Ausland", sagt sie.
Wege zum Masterstudium
Zunächst einmal die regulatorischen Hintergründe: Wer kein Abitur oder Fachabitur in der Tasche hat, kann seit mittlerweile 15 Jahren den Zugang zu einem Bachelorstudium erwerben, indem er oder sie nach einer abgeschlossenen Berufsausbildung eine Aufstiegsfortbildung wie Meister oder IHK-Fachwirt absolviert oder eine einschlägige mehrjährige Berufserfahrung mitbringt. Darüber hinaus bieten einige Hochschulen Aufbaustudiengänge an, die auch für beruflich Qualifizierte ohne Abitur offen sind.
Als grundlegende Voraussetzung für ein Masterstudium verlangen die meisten Hochschulen ein abgeschlossenes Erststudium, zum Beispiel mit Bachelor- oder Diplomabschluss oder das Staatsexamen. Das kann je nach Studiengang oder Hochschule mit weiteren Zugangskriterien wie einer bestimmten Note im Bachelorabschluss, Aufnahmeprüfungen oder umfassender Berufserfahrung kombiniert werden. Ein Abiturzeugnis wird jedoch nicht benötigt. "Ob ein Bewerber oder eine Bewerberin das Abitur besitzt, ist für den Zugang zum Master irrelevant – entscheidend ist allein der vorherige Hochschulabschluss", bestätigt Kristin Große-Bölting, Geschäftsführerin der Universität Münster Professional School. Wer also ohne Abitur oder Fachabitur den Weg zum Bachelorabschluss gefunden hat, erfüllt die formalen Voraussetzungen für die Zulassung zu einem Masterstudium.
Das gilt unter anderem für Nordrhein-Westfalen und für Bayern. "In einigen anderen Bundesländern, zum Beispiel Hessen oder Rheinland-Pfalz, bestehen flexiblere Zugangswege, bei denen beruflich Qualifizierte mit langjähriger Berufserfahrung unter Umständen direkt in ein Masterstudium aufgenommen werden können – insbesondere bei weiterbildenden oder berufsbegleitenden Masterprogrammen", ergänzt Kristin Große-Bölting.
Wie Berufstätige ins Studium finden
Ein Blick in die Masterangebote in Deutschland zeigt, dass sich einige Hochschulen auf Studierende mit Berufserfahrung ausgerichtet haben. Sie kommunizieren auf ihren Webseiten einen hohen Anteil an Studierenden ohne schulische Hochschulzugangsberechtigung. Und sie haben ihre Studiengänge, oder zumindest einen Teil davon, so konzipiert, dass sie den Bedürfnissen von Menschen entgegenkommen, die aus dem Beruf kommen und von denen viele auch während des Studiums weiter im Beruf bleiben wollen.
"Wer aus dem Berufsleben kommt, entscheidet sich häufiger für ein berufsbegleitendes Bachelor- oder Masterstudium als für ein Vollzeitprogramm. Natürlich gibt es auch Ausnahmen, die uns kommunizieren, dass sie sich nach einigen Jahren im Job eine Vollzeitstudienphase wünschen, in der sie sich komplett auf das Studium fokussieren können. Das ist auch eine Frage der finanziellen Ressourcen", sagt Terézia Eich, Leiterin des Bewerbermanagements an der CBS University of Applied Sciences. "Die meisten, die sich im Berufsleben an ein regelmäßiges Gehalt und einen gewissen Lebensstandard gewöhnt haben, wollen im anschließenden Studium wenige Abstriche machen und entscheiden sich für ein berufsbegleitendes Studium", ergänzt sie.
Das Angebot der privaten Fachhochschule mit Hauptsitz in Köln umfasst Studiengänge in Wirtschaft, Soziales, Pädagogik und Gesundheit, die wahlweise dual, berufsbegleitend oder in Vollzeit absolviert werden können. Auch hier gilt: Für die Zulassung zum Master wird ein erster akademischer Abschluss gefordert. Wer sich für ein MBA-Programm einschreiben will, benötigt zusätzlich mindestens ein Jahr Berufserfahrung. Die MBA-Studiengänge werden vor allem von Personen belegt, die einen nicht-wirtschaftlichen Bachelor mitbringen und Wirtschaftskenntnisse erwerben wollen, um sich im Bereich Finanzen, Unternehmens- oder Personalführung weiterzuentwickeln.
Berufsbegleitendes Studium: Beispiele typischer Werdegänge
Die Werdegänge vom mittleren Schulabschluss zum Mastertitel sind vielfältig. Terézia Eich von der CBS University of Applied Sciences kann zahlreiche Beispiele von Personen nennen, die nach der Realschule zunächst ins Berufsleben gestartet sind und sich dann für ein Hochschulstudium im Wirtschaftsbereich entschieden haben. "Studierende haben zum Beispiel zunächst Industriekaufmann oder -frau gelernt oder eine Banklehre absolviert und sind nach einigen Jahren Ausbildung und Berufserfahrung zum Beispiel in unserem berufsbegleitenden Bachelor Internationales Management oder in einem der Vollzeit-Bachelorprogramme gestartet. Je nach Karriereziel schließen einige auch ein Masterstudium an", berichtet sie.
Die Master- und MBA-Studiengänge an der Universität Münster Professional School sind alle berufsbegleitend konzipiert. Sie führen zum Beispiel zum Abschluss MBA Management & Innovation, MBA Management in der Medizin, zum Master Betriebswirtschaftliche Beratung, zum Master Führung und Personalmanagement oder zum Master IT-Management, um einige Studiengänge mit Wirtschafts- und/oder Managementbezug zu nennen.
Normalerweise wird in mehrtägigen Blockveranstaltungen studiert, teilweise auch am Wochenende. Kirstin Große-Bölting hat keine Zahlen vorliegen, wie viele Personen ohne Abitur oder Fachabitur aus dem Beruf zum Bachelor und danach zum Master finden, aber: "Je nach Masterangebot sind unsere Studierenden sehr unterschiedlich bezüglich ihrer akademischen Vorbildung. Wir haben einerseits Studierende, die nicht den klassischen akademischen Bildungsweg gegangen sind und zum Beispiel ein duales Bachelorstudium absolviert haben, aber auch zahlreiche Studierende, die schon einen Masterabschluss oder eine Promotion haben und ihre Kompetenzen in anderen Bereichen erweitern wollen", ergänzt sie.
Als Beispiele für die unterschiedlichen Wege zum Master und MBA nennt sie den Master IT-Management, der bei Einstieg ein Durchschnittsalter von 26 bis 27 Jahren aufweist. "Hier haben viele Studierende bereits einen berufsbegleitenden Bachelor erworben", sagt sie. Beim MBA Management in der Medizin liegt das Durchschnittsalter der Studieneinsteiger bei rund 37 Jahren und rund 95 Prozent der Studierenden bringen bereits einen Abschluss auf Masterniveau mit. Ihrer Erfahrung nach hängen diese Unterschiede mit den individuellen Motiven fürs Studium zusammen: sei es Erweiterung, Vertiefung und Spezialisierung der Fachkompetenzen, sei es persönliche Weiterentwicklung oder berufliche Weiterentwicklung, um die Karrierechancen zu verbessern oder der Wunsch nach einer akademischen Weiterqualifizierung. "Insbesondere die letzten beiden Motive stehen bei den jüngeren Studierenden ohne Masterabschluss bei Studienbeginn im Vordergrund", so Kirstin Große-Bölting.
Von der Ausbildung zur Promotion
Noch konkreter wird Corina Welsch von der TH Deggendorf. Sie führt das Beispiel eines Studierenden im Technologiebereich an. Er hatte zunächst eine klassische duale Ausbildung als Techniker absolviert und anschließend mehrere Jahre im Beruf gearbeitet. Danach entschied er sich, zu studieren. "Mit entsprechendem Respekt vor den naturwissenschaftlichen Fächern wie Mathematik und Physik, die an der Hochschule ein anspruchsvolles Niveau haben. Gerade die Berufsqualifizierten haben oft Berührungsängste. Er ist über seinen Schatten gesprungen und hat bei uns das Bachelorstudium Technologiemanagement absolviert", erzählt sie und fährt fort: "Nach dem Abschluss arbeitete er einige Jahre und wechselte jetzt in unseren Forschungsmaster, weil er eine wissenschaftliche Karriere anstrebt. Er plant, nach dem Master wissenschaftlicher Mitarbeiter zu werden und anschließend zu promovieren."
Dieses Beispiel zeigt: Der Weg vom mittleren Schulabschluss zur Berufsausbildung und zum Master kann auch zu einem technischen Abschluss führen. Nach dem Bachelor kann auch zunächst wieder der Beruf locken, um dann anschließend nochmals an die Hochschule zu gehen. Und: Sogar eine wissenschaftliche Karriere inklusive Promotion ist ohne Abitur möglich.
Wissenschaftliches Arbeiten lernen
Beim Stichwort "Wissenschaft" stellt sich die Frage: Wie werden neue Studierende ohne akademischen Background fit gemacht für das wissenschaftliche Arbeiten, das im Studium für das Verfassen von Haus- und Abschlussarbeiten nötig wird? Da für die Zulassung zum Master in den meisten Fällen zunächst ein Bachelorstudium absolviert wird, ist diese Frage schon im Erststudium relevant und die benötigten Kenntnisse werden in speziellen Lehrveranstaltungen vermittelt. "Unsere Studierenden im Master verfügen daher in der Regel über grundlegende Erfahrungen im wissenschaftlichen Arbeiten", sagt Kristin Große-Bölting. Gleichwohl sei das Thema wissenschaftliches Arbeiten auch in den Mastercurricula verankert – aus zwei Gründen: "Erstens sind unsere berufsbegleitenden Masterprogramme nicht konsekutiv. So hat etwa eine Absolventin der Naturwissenschaften bislang nicht im Fachgebiet der Wirtschaftswissenschaften studiert. Zweitens liegt der Erstabschluss unserer berufserfahrenen Studierenden häufig bereits einige Zeit zurück, sodass eine strukturierte Auffrischung sinnvoll ist", sagt sie.
Auch an der CBS in Köln ist das wissenschaftliche Arbeiten Bestandteil der Lehrpläne der Bachelor-, Master- und MBA-Studiengänge. Zusätzlich können sich die Studierenden mit individuellen Fragen direkt an die Dozentinnen und Dozenten wenden. Ähnlich in Deggendorf: Das Bachelorstudium enthält ein Modul Forschungsmethoden/wissenschaftliches Arbeiten, das Fragen behandelt wie: Wie zitiere ich richtig? Wo finde ich Literatur? Wie ist eine Abschlussarbeit aufgebaut? Was ist mit Chat GPT und Co.? Im Masterstudium geht es dann gezielt um die Frage, was eine Masterthesis ausmacht. Wer grundlegender in das Thema einsteigen will, weil das Erststudium schon länger zurückliegt, kann Online-Slots buchen, in denen Dozentinnen und Dozenten individuelle Fragen beantworten.
Vom Meister zum Master
Stellt sich abschließend die Frage, ob auch Meisterinnen und Meister gleich ins Masterstudium einsteigen können. Immerhin wird der Meisterabschluss im Deutschen Qualifikationsrahmen DQR auf dem Niveau eines Bachelorabschlusses eingestuft. Doch diese Gleichstellung ist vor allem "struktureller" Art. Die meisten Hochschulen sehen den Meister nicht als geeignet für den direkten Zugang fürs Masterstudium an. Viele erleichtern allerdings den Meisterinnen und Meistern den Weg zum Master, zum Beispiel die TH Deggendorf: "Wir haben unsere Bachelorprogramme dahingehend umgebaut, dass Personen mit einem Meister-, Fachwirt- oder Technikerabschluss bei uns verkürzt studieren", sagt Corina Welsch. Der Weg vom Techniker, Meister oder Fachwirt zum Master ist insofern eine Abkürzung, weil sich das Bachelorstudium um bis zu vier Semester verkürzt.
An anderen Hochschulen gibt es spezielle Masterstudiengänge, die darauf ausgerichtet sind, Meistern und Technikern einen Direkteinstieg auf Masterniveau ohne vorherigen Bachelorabschluss zu ermöglichen. Das ist zum Beispiel an der Hochschule Darmstadt möglich, nach der Belegung eines einsemestrigen Vorkurses und erfolgreicher Zulassungsprüfung. Manche Hochschulen bieten Zusatzqualifizierungen an, die direkt zum Masterstudium führen, manche ermöglichen für Meister mit Berufserfahrung die direkte Zulassung zu bestimmten Weiterbildungs-MBA-Programmen. Ob für Meister oder Bachelorabsolventen ohne Abitur: Die Wege zum Master sind mehr als vielfältig. Es gilt, den jeweils für den eigenen Werdegang passenden zu finden.
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