Inklusives Lernen durch Sprachvereinfachung mit KI
Vor allem in Fachbereichen wie Medizin, Recht oder Technik sind Texte häufig so komplex formuliert, dass selbst interessierte Laien schnell an ihre Grenzen stoßen. Für viele Menschen bleiben die darin enthaltenen Informationen deshalb unzugänglich, selbst wenn die Texte online kostenlos verfügbar sind. Künstliche Intelligenz (KI) könnte diese Barrieren abbauen: In der Studie "Making complex text understandable: Minimally-lossy text simplification with Gemini" von Google Research untersuchten Forschende, wie sich komplexe Inhalte sprachlich vereinfachen und dabei gleichzeitig ihre fachliche Tiefe und Genauigkeit behalten lassen. Die Forschenden haben dafür ein Sprachvereinfachungssystem auf Basis der Google-KI Gemini entwickelt. Das Besondere an dem Modell ist der "minimally-lossy"-Ansatz: Ziel ist es, einen Text zu vereinfachen, ohne dass Details oder Bedeutung verloren gehen.
Besseres Verständnis und weniger Belastung
Um die Wirksamkeit des Systems zu testen, führte Google Research eine groß angelegte Studie mit 4.563 Personen durch. Per Zufallsprinzip teilte das Forschungsteam die Teilnehmenden in drei Gruppen ein: Sie lasen entweder einen komplexen Originaltext, die vereinfachte Version oder beide. Anschließend beantworteten sie Multiple-Choice-Fragen zum Textverständnis. Um die Wirkung auf das Kurzzeitgedächtnis zu prüfen, wurden die Teilnehmenden auch beim Test wieder in zwei Gruppen eingeteilt: In einer durften sie während der Beantwortung der Fragen erneut auf den Text zugreifen, in der anderen nicht. Die Texte stammten aus 31 realen Quellen aus Bereichen wie Medizin, Biologie, Recht, Finanzen, Literatur, Philosophie, Luft- und Raumfahrt sowie Informatik.
Dabei beantworteten die Leserinnen und Leser der vereinfachten Texte die Verständnisfragen im Durchschnitt um vier Prozent exakter. Der Effekt ist bei medizinischen Texten aus der Online-Datenbank PubMed am höchsten: Hier stieg die Genauigkeit um 15 Prozent. Bei Texten zum Thema Finanzen ist ein Anstieg von 6 Prozent zu beobachten, in den Bereichen Recht, Technik, Informatik sowie Luft- und Raumfahrt immer noch 4 Prozent. Besonders bemerkenswert: Der Effekt zeigte sich auch dann, wenn die Teilnehmenden den Text während der Fragenbeantwortung nicht erneut einsehen durften. Das deutet darauf hin, dass die vereinfachte Sprache nicht nur das Lesen erleichtert, sondern auch ein tieferes Verstehen und Erinnern fördert.
Das Lesen der vereinfachten Texte war für die Teilnehmenden darüber hinaus eine insgesamt angenehmere Erfahrung. Sie vertrauten eher darauf, dass ihre Antworten im Test richtig sind, und sie gaben an, dass sie ihre Antworten besser begründen konnten. Vor allem aber verspürten sie eine geringere kognitive Belastung. Die vereinfachte Sprache könnte Personen also auch zu mehr Lesen und Lernen motivieren, weil sie weniger Anstrengung bedeutet und mehr Erfolgserlebnisse verspricht.
Sprachvereinfachung ermöglicht Teilhabe
Vor allem aber ist die KI-gestützte Sprachvereinfachung ein wichtiger Schritt Richtung mehr Vielfalt und Inklusion in Alltag, Beruf sowie Aus- und Weiterbildung. Fachtexte in komplexer Sprache schließen nämlich einige Personengruppen systemisch aus: Wer etwa keinen akademischen Hintergrund hat oder die Textsprache nicht auf muttersprachlichem Niveau beherrscht, hat große Schwierigkeiten, die enthaltenen Informationen zu erfassen. Auch für Personen mit Dyslexie (Lese-Rechtschreib-Schwäche) oder Konzentrationsschwierigkeiten aufgrund von Neurodivergenz wie ADHS (Aufmerksamkeitsdefizit-/Hyperaktivitätsstörung) kann komplexe Sprache eine Hürde darstellen. Erst kürzlich hat eine OECD-Studie gezeigt, dass mehr als 20 Prozent der Menschen in Deutschland nicht gut lesen können und dadurch bereits Probleme haben, einfache Alltagsaufgaben zu bewältigen – Fachtexte waren hier noch nicht einmal miteingerechnet. Diesen Personen mehr Zugang zu Wissen zu verschaffen, ist ein zentrales Ziel des in der Studie analysierten KI-Models: "Tools, mit denen User eine vereinfachte Version komplexer Online-Texte erstellen können, ermöglichen es ihnen, sich mit Inhalten auseinanderzusetzen, die ihnen sonst unzugänglich geblieben wären", heißt es in der Studie.
Da Informationen aus Medizin, Bildung oder Verwaltung zunehmend online vermittelt werden, entscheidet die Sprache darüber, ob Menschen mitgenommen oder abgehängt werden. Vom Textverständnis hängt beispielsweise ab, ob Personen Online-Behördenformulare richtig ausfüllen oder medizinische Details zum eigenen Gesundheitszustand verstehen. In der Arbeitswelt zeigt sich fehlendes Textverständnis unter anderem bei digitalen Arbeitsanweisungen oder Sicherheitsunterweisungen: Wenn diese zu technisch oder abstrakt formuliert sind, steigt die Gefahr, dass Mitarbeitende Inhalte missverstehen – mit potenziell ernsten Folgen.
Mehr Chancengleichheit in der Weiterbildung
Auch berufliche Weiterbildung wird durch vereinfachte Sprache inklusiver. E-Learning-Plattformen könnten mit Hilfe der KI die Lernmaterialien so gestalten, dass Lernende mit unterschiedlichen Sprachständen, aus verschiedenen Kulturen oder mit spezifischen Lernbedarfen die gleichen Chancen bekommen, Inhalte zu verstehen und anzuwenden. Auch Quereinsteigerinnen und Quereinsteiger profitieren, da sie sich häufig mit fachfremden Themen vertraut machen müssen. Anbieter wie Pinktum lassen die Studienergebnisse bereits in ihre Weiterbildungsangebote einfließen und verwenden einfachere Sprache.
Künstliche Intelligenz zur Sprachvereinfachung kann also ein wirksames Instrument für mehr Chancengleichheit sein. Und letztendlich profitieren alle davon, wenn Menschen unabhängig von Bildungsstand, Sprachkenntnissen und Lesekompetenz komplexe Inhalte besser verstehen. Das hilft nicht nur, fundiertere Entscheidungen zu treffen, sondern reduziert auch Missverständnisse und verbessert damit die Kommunikation und das Miteinander.
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