Grundkompetenzen fördern: Schlüssel zur Weiterbildung
Mehr als 20 Prozent der Erwachsenen in Deutschland können nicht gut lesen und haben dadurch Probleme, einfache Alltagsaufgaben zu bewältigen – zum Beispiel aus dem Schreiben einer Kita herauszulesen, um welche Uhrzeit ihr Kind morgens da sein soll. Das ist das Ergebnis der aktuellen „Survey of Adult Skills (PIAAC)“ des OECD, die häufig auch als „Pisa-Studie für Erwachsene“ bezeichnet wird. Sie misst die wichtigsten Grundkompetenzen wie Leseverständnis, mathematische Kompetenz und Problemlösekompetenz bei Personen aus den OECD-Ländern zwischen 16 und 65 Jahren. Zwar befindet sich Deutschland beim Ländervergleich im oberen Drittel, allerdings hängt hierzulande das Niveau der Grundkompetenzen stark vom Elternhaus ab. Das deutsche Bildungssystem zeigt sich nicht sehr durchlässig: Wer aus einer weniger gebildeten Familie kommt, schneidet häufig auch in Grundkompetenzen schlecht ab.
Ist die Schule erstmal abgeschlossen, wird es oft schwer, diese noch aufzuholen, denn weder das Bildungssystem noch das Bundesarbeitsministerium kümmern sich ausreichend um die Grundbildung von Erwachsenen. Das hat weitreichende Folgen: Personen mit schlechten Grundkompetenzen verdienen weniger und sind häufiger arbeitslos. Dennoch sind laut dem Verein „Arbeit und Leben“ etwa 57 Prozent der rund 7,5 Millionen funktionalen Analphabetinnen und Analphabeten in Deutschland erwerbstätig. „Funktional“ bedeutet in diesem Zusammenhang laut der Fachstelle Grundbildung und der Leo-Studie, dass die Personen zwar einzelne Sätze lesen oder schreiben können, aber selbst bei kürzeren zusammenhängenden Texten Schwierigkeiten haben. Hier können Unternehmen ihren Beitrag leisten: Wenn sie die Grundkompetenzen ihrer Mitarbeitenden fördern, schenken sie diesen die Möglichkeit, sich darüber hinaus weitere Kompetenzen anzueignen und aufzusteigen. Das ist eine Win-win-Situation, weil Organisationen so das Know-how in den eigenen Reihen fördern und damit dem Fachkräftemangel entgegenwirken.
Gefragte Grundkompetenzen in der Arbeitswelt
Eine der wichtigsten Grundkompetenzen ist, wie bereits erwähnt, Lesen und Schreiben. Textverständnis und die Fähigkeit, Informationen schriftlich zu vermitteln, sind für nahezu alle Berufsfelder essenziell – sei es auch nur für die E-Mail-Kommunikation, Aushänge auf dem Schwarzen Brett oder Sicherheitsanweisungen für die Bedienung von Maschinen. Allerdings hat sich die Lesekompetenz der Erwachsenen in Deutschland laut der PIAAC-Studie in den vergangenen Jahren verschlechtert. Menschen fällt es schwerer, komplexe Informationen zu verarbeiten, was möglicherweise daran liegt, wie man heute mit Informationen umgeht; wir sind in der digitalisierten Welt eher mit vorgefertigten kurzen Texten konfrontiert. Mangelnde Deutschkenntnisse sind laut der Studie übrigens nur ein Teil des Problems: Auch wenn man die Personen, deren Muttersprache nicht Deutsch ist, aus den Daten herausrechnet, bleiben immer noch viele Erwachsene mit schlechter Lesekompetenz übrig.
Ebenso wichtig wie Lesen und Schreiben sind mathematische Grundkenntnisse. Zahlenverständnis und logisches Denken sind in Bereichen wie Buchhaltung oder Datenanalyse sowie in technischen Berufen erforderlich, aber beispielsweise auch im Handwerk und im medizinischen Bereich – oder auch einfach im Alltag, was mathematische Grundkenntnisse essenziell für die gesellschaftliche Teilhabe macht. Laut PIAAC-Studie sind die mathematischen Grundkenntnisse zwar in den vergangenen Jahren auf einem konstanten Niveau geblieben, allerdings wird uns heute sehr viel mehr abverlangt; man muss beispielsweise exponentielles Wachstum verstehen, um zu erfassen, wie schnell sich das Corona-Virus verbreitet.
Auch Problemlösungsfähigkeit gilt als Grundkompetenz. Die Fähigkeit, Herausforderungen eigenständig und kreativ zu bewältigen, wird in der sich schnell verändernden Arbeitswelt immer wichtiger. Inzwischen zählen auch digitale Kompetenzen zur Grundbildung, denn der Umgang mit Computern, Software und Online-Tools betrifft fast alle Berufe. Vor allem im Arbeitskontext könnte man auch Kommunikations- und Teamfähigkeit als Grundkompetenz bezeichnen; kollaboratives Arbeiten und effektive Kommunikation sind zentrale Erfolgsfaktoren in modernen Arbeitsumfeldern. Auch diese Fähigkeiten können Unternehmen gezielt fördern.
Bildungsniveau ermitteln und Bedarf erkennen
Um das Bildungsniveau der Mitarbeitenden ermitteln und individuelle Bedarfe identifizieren, eignen sich verschiedene Methoden, die am besten die gesamte Belegschaft einbeziehen sollten:
- Selbsteinschätzungsbögen und Tests: Arbeitnehmende können mithilfe standardisierter Fragebögen oder Tests ihre eigenen Kompetenzen bewerten.
- Mitarbeitergespräche: Gespräche zwischen Mitarbeitenden und Vorgesetzten sind eine besonders diskrete Möglichkeit, die dabei hilft, Defizite zu erkennen und individuelle Fördermöglichkeiten aufzuzeigen.
- Analyse betrieblicher Anforderungen: Unternehmen können ermitteln, welche Grundkompetenzen für verschiedene Positionen erforderlich sind und wo potenzielle Lücken bestehen.
- Externe Beratungsangebote: Bildungsträger und Beratungseinrichtungen bieten Kompetenzfeststellungen an, die eine gezielte Weiterbildungsplanung unterstützen.
Bei der Ermittlung von Grundkompetenzen sollten Führungskräfte und Personalverantwortliche besonders feinfühlig vorgehen; wenn Mitarbeitende vermeintliche Selbstverständlichkeiten wie Lesen und Schreiben nicht gut beherrschen, kann das schambehaftet sein und stigmatisierend wirken. Wichtig ist also, dass die ermittelten Ergebnisse vertraulich behandelt werden. Auf keinen Fall sollten Arbeitgeber ihre Mitarbeitenden für eine geringe Grundbildung verurteilen oder benachteiligen – stattdessen sollten sie Verständnis zeigen und die Betroffenen gezielt fördern.
Bildungslücken schließen: Grundfähigkeiten stärken
Sind Defizite erkannt, können Unternehmen gezielte Maßnahmen zur Förderung der Grundkompetenzen ergreifen – etwa durch Grundbildungskurse für Lesen, Schreiben und Mathematik. Um Stigmatisierung und Diskriminierung zu vermeiden, sollten Arbeitgeber diese Maßnahmen nicht nur bestimmten Zielgruppen, sondern allen Mitarbeitenden kommunizieren und die Anmeldungen diskret handhaben.
In jedem Fall sollten sich Arbeitgeber überlegen, wie sie die Mitarbeitenden, die Bedarf haben, am besten erreichen. Es ist zum Beispiel wenig sinnvoll, Kurse zu digitalen Grundkenntnissen über digitale Kanäle zu kommunizieren oder als Online-Training anzubieten. Personen, die Probleme mit dem Leseverständnis haben, sind über schriftliche Kommunikation schwer zu erreichen; die Möglichkeit zu entsprechenden Kursen sollte demnach mündlich kommuniziert werden, beispielsweise beim monatlichen All-hands-Meeting im Betrieb oder im persönlichen Gespräch.
Betriebliche Unterstützung für Arbeitnehmer
Damit die Mitarbeitenden diese Angebote erfolgreich absolvieren, sollten Betriebe ihnen mit unterstützenden Maßnahmen entgegenkommen. Dazu zählt vor allem eine finanzielle Förderung. Da Personen mit geringer Grundbildung häufig in schlecht bezahlten Berufen arbeiten, können sie sich die Kurse oft selbst nicht leisten; Arbeitgeber sollten deshalb, wenn möglich, die Kosten dafür übernehmen oder zumindest einen Zuschuss zahlen. Sie können Mitarbeitenden außerdem durch Freistellungen und Lernzeiten entgegenkommen. Kooperationen mit Bildungsträgern wie Volkshochschulen, Universitäten oder privaten Bildungsanbietern ermöglichen zudem praxisnahe Schulungen. Auch erfahrene Kolleginnen und Kollegen oder externe Personen können Mitarbeitende in Mentoring-Programmen gezielt bei ihrer Weiterbildung unterstützen. Weitere Anreize schaffen Zertifikate, Aufstiegschancen oder finanzielle Boni.
Häufig ist Personen mit schlechten Grundkompetenzen selbst nicht bewusst, welche Chancen eine Verbesserung dieser Fähigkeiten für sie bietet; diese sollten Arbeitgeber ihnen aufzeigen. Gelingt es, die Bildungslücken zu schließen, dann legen Unternehmen das Fundament dafür, dass sowohl sie als auch ihre Mitarbeitenden mit gesellschaftlichen und technologischen Entwicklungen mithalten können und damit zukunftsfähig bleiben. Und nebenbei leisten sie einen wichtigen Beitrag zu mehr Chancengleichheit.
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