Dietmar Eidens: Der MBA ist nicht per se ein Karriere­turbo

Dietmar Eidens, CHRO von Merck, absolvierte Anfang der 1990er-Jahre einen der ersten berufsbegleitenden MBA-Studiengänge in Deutschland. Seine Erfahrungen gibt er gerne weiter. Gemeinsam mit seinem HR-Team unterstützt und berät er interessierte Mitarbeitende bei der Auswahl eines passenden MBA-Programms.

Personalmagazin: Herr Eidens, von 1992 bis 1996 haben Sie an der GFW München einen Executive MBA in Kooperation mit der Henley Business School absolviert. Warum haben Sie sich damals dafür entschieden?

Dietmar Eidens: Das war einer der ersten und einzigen MBA-Studiengänge, die es zu der Zeit in Deutschland gab. Zudem konnte man das Studium berufsbegleitend absolvieren – das war für mich absolut wichtig. Ich war Personalleiter in der Softwarebranche und ein Vollzeitprogramm kam nicht infrage. Mir war auch wichtig, dass die Schule einen guten Ruf hatte, und durch die Zusammenarbeit mit der Henley Business School war das Studium zumindest in Teilen international. Das Curriculum war nicht zu akademisch konstruiert, umfasste auch Case Studies aus der Anwendungspraxis – für mich genau das Richtige.

Ich habe Anglistik und Theologie studiert und anschließend eine Ausbildung zum Systemingenieur abgeschlossen. Von der akademischen Vorqualifikation her fehlten mir betriebswirtschaftliche Kenntnisse in der notwendigen Breite und Tiefe. Das hat mich zu dem MBA-Studium motiviert, ohne dass es eine direkte Erwartungshaltung des damaligen Arbeitgebers gegeben hätte.


"Das berufsbegleitende MBA-Studium war schon eine Herausforderung, verbunden mit einem hohen Aufwand." Diermar Eidens, CHRO Merck


Personalmagazin: Sie haben also Vollzeit gearbeitet und nebenher studiert. Wie gut hat das funktioniert?

Eidens: Das war schon eine Herausforderung, verbunden mit einem hohen Aufwand. Während der normalen Semesterlaufzeiten gab es alle 14 Tage Präsenzsamstage an der Universität der Bundeswehr in München, der Rest war "Distance Learning". Damals gab es noch keine Chatbots, Skype Calls und dergleichen. Aber es war sehr flexibel, und dieser Mix aus Präsenz und Online-Lernphasen ist auch heute noch die beste Möglichkeit, ein berufsbegleitendes Programm in einem vertretbaren Zeitraum zu schaffen. Dauer und Intensität des Programms müssen passen.

MBA-Studium: Netzwerk und persönlicher Austausch wichtig

Personalmagazin: Der Faktor Zeit ist demnach aus Ihrer Sicht seit jeher einer der Knackpunkte?

Eidens: Ja, insbesondere für berufsbegleitende Programme benötigt man eine ungeheure Disziplin. Freiheiten in der Zeiteinteilung, die virtuelle Classroom-Szenarien bieten, verlangen eine sehr strukturierte Vorgehensweise. Dabei wird das Privatleben eingeschränkt, speziell an den Wochenenden, weil das in der Regel die Vorbereitungszeit für die Klausuren ist. Ich kann verstehen, wenn das jemand schwerfällt. Ich war während meines Studiums in erster Ehe verheiratet, hatte aber noch keine Kinder. Trotzdem war es nicht leicht.

Personalmagazin: Sind reine Fernstudiengänge für Merck-Mitarbeitende ein Thema?

Eidens: Die haben sich aus unserer Sicht nicht wirklich bewährt. Denn beim MBA-Studium kommt es auch auf den Aufbau eines Netzwerks und den Austausch mit anderen an. Soziale Netzwerke können das zwar ein wenig abfangen, aber nachhaltig ist das meistens nicht. Durch den persönlichen Austausch vor Ort lassen sich die Kontakte leichter initiieren und aufrechterhalten. Vor allem die MBA-Anbieter in den USA haben sich auf die Alumni-Netzwerke spezialisiert. Princeton, Stanford, Harvard, Kellogg und Co haben Firmen, die das professionell organisieren.

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Personalmagazin: Arbeiten Sie mit bestimmten Schulen zusammen?

Eidens: Wir bei Merck haben keinen eigenen Studiengang aufgebaut, denn die MBA-Landschaft ist inzwischen sehr breit aufgestellt. Die Schulen müssen jedoch darauf achten, ihre Curricula ständig up to date zu halten und die großen Megatrends zu berücksichtigen. Hinzu kommt, dass die Schulen unterschiedliche Schwerpunkte haben. In den USA gibt es neben den Alumni-Netzwerken einen starken Fokus auf Marketing und E-Commerce. Dort sind die MBA-Studiengänge stärker kommerzialisiert. In Asien geht es häufig um Speed – sowohl inhaltlich-methodisch als auch bezüglich der Dauer des Studiums – und um neueste Technologie. Und in Europa stehen Themen wie Nachhaltigkeit und Corporate Social Responsibility tendenziell im Mittelpunkt eines insgesamt sehr ausgewogenen Lehrplans.

Personalmagazin: Die Mitarbeitenden haben also die freie Wahl, für welchen Anbieter sie sich entscheiden?

Eidens: Im Prinzip ja. Die Mitarbeitenden können sich für den passenden Schwerpunkt entscheiden. Wichtig ist für uns allerdings, dass geschäftsrelevante Themen wie Innovation, Technologie oder Megatrends wie Big Data in gewisser Weise reflektiert sind.  Meistens wählen die Beschäftigten einen Anbieter, der eine Location auf ihrem Kontinent hat. Damit sind wir und auch die Mitarbeitenden bisher sehr gut gefahren.

MBA-Auswahl: Dauer und Relevanz für das Berufsbild entscheidend

Personalmagazin: Wie entscheiden Sie über die finanzielle Förderung der Studiengänge?

Eidens: Wir haben verschiedene Szenarien für die finanzielle Unterstützung von Teil- bis Vollfinanzierung. Das ist immer eine Einzelfallbetrachtung und hängt von einer Kosten-Nutzen-Rechnung ab. An den Eliteschulen in den USA ergeben sich schnell sechsstellige Beträge für Gebühren und Zusatzkosten. Die deutschen Institute liegen eher darunter. Curriculum, Praxisbezug, Alumni-Initiativen, Durchfallquoten – das schauen wir uns alles genau an.

Es gibt auch viele aufstrebende Business Schools, die in keinem Ranking auftauchen, deshalb aber nicht schlecht sein müssen. Ansonsten ziehen wir aber schon die einschlägigen Rankings zurate, die über die Zeit sehr solide geworden sind. Die Spitzengruppe der Top 10 ist relativ stabil, bis auf einige Player, die neu dazukommen – vor allem aus den USA und Asien. In der Regel versuchen wir eine Balance herzustellen zwischen den Erwartungen der Mitarbeitenden und den betrieblichen Bedürfnissen. Wir achten dabei auch auf die Dauer und die Relevanz für das Berufsbild im Unternehmen.

Wir haben natürlich grundsätzlich Interesse an der Weiterentwicklung der Mitarbeitenden. Nur in wenigen Fällen lehnen wir die Finanzierung ab. Aber wenn wir im Konzern solche Maßnahmen fördern, sind wir nicht bereit, über einen längeren Zeitraum wesentliche Abstriche bei der Performance im Job zu machen. Das verstehen die meisten Interessenten zwar. Doch Verständnis ist das eine, die konkrete Umsetzung das andere.

Merck fördert weltweit jährlich 57.000 Mitarbeiter

Personalmagazin: Das heißt, Sie haben auch Abbrüche zu verzeichnen?

Eidens: Wir fördern pro Jahr etwa 20 bis 40 unserer weltweit mehr als 57.000 Mitarbeitenden – rund ein Drittel davon sind Frauen. Hier zeigt sich der noch existente Gender Split in Führungsrollen, den wir bereits erfolgreich adressieren. Die Abbruchraten liegen bei Männern und Frauen gleichermaßen bei etwa 25 Prozent, meist innerhalb der ersten zwölf bis 18 Monate. Die Hauptursache ist die Unvereinbarkeit mit dem Privatleben. Da kann sich vieles über einen längeren Zeitraum ändern, zum Beispiel wenn ein Kind dazukommt oder ein Wechsel im Job. Das liegt auch in anderen Dax-Konzernen in einem ähnlichen Rahmen. 

Personalmagazin: Wie berücksichtigen Sie dies bei Beratung der MBA-Interessenten?

Eidens: Unsere internen Personalberater stellen anfangs viele Fragen, um herauszufinden, ob die Interessenten sich das wirklich gut überlegt haben. Es kommt sehr auf die persönliche und familiäre Situation an und wo sich die Präsenzinstitutionen befinden. Wir ziehen neben Teilzeit- auch Vollzeit-MBAs in Betracht, aber in vielen Fällen kommt das aus finanziellen Gründen nicht infrage, da dann das Einkommen wegfällt.

Zusätzlich stellt sich dabei oft die Frage nach dem Wiedereinstieg. Programme, die komplett international sind – ein Jahr in den USA, ein Jahr in Europa und ein Jahr in Asien –, finden wir sehr spannend. Dabei lernen die Teilnehmer gleichzeitig viel über Kultur und Geografie sowie verschiedene Arten der Zusammenarbeit. Und sie bauen globale Netzwerke auf. Berufsbegleitend ist das aufgrund der Präsenzphasen auf der ganzen Welt jedoch fast nicht machbar. Solche Angebote haben wir dennoch auf dem Radar, und sie könnten interessanter werden, wenn sich Remote Work noch stärker verbreitet und weiterentwickelt.

MBA-Studium: Grundsätzliches Verständnis der Führungskräfte ist wichtig

Personalmagazin: Inwiefern unterstützen Sie die Studenten während des Studiums?

Eidens: Im Job kommt es darauf an, dass man im direkten Arbeitsumfeld klar kommuniziert und die zeitliche Herausforderung transparent macht. Dann sind die meisten Teamkollegen und Vorgesetzten in der Lage und auch willens, darauf einzugehen. Es braucht ein grundsätzliches Verständnis aufseiten der Führungskräfte, denn nur dann können sie in dieser zwei- bis dreijährigen Sondersituation adäquat begleiten. Wir als HR treffen gemeinsam mit dem Business die Finanzierungsentscheidung und versuchen im Vorfeld genau zu beleuchten, ob alle Beteiligten sich der Auswirkungen bewusst sind. Wenn nicht, ist es unsere Aufgabe als Personalberater, dieses Bild zu komplettieren, damit es nicht zu Konflikten kommt.

"Hilfreich ist auch, wenn die MBA-Kandidaten in ihren Teams im Unternehmen vorstellen, woran sie arbeiten – zum Beispiel an einer Case Study." Dietmar Eidens, Merck


Personalmagazin: Welche Konflikte haben Sie dabei konkret beobachtet?

Eidens: Verfügbarkeit ist ein großes Thema: Die Mitarbeitenden sind beispielsweise häufig auf Dienstreisen, im Auto, in der Lounge am Flughafen und zu Randzeiten für einen Conference Call oder eine Abstimmung erreichbar. Während des Studiums nutzen die Beschäftigten diese Pufferzeiten meist für das MBA-Programm. Gerade zu Beginn sorgt das oft für Irritationen, lässt sich aber in der Regel durch Gespräche klären.

Hilfreich ist auch, wenn die MBA-Kandidaten in ihren Teams vorstellen, woran sie arbeiten – zum Beispiel an einer Case Study. Zudem unterstützen wir an dieser Stelle auch mit Services wie Kinderbetreuung oder haushaltsnahen Dienstleistungen, die allen Mitarbeitenden zur Verfügung stehen, aber in der Situation besonders wichtig sein können. Dabei haben wir als Großunternehmen einen gewissen Vorteil gegenüber KMU, da wir viele Benefits dieser Art anbieten.

MBA: Für Topführungskräfte gelten spezifische Anforderungen

Personalmagazin: Sind MBA-Studiengänge als festes Element in Ihrem Talentmanagement verankert?

Eidens: Bei den Topführungskräften formulieren wir in der Regel spezifische Anforderungen, die für eine substanzielle Weiterentwicklung nötig wären. Betriebswirtschaftliche Kenntnisse oder strategisches Denken und Handeln können dazu gehören. Diese lassen sich jedoch über verschiedene Wege erlangen – ein MBA ist nur eine Möglichkeit.

"Der MBA ist nicht per se ein Karriereturbo. Auch andere Kriterien sind bei Merck für eine Beförderung oder einen Stellenwechsel entscheidend." Dietmar Eidens


Personalmagazin: Wenn es intern nicht mit der Weiterentwicklung oder dem nächsten Karriereschritt klappt, springen Mitarbeitende nicht selten ab. Wie gehen Sie damit um?

Eidens: Der MBA ist nicht per se ein Karriereturbo. Auch andere Kriterien sind für eine Beförderung oder einen Stellenwechsel entscheidend – das sind multikausale Situationen. Es kommt ebenso auf den "Fit" zur Stelle und die Persönlichkeit an. Ein Master-, Uni- oder TU-Abschluss kann dabei durchaus ähnlich karrierefördernd sein, trotz unterschiedlicher Schwerpunkte.

Externe Austritte können wir deshalb nie ganz vermeiden, auch wenn wir das selbstverständlich nicht gerne sehen. Bindevereinbarungen mit Rückzahlungsklauseln der anteiligen Kosten und Haltefristen, die in der Regel der Dauer des Programms entsprechen, sind keine Garantie, dass die Mitarbeitenden bleiben. Wir fokussieren uns eher auf interne Wechsel, auch an andere Standorte innerhalb des Konzerns. Das fördern wir aktiv.

Personalmagazin: Wie bewerten das die direkten Vorgesetzten?

Eidens: Nicht immer sind sie davon begeistert, denn von der Personalplanung her ist natürlich auch ein interner Wechsel unter Umständen suboptimal. Aber ein erläuterndes Gespräch hilft meistens, in dem wir uns das Interesse des Gesamtkonzerns anschauen. 

MBA: Wirtschaftlich hat sich dieser Invest meist schnell amortisiert

Personalmagazin: Noch einmal zurück zu Ihnen. Sie haben direkt nach Ihrem MBA-Studium Ihr damaliges Unternehmen verlassen und sind wenig später in einem US-Konzern gelandet. War das so geplant?

Eidens: Ich hatte zum damaligen Zeitpunkt keinen vordefinierten Karriereplan. Aber mittel- bis langfristig ging es mir schon darum, mich für weitere Führungsrollen vorzubereiten. Dass ich dann als Konzernpersonalleiter nach San Francisco zu Gap, einem der größten US-amerikanischen Bekleidungseinzelhändler, gewechselt bin, hat tatsächlich etwas mit meinem Abschluss zu tun. Der MBA war zwar kein festes Einstellungskriterium. Aber ohne diese Qualifikation wäre es schwieriger gewesen – nicht nur, weil der MBA in den USA viel verbreiteter ist als hierzulande, sondern auch, weil ich fremd in der Branche war und das Senioritätslevel einen echten Karrieresprung bedeutete.

Personalmagazin: Für Sie hat sich der MBA also gelohnt?

Eidens: Absolut, nicht nur von den Gestaltungsmöglichkeiten her, sondern auch finanziell. Natürlich ist das Gehalt auch ein Grund, einen MBA zu absolvieren. Das darf man nicht außer Acht lassen, wenn man so viel Geld investiert. Bei mir waren es damals schon etwa knapp 6.000 Euro pro Semester – heute ist es deutlich mehr. Ein substanzieller Gehaltssprung ist nicht unrealistisch. Aber natürlich ist das auch Verhandlungssache. Wirtschaftlich betrachtet hat sich dieser Invest meist sehr schnell amortisiert.


Dieses Interview erschien zuvor im Sonderheft "Personalmagazin plus: MBA-Programme 2020/2021". Darin finden Sie weitere Beiträge mit Einblicken in die MBA-Welt sowie ein Verzeichnis von MBA-Anbietern


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