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Wie Führungskräfte über New Work denken

Führungskräfte und Mitarbeitende ohne Führungsverantwortung betrachten New Work als wichtiges Zukunftsthema – aber aus unterschiedlichen Gründen. Gemäß dem diesjährigen New-Work-Barometer tut sich beim Verständnis von New Work und der Zielsetzung von entsprechenden Maßnahmen eine Kluft auf. Führungskräfte lehnen vor allem Veränderungen der Machtstrukturen ab.

Deutsche Unternehmen sind fast flächendeckend als klassische Aufbauorganisationen mit verschiedenen Hierarchiestufen strukturiert. In derartigen Hierarchien nehmen Führungskräfte eine zentrale Rolle ein – auch bei der Organisationsentwicklung. Führungskräfte können die Entwicklung einer Organisation aktiv fördern, aber auch behindern. Nicht selten arbeiten sie auch durch passiven Widerstand einer Veränderung von Organisationsstrukturen entscheidend entgegen. Führungskräfte sind wichtige Multiplikatoren und können neue Managementansätze unterstützen oder zu Fall bringen.

Das gilt auch für die Organisationsentwicklung in Richtung New Work. Denn dies beinhaltet, dass sich Entscheidungsprozesse stärker zugunsten der Mitarbeitenden verschieben. Damit geht eine neue Machtverteilung einher: Wer Macht hat, kann Macht gewähren. Und wer bestimmt, kann Selbstbestimmung ermöglichen oder verhindern. Deswegen scheint es relevant, die Einstellung von Führungskräften zum Thema New Work zu kennen. Unterstützen sie die für New Work nötigen Struktur- und Machtveränderungen oder stehen sie diesen aktiv oder passiv im Weg? Diese Frage haben wir anhand der Daten des New-Work-Barometers 2022 untersucht.

Bergmann lebt – aber nicht bei den Führungskräften

In jedem New-Work-Barometer präsentieren wir den Unternehmensvertreterinnen und -vertretern vier verschiedene Verständnisse von New Work: Das ursprüngliche Verständnis von Frithjof Bergmann, die New Work-Charta des Think Tanks Humanfy, das Verständnis, dass New Work vor allem Arbeitsortautonomie (Homeoffice) umfasst sowie die Definition, dass New-Work-Maßnahmen die Zielsetzung haben, das psychologische Empowerment, also das Erleben von Sinn, Einfluss, Kompetenz und Selbstbestimmung zu fördern. In Abbildung 1 ist die Zustimmung zu den verschiedenen Verständnissen getrennt für Führungskräfte und Mitarbeitende dargestellt (Zustimmungsskala von 1 bis 7).

Abbildung 1: Zustimmung zu verschiedenen New-Work-Verständnissen

Bei drei der vier New-Work-Definitionen sind keine statistischen Unterschiede zwischen der Einschätzung der Mitarbeitenden und der Führungskräfte nachweisbar. Der New Work Charta, dem Homeoffice-Verständnis und dem Empowerment-Verständnis stimmen beide Gruppen auf relativ hohem Niveau in ähnlicher Weise zu. Dafür besteht ein deutlicher Unterschied beim ursprünglichen Verständnis von New Work, das Frithjof Bergmann formulierte (Führungskräfte 3,14 (Standardabweichung (folgend SD) = 1,6) vs. Mitarbeitende 4,06 (SD = 1,81), p < .001, d = .55): Führungskräfte lehnen Bergmanns Definition stärker ab als Mitarbeitende ohne Führungsverantwortung. Es handelt sich um einen mittelstarken Unterschied.

Den Befragten haben wir das Verständnis von Bergmann wie folgt vorgestellt: "New Work hat das Ziel, das gegenwärtige Lohnsystem zu überwinden. Menschen sollen der Arbeit nachgehen, die sie wirklich, wirklich wollen und mit technologischer Unterstützung Produkte selbst herstellen, die sie zum täglichen Leben brauchen."

Der Philosoph Bergmann hat in den achtziger Jahren einen dritten Weg zwischen Kapitalismus und Kommunismus vorgeschlagen. Seine Gesellschaftsutopie wollte die abhängige Lohnarbeit in der Wirtschaft reduzieren. Dafür forderte er, dass die Menschen viele Produkte des täglichen Lebens selbst produzieren. Zentrale Bedeutung hat in der Rezeption des Philosophen aber vor allem das sogenannte Calling: Menschen sollen herausfinden, welche Tätigkeit sie "wirklich, wirklich" tun wollen. Eine persönlich bedeutsame Tätigkeit und Selbstbestimmung sind wichtige Dimensionen im Denken des Philosophen. Diese individuelle Herangehensweise an New Work lehnen Führungskräfte laut dem New-Work-Barometer stärker ab als Mitarbeitende. Sie fungieren in klassischen Aufbauorganisationen als Sprachrohr der Arbeitgeberperspektive, die von zentralen Entscheidungen geprägt ist und persönliche Entwicklung der Beschäftigten strategisch steuern möchte. Eine Umsetzung der Bergmannschen Utopie hätte nicht nur für das Gesellschaftssystem, sondern vor allem für Führungskräfte gravierende Konsequenzen. Sie würden durch die Selbstversorgung nicht nur Mitarbeitende verlieren, sondern hätten auch die Arbeitsaufteilung und Personalentwicklung der Beschäftigten weniger in der Hand.

New Work ja, aber bitte ohne Machtverlust

Im New-Work-Barometer bitten wir die Befragten anzugeben, wie stark verschiedene Praktiken in Unternehmen für sie New Work repräsentieren – sei es in Bezug auf Struktur, Kultur und Führung sowie Methoden und Prozesse. Diese Liste ist aus einer Befragung von Expertinnen und Experten entstanden und wird immer im Vergleich zu den Ergebnissen des Vorgängerjahres aktualisiert. Praktiken, die Befragte häufig als fehlend erwähnen, werden ergänzt. Diese Maßnahmen sind mit einem N = Neu gekennzeichnet.

Wie in Abbildung 2 dargestellt erhalten die Praktiken empowerment-orientierte Führung, Selbstorganisation, Arbeitsortautonomie (Homeoffice), offene Fehlerkultur und selbstbestimmtes Lernen die höchsten Zustimmungswerte. Eine demokratische Organisationsverfassung, Qualitätszirkel, betriebliches Vorschlagswesen, gewählte Führungskräfte und das Verantwortungseigentum finden die Befragten am wenigsten repräsentativ für New Work. Betrachtet man Führungskräfte (N = 319) und Mitarbeitende (N = 262) getrennt voneinander, besteht bei etwa einem Viertel der Praktiken ein statistischer Unterschied zwischen Mitarbeitenden und Führungskräften. Folgende Praktiken sehen Führungskräfte als weniger repräsentativ für New Work an als Mitarbeitende:

  • Verflachung von Hierarchien
  • Bureaucracy Buster
  • Holokratie
  • Demokratische Organisationsverfassung
  • Gewählte Führungskräfte
  • Verantwortungseigentum

Dabei handelt es sich vor allem um Praktiken, die den Status quo infrage stellen. Bureaucracy Buster fordern Regeln und Abläufe heraus, die sich meist Führungskräfte ausgedacht haben. Eine Verflachung von Hierarchien und Holokratie gehen mit weniger Führungspositionen einher. Gewählte Führungskräfte und eine demokratische Organisationsverfassung schmälern die Macht von Führungskräften. Bei den Maßnahmen, die Führungskräfte weniger stark mit New Work assoziieren, wird das Herrschafts- (wer entscheidet?) und Verteilungsproblem (wie wird verteilt?) zugunsten der Mitarbeitenden verändert. Das scheint für einige Führungskräfte nicht die gewünschte Ausrichtung von New Work zu sein.

Lediglich bei zwei Punkten haben die Führungskräfte höhere Zustimmungswerte. Dies sind die Ausgabe von mobilen Technologien und die transformationale Führung. Einem Mitarbeitenden einen Laptop in die Hand zu drücken, verändert nichts an den Machtverhältnissen in einer Organisation. Und auch transformationale Führungskräfte müssen keine Macht abgeben. In der wissenschaftlich weitgehend anerkannten Konzeption nach Bass (1999) praktizieren transformationale Führungskräfte inspirierende Motivierung (Visionsarbeit), handeln individuell berücksichtigend, stimulieren ihre Mitarbeitenden intellektuell und treten vorbildhaft auf. Sie übertragen aber keine Verantwortung und Macht an die Beschäftigten. Deswegen konnte der Führungsstil auch immer wieder bei Diktatoren nachgewiesen werden.

Bedeutsamkeit von New Work ist unbestritten

Wenn Befragte die Zukunft von New Work einschätzen sollen, bestehen zwischen Führungskräften und Mitarbeitenden keine Unterschiede. Wir fragten die Teilnehmenden des New-Work-Barometers, wie viel Bedeutsamkeit das Thema New Work ihrer Meinung nach in den nächsten drei Jahren im deutschsprachigen Raum erhalten wird. Auf einer Skala von –3 (deutlich weniger Bedeutsamkeit als bisher) bis +3 (deutlich mehr Bedeutsamkeit als bisher) zeigten sich in beiden Gruppen nahezu identische Werte (Ma = 1.74 vs. Fk =1.70), die klar im positiven Bereich liegen. Auch bewerteten beide Gruppen die Frage ähnlich, wie sich die Corona-Pandemie auf das Thema New Work auswirkt. Beide Gruppen gehen davon aus, dass die Pandemie positive Auswirkungen hat (Ma = 1,68 vs. Fk = 1,66). Auch trauen sie beide dem Thema New Work ein eher hohes Veränderungspotenzial zu (Ma = 1,55 vs. Fk = 1,42).

Warum New Work? Führungskräfte und Mitarbeitende sind sich nicht einig

Wir fragen in jedem Barometer, welche der vier Dimensionen des psychologischen Empowerment-Konzepts nach Spreitzer (1995) die Unternehmen mit ihren New-Work-Maßnahmen fördern. Zur Auswahl stehen: die Kompetenz der Mitarbeitenden, die Selbstbestimmung der Mitarbeitenden, der Einfluss der Mitarbeitenden und das Sinnerleben der Mitarbeitenden. Hier zeigen sich erneut deutliche Unterschiede (siehe Abbildung 3).

Abbildung 3: Was wird durch die New Work-Maßnahmen besonders gefördert?

Während sehr viele Führungskräfte und Mitarbeitende wahrnehmen, dass in ihren Unternehmen durch New Work das Selbstbestimmungserleben gefördert werden soll, sehen das nur eine Minderheit beim Einfluss- beziehungsweise Machterleben. Hier zeigen sich auch deutliche Unterschiede zwischen Führungskräften und Mitarbeitenden. Während 44,2 Prozent der Führungskräfte glauben, dass das Machterleben der Mitarbeitenden durch New Work im Unternehmen gefördert wird, sind dies bei den Mitarbeitenden gerade einmal 35,1 Prozent. Möglicherweise haben die Führungskräfte einen besseren Überblick, welche Zielsetzung Unternehmen mit New-Work-Praktiken tatsächlich verfolgen. Doch die Machtverschiebung könnte auch ihr blinder Fleck sein.

Fazit: Unternehmen sollten Führungskräfte Ängste nehmen 

Die Ergebnisse des New-Work-Barometers zeigen, dass Unternehmen den Einschätzungen von New-Work-Praktiken durch Führungskräfte mehr Beachtung schenken sollten. Wenn sie Praktiken als weniger "new-workig" erleben, die ihre Macht gefährden, dann werden sie solche auch weniger häufig auswählen oder in Organisationsentwicklungen befördern. Dies ist besonders eklatant, weil 70 Prozent der teilnehmenden Führungskräfte in der Stichprobe des New-Work-Barometers aus dem HR-Bereich stammen. HR besitzt bei New Work eine Schlüsselstellung. Gegebenenfalls kann dies auch erklären, warum so wenig Unternehmen das Machterleben als Thema von New Work nutzen.

Führungskräfte sind in ihrer Karriere zumeist dafür belohnt worden, alles im Griff zu haben. Deswegen brauchen sie eine Perspektive, was sich für sie verbessert oder sie entschädigt, wenn sie Macht abgeben. Sie erleben in ihrer Praxis wohl zu selten, dass sie die Hände frei haben, wenn sie den Griff loslassen. Dann könnten sie sinnvolleren Tätigkeiten als Führungskraft nachgehen. Dazu gehört die Strategieentwicklung aber auch die direkte Kommunikation und das HR-Management im Team. Doch Macht abzugeben, bedeutet für viele Führungskräfte einen Prestigeverlust – und das wirkt beängstigend. Unternehmen sollten diese Ängste von Führungskräften ernst nehmen und bei ihren New-Work-Aktivitäten aktiv ansprechen und bearbeiten.


Über die Studie:

Das New Work-Barometer ist eine jährlich durchgeführte Befragung der SRH Berlin University of Applied Sciences (Institute for New Work and Coaching). Medienpartner ist das Personalmagazin und HRpepper Management Consultants agiert als Praxispartner. Ferner unterstützen das Bundesministerium für Arbeit und Soziales und der Bundesverband der Personalmanager die Datenerhebung. Am diesjährigen New-Work-Barometer haben 581 Unternehmensvertretende teilgenommen – über 100 mehr als im Vorjahr.

Die grundlegenden Ergebnisse des New-Work-Barometers 2022 können Sie im Beitrag "Auf dem Weg ins postagile Zeitalter?" nachlesen.


Schlagworte zum Thema:  New Work, Leadership, Agilität