Vereinbarkeit 2020: Handlungsfeld flexible Karrieremodelle

Die meisten Arbeitnehmer wollen sich sowohl beruflich als auch im Privatleben weiterentwickeln. Dafür wünschen sie sich flexiblere Karrierewege. Teil vier unserer Serie "Vereinbarkeit 2020" zeigt warum und wie Unternehmen alternative Karrieremodelle wagen sollten.

„Wer sich beruflich weiterentwickeln will, muss seine Karrierewünsche auch deutlich äußern.“ – Diese Ansicht ist in der Arbeitswelt zu einer Regel geworden. Doch verlassen sich Personaler alleinig auf die Eigeninitiative der Beschäftigten und machen Karriereoptionen nur an äußeren Umständen – wie Geschlecht, Berufsphase, Lebensalter sowie der familiären Situation –  fest, laufen sie Gefahr, das größte Potenzial liegen zu lassen.

Diesen Schluss lässt die Studie „Vereinbarkeit 2020“ der Berufundfamilie Service GmbH zu. Sie untersuchte die unterschiedlichen Entscheidungs- und Motivationsparameter von Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern. Dabei kam heraus: Beschäftigte treffen ihre berufliche Entscheidungen nicht – wie dem bisherigen Verständnis nach – nur entsprechend der eigenen aktuellen Berufs- und Lebensphase. Einfluss nehmen zudem maßgeblich der individuelle Lebensentwurf und die persönliche Wahrnehmung des Arbeitsumfeldes.

Wie Lebensentwurf und Karrierewunsch korrespondieren

Die Studie stellt drei Lebensentwurf-Cluster vor, die sich insbesondere auch bezüglich des Karriereverhaltens unterscheiden. Ein Cluster von 22,3 Prozent konnte als eher karriereorientiert charakterisiert werden. Bei der Frage, welche beruflichen Aspekte den größten Einfluss auf das Privat- und Familienleben für sie haben, nennen sie entsprechend am häufigsten „Die im Unternehmen angebotenen Möglichkeiten des beruflichen Werdegangs“, gefolgt von „Berufliche Pläne für die persönliche Karriere“. Die Beschäftigten dieses Clusters nehmen innerhalb der Familie eher selten Betreuungsaufgaben, aber im Beruf öfter Führungsaufgaben wahr. Bei dem kleinsten Cluster von 9,7 Prozent steht der Einflussfaktor „Die benötigte berufliche Mobilität“ noch vor „Berufliche Pläne für die persönliche Karriere“. Diese Gruppe verwirklicht sich hauptsächlich im Privatleben, stellt sich aber seltener familiären Betreuungsaufgaben.

Kinder oder Karriere? Die meisten wollen beides verwirklichen

Die eindeutig größte Gruppe – ein Cluster mit einem Anteil von 67 Prozent – will sich sowohl beruflich entwickeln als auch genügend Zeit für Familie und Privatleben
haben. Für diese Beschäftigten nehmen daher weniger Karriereaspekte als vielmehr „Gestaltungsspielräume bei der Wahl der Arbeitszeit“ Einfluss auf das Privat- und Familienleben, gefolgt von dem Aspekt „Beruflicher Zeit- und Leistungsdruck“. Entsprechend erwartet diese Mehrheit der Beschäftigten bessere Möglichkeiten der Vereinbarkeit von Beruf, Familie und Privatleben – vor allem flexible Arbeitszeiten und -orte. Denn sie möchte gleichzeitig private und berufliche Verpflichtungen erfüllen können. Diese Beschäftigten sind daher grundsätzlich auch an einer beruflichen Weiterentwicklung oder Karriere sehr interessiert. Doch das wird von Arbeitgebern häufig verkannt beziehungsweise nicht erkannt.

Warum Vereinbarkeit häufig in der Sackgasse endet

In der Wahrnehmung von Führungskräften fallen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, die Vereinbarkeitsmaßnahmen nutzen, oftmals durch das Raster der Karriereplanung. Das geht vor allem auf den immer noch vorherrschenden Anspruch an täglicher Vollzeitpräsenz einher. Beschäftigte, die Raum und Zeit für private Angelegenheiten beanspruchen, erscheinen eingeschränkt arbeitsfähig. Äußern diese zudem Weiterentwicklungswünsche nicht aktiv, bestätigt sich das Vorurteil für viele Personaler. Von den Studienergebnissen ausgehend, stecken damit mindestens zwei Drittel der Beschäftigten in der „Vereinbarkeitsfalle“.

Flexible Karrierewege und alternative Karrieremodelle gewünscht

Dabei wünschen sich alle Beschäftigten – nahezu unabhängig vom gewählten Lebensentwurf – bezogen auf die Instrumente zur Verbesserung der Vereinbarkeit von Beruf, Familie und Privatleben sehr häufig ein Betriebsklima, das die Vereinbarkeit unterstützt sowie nachvollziehbare und klare Karriere- und Besetzungsentscheidungen. Das lässt sie auch Verbesserungspotenziale im Arbeitsumfed klar erkennen: Sie wünschen sich insbesondere eine höhere Flexibilität von Karrierewegen und Karrieremöglichkeiten. Somit ist eine aktive Karriereplanung und -förderung mehr den je angezeigt. Jedoch gibt jeder dritte Befragte (über alle Cluster hinweg) an, dass die Führungskraft nicht die eigene berufliche Weiterentwicklung fördert.

"Patchwork"-Karrieren: Potenziale erkennen und nutzen

Doch gerade diese Lücke kann eine zukunftsgerichtete individualisierte Vereinbarkeitspolitik – die „Vereinbarkeit 2020“ –  schließen. Strategisch und systematisch angelegt, bezieht sie Karriereberatung und Personalentwicklung mit ein und ermöglicht damit flexible „Patchwork“-Karrieren. Dazu muss vor allem ein Umdenken in den Köpfen stattfinden – auf Seiten der Führungskräfte, die das Potenzial von Beschäftigten mit Vereinbarkeitswünschen stärker anerkennen und stützen, und auf Seiten der Beschäftigten, die Weiterentwicklungswünsche auch bei oder gerade trotz Inanspruchnahme von Vereinbarkeitsmaßnahmen deutlich machen sollten. Personaler sind gefordert, die Lebensentwürfe der Beschäftigten zu erkennen und ihr Entscheidungs- und Motivationsverhalten hinsichtlich der beruflichen Weiterentwicklung besser einzuordnen. Dazu gehört auch aktives Hinhören, also den Dialog mit den Beschäftigten zu suchen. Gemeinsam ist den Fragen nachzugehen: Wo steht die Mitarbeiterin oder der Mitarbeiter – in welcher Berufs- und in welcher Lebensphase ist er? Welcher Lebensentwurf ist gegeben – welche persönlichen Werte, Einstellungen und Wahrnehmungen des beruflichen Umfeldes geben für berufliche Entscheidungen den Ausschlag? Welche berufliche Entwicklung schwebt dem Beschäftigten vor? Was ist machbar?

Acht Handlungsfelder zur Vereinbarkeit

Auf die Frage „Was ist machbar?“ gibt es im Zusammenhang mit der Vereinbarkeit von Beruf, Familie und Privatleben vielfältige Antworten. In einer strategisch ausgerichteten Vereinbarkeitspolitik – wie sie das Audit Berufundfamilie – verfolgt, werden entlang von acht Handlungsfeldern  die Ziele und Maßnahmen entwickelt. Diese sind:

  • Arbeitszeit
  • Arbeitsorganisation
  • Arbeitsort
  • Information und Kommunikation
  • Führung
  • Personalentwicklung
  • Entgeltbestandteile und geldwerte Leistungen
  • Service für Familien

Im Rahmen diese Handlungsfelder lassen sich Lösungen gestalten, die es ermöglichen, dass Beschäftigte privaten Verpflichtungen nachkommen und sich gleichzeitig beruflich weiterentwickeln können – und das unabhängig vom Lebensentwurf.

Wie es geht: Beschäftigte berichten

Barbara Wocher, Geschäftsbereichsleiterin Beihilfe- und Firmenversicherung Betrieb Kirchen bei der Versicherungskammer Bayern in München, kehrte nach der Geburt ihres Sohnes auf ihre Führungsposition zurück.

„Ich nehme eine gewisse Tendenz wahr, dass Frauen noch immer Stereotypen zugeordnet werden, wenn es um ihr Privatleben geht. Deshalb bedeutet Vereinbarkeit für meinen speziellen Fall, den Eindruck zu vermeiden, ich sei mit Kind eine Führungskraft im Sparmodus. Das bin ich nicht – meine Aufgaben sind heute genauso anspruchsvoll wie vor meiner Schwangerschaft und ich habe an ihnen auch noch immer die gleiche Freude. Darüber hinaus ist es für mich wichtig, dass mein Arbeitsumfeld ein organisiertes Arbeiten zulässt. So komme ich auch als Führungskraft weitgehend ohne Überstunden aus. In diesem Bedürfnis unterscheide ich mich übrigens kein bisschen von meinen männlichen Kollegen, die ebenfalls Familie haben.“

 

Christian Manasek, Abteilungsleiter Zentraler Service bei der AOK – Die Gesundheitskasse in Hessen in Frankfurt/Main, hat sein Arbeitszeitmodell gefunden. , und erneut angepasst auf die nächste Herausforderung – Pflege.

„Vor über zehn Jahren wurde ich von einem Tag auf den anderen zum alleinerziehenden Vater. Mein Sohn, damals zehn Jahre alt, wollte zu mir ziehen. Schon damals war ich als Abteilungsleiter tätig und wollte meine berufliche Laufbahn trotz der neuen familiären Situation nicht aufgeben. Die Arbeitszeit zu reduzieren war für mich keine optimale Lösung. Ich brauchte stattdessen die Möglichkeit, mir meine Arbeitszeit flexibel einzuteilen und auch mal von zu Hause aus arbeiten zu können. Umgehend habe ich einen Laptop und einen externen Anschluss erhalten. Heute ist das in unserem Haus eine oft praktizierte Lösung. Mittlerweile beschäftigen mich verschiedene Pflegesituationen in meiner Familie. Durch die flexible Arbeitszeitgestaltung und die Unterstützung des Services Beruf und Pflege meines Arbeitgebers, kann ich auch diese Situationen mit meiner Führungsaufgabe vereinbaren. Heute leite ich eine Abteilung mit über 150 Beschäftigten.“