Rhetorikvorbild für Trainer: Marcel Reich-Ranicki ausgezeichnet

Reich-Ranicki hatte die Rede am 27. Januar 2012 im Bundestag gehalten. Die Jury vom Seminar für Allgemeine Rhetorik der Universität Tübingen sah sie als "beeindruckenden, kraftvollen und authentischen Beitrag" zum Gedenken an den Holocaust in Deutschland und zeichnete sie jetzt als beispielhaft aus.
Reich-Ranicki erinnerte als Überlebender des Warschauer Gettos an die Verbrechen der Nazis in Polen. Er erzählte von den Ereignissen kurz vor und nach dem 22. Juli 1942. Damals startete die Deportation der Juden aus Warschau in das Vernichtungslager Treblinka. "Die detailgetreue und von atmosphärischen Eindrücken durchzogene Erinnerung führt die Grausamkeit der Judenvernichtung direkt vor Augen", urteilten die Experten.
Authentizität bringt emotionale Kraft
Reich-Ranickis Rede sei durch die genaue Beschreibung von Abläufen geprägt gewesen und habe durch ihre Authentizität eine hohe emotionale Kraft entfaltet. Deshalb sei darin auch keine Spur von "konventioneller Gedenkrhetorik" zu finden. Bemerkenswert sei, dass der Redner ganz auf Mahnungen und Forderungen an die heutigen Menschen verzichtet habe. Durch die präzisen Schilderungen und die durch sie ausgelösten Emotionen sei jeder selbst in der Lage, die notwendigen Schlüsse zu ziehen.
Reden wirksam gestalten
Je zynischer eine Gesellschaft werde, die wichtige politische Reden nur noch als Sonntagsreden wahrnehme, je abgestumpfter sie auf Bekenntnisse und öffentliche Versprechungen reagiere, desto wichtiger sei es, daran zu erinnern, dass eine Rede im tiefsten Sinne des Wortes Gutes tun könne, schrieb Frank Schirrmacher, einer der Herausgeber der "Frankfurter Allgemeinen Zeitung", nachdem er die Rede gehört hatte. Rhetoriktrainer und andere Interessierte, die die Rede selbst analysieren und zu Lehrzwecken aufbereiten wollen, können den kompletten Redetext auf der Homepage des Deutschen Bundestags nachlesen.
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