New Work: Freiheit braucht Vertrauen

Mehr Freiheiten für Mitarbeiter erhöhen tatsächlich das Leistungspotenzial, sagt die Personalforscherin Professor Dr. Heike Bruch von der Universität Sankt Gallen. Doch sie warnt zugleich: Eine "Laissez-faire"-Freiheit ist schädigend für Mitarbeiter und Unternehmen.

In der Studie "Der Ruf nach Freiheit" werden insbesondere zwei Wünsche der Arbeitnehmer deutlich: Erstens besteht ein Verlangen nach größeren Gestaltungsspielräumen und mehr Autonomie bei der Arbeit. Zweitens wird mehr Mitbestimmung eingefordert: Mitarbeiter wollen demokratisch mitentscheiden. 85 Prozent der Studienteilnehmer wünschen sich sogar die Möglichkeit, den eigenen Chef abzuwählen.

Arbeitnehmer fordern mehr Autonomie und Mitbestimmung

Diese Zahlen beeindrucken. Die generelle Tendenz, dass Arbeitnehmer mehr und mehr Freiheiten einfordern, ist schon seit einigen Jahren deutlich zu erkennen und erfährt vor allem auch durch die rasanten Entwicklungsfortschritte im digitalen Bereich starke Unterstützung. Das "erträumte" Szenario sieht so aus, dass Mitarbeiter frei über Arbeitszeit- und -ort bestimmen und dadurch gesünder, kreativer und mit größerem Sinnerleben ihrer Arbeit nachgehen, während Unternehmen gleichzeitig deutlich erfolgreicher und innovativer sind.

Freiraum, Empowerment, Dezentralisierung: Stand der Forschung

Auf den ersten Blick stützt auch vergangene Forschung diese These: Bereits seit den 1980er Jahren zeigt u.a. Forschung von Conger & Kanungo oder Spreitzer, dass Empowerment und Dezentralisierung hoch positive Effekte auf das Wohlbefinden, die Zufriedenheit und das Leistungspotenzial von Mitarbeitern haben. Auch in aktueller Forschung wird dies bekräftigt. So zeigte beispielsweise unserer Studie "Arbeitgeberattraktivität von innen betrachtet – eine Geschlechter- und Generationenfrage" basierend auf einer Befragung von 16.274 Mitarbeitern zum Thema "Was macht Arbeitgeber attraktiv?" aus dem Jahr 2015, dass Empowerment und große Freiräume zentral für ein attraktives Arbeitsumfeld sind.

Angesichts der umfassenden Potenziale von mehr Freiräumen und Mitbestimmung ist jedoch wichtig zu berücksichtigen: Die positiven Wirkungen von Freiraum und Empowerment treten nur unter bestimmten Bedingungen ein. Sind diese nicht gegeben, erleben Unternehmen und Führungskräfte sogar schädigende Effekte. Nachfolgend werden einige wesentliche Impulse für eine erfolgreiche Umsetzung der Sehnsucht nach Freiheit und Flexibilität beschrieben:

Führung: Neue Arbeitskultur notwendig

In unserer aktuellen Trendstudie "Arbeitswelt im Umbruch – Von den erfolgreichen Pionieren lernen", in der wir mehr als 19.000 Mitarbeiter aus 92 Unternehmen befragt haben, zeigt sich, dass bisher nur sechs Prozent der Unternehmen erfolgreich in der neuen Arbeitswelt sind. Die Mehrzahl der Unternehmen befindet sich bisher entweder noch in einer eher traditionellen Arbeitswelt mit wenig Wahlmöglichkeiten und Flexibilität (75 Prozent der Unternehmen) oder sie ist mit der neuen Arbeitswelt überfordert (19 Prozent der Unternehmen). Was macht die Unternehmen aus, die mit der neuen Arbeitswelt gut klarkommen und dabei sowohl mehr Zufriedenheit, bessere Bindung und Engagement der Mitarbeiter als auch mehr Innovation und Wachstum verzeichnen? 

Arbeit 4.0: Vertrauenskultur, Sinn und Inspiration

Es sind vier entscheidende Merkmale, die diese Unternehmen befähigen, mit der Freiheit, Virtualität und Fluidität der neuen Arbeitswelt umzugehen: Führungskräfte legen Wert auf Sinn und Inspiration, sie haben eine Vertrauenskultur, flexible Strukturen und Mitarbeiter mit ausgeprägten Selbstkompetenzen. Wenn Unternehmen den Schritt in die neue Arbeitswelt ohne diese wesentlichen Voraussetzungen machen, erleben sie häufig eine Überforderung in Form von erhöhtem Stress, Konflikten, gesundheitlichen Beeinträchtigungen und Leistungseinbußen. Als Teil der New Work Transformation gilt es also die wesentlichen Voraussetzungen für Empowerment und Freiräume zu entwickeln. Die Förderung  der richtigen Kultur, Kompetenzen und Kontexte stellt dabei eine Führungsaufgabe dar, die verantwortungsvoll anzugehen ist.  Eine "Laissez-faire"-Freiheit ist schädigend für Mitarbeiter und Unternehmen.

Führungsaufgaben aufwerten

Durch die vergrößerten Freiräume und das Empowerment von Mitarbeitern besteht die große Chance, dass Führungskräfte sich in Zukunft weniger mit operativen und mehr mit strategischen und sinnstiftenden Themen beschäftigen können. Dies würde eine deutliche Attraktivitätssteigerung von Führungspositionen bedeuten. Andere Trends hingegen lassen auch eine gegenteilige Entwicklung befürchten: Zum einen sehen sich Führungskräfte stetig wachsenden Rollen- und Kompetenzanforderungen gegenüber. Im Idealfall ist eine Führungskraft Sinnstifter, Feedback-Geber, Vernetzer, Visionsvermittler, Coach und Diener zugleich. All diese Rollen unter einen Hut zu kriegen, ist nahezu unmöglich. Zum anderen müssen sich Führungskräfte in demokratischen Unternehmen ständig neu beweisen, Wahlkampf führen und die Akzeptanz der eigenen Mitarbeiter erarbeiten. Dieses Gefühl einer ständigen Bewährungsprobe ausgesetzt zu sein, macht das Thema Führung nicht attraktiver. Die Folge kann sein, dass reflektierte Mitarbeiter mit großem Führungspotenzial abgeschreckt und die falschen Personen angezogen werden. Unterm Strich würde es so zu einer Fehlselektion kommen, die Unternehmen nachhaltig schaden kann.

Demokratische Führung: Misstrauen der Manager als Barriere

Betrachtet man Zappos, Haufe-Umantis oder Upstalsboom als Unternehmen, die Empowerment und demokratische Führung als Pionier vorleben, so stellt man schnell fest, dass diese alle eine starke, visionäre Führungskraft an der Spitze haben. Diese haben das Unternehmen meist selbst aufgebaut oder führen das Unternehmen schon sehr lange. Sie sind kulturstiftend und fungieren als zentrale Integrationsfiguren für das gesamte Unternehmen. Im Gegenteil dazu stellen der weit verbreitete Mangel an Kontinuität an der Spitze vieler europäischer Unternehmen, das oft vorherrschende Kurzfristdenken von Managern und damit verbundene Vertrauensdefizite des Top-Managements die größten Barrieren für ein gesundes Empowerment dar. Ein wesentlicher Schritt in Richtung demokratischer Führung ist es, die wesentlichen Ausgangsbedingungen im Top-Management zu entwickeln: Haben wir das Vertrauen der Mitarbeiter in die oberste Führung? Ist Kontinuität an der Spitze gesichert? Haben wir ein gemeinsames Wertegerüst, um die Freiheit auch im Sinne der gemeinsamen Ziele zu nutzen?

Grenzen der Demokratie

Donald Trump? Demokratisch als amerikanischer Präsidentschaftskandidat der Republikaner gewählt. Brexit? Eine basisdemokratische Entscheidung der gesamten britischen Bevölkerung. Der Wahlerfolg der AfD in Mecklenburg-Vorpommern? 21 Prozent der Wähler haben sich bewusst für diese Partei entschieden. Die inhaltliche Beurteilung dieser Wahlergebnisse ist jedem selbst überlassen. Allerdings zeigen diese Beispiele, dass Demokratie auch Möglichkeiten für Demagogie, Manipulation oder Meinungsmache schafft. Insbesondere wenn diese auf wenig erfahrene Wähler trifft, können die Ergebnisse demokratischer Verfahren wenig erfreulich oder überraschend ausfallen. Das gleiche ist der Fall, wenn andere Motive, wie zum Beispiel Frustration oder Perspektivlosigkeit, zur Entscheidungsgrundlage werden.

Darüber hinaus gab es im Rahmen der genannten Wahlen massive und zum Teil hässliche Proteste, Demonstrationen und Diskussionen – und das, obwohl die Wahlen vollkommen transparent und demokratisch abgehalten wurden. Eine solche korrosive Energie kann auch in Unternehmen entstehen, die sich plötzlich und unvorbereitet für mehr Freiheit und Demokratie entscheiden. Auch Unternehmen, Führungskräfte und Mitarbeiter müssen Demokratie erst lernen. Es bedarf also keiner Schnellschüsse, sondern zunächst einer systematischen Entwicklung der Kultur und des Umgangs miteinander. Dabei ist entscheidend, dass die gemeinsame Kultur gefestigt und krisentauglich ist: Denn bewähren muss sich eine Demokratie vor allem in der Bewältigung außerordentlicher Herausforderungen.

Transformation: Energie durch die richtige Change-Gestaltung

In der Praxis der Neuausrichtung auf die neue Arbeitswelt zeigt sich, dass es zentral ist, den Change richtig zu gestalten: Der Prozess der New-Work-Transformation ist teilweise sogar wichtiger als das einzelne Konzept. Den Change, bei dem es sich primär um einen Kulturwandel handelt, sollten Unternehmen aktiv mit ihren Führungskräften gestalten. Dabei gilt es, einen langen Atem zu beweisen und den Change sichtbar von oben zu treiben und vorzuleben. Aber vor allem geht es um die aktive Einbindung, um das Involvieren und um das Mitgestalten der Mitarbeiter und Führungskräfte.

New Work: Geschützte Experimente

Wichtige weitere Elemente sind ein geschütztes Experimentieren mit mehr Freiheit, der Abbau von Ängsten und Barrieren sowie ein explizites Bekennen zu bestimmten Arbeitsregeln und Werten der Zusammenarbeit. Kontraproduktiv hingegen ist das Suchen nach einem Pauschalmodell, das schablonenhaft auf alle Unternehmen gelegt werden kann. Eine Instrumenteneuphorie, die pauschal einzelne Instrumente gut heißt oder verteufelt, ist unangemessen. Aussagen wie "Homeoffice ist gut", "Leaderless Organizations gehört die Zukunft" oder "Führungskräfte sollten nicht-hierarchisch arbeiten" sind nicht zielführend.  Vielmehr geht es darum, dass Unternehmen das für sie passende Modell erarbeiten, ihre angestrebte Arbeitskultur explizit machen und einen guten Weg finden, die New-Work-Transformation umzusetzen. Dies geht nur mit den Führungskräften und niemals gegen sie.

Als hilfreich erweist es sich bei dieser noch unsicheren Neuausrichtung der Arbeitswelt, aktiv in den Austausch mit anderen Unternehmen zu gehen und regelmässig eine systematische Standortanalyse der eigenen Position auf dem Weg in die neue Arbeitswelt vorzunehmen.

Top-Manager als Sinnstifter

Abschließend gilt es, die zentrale Rolle des Top-Managements in der New-Work-Transformation zu betonen. Basierend auf der schon genannten Befragung von 19.000 Mitarbeitern lassen sich ganz bestimmte Eigenschaften identifizieren, in denen sich das Top-Management der Unternehmen, die erfolgreichen in der neuen Arbeitswelt arbeiten, von dem Top-Management der anderen Unternehmen unterscheidet: Sie leben eine hohe Chancenorientierung und positive Fehlerkultur vor, sie empfinden selbst stärker einen Sinn bei der Arbeit und sie verankern expliziter ein positives Zukunftsbild im Unternehmen.