Mitarbeiter binden trotz Kurzarbeit

Die Tourismusbranche erlitt im November durch den erneuten Lockdown einen Rückschlag. Die Metall- und Werkzeugmaschinenindustrie erholt sich langsam, bleibt aber instabil. Die Bundesregierung will Unternehmen die Existenz durch 24 Monate Kurzarbeit sichern. Doch was macht das mit Beschäftigten, die nur wenige Stunden oder gar nicht im Betrieb oder im Homeoffice gebraucht werden? Unternehmen geben Einblick in ihre Strategien.

Lange vor Corona standen in vielen Großunternehmen die Regeln fest zu Homeoffice und mobilem Arbeiten. Mit Corona kamen die aktuellen Vereinbarungen mit den Betriebsräten zur Kurzarbeit hinzu: Abbau von Überstunden und Urlaubstagen, monatliche Festlegung der reduzierten Arbeitsstunden von 10 bis 100 Prozent, manchmal die Aufstockung des Kurzarbeitergeldes von rund 60 auf 80 oder 100 Prozent. Beschäftigte sind seltener in Büros und Werkshallen anzutreffen. Einem Beziehungsverlust zwischen Managern und Mitarbeitern und möglicherweise sinkender Loyalität von Arbeitnehmern zum Arbeitgeber muss HR etwas entgegensetzen.

Flexible und familienbewusste Arbeitskultur fördern

Wie Bosch. Der Stuttgarter Technologiekonzern zählt zu den Unternehmen, die auf die Auswirkungen der Pandemie in der Arbeitsorganisation gut vorbereitet sind. Filiz Albrecht, Leiterin des Zentralbereichs Führungskräfte und ab 1. Januar 2021 Arbeitsdirektorin und Geschäftsführerin Personal- und Sozialwesen, blickt zurück: "Bosch fördert seit Jahren eine flexible und familienbewusste Arbeitskultur, die mobiles Arbeiten ermöglicht und in der Arbeitsergebnisse im Mittelpunkt stehen. Dies ist seit 2014 auch in einer Konzernbetriebsvereinbarung verankert. Von diesen langjährigen Erfahrungen profitieren wir in der aktuellen Lage."

Noch bis zum Jahresende 2020 wird die Arbeitszeit von Beschäftigten in Entwicklung, Forschung, Vertrieb und Verwaltung von Bosch an vielen deutschen Standorten auf Basis des Tarifvertrages Beschäftigungssicherung um bis zu zehn Prozent abgesenkt. In der Fertigung wird Kurzarbeit ebenfalls bis Jahresende 2020 nach Bedarf flexibel an den Standorten fortgeführt. Darauf haben sich Unternehmen und Gesamtbetriebsrat zu Beginn der Corona-Krise geeinigt. Auch die Führungskräfte der von Kurzarbeit betroffenen Standorte sowie der gesamte oberste Führungskreis weltweit leisten einen Beitrag zu den aktuellen Maßnahmen: Sie nehmen unbezahlte Urlaubstage.

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Informationspolitik intensivieren

Flankiert wird das arbeitsorganisatorische Vorgehen durch Weiterbildung unter dem Dach der "Bosch Learning Company" – einer Vorbereitung auf den Corona-unabhängigen Strukturwandel durch eine KI-Schulungsinitiative und "Mission to Move", das Format zur Transferqualifizierung für die Übernahme von konkreten Aufgaben in Elektromobilität oder Software. Intensiviert wird außerdem seit Monaten die interne Informationspolitik. "Geschäftsführung und Führungskräfte geben regelmäßig Updates zur wirtschaftlichen Lage, aktuellen Entscheidungen und den Auswirkungen auf die Beschäftigten", erklärt HR-Managerin Albrecht. "Dabei holen Führungskräfte auch Feedback der Mitarbeiter ein und beantworten Fragen. Viele Mitarbeiter zeigen Verständnis für die aktuellen Anforderungen und die entsprechenden Maßnahmen – wir wissen dies zu schätzen." Orientierung bieten das Leitbild "We are Bosch" mit den Unternehmenswerten sowie die Führungs- und Zusammenarbeitsprinzipien "We Lead Bosch". Filiz Albrecht: "Offenheit und Wertschätzung sowie die Förderung von Eigenverantwortung sind ein zentraler Teil davon und seit jeher Bestandteil unserer Kultur."

Überstunden abbauen

Auf die setzt auch Werkzeugmaschinenbauer, Laser- und Elektronikspezialist Trumpf in Ditzingen. Das Ziel: Der Produktionsbetrieb will Präsenzunternehmen bleiben. Zahlreiche Arbeitszeitmodelle sichern nicht nur während der Corona-Krise die Flexibilität innerhalb des Modells RAZ – ein Regelarbeitszeit-Langzeitkonto. In konjunkturstarken Monaten wird das Konto auf-, in schwachen Monaten abgebaut. Aktuell fährt Trumpf ein gestaffeltes Mischmodell aus Pluszeitenabbau und Kurzarbeit. Die Mitarbeiter setzen zur Überbrückung des Arbeitsausfalls ihre RAZ-Stunden ein, gehen aber auch mit Stundenkontingenten in Kurzarbeit. So sind ihre monatlichen Einkommenseinbußen geringer, Trumpf kann die Rücklagen für Urlaub und Langzeitkonto senken. Eine Arbeitszeitreduktion von 100 Prozent hatten im Oktober noch 15 Beschäftigte. Zur monatlichen Informationsrunde sind auch diese Mitarbeiter eingeladen. "Die Resonanz ist sehr positiv", sagt Oliver Maassen, der im Oktober vom Leiter Human Resources zum Gruppengeschäftsführer für Personal befördert wurde. "Auch gibt es Mitarbeiter, die für Mittagspausen zu Trumpf kommen, um den Kontakt zu den Kollegen zu halten."

Es gibt Mitarbeiter, die für Mittagspausen extra zu Trumpf kommen, um den Kontakt zu den Kollegen zu halten." Oliver Maassen, Gruppengeschäftsführer Personal bei Trumpf


Führungskräfte als Berater

Die Betriebsvereinbarung zur Kurzarbeit läuft noch bis zum 31. März 2021. "Das sind noch einige Monate, sodass wir uns bewusst entschieden haben, weitere personalpolitische Entwicklungen zu vertagen", so Maassen. Nicht vertagt wird die Qualifizierung in Kurzarbeit. Jeder Mitarbeiter geht auf freiwilliger Basis auf seine eigene Lernreise, wobei die Führungskraft als Berater agiert. Dauer und Umfang bestimmt der Mitarbeiter selbst. 40 Prozent des Lernbudgets des aktuellen Geschäftsjahres werden für Qualifizierung in Kurzarbeit genutzt.

Bei der Mitarbeiterinformation muss Trumpf nicht bei null anfangen, denn das Krisenprogramm Koyer – benannt nach den Deichbauern an der Nordsee – wurde bereits früher gegen typische konjunkturelle Schwankungen im Maschinenbau installiert. Prozesse, Verträge und Projekte hat die Geschäftsführung gemeinsam mit den Mitarbeitern immer wieder auf den Prüfstand gestellt. Das hat jeder Mitarbeiter erlebt – vor und während der Corona-Monate. "Somit sehen wir aktuell keine Veränderung der Loyalität, dennoch ist uns bewusst, dass an vielen Stellen durch die Situation Unsicherheit herrscht", meint Personalgeschäftsführer Maassen.

Erleichterter Zugang zur Kurzarbeit: Gesetzgeber unterstützt Unternehmen

Bundesregierung, Bundestag und Bundesrat haben auf die Unberechenbarkeit des Pandemieverlaufs reagiert und den erleichterten Zugang für Kurzarbeit auf maximal 24 Monate bis Ende 2021 verlängert. Auch die Konditionen für Firmen und Beschäftigte wurden verbessert. Sozialversicherungsbeiträge werden erstattet. Ist das Netto des Arbeitsentgelts um 50 Prozent reduziert, gehen in einer Staffelung bis zu 87 Prozent von Lohn und Gehalt aufs Familienkonto. Weiterbildung wird anders als bisher auch dann finanziell gefördert, wenn sie weniger als 50 Prozent der Arbeitszeit umfasst. Und: Wer Kurzarbeitergeld bezieht, behält den finanziellen Anspruch auch, wenn er in dieser Zeit eine Weiterbildung macht.

Für Oktober meldete die Bundesagentur für Arbeit (BA) 2,6 Millionen Kurzarbeiter, basierend auf August-Daten. Im April als dem stärksten Monat waren es knapp sechs Millionen. Unternehmen geben ihre Kurzarbeitsanzeigen monatlich an die BA. Vor allem Maschinenbau und Metallverarbeitung melden, aber auch Gastronomie und Tourismus – im November werden die Zahlen in den letztgenannten Branchen wegen des erneuten Lockdowns steigen. Ob Trumpf oder die in der Touristikbranche schwer betroffene TUI in Hannover: Unternehmen loben das flexible deutsche Kurzarbeitermodell, das in EU-Staaten wie Frankreich und Ungarn, aber auch und trotz Brexit in Großbritannien Nachahmer findet, wenn auch mit Abwandlungen.

Es schlägt die Stunde der Führungskräfte

Davon und von der Verlängerung auf 24 Monate profitiert der internationale Touristikkonzern TUI, der zeitweise Dreiviertel der Belegschaft vom Flugpersonal über Reisebüro-Mitarbeiter bis zu Verwaltungsbeschäftigten in Kurzarbeit schicken musste. Den Umsatzeinbruch durch Corona beziffert TUI auf 98,5 Prozent. "Kurzarbeit ist für uns eine Brücke. Sie gibt uns die Flexibilität, im Stop and Go-Modus über die Krise zu kommen und sehr schnell die Kapazitäten in den Teams hochzufahren, wenn Kunden wieder ihren Urlaub buchen", bewertet Elke Eller, TUI-Arbeitsdirektorin und Vorstand Personal, das staatliche Instrument für Arbeitsmarktstabilität. "Wir müssen auf die Kostenbremse drücken, aber gleichzeitig bei der IT-Weiterbildung Gas geben."

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Für Eller "schlägt jetzt die Stunde der Führungskräfte", damit Beschäftigte den Kontakt zum Unternehmen spüren. Die Chefs müssen ansprechbar sein, regelmäßige Calls mit ihren Teams führen, Kurzarbeit als Brücke vermitteln. "Die Mitarbeiter nehmen das an, die Chatfunktion wird stark genutzt", beschreibt die Personalfrau. "Sie spiegeln, ob die Führungskräfte ihren Job gut machen." Etliche Beschäftigte sind im November erneut zu 100 Prozent in Kurzarbeit. Doch das Spektrum reicht insgesamt von stundenweiser bis zu wochenweiser Reduzierung der Arbeitszeit. Und auch wenn viele Angestellte derzeit komplett von zu Hause aus arbeiten, "kann man Kontakt halten", sagt Elke Eller. "Mit unserem HR-Team haben wir schon in einer Social Distancing Session gemeinsam gekocht." Auch das verbindet. 


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