"Wir sind digital übersättigt"
Personalmagazin: Herr Vogel, Sie forschen seit mehr als 20 Jahren zum Thema Leadership. Was haben Sie während der Coronapandemie Neues über Führung gelernt?
Bernd Vogel: Man lernt immer etwas Neues, insbesondere in solchen Ausnahmesituationen. Aber nicht alles, was viele während der Pandemie als neu empfanden, ist tatsächlich neu. Für mich ist Corona so etwas wie ein Katalysator, der Dinge, die vorher schon existiert haben, verstärkt hat.
Personalmagazin: Was denn zum Beispiel?
Vogel: Die Leute haben mehr hinterfragt, wie sie arbeiten, was sie arbeiten und woran sie arbeiten. Es gibt deutlich mehr Führungskräfte, die sagen: Ich mache jetzt Dinge bewusst anders als vorher. Der Sinn und Zweck des eigenen Tuns wurde viel stärker reflektiert. Außerdem ist das Thema soziale Beziehungen im Arbeitsumfeld mehr in den Fokus gerückt. Wir wissen schon lange aus Studien, dass das Zugehörigkeitsgefühl enorm wichtig ist für Zufriedenheit und Leistung. In der Coronakrise haben wir gelernt, dass das nicht von allein kommt, sondern dass man Beziehungen gezielt pflegen und stärken muss. Last but not least nehme ich eine neue Offenheit beim Thema Stress wahr. Es gibt jetzt viel mehr Führungskräfte, die von sich sagen: Diese Arbeitssituation, die Unsicherheit, die unangenehmen Entscheidungen, zum Beispiel bei Personalabbau, das ist belastend für mich.
Wie sich die Arbeitswelt nach Corona ändert
Personalmagazin: Nun scheint ein Ende der Pandemie in Sicht. Wird die neue Arbeitswelt nach Corona tatsächlich hybrid? Davon geht die Mehrheit ja derzeit aus. Oder sitzen wir in zwölf Monaten doch wieder alle im Büro wie früher?
Vogel: Das ist eine sehr spannende Frage, fast noch spannender als das Experiment im März 2020, als die Unternehmen ihre Mitarbeitenden quasi über Nacht ins Homeoffice geschickt haben. Es wird für die Arbeitswelt nach Corona sicher eine ganze Bandbreite an Ausgestaltungsvarianten geben. Und die jeweiligen Modelle, für die sich die Unternehmen entscheiden, werden noch viel mehr über den Charakter der Unternehmen verraten als die kurzfristigen Lösungen, die sie vor 16 Monaten auf die Frage "Wie kommen wir durch die Pandemie?" gefunden haben. Apple beispielsweise beordert seine Mitarbeitenden jetzt wieder zurück ins Büro. Das zeigt deutlich, dass die weitverbreitete Vorstellung, dass die Leute im Silicon Valley auf dem Skateboard arbeiten, nicht ganz richtig ist. In Wahrheit kann das Valley eine Knochenmühle mit mehr oder weniger Freiheiten sein.
New Normal: Der Weg in neue Arbeitsweltmodelle
Personalmagazin: Wie finden Unternehmen denn "ihren" Weg ins New Normal?
Vogel: Es gibt Unternehmen, die haben ein fertiges Konzept, das ein Stab entwickelt hat, und das rollen sie jetzt aus. Und dann gibt es die, die sagen: Wir lassen alles auf uns zukommen – wir machen die Büros auf und dann schauen wir mal, was passiert. Beides wird nicht funktionieren. Die Gestaltung der Arbeitswelt nach Corona ist eine Riesenchance, aber wie genau ein hybrides Arbeitsmodell aussehen kann, ist keine ausschließliche Entscheidung des Mitarbeiters, sondern eine Entscheidung des Mitarbeiters mit dem Unternehmen zusammen. Dabei spielen viele Fragen eine Rolle: Wie möchten wir die Leistung bei bestimmten Aktivitäten verbessern? Wie stellen wir Lernen und Entwicklung sicher? Was für eine Kultur wollen wir? Wie gestalten wir Arbeit als soziales Feld? Und dann kommen noch die ökonomischen Fragen: Es ist wirtschaftlich schlicht nicht sinnvoll einen Büroarbeitsplatz vorzuhalten, der an zwei bis drei Tagen pro Woche verwaist ist.
Personalmagazin: Stichwort "Arbeit als soziales Feld": Sie haben vorhin die Bedeutung des Zugehörigkeitsgefühls angesprochen. Braucht es dafür das physische Büro?
Vogel: Manche Leute arbeiten seit 25 Jahren sehr loyal und waren noch niemals im Headquarter. Das ist eine Typsache. Für die einen ist der Ort als Bezugspunkt für Kultur, Identität und Zugehörigkeit extrem wichtig, für andere nicht. Ich glaube, man kann soziale Aspekte durchaus digital abbilden, aber im Moment sind wir einfach total übersättigt mit Digitalem. In einer komplett digitalen Welt, wie wir sie in der Coronapandemie hatten, ist die Arbeit digital und der Social Drink mit dem Team am Abend ist auch wieder digital. Das ist zu viel, so geht der Effekt verloren. Es ist weniger das fehlende Angebot, sondern der fehlende "Framebreak". Wir brauchen die Variation. Deshalb bin ich auch ein großer Fan von hybriden Strukturen.
Hybrides Arbeiten: Die neuen Herausforderungen
Personalmagazin: Diese hybriden Strukturen machen die Arbeitswelt aber noch komplexer als sie ohnehin schon ist ...
Vogel: Ganz richtig. Hybrid bedeutet ja nicht nur die Aufteilung der Arbeit eines Individuums in Homeoffice und Büro. Richtig spannend wird es, wenn Teams, Meetings und Projekte hybrid werden. Wenn einige im Büro, andere remote arbeiten und an wechselnden Tagen. Dieses mehrdimensionale Hybride schafft noch einmal eine ganz andere Dynamik. Das braucht unglaubliche Disziplin, aber es ist auch eine Riesenchance.
"Bürogestaltung ist nur die äußere Bedingung. Erst durch einen Kulturwandel füllen wir die Räume auch mit neuen Arbeitswelten." - Professor Bernd Vogel
Personalmagazin: Welche neuen Herausforderungen kommen auf Führungskräfte zu? Wie vermeidet man beispielsweise, dass sich eine Art Zweiklassengesellschaft bildet?
Vogel: Die Kernansprüche an Führung bleiben die gleichen – egal ob virtuell, klassisch analog oder eben hybrid. Aber die Prioritäten verschieben sich. Nehmen wir das Beispiel Zweiklassengesellschaft: Wenn ich möchte, dass meine Mitarbeitenden Synergien entwickeln und ihre Arbeit bestmöglich verrichten, muss ich dafür sorgen, dass alle einen ähnlichen Informationsstand haben. Das war vorher eine nicht so hoch priorisierte Führungsaufgabe, weil das fast automatisch passiert ist, als alle Mitarbeitenden im Büro waren. Jetzt müssen Führungskräfte das ganz gezielt managen, beispielsweise indem sie Regeln einführen, wie das funktionieren kann. "Gleicher Informationsstand" muss zum Teamziel werden, zu dem alle ihren Beitrag leisten. Diejenigen, die nicht vor Ort sind, müssen gegebenenfalls nachhaken. Und diejenigen, die im Büro sind, müssen Informationen an die Kollegen im Homeoffice weitertransportieren. Ein "Wir sind vor Ort besser informiert" ist dann sozusagen ein Regelvergehen.
Personalmagazin: Das Büro als Ort des Arbeitens wird seine Rolle verändern. Wie wird sich das auf die Bürogestaltung auswirken?
Vogel: Auch hier sehe ich die Coronapandemie als eine Art Katalysator: Vieles, was wir an Raumkonzepten für die hybride Arbeitswelt brauchen, gab es vorher schon, aber wir haben es gar nicht richtig genutzt. Ich kenne Unternehmen, die haben ultramoderne kollaborative Gebäude und arbeiten wie im 19. Jahrhundert. Die Bürogestaltung ist nur die äußere Bedingung. Erst durch einen Kulturwandel füllen wir die Räume auch mit Arbeit. Das ist das Entscheidende.
Dieser Beitrag ist zuvor im Sonderheft "Personalmagazin plus: Arbeitswelten" erschienen, das Sie hier kostenlos als PDF herunterladen können.
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