Duale Ausbildung: Wie KI die Berufsorientierung verändert

Immer mehr Jugendliche informieren sich mithilfe KI-gestützter Systeme. Das verändert die Art, wie Entscheidungen entstehen und wie Berufsorientierung funktioniert. Wie Arbeitgeber jetzt reagieren sollten und warum Künstliche Intelligenz zur Chance werden kann, wenn Ausbildungsunternehmen sie richtig nutzen.

Anfang September begann für viele junge Menschen das neue Ausbildungsjahr. Der Weg dorthin hat sich in den vergangenen Jahren stark verändert. Früher prägten Schule, Familie und das Berufsinformationszentrum der Arbeitsagentur (BIZ) die Berufswahl, später waren es Google und Social Media. Heute verlieren die klassischen Orte für Berufsorientierung mehr und mehr an Bedeutung. Dafür wird ein neuer Player relevanter: ChatGPT. 

Wenn ChatGPT zur Berufsberatung wird

"Ich habe gar keine Ahnung, was ich machen soll."; "Ich will was mit Tieren machen."; "Was mit Menschen."; "Was Kreatives – aber nicht so stressig.". So klingen nach wie vor viele erste Gedanken, wenn Jugendliche sich mit ihrer Berufswahl beschäftigen. Doch diese Sätze landen längst nicht mehr primär bei Lehrerinnen und Lehrern, Eltern oder im Berufsinformationszentrum. Sie landen bei LLMs (Large Language Models), also Tools wie ChatGPT oder KI-gestützten Suchsystemen. 

Was bedeutet das für Arbeitgeber? Eine Zeitenwende für das Azubi-Recruiting, Employer Branding und das Verständnis von Berufsorientierung steht unmittelbar bevor.

Berufsorientierung im Dialog mit der KI

Bereits heute kommt bei Ausbildung.de ein mittlerer einstelliger Prozentanteil des Traffics von LLMs, Tendenz steigend. Bis Mitte 2025 hatte sich dieser Anteil jeden Monat verdoppelt. Auch wenn dieses Wachstum zuletzt wieder leicht abgenommen hat: Der Wandel bei der Berufsorientierung und Ausbildungsplatzsuche ist eindeutig. 

Auch die Art der Suche verändert sich. Statt präziser Anfragen wie "Kaufmann für Büromanagement Ausbildung NRW" heißt es heute häufiger: "Welche Ausbildung passt zu mir?". Immer mehr Jugendliche starten ihre Orientierung mit generischen KI-Prompts, gehen dann in den Dialog mit dem jeweiligen LLM und erfahren so mehr über die diversen Berufe, die sie "im Gespräch" streifen.

Das Ende der Orientierungsreise innerhalb der LLMs ist in vielen Fällen der Click-out auf ein relevantes Online-Angebot – dann allerdings oft bereits mit klarer Bewerbungsabsicht. Userinnen und User, die über ChatGPT und Co. auf Ausbildung.de kommen, besuchen weniger Unterseiten auf unserem Portal, bewerben sich aber deutlich häufiger als der Schnitt.

KI schafft Empowerment

Dass KI zum Einstiegspunkt in die Berufsorientierung wird, zeigt vor allem eines: Junge Menschen nehmen diese Lebensentscheidung ernst. Sie haben neue Technologien als Sparringspartner identifiziert und scheuen sich nicht, sie einzubeziehen. Richtig genutzt, kann KI mehr als nur die Orientierung erleichtern: Sie kann Empowerment schaffen, weil Jugendliche ihre Fragen ohne Angst vor Bewertung stellen können. Sie kann Teilhabe stärken, weil der Zugang nicht vom Elternhaus oder Schulangebot abhängt. Und sie kann auf die individuellen Fragen der Userinnen und User deutlich besser eingehen als ein weitgehend statisches Angebot.

Doch wenn KI der neue Einstiegspunkt ist, ist die große Frage: Wie verlässlich ist sie? Welche Empfehlungen gibt sie, welche blendet sie aus? Und was bedeutet das für Sichtbarkeit, Vielfalt und Fairness in der Berufswahl?

Berufsorientierung mit KI: interaktiver, aber auch selektiver

Die neue Zugänglichkeit hat Kehrseiten, denn: LLMs geben Empfehlungen auf Basis von Wahrscheinlichkeiten, nicht auf Persönlichkeit, Potenzial oder Passung. Berufsbilder mit geringer digitaler Sichtbarkeit tauchen seltener auf, egal, wie gut sie passen. Und stereotype Trainingsdaten führen zu systematischen Verzerrungen. Das Ergebnis: Eine vermeintlich neutrale KI trifft Vorauswahlen, ohne dass das jungen Menschen bewusst ist.

Nischenberufe drohen unterzugehen, aber auch die Vielfalt individueller Optionen wie die Vielzahl der weniger regulierten Dualen Studiengänge. Und diese Gefahr ist nicht abstrakt. Unsere Analysen zeigen - analog zu klassischen Kanälen - für das Jahr 2025 substanzielle Zugriffszahlen auf Stellen als Einzelhandelskaufmann/frau, Verkäufer/in oder Pflegefachkraft. Aber was ist mit Jobs wie Geigenbauer, Glasveredlerin oder Orgelbauer? Diese verzeichnen nicht einen einzigen Stellenaufruf. Ebenso wenige Klicks erhalten die dualen Studiengänge für Brandschutz- und Sicherheitstechnik, Internationale Energiewirtschaft oder Gesundheits- und Krankenpflege. 

Maßnahmen für mehr Sichtbarkeit bei ChatGPT und Co.

Was bedeutet das für Unternehmen? Wie erreichen sie junge Menschen, wenn Orientierung zunehmend von Prompts der Userinnen und User abhängt? Wie bleiben sie sichtbar, wenn der Beruf in den Empfehlungen der KI nicht vorkommt? Auf Basis unserer Erfahrungen empfehlen wir vier Maßnahmen.

1. SEO bleibt wichtig, aber es braucht ein Update

Sichtbarkeit entsteht heute nicht mehr nur durch klassische Keywords, sondern durch semantische Relevanz. Wir wissen: Junge Menschen suchen heute anders. Sie geben keine präzisen Jobtitel ein, sondern formulieren generisch: "Was passt zu mir?"; "Ich will was mit Menschen machen."; "Was kann man mit Realschulabschluss machen?". Das verändert auch die Anforderungen an SEO. Es geht nicht mehr ausschließlich darum, in Google gefunden zu werden, sondern darum, in den Antworten von ChatGPT und Co. aufzutauchen. Will man in diesen Systemen sichtbar bleiben, braucht es ein erweitertes Skillset: Generative Engine Optimization (GEO), also die Optimierung von Inhalten für Large Language Models wie ChatGPT, Perplexity oder Gemini. Kurz: SEO ist nicht tot, es ist anspruchsvoller geworden. 

2. Jobplattformen bleiben relevant, aber ihre Rolle verändert sich

Jobportale für Azubis werden zentrale Touchpoints in der Ausbildungsreise bleiben, aber nicht mehr zwingend als erster Schritt. Viele Jugendliche kommen heute mit einer KI-basierten Vororientierung auf die Plattform. Das verändert die Erwartung an den Content und an die Funktion. Plattformen müssen lernen, diese Vororientierung einzuordnen, zu vertiefen, aber auch zu hinterfragen: Passt das, was die KI vorgeschlagen hat, wirklich zum Menschen dahinter? Wird hier ein Berufsfeld übersehen? Fehlt Kontext? Fehlt Vielfalt? 

Bei der Auswahl von Jobplattformen sollte zukünftig genau betrachtet werden, wie die User Journey von LLM hin zur Bewerbung durch den jeweiligen Anbieter unterstützt und mögliche Biases der KI-Selektion abgefedert werden. Im besten Fall bieten sie selbst auf Berufsorientierung hin optimierte Angebote, welche die User-Gewohnheiten aufgreifen, aber ihre Schattenseiten minimieren.

3. Die eigene Marke stärken und Berufsbilder branden

Wenn Selektion ein Thema ist, dann müssen Unternehmen sich umso mehr anstrengen, ins "Relevant Set" zu kommen, um überhaupt in den Prompts und AI-Dialogen der jungen Leute aufzutauchen. Employer Branding und Markenbekanntheit im Kontext Ausbildung wird wichtiger – etwa über Lernportale wie Studyflix. Aber auch Berufe müssen so erklärt werden, dass Jugendliche sie ungestützt mental abrufen und sie im Austausch mit dem LLM einordnen können. Ganz besonders gilt das für unbekannte oder schwer zu besetzende Berufsbilder. Gerade wer Nischenberufe in den aktiven Dialog bringen will, muss verstärkt ins Berufs-Branding investieren.

4. Nicht-digitale Kanäle ausbauen, zum Beispiel an Schulen

Der ehemalige SEO-Chef von Shopify und prominente Berater diverser Silicon-Valley-Firmen, Kevin Indig, hat die Prognose aufgestellt: Nie wieder wird der Internet-Traffic auf ein so hohes Niveau kommen wie im Jahr 2024. Der Grund: LLMs verweisen immer seltener auf andere Websites, die Userinnen und User bleiben innerhalb der Chatbot-Ökosysteme. Es ist gar nicht mehr notwendig, sich durch verschiedene Websites zu klicken. Wenn das so ist, dann reicht es nicht, allein auf Sichtbarkeit in den LLMs zu setzen. Alternative, nicht-digitale Wege in die Zielgruppe werden wichtiger. Aktive Präsenz an Schulen und ein attraktives Angebot an Schülerpraktika sind hier wesentliche Bausteine.

Berufsorientierung mit KI: neue Chancen, neue Verantwortung

Die Zahlen sind eindeutig: Über 70.000 Ausbildungsplätze bleiben jährlich unbesetzt und bis 2030 gehen 6,5 Millionen Erwerbstätige in Rente. Der wirtschaftliche Schaden dadurch beläuft sich auf bis zu 2,9 Milliarden Euro. Viele Studien belegen, dass Jugendliche sich zunehmend verloren fühlen in der Informationsflut zu ihren Karriereoptionen. Hier kann KI ein Weg sein, diese Überforderung zu reduzieren und Berufsorientierung zu personalisieren.

Noch ist KI zwar nicht der erste Einstieg in den Beruf, es dominieren nach wie vor die "klassischen" Kanäle. Aber: KI hat das Potenzial, das dominierende Instrument im Rahmen der Berufsorientierung zu werden. Was junge Menschen dort sehen (oder nicht sehen), prägt ihre Entscheidungen. Sie kann Orientierung erleichtern und neue Teilhabe schaffen, sie kann aber auch Vielfalt unsichtbar machen und Stereotype befeuern. Genau hier setzt die Verantwortung von HR an.


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