BAG: Mindestlohn gilt auch für Bereitschaftsdienst
Gute Nachrichten für Arbeitnehmer, die Bereitschaftsdienste leisten: Für die Stunden, in denen sie auf ihren Einsatz warten, haben sie Anspruch auf den Mindestlohn von derzeit (noch) 8,50 Euro pro Stunde. Das entschied das Bundesarbeitsgericht in einem zweiten Grundsatzurteil seit der Mindestlohn-Einführung vor eineinhalb Jahren. Für den Präzedenzfall sorgte ein Rettungsassistent aus Nordrhein-Westfalen.
Bereitschaftsdienst: Mindestlohn als einheitliche Lohnuntergrenze
Die höchsten deutschen Arbeitsrichter begründeten ihre Entscheidung damit, das Mindestlohngesetz differenziere nicht zwischen regulärer Arbeitszeit und Bereitschaftsstunden. Es sehe eine einheitliche Lohnuntergrenze vor, sodass der gesetzliche Mindestlohn für jede geleistete Arbeitsstunde zu zahlen sei. Ähnlich hatte das BAG bereits 2014 zum (Branchen-) Mindestlohn in der Pflegebranche entschieden.
Zur vergütungspflichtigen Arbeit zählen laut BAG also auch Bereitschaftszeiten, während derer sich der Arbeitnehmer an einem vom Arbeitgeber bestimmten Ort – innerhalb oder außerhalb des Betriebs – bereithalten muss, um bei Bedarf die Arbeit aufzunehmen. Auch in diesem Fall müssten also Arbeitgeber mindestens 8,50 pro Stunden zahlen.
Rettungsassistent verlangt zusätzlich Lohn für Bereitschaftsdienst
Mit diesen Feststellungen wies das BAG – ebenso wie die Vorinstanzen – jedoch die Klage eines Rettungsassistenten ab. Dieser ist in einer vier-Tage-Woche und in Zwölfstundenschichten durchschnittlich 48 Stunden wöchentlich beschäftigt, wobei regelmäßig Bereitschaftszeiten anfallen. Auf das Arbeitsverhältnis sind laut Arbeitsvertrag die tarifvertraglichen Regelungen des TVöD anzuwenden.
Zudem bestimmt der Arbeitsvertrag – in Abweichung zur tariflichen Wochenarbeitszeit von regelmäßig 39 Stunden nach § 6 Abs.1 TVöD-V: "Bei Beschäftigten im Rettungsdienst fallen regelmäßig und in nicht unerheblichem Umfang Bereitschaftszeiten an. Aus diesem Grunde wird die wöchentliche Arbeitszeit unter Anwendung der Sonderregelung im Anhang zu § 9 TVöD auf durchschnittlich 48 Stunden festgesetzt."
Bereitschaftszeit extra mit Mindestlohn vergüten?
Der Rettungsassistent hatte nun bemängelt, dass ihm der Arbeitgeber die Bereitschaftszeit nicht mit dem gesetzlichen Mindestlohn vergütet habe. Die Argumentation: Durch das Inkrafttreten des Mindestlohngesetzes sei die arbeitsvertraglich einbezogene tarifliche Vergütungsregelung unwirksam geworden.
Letztlich vertrat der Mitarbeiter die Ansicht, dass sein Grundgehalt nur die bis 39 Stunden pro Woche geleistete Vollarbeitszeit vergüte, nicht jedoch die (bis zu 48 Stunden) darüber hinausgehende Arbeitszeit (bestehend aus Zeiten des Bereitschaftsdienstes).
BAG: Bezahlung über Mindestlohn auf Basis von 48 Wochenstunden
Dies sah der fünfte Senat des Bundesarbeitsgerichts anders. Dem Mitarbeiter stehe für seine geleisteten Bereitschaftszeiten keine weitere Vergütung zu. Zwar ist Bereitschaftszeit mit dem gesetzlichen Mindestlohn zu vergüten, der Anspruch hierauf sei jedoch erfüllt.
Konkret rechnete das BAG vor: Bei maximal 228 Arbeitsstunden, die der Rettungsassistent mit Vollarbeit und Bereitschaftszeiten in einem Monat tatsächlich leisten kann, übersteigt die gezahlte Monatsvergütung von 2.680, 31 Euro den gesetzlichen Mindestlohn sogar (228 Stunden zu 8,50 Euro entspricht 1.938 Euro brutto monatlich). Ein Anspruch auf weitere Vergütung nach § 612 Abs. 2 BGB bestehe nicht. Die arbeitsvertraglich einbezogene tarifliche Vergütungsregelung ist nicht wegen des Inkrafttretens des Mindestlohngesetzes unwirksam geworden.
Die höchsten deutschen Arbeitsrichter bestätigten damit auch die Entscheidung der Vorinstanz, des LAG Köln. Dieses hatte unter anderem ausgeführt, dass der Tarifvertrag gerade nicht ausdrücklich zwischen Vollarbeit und Bereitschaftszeit der Arbeitszeit differenziere. "Es ist […] gerade kein Stundenlohn vereinbart. Insofern sind die Arbeitsstunden insgesamt ins Verhältnis zum Monatsentgelt zu setzen", entschieden die LAG-Richter.
Hinweis: Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 29. Juni 2016, Az. 5 AZR 716/15; Vorinstanz: Landesarbeitsgericht Köln, Urteil vom 15. Oktober 2015, Az. 8 Sa 540/15
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