Stufenzuordnung nach TVöD verstößt nicht gegen Europarecht

Bei der Stufenzuordnung nach § 16 Abs. 2 TVöD-Bund wird einschlägige Berufserfahrung bei der Bundesverwaltung gegenüber Berufserfahrung bei anderen Arbeitgebern privilegiert. Darin liegt kein Verstoß gegen Europarecht oder gegen das Grundgesetz.

Die 1983 geborene Klägerin, Diplom-Erziehungswissenschaftlerin, war nach Abschluss ihres Hochschulstudiums von Dezember 2009 bis einschließlich Juni 2010 als pädagogische Fachkraft in einer offenen Ganztagsschule der Evangelischen Jugendhilfe tätig, danach bis zum 14.11.2010 als pädagogische Mitarbeiterin in der von kirchlichen Trägern betriebenen Bahnhofsmission beschäftigt und anschließend bis zum 14.11.2012 aufgrund eines befristeten Arbeitsvertrags beim Verein S e. V. in dessen Beratungsstelle, welcher insbesondere Frauen mit Migrationshintergrund, die Opfer von Gewalt geworden sind, u. a. zur telefonischen Erstberatung eingesetzt. Danach war sie arbeitslos. Ab dem 1.4.2013 bis einschließlich 31.3.2015 war sie dann befristet bei der Beklagten beschäftigt. Sie wurde im Rahmen des Projekts "Bundesweites Hilfetelefon – Gewalt gegen Frauen" als telefonische Beraterin eingesetzt. Gemäß dem anzuwendenden Tarifvertrag TVöD-Bund war sie eingruppiert in die EG 9b.

§ 16 Abs. 2 TVöD-Bund hatte seinerzeit folgenden Wortlaut:

"Bei Einstellung in eine der Entgeltgruppen 9 bis 15 werden die Beschäftigten zwingend der Stufe 1 zugeordnet. Etwas anderes gilt nur, wenn eine mindestens 1-jährige einschlägige Berufserfahrung aus einem vorherigen befristeten oder unbefristeten Arbeitsverhältnis zum Bund vorliegt; in diesem Fall erfolgt die Stufenzuordnung unter Anrechnung der Zeiten der einschlägigen Berufserfahrung aus dem vorherigen Arbeitsverhältnis zum Bund."

Aufgrund eines Schreibens des Bundesministerium des Innern zu § 16 TVöD-Bund (a. F.) vom 6.9.2006, wonach bei der Neueinstellung von Beschäftigten in den Entgeltgruppen 9 bis 15 TVöD zur Personalgewinnung ab dem 1.9.2006 bei der Stufenzuordnung Zeiten einschlägiger Berufserfahrung außerhalb der Bundesverwaltung bis maximal Stufe 4 angerechnet werden können, wenn diese Tätigkeiten für die in der Bundesverwaltung vorgesehene Tätigkeit förderlich seien und die Anrechnung zur Deckung des Personalbedarfs im begründeten Einzelfall notwendig sei, rechnete die Beklagte die Vorbeschäftigung der Klägerin bei dem Verein S e. V. als förderliche einschlägige Berufserfahrung an und vergütete die Klägerin während der gesamten Dauer des Arbeitsverhältnisses nach Entgeltgruppe 9b Stufe 2 TVöD.

Nach Auffassung der Klägerin hätten jedoch sämtliche Vorbeschäftigungszeiten bei der Stufenzuordnung berücksichtigt werden müssen, da es sich durchwegs um Zeiten einschlägiger Berufserfahrung handele. Die Nichtberücksichtigung ihrer Vorbeschäftigungszeiten verstoße gegen unionsrechtliche Vorgaben sowie gegen den Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG, da die tariflichen Regelungen Unionsbürger aus anderen Mitgliedstaaten jedenfalls mittelbar diskriminierten, da diese wahrscheinlich in weitaus höherem Maße als Deutsche keine Vorbeschäftigung bei der Beklagten aufweisen könnten. Eine Rechtfertigung für diese mittelbare Diskriminierung sei nicht ersichtlich. Dies führe unabhängig von einem Auslandsbezug zugunsten aller Beschäftigten zur Unwirksamkeit der Voraussetzung einer einschlägigen Berufserfahrung aus einem vorherigen Arbeitsverhältnis "zum Bund" in § 16 Abs. 2 Satz 2 TVöD-AT (Bund) a. F.

BAG: Kein Verstoß gegen die europarechtliche Freizügigkeitsverordnung

Die Klage hatte keinen Erfolg. Das Bundesarbeitsgericht (BAG) hat entschieden, dass die Nichtberücksichtigung der Berufserfahrung der Klägerin aus Arbeitsverhältnissen mit anderen Arbeitgebern nicht gegen höherrangiges Recht verstößt, insbesondere die Vorgaben des Unionsrechts nicht verletzt wurden.

Zwar verbiete Art. 45 Abs. 2 AEUV jede auf der Staatsangehörigkeit beruhende unterschiedliche Behandlung der Arbeitnehmer der Mitgliedstaaten in Bezug auf Beschäftigung, Entlohnung und sonstige Arbeitsbedingungen. Art. 7 Abs. 1 der Verordnung (EU) Nr. 492/2011 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 5.4.2011 über die Freizügigkeit der Arbeitnehmer innerhalb der Union (sog. Freizügigkeitsverordnung) stelle hierbei nur eine besondere Ausprägung des in Art. 45 Abs. 2 AEUV enthaltenen Diskriminierungsverbots auf dem speziellen Gebiet der Beschäftigungsbedingungen und der Arbeit dar.

Unter Berücksichtigung der Rechtsprechung des Gerichtshofs des EuGH hatte das BAG bezüglich § 16 Abs. 2 Satz 3 TV-L jedoch bereits entschieden, dass diese Vorschrift nicht gegen Art. 45 Abs. 2 AEUV und Art. 7 Abs. 1 der Freizügigkeitsverordnung verstoße, wenn Arbeitnehmer – wie es auch vorliegend der Fall war – vor der Einstellung nur in der Bundesrepublik Deutschland beschäftigt waren und keine Qualifikationen in anderen Mitgliedstaaten der Europäischen Union erworben hatten. Der Anwendungsbereich der Freizügigkeitsvorschriften sei dann nicht eröffnet (BAG, Urteil v. 23.2.2017, 6 AZR 843/15), weil die Arbeitnehmerfreizügigkeit nicht auf die Situation von Personen angewandt werden könne, die von dieser Freiheit nie Gebrauch gemacht haben. Die rein hypothetische Aussicht, das Recht auf Freizügigkeit auszuüben, sei nicht ausreichend. Diese Rechtsprechung ist auf den hier zu entscheidenden Fall zu übertragen, da § 16 TVöD-AT (Bund) a. F. in Bezug auf unionsrechtliche Vorgaben keine Besonderheiten aufweist, welche eine hiervon abweichende Beurteilung erforderlich machen würde.

Kein Verstoß gegen den Gleichheitssatz des Grundgesetzes

Die Nichtberücksichtigung der bei anderen Arbeitgebern erworbenen Berufserfahrung der Klägerin verstößt nach Auffassung des BAG auch nicht gegen den allgemeinen Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG. Das BAG führte hierzu aus, dass es den Tarifvertragsparteien grds. freigestellt sei zu bestimmen, welche Zeiten welcher Tätigkeiten sie tariflich in welcher Form berücksichtigen wollten und dass ihnen aufgrund der von Art. 9 Abs. 3 GG geschützten Tarifautonomie ein weiter Gestaltungsspielraum zukommt. Die Grenzen seien nur dann überschritten, wenn die Regelungen zu gleichheits- und sachwidrigen Differenzierungen führen und deshalb Art. 3 Abs. 1 GG verletzen, d. h. bei einer Ungleichbehandlung von wesentlich Gleichem bzw. die Gleichbehandlung von wesentlich Ungleichem. Bei der Einstellung von Wanderarbeitnehmern und der von Inländern handele es sich jedoch nicht um vergleichbare Sachverhalte, die gleich behandelt werden müssten. Es bestehe hinsichtlich des Berufswegs keine vergleichbare Situation, da sich die betroffenen Personengruppen dadurch unterschieden, dass nur die Wanderarbeitnehmer sich auf die Ausübung des Rechts auf Freizügigkeit berufen könnten.

 (BAG, Urteil v. 25.1.2018, 6 AZR 791/16)

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