Onlinezugangsgesetz nicht mehr bis Ende 2022 umsetzbar

Der Nationale Normenkontrollrat (NKR) hat den 6. „Monitor Digitale Verwaltung“ vorgelegt. Danach ist die Umsetzung des Onlinezugangsgesetzes (OZG) bis Ende 2022 nicht mehr zu schaffen. Der NKR macht in seinem Gutachten konkrete Vorschläge zur Umsetzung der Verwaltungsdigitalisierung in der nächsten Legislaturperiode.

Der NKR prüft als unabhängiges Beratungsgremium der Bundesregierung seit 2006 die transparente und nachvollziehbare Darstellung der Bürokratiekosten aus Informationspflichten und seit 2011 die gesamten Folgekosten in allen Gesetzes- und Verordnungsentwürfen der Bundesregierung. Darüber hinaus berät er die Bundesregierung in Sachen „Bessere Rechtsetzung“. In dieser Funktion erstellte das Gremium den nun veröffentlichten 6. Monitor Digitale Verwaltung.

Umsetzung des Onlinezugangsgesetzes nicht wie geplant möglich

Das 2017 verabschiedete Onlinezugangsgesetz (OZG) verpflichtet den Bund, die Länder und die Gemeinden bis Ende des Jahres 2022 insgesamt 575 Verwaltungsleistungen elektronisch über Verwaltungsportale anzubieten. Bis 2023 muss dies für die wichtigsten Leistungen sogar europaweit geschehen (Single Digital Gateway Verordnung der EU). Zuletzt hat der Bund zusätzliche 3,3 Mrd. Euro für die Umsetzung des OZG und der Registermodernisierung bereitgestellt.

Die bisherigen Ergebnisse bei der Umsetzung bleiben aber deutlich hinter den Erwartungen zurück, wie der Normenkontrollrat in seinem 6. „Monitor Digitale Verwaltung“ feststellt.

Das OZG und die rechtliche Vorgabe, bis Ende 2022 alle relevanten Verwaltungsleistungen deutschlandweit digital anzubieten, haben zu einer erheblichen Dynamik beigetragen; gestützt durch den erkennbaren Willen des Bundes und der Länder, Verwaltungsdigitalisierung zu einer Priorität zu machen, konstruktiv zusammenzuarbeiten, gemeinsame Umsetzungsstrukturen zu schaffen und erhebliche Mittel zu investieren. Hier hat sich Vieles bewegt – allerdings ist dies nicht ausreichend, um die fristgerechte Umsetzung des Gesetzes schaffen zu können.

Die messbaren Ergebnisse in der Fläche bleiben hinter den Erwartungen zurück, so der NKR. Von 575 OZG-Leistungsbündeln werden derzeit 381 aktiv bearbeitet. Von diesen 381 befinden sich 139 in der Planungs- und 188 in der Umsetzungsphase. 54 Einzelleistungen sind mindestens in einer Kommune online, 16 davon flächendeckend, d.h. in mindestens der Hälfte der Bundesländer. Von den 16 sind 14 Bundes- und 2 Landesleistungen.

Formal ist das OZG dann umgesetzt, wenn aus diesen 16 Leistungen 575 geworden sind. Dies ist bis Ende 2022 nicht mehr zu schaffen. Zudem ist unklar, bei welchen Leistungen, eine fristgerechte Umsetzung im erforderlichen Reifegrad 3 noch realistisch ist. Die Transparenz durch das OZG-Dashboard ist nur bedingt gegeben; gezählt werden hier bereits Leistungen im Reifegrad 2. So formalistisch diese Zählweise und so unrealistisch die OZG-Frist Vielen heute erscheinen mögen, sie waren wichtig, um Deutschland in Bewegung zu setzen – so der NKR in seinem Bericht. Sie sollten abgewandelt, aber nicht aufgegeben werden. Es brauche weiterhin einen gesetzlich festgelegten Gradmesser für die Verwaltungsdigitalisierung.

Personalausstattung nicht ausreichend

Der Normenkontrollrat kritisiert in seinem Gutachten die mangelhafte Personalausstattung in der Verwaltung. Trotz Aufstockung sei das vorhandene Personal vollständig ausgelastet, weswegen weitere Mitarbeitende nötig seien, um Überlastungen zu vermeiden. 

In dem Bericht legt der Normenkontrollrat zudem acht Empfehlungen für die kommende Legislaturperiode vor, beispielsweise ein verbindliches Standardisierungsregime für die öffentliche IT.

Empfehlungen des Normenkontrollrats für die kommende Legislaturperiode

Für eine möglichst schnelle, einfache und nachhaltige Digitalisierung der Verwaltung gibt der NKR folgende Empfehlungen:

1. Verbindliches, deutschlandweites Standardisierungsregime für die öffentlichen IT einführen

Verbindliche Grundlage jeder IT-Entwicklung durch und für die öffentliche Hand muss die Nutzung offener Standards und Schnittstellen sein. Nur so lassen sich Interoperabilität, Nachnutzbarkeit und Wettbewerb bei Verwaltungssoftware sicherstellen. Bestehenden Standards der Industrie und solchen der EU ist der Vorzug vor der Neuentwicklung eigener Standards zu geben.

Der IT-Planungsrat sollte einen Katalog gängiger Standards betreiben und verbindliche, Verwaltungsdomänen übergreifende Prinzipien für ihren Einsatz entwickeln.

Alle EfA- und sonstigen Softwareentwicklungsprojekte der öffentlichen Hand in Deutschland sollten auf diesen Standardisierungsansatz verpflichtet werden und ihre verwendeten Standards und Schnittstellen öffentlich dokumentieren.

2. "Datengetriebenes Regieren“ als verbindliches Grundprinzip für die Gestaltung und Erbringung öffentlicher Leistungen festschreiben

Jede nutzerorientierte und automatisierungsfreundliche Verwaltungsdigitalisierung muss nicht nur hochstandardisiert, sie muss auch streng datengetrieben sein. Ob antragslose Verfahren, vorausgefüllte Formulare oder Registerabfragen statt Papiernachweise (once only) – alles hängt davon ab, dass vorhandene Verwaltungsdaten besser genutzt werden können.

Konkret bedeutet dies, dass die kommende Bundesregierung der Registermodernisierung und der Erarbeitung digitaltauglichen Rechts höchste Priorität einräumen muss.

3. Durchsetzungsstarke, Ressort und Ebenen übergreifende Gesamtkoordinierung der Registermodernisierung aufsetzen

Die Daten der öffentlichen Hand sind in Deutschland auf tausende Register und Datenbestände verteilt und bisher für Fach- und Gebietsgrenzen übergreifende Bedarfe nur unzureichend nutzbar. Die technische Erschließung und datenschutzkonforme Verknüpfung dieser Daten ist Kern der Registermodernisierung.

Zwar wurden zum Ende der Legislatur erste Grundlagengesetze zur Einführung einheitlicher Identifikationsnummern für Bürger und Unternehmen verabschiedet und ein Koordinierungsprojekt beim IT-Planungsrat initiiert. De facto steht die Registermodernisierung zum gegenwärtigen Zeitpunkt aber noch dort, wo die Umsetzung des OZG zum Ende der vergangenen Legislaturperiode stand. Der Aufholbedarf gegenüber anderen Ländern beträgt 20 Jahre.

Es bedarf daher klarer politischer Aufträge der nächsten Bundesregierung, ausreichender Ressourcen und einer durchsetzungsstarken, Ressort übergreifenden und deutschlandweiten Gesamtkoordinierung. Allen voran müssen Entscheidungen zur Einführung eines Gebäude- und Wohnungsregisters und eines Bildungsregisters sowie zur besseren Verzahnung von Verwaltungs- und Statistikdatenbeständen getroffen werden. Es braucht ein Basisdatenprogramm, das die Datenbestände zu Personen, Unternehmen und Liegenschaften sauber identifiziert und erschließt.

4. Digitaltauglichkeit des Rechts erhöhen – Rechtsbegriffe modularisieren, Digi-Check einführen

Um Register und andere öffentliche Datenbestände nutzbar zu machen, müssen diese nicht nur technisch erschlossen werden. Die darin gespeicherten Daten müssen auch sauber, nach einheitlichen, bereichsübergreifenden Prinzipien und Standards definiert sein. Sie müssen in Struktur und Bedeutung zu den zu Grunde liegenden Rechtsbegriffen passen. Umgekehrt müssen Rechtsbegriffe so gefasst werden, dass ein durchgehendes Datenmatching vom Gesetz über die Verwaltungsverfahren bis zu den Registern möglich und die Nachnutzung der Daten eines Fachbereichs durch einen anderen erleichtert wird.

Was getan werden kann, um eine „semantische Interoperabilität“ herzustellen, zeigt das NKR-Gutachten zum modularen Einkommensbegriff, dessen Empfehlungen von einer neuen Bundesregierung zügig umgesetzt und Teil einer Digitaltauglichkeitsprüfung bestehender und neuer Gesetze werden müssen.

Ganz unabhängig von neuen Verfahren müssen die über 40 bekannten Rechtsänderungsvorschläge, die aus den OZG-Digitalisierungslaboren gemeldet wurden, von den Bundesressorts gleich zu Beginn der neuen Legislaturperiode in Gesetzesänderungen überführt werden.

5. Flächendeckung erleichtern, Orientierungs- und Transaktionskosten senken, App-Store für die Verwaltung einrichten

Distributionsplattformen wie Smartphone-App-Stores oder Onlinekaufhäuser zeigen, wie Orientierungs- und Beschaffungsaufwände massiv gesenkt werden können. Aus dem FIT-Store und OZG-Marktplatz muss daher ein föderales IT-Kaufhaus werden, über das Behörden aller Ebenen standardisierte, Portalverbund kompatible IT-Produkte einfach finden und leicht beschaffen können.

Leistungsberechtigt wären alle öffentlichen und privaten IT-Anbieter, die sich den Regeln des IT-Kaufhauses und damit den föderalen Architektur- und Standardisierungsvorgaben unterwerfen. Neben Lösungsanbietern könnten auch IT-Dienstleister für Betrieb, Integration, etc. ihre (Beratungs-)Dienstleistungen anbieten. Komplettiert würde der Ansatz durch Ergänzung eines Open-Source-Repositorys. Für Einkäufer bestünde der Vorteil darin, dass eine Vielzahl von Prüfaufwänden von der Plattform übernommen werden könnten und aufwändige Ausschreibungen entbehrlich würden.

6. IT-Entwicklung und Betrieb durch Plattformkonzepte und ein föderales Architekturmanagement vereinfachen und professionalisieren

Standardisierte, Cloud basierte Entwicklungs- und Betriebsplattformen helfen, Kosten zu senken und gute Lösungen unter Wiederverwendung standardisierter Basiskomponenten schnell zu verbreiten und die Anwendung zu skalieren. Die im Entstehen begriffenen Plattformen des Bundes und der Länder müssen über eine Verwaltungs-Cloud-Strategie in einen Plattformverbund integriert werden. Dafür sowie zur Integration weiterer IT-Systeme wie den Registern bedarf es zusätzlicher Verbindungskomponenten.

Bestehende Bemühungen um ein föderales Architekturmanagement müssen massiv gestärkt, durch zusätzliche Ressourcen unterstützt und im Zusammenspiel mit der oben genannten Standardisierungsoffensive zum prioritären Kern der Arbeit von IT-Planungsrat und FITKO (föderale IT-Koordinierung) werden.

7. Strategiekapazität von Bund und Ländern stärken, Entscheidungswege beschleunigen

Um Aktionismus zu vermeiden und diese Handlungsressourcen richtig zu kanalisieren, bedarf es ausreichender Strategie- und Steuerungskapazitäten, so der NKR. Diese sind in den letzten Jahren rund um IT-Rat, IT-Planungsrat und die FITKO ausgebaut worden, reichen nach Auffassung des NKR, aber noch nicht aus; vor allem nicht, um offene konzeptionelle Fragen zeitnah zu klären, fehlende Programmbausteine zu ergänzen und strukturelle Weichenstellungen konsequent anzugehen.

Um zügiger, stringenter und verbindlicher entscheiden und handeln zu können, muss der IT-Planungsrat in höherer Taktrate tagen, operative Entscheidungen stärker an die FITKO delegieren und seine Entscheidungsmechanismen vereinfachen.

Der Beginn der neuen Legislaturperiode bietet die Chance, dass der Bund seine Vorstellungen von einer Digitalisierungsstrategie 2030 präzisiert. Diese muss eine mutige, gesamtdeutsche Vision zur Verwaltungsvereinfachung und -digitalisierung formulieren. Dabei müssen OZG, Registermodernisierung und Digitaltauglichkeit von Recht in einen Gesamtzusammenhang gestellt werden. Nötig sind zudem jeweils klar formulierte, in eine OZG-Novelle zu überführende Ziele und Meilensteine und ein transparentes Monitoring.

Die bisherige OZG-Frist braucht ein Update: Weniger ist mehr, Fokussierung ist wichtig! Im föderalen Kontext sollte der Bund deutlich machen, dass er bereit ist, von seinen im OZG verankerten Entscheidungsrechten umfänglich Gebrauch zu machen, sofern anderweitig keine zügigen Entscheidungen möglich sind.

8. Digitalisierungsagentur statt Digitalisierungsministerium – Operative Leistungsfähigkeit der föderalen IT-Koordinierung (FITKO) stärken

Schnelligkeit, Stringenz und Konsequenz von Strategiebildung, Entscheidungsfindung und Umsetzung hängen entscheidend davon ab, in welchem Umfang auf gebündeltes Know-How zurückgriffen werden kann. Dies ist auch eine Frage einer digitalen Souveränität. Den verteilten Ressourcen in Bund, Ländern und Kommunen fehlt es an Schlagkraft und Konsistenz, so der NKR.

Die Stärkung der Strategiekapazität muss Hand in Hand mit dem Ausbau der operativen Fähigkeiten gehen. Dringender als ein Digitalministerium braucht Deutschland deshalb eine Digitalisierungsagentur nach internationalem Vorbild – mit einer vergleichbaren Ausstattung von mehreren hundert Mitarbeitenden, einem überjährigen Digitalisierungsbudget, eng verzahnt mit den Strategie- und Entscheidungseinheiten. Eine solche Einrichtung, die aus der FITKO hervorgehen kann, wäre auch der ehrliche Versuch, Know-How, das derzeit teuer extern eingekauft wird, dauerhaft in öffentlicher Hand aufzubauen. Betraut werden sollte eine Digitalisierungsagentur mit dem Mandat zur beteiligungsoffenen Entwicklung, Festlegung und Pflege von föderalen IT-Standards, Schnittstellen und Architekturvorgaben.

Bisherige Arbeitshilfen und Leitfäden sollten in einem digitalen Servicehandbuch als zentralem Wissensspeicher zu konsolidiert und dauerhaft gepflegt werden. Die Digitalisierungsagentur sollte den App-Store für die Verwaltung betreiben und Entwicklungsplattformen für die einfachere Softwareentwicklung anbieten.

dbb: Wenigstens die wichtigsten Leistungen online zur Verfügung stellen

„Wir kommen bei der OZG-Umsetzung viel zu langsam voran. Es ist erschreckend, dass bis jetzt gerade einmal 16 digitale Verwaltungsleistungen flächendeckend verfügbar sind und davon nur zwei Landesleistungen“, sagte der Chef des Beamtenbundes dbb Ulrich Silberbach anlässlich der Vorstellung des Berichts. „Die Politik muss sich hier endlich ehrlich machen. Wir brauchen jetzt eine Priorisierung, um wenigstens zu gewährleisten, dass die wichtigsten und am häufigsten genutzten Leistungen fristgerecht online und in hoher Qualität bereitstehen.“

Silberbach sagte zur im NKR-Bericht festgestellten mangelhaften Personalausstattung: „Wir haben immer wieder deutlich gemacht: Bei der OZG-Umsetzung werden wir nur Erfolg haben, wenn Bund, Länder und Kommunen endlich für eine aufgabengerechte Personalausstattung sorgen. Der Fokus muss zudem darauf liegen, die Mitarbeitenden systematisch durch passgenaue Fort- und Weiterbildungen fit für das digitale Zeitalter zu machen, anstatt externe Berater einzukaufen.“

Die Empfehlungen des Normenkontrollrats unterstützt der dbb, so Silberbach. „Der dbb teilt viele dieser Empfehlungen. Insbesondere, dass die FITKO (Föderale IT-Kooperation) zu einer echten Digitalisierungsagentur ausgebaut und entsprechend finanziell und personell ausgestattet wird. Sie ist die richtige Organisation, um die ebenenübergreifende Zusammenarbeit zu verbessern."

Detaillierte Informationen finden Sie hier: 6. Monitor Digitale Verwaltung

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Nationaler Normenkontrollrat, 6. Monitor Digitale Verwaltung
Schlagworte zum Thema:  Digitalisierung, E-Government