Modern Monetary Theory (MMT) – eine neue Geldtheorie

Die Notenbankpolitik der vergangenen Jahre eröffnet unter Wirtschaftswissenschaftlern kontroverse Diskussionen über alternative Denkweisen zur Tradition. Eines der neueren, theoretischen Modelle wird mit „Modern Monetary Theory“ bzw. kurz „MMT“ oder zu Deutsch „moderne Geldtheorie“ bezeichnet und verbindet die Entwicklungen der Geldmenge und der Inflation in abgewandelter Form.

Die Geldtheorie als Oberbegriff stellt im Rahmen des sogenannten Transmissionsmechanismus den Zusammenhang zwischen monetären sowie realwirtschaftlichen Größen her und besagt unter anderem, dass ein Staat – neben der Finanzierung mittels Steuereinnahmen – durch seine Notenbank, umgangssprachlich formuliert, Geld drucken kann, um seine Ausgaben zu tätigen bzw. zu finanzieren. Der Theorie folgend und vereinfacht dargestellt, führen die Mehrung der im Umlauf befindlichen Geldmenge und eine positive Arbeitsmarktentwicklung langfristig ceteris paribus zu steigender Inflation.

Neuer Zusammenhang zwischen Zins, Geldschöpfung und Inflation

Entgegen der klassischen, theoretischen Schule, stellt die MMT die Zusammenhänge zwischen Zins, Geldschöpfung und Preis des Geldes bzw. Inflation in einen neuen Kontext. Ausführliche Ausführungen sind u.a. von Nathalie Freitag und Dr. Dirk Ehants (Review) unter folgendem Link zu finden: https://www.exploring-economics.org/de/entdecken/modern-monetary-theory/ (Stand: 24. Mai 2019). Den Ausführungen der Autoren folgend, verbindet die MMT die klassische Geldtheorie mit der Makroökonomie und argumentiert, auf den Grundlagen des Postkeynesianismus sowie des Chartalismus, und stellt sich gegen die neoklassiche Geldkonzeption. Die Gegenüberstellungen der unterschiedlichen theoretischen Modelle sind bereits in zahlreichen Artikeln zu finden, weshalb sich die folgenden Ausführungen eher praxisnahen Erklärungsansätzen und Einschränkungen der MMT widmen, um ein grundsätzliches Verständnis von der Theorie zu erlangen:

Geldmengenveränderung auf der Grundlage von Bonitäten und Sicherheiten

Banken, die Kredite vergeben, erstellen sogenanntes Buchgeld für ihre Kreditnehmer, indem Sie,

  • nicht auf Grundlage von Einlagen (Kontoguthaben ihrer Kunden) oder Zentralbankguthaben,
  • sondern auf Sicherheiten und Bonitäten beruhende Gelder verleihen.

Das Ausmaß der vergebenen Kredite beschreibt die Geldmengenveränderung, die ursprünglich ausschließlich den Notenbanken beigemessen wurde. Als Grundlage für die Ermittlung der Kreditzinsen – welche wiederum aktiv auf die Kredit- und somit Geldmengenveränderung wirken – wird auf den, durch die Notenbank, festgelegten Leitzins abgestellt. Die Notenbank kann die Geldschöpfung somit positiv und negativ stimulieren, da die Höhe des Zinses negativ mit der Kreditnachfrage korreliert: Ist der durch die Notenbank festgelegte Leitzins niedrig, steigt tendenziell die Nachfrage nach Krediten und die Geldmenge wächst – die Kreditnehmer sind in ihrer tatsächlichen Kreditnachfrage jedoch frei von jeglichen Weisungen.

Exkurs: Tatsächliche Kreditkosten überschreiten Leitzins der Notenbank

Exkurs: Da Kreditnehmer in der Praxis üblicherweise keiner risikolosen Bonität entsprechen, erhöht sich der tatsächliche Kreditzins unter anderem um Risikoaufschläge, Handlungskosten und die Marge der Bank. Deshalb sind die wenigsten Schuldner in der Lage, sich zum Notenbankzins zu refinanzieren. Diese zusätzlichen Kreditkosten, die über den Leitzins hinausgehen, können von Banken individuell festgelegt werden und bestimmen wiederum die tatsächliche Kreditnachfrage ihrer Kunden.

Interbankenmarkt zum Ausgleich von Überschüssen und Unterdeckungen der Geschäftsbanken

Gemäß MMT findet am Interbankenmarkt lediglich ein Zahlungsausgleich zwischen unterschiedlichen Instituten statt, welcher direkt zwischen den Geschäftsbanken und eben nicht über die Notenbanken vorgenommen wird. Der grenzüberschreitende Zahlungsausgleich zwischen Geschäfts- und Zentralbanken findet in der Eurozone über das Zahlungssystem TARGET2 statt, worüber auch die Wertpapierkäufe der Europäischen Zentralbank (EZB) der letzten Jahre abgewickelt wurden – die altertümlich anmutende Druckerpresse ist demnach nicht mehr nötig, um Geld in Umlauf zu bringen.

Staaten können Liquidität mittels „Notenpresse drucken“

Da Staaten in der Theorie ihr Geld mittels der Notenbank selbst „drucken“ bzw. Staatsanleihen emittieren, genießen sie das Privileg ihre Liquidität selbst steuern zu können und unterliegen demnach – zumindest theoretisch betrachtet – keinem Insolvenzrisiko. Diese Erkenntnis existierte jedoch bereits länger als die MMT. Zudem können sie ihre Einnahmen über Steuern selbst festlegen. Es entsteht ein Kreislauf zwischen der Liquidität des Staates und den Wertpapiervermögen privater Haushalte: Zur eigenen Refinanzierung emittiert der Staat über seine Notenbank Anleihen, die von privaten Haushalten zur Vermögensanlage erworben werden.

Der gesamte Geldumlauf

  • zwischen der Notenbank und den privaten Haushalten sowie
  • zwischen Geschäftsbanken und deren Kreditkunden

kann bilanziell sozusagen als ausgeglichen bezeichnet werden.

Somit ist es dem Staat als Marktteilnehmer ermöglicht, in wirtschaftlichen Krisenszenarien, mittels gesteigerter Verschulung und Ausgaben, die Realwirtschaft antizyklisch zu unterstützen und privaten Haushalten Arbeitsplätze zu schaffen. Zudem können kreditgewährende Banken Konsum von privaten Haushalten und Produktion bzw. Investitionen von Unternehmen finanzieren und bewirken somit ebenfalls ein Gleichgewicht zwischen Einnahmen und Ausgaben, welches lediglich – vergleichbar zu einer Bilanzverlängerung – nach oben verschoben wird.

Antizyklische Schuldenausweitung der Staaten zur Wirtschaftsförderung

Der Gefahr steigender Inflationsraten begegnen die Befürworter der MMT mit der staatlichen Hoheit über dessen Steuereinnahmen. Durch steigende Steuersätze kann einer gewachsenen Geldmenge als Regulativ entgegengewirkt werden. Seit dem Ausbruch der internationalen Finanz- und Wirtschaftskrise uferten die Staatsschulden zahlreicher Länder aus, was für manche Marktteilnehmer angsteinflößende Ausmaße erreichte. Die MMT befürwortet diese Schuldenentwicklung, da somit in der Theorie Arbeitsplätze geschaffen und Wirtschaftsaktivitäten forciert werden.

EWWU mit einer Zentralbank für sämtliche Mitgliedsstaaten herausfordernd

In der Praxis erscheint es jedoch problematisch, dass beispielsweise die EZB als singuläre Zentralbank der gesamten Eurozone agiert und die Staaten dadurch einen gewissen Teil ihrer ursprünglichen Souveränität aufgegeben haben. Den diffizilen und teilweise sehr heterogenen wirtschaftlichen Verhältnissen, Arbeitsmarktsituationen und öffentlichen Haushaltsdefiziten der einzelnen Mitgliedsländer der EWWU zu begegnen, kann demnach weiterhin als große Herausforderung bezeichnet werden, welche die Notenbankpolitik der EZB maßgeblich prägt. Selbstredend hat Europa unzählige Vorzüge, die all ihre Mitgliedsländer und deren Bevölkerung zurecht genießen. Jedoch muss – auch vor dem Hintergrund der MMT – konstatiert werden, dass die EWWU leider keine perfekte Währungszone ist. Denn wirtschaftliche Ungleichgewichte und Defizite konnten zuvor beispielsweise über Devisenkursschwankungen ausgeglichen werden.

Fraglich bleibt jedoch: Kann es perfekte Währungszonen für unterschiedliche, souveräne Staaten geben, die von einer Zentralbank gesteuert werden? Die Antwort auf diese Frage beschränkt sich häufig auf die Aufgabe eines weiteren Teils der nationalen Souveränität. Das ist sehr anschaulich am Beispiel der EWWU zu verdeutlichen, jedoch nicht mehrheitsfähig und  sicherlich nicht uneingeschränkt empfehlenswert.

Kritische Debatte zur Weiterentwicklung der wissenschaftlichen Forschung

Durch Befürworter und Widersacher der MMT ist eine neue wissenschaftliche Debatte begründet worden, welche – angesichts der aktuellen Herausforderungen – nur gut für eine grundsätzliche Weiterentwicklung der Forschung und des wissenschaftlichen, theoretischen, aber auch praktischen Verständnisses sein kann.

Beispielsweise wirft auch die andauernde Nullzinspolitik der EZB und weiterer Notenbanken vor dem Hintergrund wissenschaftlicher Theorien zahlreiche Fragen auf, denen nur im weiteren Diskurs und durch neue Denkansätze begegnet werden kann. Die obigen Ausführungen dienen nicht der Einordnung, ob die MMT für gut oder schlecht zu befinden sei, sondern sollen lediglich zum kritischen Nachdenken anregen. Denn weder alles Neue noch alles Alte ist simpel als gut oder schlecht zu bezeichnen, deren Entwicklung und Kombination ist jedoch wichtig.

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