Dr. Falk Mylich, Dr. Mathias Link
Tz. 69
§ 302 Abs. 1 AktG erfasst nur den Verlustausgleich bei einem Beherrschungs- und Gewinnabführungsvertrag mit einer Aktiengesellschaft. § 302 Abs. 2 AktG führt zu einem Verlustausgleich bei einem Betriebspacht- oder Betriebsüberlassungsvertrag mit einer abhängigen Aktiengesellschaft. Bei der Betriebspacht wird das gepachtete Unternehmen vom anderen (ggf. ausgleichspflichtigen) Vertragsteil in eigenem Namen und auf eigene Rechnung geführt. Dafür zahlt es einen Pachtzins. Bei der Betriebsüberlassung wird das gepachtete Unternehmen vom anderen (ggf. ausgleichspflichtigen) Vertragsteil im fremden Namen, aber auch auf eigene Rechnung geführt. Auch dafür wird ein Überlassungszins gezahlt. Während es für § 302 Abs. 1 AktG nur auf den Gewinnabführungs- und Beherrschungsvertrag ankommt, muss bei § 302 Abs. 2 AktG das gem. § 17 AktG auszulegende Merkmal der Abhängigkeit vorliegen. Damit ist nicht jeder Betriebspacht- und Betriebsüberlassungsvertrag erfasst.
Tz. 70
Der Betriebsführungsvertrag ist bereits von § 302 Abs. 2 AktG nicht erfasst, sodass auch in diesem Fall § 264 Abs. 3 Nr. 2 HGB nicht einschlägig ist. Anders als bei der Betriebsüberlassung wird das Unternehmen nunmehr auf Rechnung der überlassenden AG geführt. Der andere Vertragsteil zahlt auch kein Überlassungsentgelt, sondern erhält vielmehr ein Geschäftsführungsentgelt. Noch anders als Betriebspacht-, Betriebsüberlassungs- und Betriebsführungsvertrag ist der Geschäftsführungsvertrag. Hier führt die AG ihr Unternehmen für Rechnung des anderen Vertragsteils. § 291 Abs. 1 Satz 2 AktG stellt diesen Vertrag einem Gewinnabführungsvertrag gleich. Der Streit, ob entstehende Verluste gem. § 302 AktG auszugleichen sind oder ein Entstehen unmöglich ist, weil Gewinne oder Verluste diesen direkt treffen (ob das durch wirtschaftliche Zurechnung der Vermögensgegenstände zum Vermögen des anderen Vertragsteils geschieht, bleibt bei dieser Ansicht offen), kann für § 264 Abs. 3 HGB dahinstehen. Denn grundsätzlich sind wechselseitige Ansprüche gem. §§ 667, 670 BGB auszugleichen. Damit liegt je nach Sichtweise ein Fall der Verlustübernahme gem. § 302 Abs. 2 AktG oder kraft Vertrags vor. § 264 Abs. 3 Nr. 2 HGB kann somit beim Geschäftsführungsvertrag angewendet werden.
Tz. 71
Wegen der gesamtschuldnerischen Verantwortlichkeit der Hauptgesellschaft mit der eingegliederten Gesellschaft (§ 322 Abs. 1 Satz 1 AktG) kann auch bei der eingegliederten Gesellschaft § 264 Abs. 3 HGB angewendet werden. Bedenken, die sich bei KGaA ergeben, können bei Eingliederung nicht greifen. Es wird in eine Gesellschaft mit Vermögen eingegliedert. Der Schutz bisheriger Gläubiger wird durch Sicherheitsleistung gem. § 321 Abs. 1 AktG erreicht. Wegen der analogen Anwendung von § 302 AktG bei der GmbH kann auch bei einer GmbH als abhängiger Gesellschaft im Unternehmensvertrag § 264 Abs. 3 HGB angewendet werden.
Tz. 72
Bei einem ausländischen Mutterunternehmen genügt es, wenn dieses nach seinem Heimatrecht zur Verlustübernahme verpflichtet ist. Bei der KGaA haftet der Komplementär persönlich unbeschränkt für die Verbindlichkeiten der KGaA (§ 278 Abs. 1, Abs. 2 AktG, § 128 HGB). Anders als bei der Eingliederung kann hier die persönlich unbeschränkte Haftung den Verlustausgleich nicht substituieren. Die GmbH & Co. KGaA ist anerkannt, sodass eine mit knappen Mitteln ausgestattete GmbH die Haftung übernimmt, aber keinen (ggf. jährlichen) Verlust ausgleichen muss. Die Aufstellung eines nicht den §§ 264 ff. HGB entsprechenden Jahresabschluss kann aber nur deshalb unterbleiben, weil sowieso alle Verluste ausgeglichen werden. Die persönliche Haftung für Verbindlichkeiten ersetzt nicht den Verlustausgleich. Die KGaA kann anders als beim Unternehmensvertrag der "anderen" Vertragspartei (hier: dem Komplementär) nicht kündigen, wenn die Durchführung der Vertragspflichten gefährdet ist. Andernfalls könnte bei Anerkennung dieser Möglichkeit, die Unmöglichkeit der faktisch abhängigen AG, von § 264 Abs. 3 HGB Gebrauch zu machen, dadurch umgangen werden, indem eine GmbH & Co. KGaA gegründet und diese in den Konzernabschluss des beherrschenden Kommanditaktionärs einbezogen wird.
Tz. 73
Letzter Anwendungsfall von § 264 Abs. 3 Nr. 2 HGB ist die freiwillige Übernahme der Verlustausgleichspflicht. Diese muss § 302 AktG entsprechen. Daher muss einerseits ein Anspruch auf Ausgleich des Jahresverlustes existieren (bloße Haftung genügt nicht), andererseits muss sich das verpflichtete Unternehmen nicht unter Verweis auf die Auflösung vorvertraglich gelegter Rücklagen von der Haftung befreien können. Es ist zu überlegen, ob an § 302 Abs. 1 AktG (Auflösung während der Vertragszeit gebildeter Rücklagen zulässig) oder an § 302 Abs. 2 AktG (Auflösung während der Vertragszeit gebildeter Rücklagen lässt Haftung nicht entfallen) anzuknüpfen ist.