Tz. 44
Ansprüche aus § 823 Abs. 1 BGB scheitern daran, dass das Vermögen kein primäres Rechtsgut ist. Hingegen kommt aufgrund des Wissens über Interna der zu prüfenden Gesellschaft § 824 BGB (Kreditgefährdung) als Haftungstatbestand in Betracht. Vorschriften, die das Vermögen schützen, können als Schutzgesetze gem. § 823 Abs. 2 BGB eingeordnet werden. Hier ist zu differenzieren zwischen der Verletzung von Schutzgesetzen durch den Abschlussprüfer als Täter und solchen als Gehilfe (§ 830 BGB, § 27 StGB). Bedeutung kommt einem Anspruch aus § 823 Abs. 2 BGB i. V. m. einem Schutzgesetz bzw. § 826 BGB dadurch zu, dass die Haftungsobergrenzen von § 323 Abs. 2 HGB nicht gelten.
a) § 823 Abs. 2 BGB i. V. m. Schutzgesetzen
Tz. 45
Schutzgesetze für § 823 Abs. 2 BGB sind die Strafvorschriften von §§ 332, 333 HGB (vgl. § 332 HGB). Der Abschlussprüfer muss vorsätzlich erhebliche Umstände im Prüfungsbericht (vgl. § 321 HGB) verschweigen bzw. einen inhaltlich unrichtigen Bestätigungsvermerk erteilen. § 333 HGB sanktioniert die vorsätzliche Verletzung der Geheimhaltungspflicht des Abschlussprüfers. §§ 403, 404 AktG sanktionieren das gleiche Verhalten und treten hinter §§ 332, 333 HGB zurück. Hingegen ist § 323 HGB selbst keine Schutzvorschrift, weil andernfalls das Gesetzeskonzept einer begrenzten Abschlussprüferhaftung hinfällig wäre. Das gilt ebenso für alle anderen Vorschriften der §§ 316 ff. HGB. Auch die berufsrechtlichen Regelungen der WPO haben keinen Schutznormcharakter im Sinne von § 823 Abs. 2 BGB. Auch § 18 KWG hat eine reine Ordnungsfunktion und kommt nicht als Schutzgesetz in Betracht.
Tz. 46
Sind jedoch die §§ 332, 333 HGB einschlägig, ist fraglich, wer Individualschutz durch diese Vorschriften genießen soll. Bei § 333 HGB kommt offensichtlich nur die geprüfte Gesellschaft bzw. ein verbundenes Unternehmen selbst als Schutzsubjekt in Betracht. Diese sind jedoch bereits über § 323 Abs. 1 Satz 3 HGB ausreichend geschützt. Zu einer Haftungserweiterung gelangt man nur, wenn jemand, der nichts mit der Abschlussprüfung zu tun hat, vorsätzlich an der Offenbarung des bei Abschlussprüfung bekanntgewordenen Geschäftsgeheimnisses teilnimmt. Diese Person haftet dann gem. §§ 830 Abs. 1, 823 Abs. 2 BGB, § 333 HGB gegenüber der Gesellschaft. Unklar ist hingegen, wer durch § 332 HGB geschützt werden soll. Die h. M. will die Allgemeinheit in ihrem Vertrauen auf die Richtigkeit und Vollständigkeit des JA bzw. des Prüfungsberichts geschützt wissen, während die Gegenansicht das Vermögen aller Personen, die mit der Gesellschaft in Kontakt treten, als geschützt ansieht. Beide Ansichten sind sich einig, dass § 332 HGB Schutzgesetz i. S. v. § 823 Abs. 2 BGB sein soll und damit auch zugunsten von Anlegern oder Gläubigern der Gesellschaft Ansprüche schafft. Diese Lösung ist nicht zweifelsfrei. Aus der Perspektive des Anlegers oder Gläubigers versagt man direkte Ansprüche, wenn der Abschlussprüfer fahrlässig gehandelt hat (siehe oben zum Vertrag mit Schutzwirkung zugunsten Dritter), jedoch billigt man Ansprüche zu, wenn der Abschlussprüfer vorsätzlich gehandelt hat. Das ist widersprüchlich. Bedenken bestehen auch dahingehend, dass – im Gegensatz zu anderen Vermögensschutzgesetzen – kein Individualbezug gegeben ist und daher weder die Anzahl der Gläubiger kalkulierbar, noch die Höhe des Schadens vorhersehbar sein muss. Wenn man § 332 HGB als Schutzgesetz i. S. v. § 823 Abs. 2 BGB einordnen will, kann die Vorschrift daher lediglich die Funktion haben, Maßstäbe zu konkretisieren, die zu § 826 BGB führen. Daher haftet ein Abschlussprüfer bei Verwirklichung des Tatbestands von § 332 HGB in den meisten Fällen sowohl aus § 823 Abs. 2 BGB i. V. m. § 332 HGB als auch aus § 826 BGB. Kann im Einzelfall z. B. die Schädigungsabsicht nicht nachgewiesen werden, kann auf § 823 Abs. 2 BGB i. V. m. § 332 HGB zurückgegriffen werden. Kann hingegen die Erheblichkeit der verschwiegenen Umstände nicht nachgewiesen werden, scheidet zwar § 823 Abs. 2 BGB i. V. m. § 332 HGB aus, jedoch kann bei Würdigung der anderen Umstände § 826 BGB zur Haftung führen.
Tz. 47
Das Kausalitätsproblem wird selten angesprochen. Mit Vergleich zur Kausalität bei § 37b/c WpHG wird eine konkrete Kausalität des fehlerhaften JA für den Willensentschluss desjenigen gefordert, der daraufhin als Anleger oder Gläubiger eine Disposition trifft, weil andernfalls alle Anleger ihre Anlageentscheidung unter Verweis auf den fehlerhaften JA versuchen könnten zu revidieren. Das ist bedenklich, weil ein fehlerhafter JA viel mehr einem fehlerhaften Prospekt als einer fehlerhaften Ad-hoc-Mitteilung gleicht. Richtig...