Jahresabschluss: Restrukturierungsrückstellungen

Nicht nur die Globalisierung und der damit verbundene Wettbewerbsdruck, sondern auch aktuelle Entwicklungen wie z. B. die zunehmende Digitalisierung zwingen Unternehmen immer wieder, ihre Wettbewerbsfähigkeit durch Strukturanpassungen zu sichern oder zu verbessern.

Restrukturierungsrückstellungen im handelsrechtlichen Jahresabschluss

Derartige Anpassungen werden häufig als Restrukturierungsmaßnahmen bezeichnet. Für Zwecke der handelsrechtlichen Rechnungslegung werden diese Maßnahmen daraufhin geprüft, ob für sie eine sog. Restrukturierungsrückstellung gebildet werden muss.

Nach § 249 Abs. 1 Satz 1 HGB sind Rückstellungen für ungewisse Verbindlichkeiten (auch: Verbindlichkeitsrückstellungen) und für drohende Verluste aus schwebenden Geschäften (auch: Drohverlustrückstellungen) zu bilden. Im Gegensatz zu IAS 37 sind Restrukturierungsrückstellungen im HGB nicht eigens geregelt. Auch die handelsrechtliche Literatur definiert den Begriff der Restrukturierungsrückstellung nicht. Stattdessen verwendet sie ihn immer wieder synonym für Sozialplanrückstellungen (s. Schubert, in Beck'scher Bilanz-Kommentar, 11. Aufl. 2018, § 249 HGB Anm. 100, Stichwort «Restrukturierung», unter dem nur auf das Stichwort «Sozialplan» verwiesen wird; Deubert/Lewe, BB 2018, S. 874 sowie FAB des IDW, IDW Life 2019, S. 439), obschon der Personalabbau im Rahmen eines Sozialplans nur eine von vielen Restrukturierungsmaßnahmen ist.

Voraussetzung für den Ansatz einer Verbindlichkeitsrückstellung ist – in Abgrenzung zu den allgemeinen Aufwandsrückstellungen (§ 249 Abs. 2 HGB a. F.), die nicht passiviert werden dürfen – die Existenz einer Außenverpflichtung. Ab welchem Zeitpunkt eine Restrukturierungsmaßnahme eine Außenverpflichtung begründet, wird in Literatur und Berufsstand (s. FAB des IDW, IDW Life 2019, S. 439 f.) regelmäßig am Beispiel der Sozialplanrückstellungen und unter Rekurs auf die Einkommensteuerrichtlinien (EStR 5.7 Abs. 9) diskutiert. Danach sind für Leistungen aufgrund eines Sozialplans Restrukturierungsrückstellungen zu bilden, wenn das Unternehmen den Betriebsrat vor dem Bilanzstichtag über die geplante Betriebsänderung nach § 111 Satz 1 BetrVG unterrichtet hat oder die Unterrichtung des Betriebsrats zwischen Bilanzstichtag und Auf- oder Feststellung des Jahresabschlusses erfolgt ist und vor dem Bilanzstichtag ein entsprechender Beschluss gefasst wurde oder wirtschaftlich unabwendbar war (vgl. Schubert, in Beck'scher Bilanz-Kommentar, 11. Aufl. 2018, § 249 HGB Anm. 100, Stichwort «Sozialplan», IDW, WPH Edition, WP Handbuch, Wirtschaftsprüfung und Rechnungslegung, 16. Aufl. 2019, Kap. F Tz. 674). Eine solche Beschlussfassung deute darauf hin, dass ernsthaft mit der Durchführung der Maßnahme zu rechnen sei und führe zudem zu bestimmbaren Abfindungsleistungen (= hinreichende Konkretisierung), sodass eine Außenverpflichtung vorliege (s. FAB des IDW, IDW Life 2019, S. 439).

Nach Deubert/Lewe (vgl. BB 2018, S. 876) soll eine Außenverpflichtung bereits begründet werden, wenn ein Gesellschafter den GmbH-Geschäftsführer vor dem Bilanzstichtag schriftlich anweist, eine bestimmte Restrukturierungsmaßnahme durchzuführen, da der Geschäftsführer gem. § 37 Abs. 1 GmbHG an die Weisungen des Gesellschafters gebunden sei (vgl. Deubert Lewe, BB 2018, S. 876). Auf eine Bekanntgabe der Maßnahme an die betroffenen Mitarbeiter oder den Betriebsrat komme es nicht an.

Dem ist nicht beizupflichten. So steht es den Gesellschaftern frei, eine einmal erteilte schriftliche Anweisung an den Geschäftsführer jederzeit abzuändern oder gar zu widerrufen. Dies gilt erst recht, wenn die Restrukturierungsmaßnahme möglicherweise erst nach ein oder zwei Jahren durchgeführt werden soll. Des Weiteren muss der Personalabbau im Rahmen von sog. Restrukturierungsmaßnahmen nicht immer zwingend mit einem Sozialplan einhergehen.

Hinweis
Ein Sozialplan ist gem. § 112 Abs. 1 Satz 2 BetrVG die schriftliche Einigung zwischen Arbeitgeber und Betriebsrat über den Ausgleich oder die Milderung der wirtschaftlichen Nachteile, die den Arbeitnehmern des Betriebs infolge einer vom Arbeitgeber geplanten Betriebsänderung entstehen. Als Betriebsänderung gelten gem. § 111 Satz 3 BetrVG die Einschränkung, Verlegung und Stilllegung des ganzen Betriebs oder von wesentlichen Betriebsteilen, der Zusammenschluss mit anderen Betrieben oder die Spaltung von Betrieben, die grundlegende Änderung der Betriebsorganisation, des Betriebszwecks oder der Betriebsanlagen sowie die Einführung grundlegend neuer Arbeitsmethoden und Fertigungsverfahren.

So kann es sein, dass sich ein Unternehmen personell verschlanken möchte, um wettbewerbsfähig zu bleiben, hierfür aber keine Betriebsänderung i. S. d. § 111 Satz 3 BetrVG notwendig ist. Vielmehr werden den betroffenen Arbeitnehmern im Rahmen von einzelvertraglichen Regelungen Abfindungsangebote unterbreitet.

Jedenfalls sieht die handelsrechtliche Kommentierung im Falle der Beendigung von Arbeitsverhältnissen auf einzelvertraglicher Basis eine Rückstellungsbildung erst mit Abschluss der Abfindungsvereinbarung vor (vgl. Schubert, in Beck'scher Bilanz-Kommentar, 11. Aufl. 2018, § 249 HGB Anm. 100, Stichwort «Abfindung»). Dem ist grundsätzlich zuzustimmen, da erst im Zeitpunkt des Abschlusses einer Abfindungsvereinbarung eine rechtliche Verpflichtung des Unternehmens gegenüber dem Arbeitnehmer besteht, diesem für den künftigen Verlust des Arbeitsplatzes eine Abfindung zahlen zu müssen. Eine unentziehbare Verpflichtung seitens des Arbeitgebers kann aber auch bereits dann vorliegen, wenn dieser dem Arbeitnehmer vor dem Bilanzstichtag ein bindendes Abfindungsangebot schriftlich unterbreitet hat (s. Küting/Weber, Handbuch der Rechnungslegung – Einzelabschluss, § 249 HGB Rz. 134, Stand: Mai 2015). Offen bleibt dabei, ob der Personalabbau auf einzelvertraglicher Regelung möglicherweise schon vor dem Bilanzstichtag in den dafür zuständigen Gremien beschlossen war und dadurch eine Außenverpflichtung begründet wurde.

Es wäre zu begrüßen, wenn der Zeitpunkt zur Bildung einer Sozialplanrückstellung von dem rechtswirksamen Abschluss des Sozialplans abhängig gemacht würde (so wie die Passivierung einer Abfindungsrückstellung von dem rechtswirksamen Abschluss einer Abfindungsvereinbarung abhängig gemacht wird). Zu diesem Zeitpunkt kann definitiv von der Begründung einer Außenverpflichtung ausgegangen werden. Eine Beschlussfassung in den dafür zuständigen Gremien mag einen Anhaltspunkt dafür liefern, dass dieser Beschluss zukünftig zu einer Außenverpflichtung erstarken wird, letztendlich kann aber weder der Betriebsrat noch der Arbeitnehmer irgendwelche Ansprüche aus einer derartigen Beschlussfassung ableiten.

Nach Ansicht des Berufsstands muss jedoch aufgrund der Beschlussfassung bereits ernsthaft mit der Durchführung der beschlossenen Maßnahme gerechnet werden, wodurch eine Außenverpflichtung begründet sei (s. FAB des IDW, IDW Life 2019, S. 439). Die von Deubert/Lewe vertretene Auffassung, dass bereits die Erteilung einer Weisung seitens der Gesellschafter an den Geschäftsführer zur Durchführung einer Restrukturierungsmaßnahme ausreichend sein soll, um eine Außenverpflichtung zu begründen, ist indes abzulehnen.

Restrukturierungsrückstellungen im Konzernabschluss

In Konzernen kommt es häufig vor, dass auf Ebene des obersten Mutterunternehmens konzernweite Restrukturierungspläne erarbeitet werden, die sodann von den einzelnen Tochterunternehmen umzusetzen sind. Es ist daher möglich, dass die auf Ebene des Mutterunternehmens zuständigen Unternehmensorgane die Restrukturierung (z. B. in Form einer Betriebsänderung) bereits vor dem (Konzern-)Bilanzstichtag beschlossen haben, die entsprechende Beschlussfassung in den von der Restrukturierung betroffenen Tochterunternehmen aber noch aussteht.

Nach Ansicht des FAB (FAB des IDW, IDW Life 2019, S. 440) haben die betroffenen Tochterunternehmen gleichwohl in ihrem handelsrechtlichen Jahresabschluss eine Restrukturierungsrückstellung zu passivieren, sofern die Organe des Tochterunternehmens bspw. als Geschäftsführer einer GmbH oder auf der Grundlage eines Beherrschungsvertrags an die Weisungen des Mutterunternehmens rechtlich gebunden sind oder nach den Umständen des Einzelfalls zumindest eine faktische Bindung der Organe an die Entscheidung des Mutterunternehmens gegeben ist, der Wille des Mutterunternehmens also gegenüber dem betroffenen Tochterunternehmen durchsetzbar ist (vgl. Deubert/Lewe, BB 2018, S. 877).

Die Information des Betriebsrats oder der Arbeitnehmer über die geplante Betriebsänderung bis zum Zeitpunkt der Aufstellung des Jahresabschlusses habe zwar eine Nachweisfunktion im Hinblick auf die Ernsthaftigkeit des vor dem Abschlussstichtag gefassten Restrukturierungsbeschlusses und damit der hinreichenden Konkretisierung der Außenverpflichtung, sie sei aber nicht zwingend erforderlich (s. FAB des IDW, IDW Life 2019, S. 440). Im Einzelfall kann es für die erforderliche Konkretisierung einer rechtlich erst nach dem Abschlussstichtag wahrscheinlich entstehenden Verpflichtung nach Ansicht des FAB alternativ ausreichend sein, wenn die Information des Betriebsrats oder der Arbeitnehmer nachweisbar kurz bevorsteht oder an der Ernsthaftigkeit des Beschlusses über die Restrukturierungsmaßnahme sowie deren Durchführung aus anderen Gründen zum Zeitpunkt der Aufstellung des Jahresabschlusses keine wesentlichen Zweifel mehr bestehen. Solche anderen Gründe können z. B. in einer bereits erfolgten Information von Investoren bzw. der Öffentlichkeit durch das Mutterunternehmen, in bereits vorgenommenen umfangreichen vorgelagerten Erhebungen und Analysen oder etwa darin bestehen, dass externe Berater bereits mit der Umsetzung der beschlossenen Maßnahmen beauftragt wurden.

Sofern die zuständigen Organe des Mutterunternehmens die Durchführung einer Restrukturierung des Tochterunternehmens bis zum Abschlussstichtag beschlossen haben und der Beschluss gegenüber dem Tochterunternehmen auch durchsetzbar ist, die für die Aufstellung des Jahresabschlusses des Tochterunternehmens (sog. Handelsbilanz I) verantwortlichen gesetzlichen Vertreter des Tochterunternehmens aber bis zur Beendigung der Jahresabschlussaufstellung (also bis zum Ende des Wertaufhellungszeitraums) noch keinerlei Kenntnis von dem Restrukturierungsbeschluss des Mutterunternehmens für das Tochterunternehmen erlangt haben, kann es dazu kommen, dass (bei unterstellten identischen Abschlussstichtagen) zwar im Jahresabschluss eines zu restrukturierenden Tochterunternehmens noch keine Restrukturierungsrückstellung angesetzt wird, aber im Konzernabschluss des Mutterunternehmens, in den das betreffende Tochterunternehmen im Wege der Vollkonsolidierung einbezogen wird, für die Restrukturierung dieses Tochterunternehmens (in dessen sog. Handelsbilanz II) für dasselbe Geschäftsjahr bereits eine entsprechende Verbindlichkeitsrückstellung zu passivieren ist.

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Schlagworte zum Thema:  Rückstellung, Jahresabschluss