Leitsatz (amtlich)

1. Bei der Festsetzung des einheitlichen Gewerbesteuermeßbetrags für einen Organkreis kann bei der Errechnung des Meßbetrags des Organträgers die erweiterte Kürzung nach § 9 Nr. 1 Satz 2 GewStG 1961 nicht deshalb versagt werden, weil das Organ eine den Voraussetzungen des § 9 Nr. 1 Satz 2 GewStG 1961 nicht entsprechende (schädliche) Tätigkeit ausübt.

2. Zum Begriff "Verwaltung und Nutzung eigenen Grundbesitzes" im Sinne des § 9 Nr. 1 Satz 2 GewStG 1961 gehört auch die Neubautätigkeit in eigenem Namen und für eigene Rechnung auf eigenem Grund und Boden sowie die Verwaltung fertiggestellter eigener Wohngebäude.

2. Die Betreuung bereits fertiggestellter fremder Gebäude ist als "Betreuung von Wohnungsbauten" im Sinne des § 9 Nr. 1 Satz 2 GewStG 1961 anzusehen, wenn diese Gebäude vom Betreuungsunternehmen selbst errichtet worden sind.

2. Den auf die Betreuung von Wohngebäuden entfallenden Teil des Gewerbeertrags kann das Betreuungsunternehmen nur dann von seinem Gewinn und den Hinzurechnungen im Sinne von § 8 GewStG abziehen, wenn die Verwaltung und Nutzung die Haupttätigkeit bildet und die Betreuung von Wohnungsbauten demgegenüber eine Nebentätigkeit von untergeordneter Bedeutung darstellt.

 

Normenkette

GewStG 1961 § 2 Abs. 2 Nr. 2 S. 2, § 9 Nr. 1 S. 2

 

Tatbestand

Die Revisionsbeklagte (Steuerpflichtige) ist eine GmbH, die im Streitjahr (1963) zumindest teilweise eigenen Grundbesitz verwaltete und nutzte. Ihr Organ, die B-GmbH, verwaltete fertiggestellte fremde Wohngebäude und errichtete eigene Wohngebäude ohne Veräußerungsabsicht.

Der Revisionskläger (das FA) versagte der Steuerpflichtigen unter Hinweis auf diese Tätigkeit ihres Organs im Gewerbesteuermeßbescheid die Kürzung des Gewinns und der Hinzurechnungen gemäß § 9 Nr. 1 Satz 2 GewStG.

Die Klage der Steuerpflichtigen hatte in vollem Umfang Erfolg. Das FG führt zur Begründung seiner (in EFG 1967, 299 veröffentlichten) Entscheidung aus, daß sich die Steuerpflichtige zwar die Tätigkeit ihres Organs wie eine eigene Tätigkeit zurechnen lassen müsse, die Tätigkeit des Organs jedoch der erweiterten Kürzung nach § 9 Nr. 1 Satz 2 GewStG nicht entgegenstehe.

Mit der Revision beantragt das FA, das Urteil des FG aufzuheben und den einheitlichen Gewerbesteuermeßbetrag auf 78 665 DM festzusetzen. Es rügt die unrichtige Anwendung des § 9 Nr. 1 Satz 2 GewStG, insbesondere unzutreffende Auslegung des Begriffs "Betreuung von Wohnungsbauten".

Die Steuerpflichtige beantragt, die Revision als unbegründet zurückzuweisen.

 

Entscheidungsgründe

Aus den Gründen:

Die Revision führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und zur Zurückverweisung der Sache an das FG zu anderweitiger Verhandlung und Entscheidung.

1. Nach § 9 Nr. 1 Satz 2 GewStG tritt anstelle der Kürzung nach Satz 1 (d. h. des Abzugs von 3 v. H. des Einheitswerts des zum Betriebsvermögen gehörenden Grundbesitzes) auf Antrag bei Unternehmen, die ausschließlich eigenen Grundbesitz oder neben eigenem Grundbesitz eigenes Kapitalvermögen verwalten und nutzen oder daneben Wohnungsbauten betreuen oder Kaufeigenheime usw. errichten und veräußern, die Kürzung um den Teil des Gewerbeertrags, der auf die Verwaltung und Nutzung des eigenen Grundbesitzes, auf die Betreuung von Wohnungsbauten und die Veräußerung von Eigenheimen usw. entfällt.

Ob diese Voraussetzungen vorliegen, ist für die Steuerpflichtige selbst als Organträger und für die B-GmbH als Organ mit Wirkung auf den der Obergesellschaft zuzurechnenden Gewerbeertrag gesondert zu prüfen; denn bei der Festsetzung des einheitlichen Gewerbesteuermeßbetrags für einen Organkreis kann dem Organträger die erweiterte Kürzung nach § 9 Nr. 1 Satz 2 GewStG nicht deshalb versagt werden, weil das Organ eine den Voraussetzungen des § 9 Nr. 1 Satz 2 GewStG nicht entsprechende (schädliche) Tätigkeit ausübt.

Der BFH hat wiederholt (zuletzt im Urteil I 198/65 vom 29. Mai 1968, BFH 93, 289, BStBl II 1968, 807) entschieden, daß die Filialtheorie in ihrer reinen Form für das Gewerbesteuerrecht nicht anerkannt werden könne, daß Organgesellschaft und beherrschendes Unternehmen zwei rechtlich selbständige Gesellschaften seien, die als solche getrennt bilanzieren, auch wenn ihre Gewerbeerträge bei der Festsetzung des einheitlichen Gewerbesteuermeßbetrags zusammengerechnet werden. Die Vorschrift des § 2 Abs. 2 Nr. 2 Satz 2 GewStG, derzufolge eine Kapitalgesellschaft, die dem Willen eines anderen Unternehmens derart untergeordnet ist, daß sie keinen eigenen Willen mehr hat, als Betriebstätte dieses anderen Unternehmens gilt, hat in der Hauptsache den Zweck, der durch die Unterhaltung der Organgesellschaft belasteten Gemeinde einen Anteil am einheitlichen Gewerbesteuermeßbetrag des Gesamtunternehmens unter Vermeidung doppelter Erfassung der gleichen Erträge zu sichern (vgl. auch Blümich-Boyens-Steinbring-Klein-Hübl, Gewerbesteuergesetz, 8. Aufl., Anm. 97 zu § 2; Lenski-Steinberg, Kommentar zum Gewerbesteuergesetz, Anm. 13 bis 17 zu § 12; Müthling, Gewerbesteuergesetz, Kommentar, 2. Auflage, Anm. 1 zu § 7).

Der Senat hält an dieser Auffassung auch im vorliegenden Streitfall fest mit der Folge, daß die Steuerpflichtige und die von ihr beherrschte B-GmbH nicht als ein einheitliches Unternehmen im Sinne des § 9 Nr. 1 Satz 2 GewStG angesehen werden können.

2. Die Vorentscheidung hat - aus ihrer rechtlichen Beurteilung heraus folgerichtig - lediglich festgestellt, daß nach unwidersprochenen Angaben der Steuerpflichtigen im Streitjahr 71 v. H. der Erträge auf die Verwaltung und Nutzung eigenen Grundbesitzes entfielen. Dieser Feststellung kann nicht zweifelsfrei entnommen werden, ob sich der genannte Vom-Hundert-Satz auf den Organkreis im ganzen, allein auf die Steuerpflichtige als Organträger oder nur auf die B-GmbH als Organ bezieht. Nur nach dem Verhältnis des Umfangs der Verwaltung und Nutzung eigenen Grundbesitzes zum Umfang der daneben noch ausgeübten Tätigkeiten - jeweils für Organträger und Organ gesondert betrachtet - kann aber beurteilt werden, ob und welcher der beiden Gesellschaften die erweiterte Kürzung gewährt werden kann. Die Vorinstanz wird diese Frage noch zu prüfen haben, wobei zu berücksichtigen sein wird, daß eine Nebentätigkeit, die 29 v. H. der Erträge erbringt, nicht mehr von untergeordneter Bedeutung ist (vgl. BFH-Urteile VI 294/65 vom 7. April 1967, BFH 89, 130, BStBl III 1967, 559, und IV 183/65 vom 26. Oktober 1967, BFH 90, 180, BStBl II 1968, 16).

3. Zu Recht sieht die Vorinstanz die von der B-GmbH im eigenen Namen und für eigene Rechnung ausgeübte Neubautätigkeit sowie die Verwaltung fertiggestellter eigener Wohngebäude nicht als schädlich im Sinne der genannten Vorschrift an; denn diese Tätigkeiten werden vom Begriff der "Verwaltung eigenen Grundbesitzes" mit umfaßt. Der Auffassung des FA, die Errichtung von Wohngebäuden auf eigenem Grundstück ohne die Absicht der Veräußerung nach Fertigstellung überschreite die unmittelbare Nutzung eigenen Grundbesitzes und müsse daher der erweiterten Kürzung entgegenstehen, kann nicht gefolgt werden. Weder aus dem Wortlaut noch aus dem Sinnzusammenhang des § 9 GewStG ergibt sich, daß nur auf die unmittelbare Verwaltung oder Nutzung eigenen Grundbesitzes abzustellen ist. Zwar setzen sich die von der B-GmbH gezogenen Nutzungen aus Boden- und Gebäudenutzung zusammen. Daraus kann indes nicht gefolgert werden, daß der Rahmen der zulässigen Nutzung von Grundbesitz überschritten ist; denn die klassische Form der Nutzung von Grund und Boden besteht in der Bebauung und Vermietung, so daß mangels einer Einschränkung im Gesetzeswortlaut angenommen werden muß, daß der Gesetzgeber gerade diese Nutzungsart miterfassen wollte. Dies ergibt sich auch aus der Entstehungsgeschichte der Vorschrift, die davon ausgeht, daß Einzelpersonen, die eigene Grundstücke - und zwar auch bebaute - nutzen, mit deren Erträgen in der Regel nicht der Gewerbesteuer unterliegen.

Auch die in der Gebäudenutzung sich wirtschaftlich vollziehende Kapitalnutzung größeren Umfangs kann - entgegen der Auffassung des FA - die Anwendung des § 9 Nr. 1 Satz 2 GewStG nicht ausschließen; denn dieselbe Situation kann bei der ebenfalls ausdrücklich unschädlichen Verwaltung und Nutzung eigenen Kapitalvermögens eintreten.

4. Gefolgt werden kann der Vorinstanz auch insoweit, als sie die Betreuung fremder, bereits fertiggestellter Gebäude im vorliegenden Falle als steuerunschädlich im Sinne des § 9 Nr. 1 Satz 2 GewStG ansieht.

Die vom Gesetz getroffene Unterscheidung zwischen der Verwaltung eigenen Grundbesitzes einerseits und der Betreuung von Wohnungsbauten (schlechthin) andererseits rechtfertigt zunächst den Schluß, daß die Betreuung von Wohnungsbauten auch dann als steuerunschädlich angesehen werden kann, wenn sie nicht nur der Steuerpflichtigen selbst gehörende (eigene), sondern auch Fremden gehörende Wohnungsbauten umfaßt.

Die weitere Frage, was unter "Wohnungsbauten" im Sinne des Gesetzes zu verstehen ist, läßt sich aus dem Wortlaut der Vorschrift nicht beantworten; denn unter "Bauten" können sowohl bereits fertiggestellte als auch erst im Entstehen begriffene Bauwerke verstanden werden. Auf Grund des engen wirtschaftlichen Zusammenhangs, der zwischen der Errichtung der Gebäude und ihrer anschließenden Betreuung (als Bewirtschaftungsbetreuung) besteht, ist der Senat jedoch der Auffassung, daß auch die sich an die Errichtung eines Gebäudes anschließende Betreuung desselben durch den Bauunternehmer für den Gebäudeeigentümer als "Betreuung von Wohnungsbauten" im Sinne des § 9 Nr. 1 Satz 2 GewStG anzusehen ist.

5. Die Betreuung von Wohnungsbauten steht nach dem Wortlaut des Gesetzes jedoch nur dann der erweiterten Kürzung nicht entgegen, wenn sie "daneben", d. h. neben der ausschließlichen Verwaltung und Nutzung eigenen Grundbesitzes erfolgt. Entsprechend den in den BFH-Urteilen VI 294/65 und IV 183/65 (a. a. O.) aufgestellten Grundsätzen können die Steuerpflichtige einerseits und die B-GmbH andererseits - eine jede für sich betrachtet - die erweiterte Kürzung nur in Anspruch nehmen, wenn die Verwaltung und Nutzung eigenen Grundbesitzes ihre Haupttätigkeit bildet und die Betreuung von Wohnungsbauten im vorgenannten Sinne demgegenüber eine Nebentätigkeit von nur untergeordneter Bedeutung darstellt. Inwieweit dies der Fall ist, kann der Senat den vom FG getroffenen tatsächlichen Feststellungen für die Steuerpflichtige nicht entnehmen. Aus diesem Grunde bedarf die Sache einer weiteren Aufklärung und erneuten Verhandlung und Entscheidung durch das FG.

 

Fundstellen

Haufe-Index 68637

BStBl II 1969, 629

BFHE 1969, 362

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