Leitsatz (amtlich)

1. Die Kosten der altersbedingten Unterbringung in einem Alters(wohn)heim sind grundsätzlich nicht als außergewöhnliche Belastung i.S. des § 33 EStG abziehbar (ständige Rechtsprechung). Sie verlieren ihren Charakter als übliche Aufwendungen der Lebensführung nicht dadurch, daß der Steuerpflichtige während des Heimaufenthalts erkrankt.

2. Werden mit dem von allen Heimbewohnern zu entrichtenden Pauschalentgelt für die Heimunterbringung auch Pflegeleistungen im Krankheitsfall abgegolten, so sind auch die anteiligen Pflegekosten nicht als außergewöhnliche Belastung abziehbar.

 

Orientierungssatz

Im Falle der Heimunterbringung kann der Tatbestand des § 33 EStG ausnahmsweise erfüllt sein, wenn der dortige Aufenthalt ausschließlich durch eine Krankheit veranlaßt ist. In diesem Fall stellen die Aufwendungen für die Heimunterbringung Krankheitskosten dar, zu denen neben den Kosten für medizinische Leistungen auch Pflegekosten rechnen (vgl. BFH-Rechtsprechung; Literatur).

 

Normenkette

EStG §§ 33, 33b

 

Tatbestand

I. Die Kläger und Revisionsbeklagten (Kläger) sind die Söhne und Rechtsnachfolger der während des Revisionsverfahrens verstorbenen X (Steuerpflichtige).

Die im Jahre 1895 geborene Steuerpflichtige war als Empfängerin von Witwengeld nach dem Bundesgesetz zu Art.131 des Grundgesetzes (GG) beihilfeberechtigt; sie war daneben privat gegen Krankheit versichert.

Die Steuerpflichtige wohnte bis zum Herbst 1980 in einer eigenen Wohnung in Y. Nach einem ärztlich angeordneten kurzen Aufenthalt in einem Pflegeheim bezog sie am 3.November 1980 unter Auflösung ihres bisherigen Hausstandes ein Appartement im Seniorenwohnstift Augustinum in A. Nach dem Wohnstiftsvertrag hatte die Steuerpflichtige ein Pauschalentgelt zu entrichten, das neben der Zurverfügungstellung eines beheizten Leerappartements und Mittagsmahlzeiten folgende Leistungen vergüten sollte: Reinigung des Appartements, allgemeine Betreuung, Pflege im Appartement bei Erkrankung, 24stündige Pflege- und Notdienstbereitschaft, allgemeine ärztliche Überwachung durch den Stiftsarzt. Dem Seniorenwohnstift war ferner eine Pflege- und Krankenstation für schwerere Pflege- und Krankheitsfälle angegliedert, deren Inanspruchnahme gesondert berechnet wurde.

Die Steuerpflichtige erlitt Ende 1982 einen Schlaganfall, der zum Ausfall der Bewegungskontrolle des rechten Armes und Beines führte. Nach einem Oberschenkeltrümmerbruch im August 1983 wurde sie zunächst stationär behandelt und anschließend in der Pflegestation des Seniorenwohnstiftes betreut. Nach Ablauf des Streitjahres kehrte sie wieder in ihr Appartement zurück. Während der Krankheit entrichtete die Steuerpflichtige das Pauschalentgelt für den Wohnheimplatz weiter; die durch den Aufenthalt in der Pflegestation zusätzlich entstandenen Kosten wurden ihr von dritter Seite erstattet. Am 2.April 1985 wurde ihr wegen des Oberschenkeltrümmerbruchs, einer Sehminderung sowie wegen Durchblutungsstörungen des Gehirns durch das zuständige Versorgungsamt eine Minderung der Erwerbsfähigkeit von 100 v.H. und ständige Hilflosigkeit ab dem Streitjahr bescheinigt.

Die Steuerpflichtige machte in ihren Einkommensteuererklärungen für 1982 und 1983 1/3 des Pauschalentgelts für die Unterbringung, Versorgung und sonstigen Nebenleistungen im Seniorenwohnstift als außergewöhnliche Belastung (Krankheitskosten) nach § 33 des Einkommensteuergesetzes (EStG) geltend. Der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt --FA--) lehnte die steuermindernde Berücksichtigung dieser Aufwendungen ab, gewährte jedoch für 1983 den erhöhten Pauschbetrag für Körperbehinderte von 7 200 DM gemäß § 33b Abs.3 Satz 3 EStG.

Das Finanzgericht (FG) gab der nach erfolglosen Einsprüchen erhobenen Klage teilweise statt. Während es für das Jahr 1982 wegen eines lediglich altersbedingten Aufenthalts eine außergewöhnliche Belastung durch die Aufwendungen für das Seniorenwohnstift verneinte, ging es für 1983 von einer ausschließlich krankheitsbedingten Heimunterbringung der Steuerpflichtigen aus und schätzte die durch die Krankheit verursachten Pflegekosten in der geltend gemachten Höhe von 1/3 des Pauschalentgelts. Es vertrat hierbei die Auffassung, daß trotz des ursprünglich freiwilligen Aufenthalts der Steuerpflichtigen im Seniorenwohnstift aus Altersgründen die Aufwendungen für die infolge der halbseitigen Lähmung und des Oberschenkeltrümmerbruchs nunmehr krankheitsbedingte Unterbringung in entsprechender Anwendung des Grundsatzes der überholenden Kausalität im Jahre 1983 zwangsläufigen Charakter angenommen hätten. Unerheblich sei, daß der Steuerpflichtigen durch die Krankheit keine zusätzlichen Aufwendungen entstanden seien. Es würde gegen den Grundsatz der Gleichmäßigkeit der Besteuerung verstoßen, ihr die Vergünstigung des § 33 EStG nur deshalb zu versagen, weil sie sich bei Eintritt der krankheitsbedingten Pflegebedürftigkeit bereits im Altersheim befunden habe.

Mit seiner vom FG wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache zugelassenen Revision macht das FA Verletzung der §§ 33 und 33b EStG sowie Verfahrensfehler geltend.

Das FA beantragt, die Vorentscheidung aufzuheben, soweit sie das Streitjahr 1983 betrifft, und die Klage in vollem Umfang abzuweisen.

Die Kläger beantragen, die Revision als unzulässig zu verwerfen, hilfsweise sie als unbegründet zurückzuweisen.

 

Entscheidungsgründe

II. Die Revision des FA führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und zur Abweisung der Klage (§ 126 Abs.3 Nr.1 der Finanzgerichtsordnung --FGO--). Die Aufwendungen der Steuerpflichtigen in Gestalt des Pauschalentgelts für die Unterbringung, Verpflegung und Betreuung im Seniorenwohnstift stellen keine außergewöhnliche Belastung i.S. von § 33 EStG dar.

1. Zutreffend ist das FG zunächst davon ausgegangen, daß die Steuerpflichtige im Jahr 1982 durch die Kosten der altersbedingten Heimunterbringung nicht außergewöhnlich belastet war.

a) Nach § 33 Abs.1 EStG wird die Einkommensteuer auf Antrag ermäßigt, wenn einem Steuerpflichtigen zwangsläufig größere Aufwendungen als der überwiegenden Mehrzahl der Steuerpflichtigen gleicher Einkommensverhältnisse, gleicher Vermögensverhältnisse und gleichen Familienstandes erwachsen (außergewöhnliche Belastung). Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (BFH) sind Aufwendungen außergewöhnlich, wenn sie nicht nur ihrer Höhe, sondern auch ihrer Art und dem Grunde nach außerhalb des Üblichen liegen (vgl. Urteil vom 2.März 1984 VI R 158/80, BFHE 140, 556, BStBl II 1984, 484 unter 1a mit weiteren Rechtsprechungsnachweisen). Die üblichen Aufwendungen der Lebensführung, die in Höhe des Existenzminimums durch den Grundfreibetrag des § 32a EStG abgegolten sind, sind aus dem Anwendungsbereich des § 33 EStG ausgeschlossen.

b) Zu den üblichen Aufwendungen der Lebensführung rechnen regelmäßig auch die Kosten für die altersbedingte Unterbringung in einem normalen Altersheim (ständige Rechtsprechung; vgl. BFH-Urteile vom 30.August 1972 VI R 144/69, BFHE 107, 496, BStBl II 1973, 159; vom 12.Januar 1973 VI R 207/71, BFHE 108, 500, BStBl II 1973, 442, und vom 22.August 1980 VI R 138/77, BFHE 131, 381, BStBl II 1981, 23, und VI R 196/77, BFHE 131, 378, BStBl II 1981, 25). Derartige Aufwendungen sind ihrer Art und dem Grunde nach schon deshalb nicht außergewöhnlich, weil sie anderen in vergleichbaren Verhältnissen lebenden älteren Steuerpflichtigen ebenfalls erwachsen und es insbesondere nichts Außergewöhnliches ist, daß ein älterer Mensch in einem Altersheim lebt, weil er nicht mehr für sich sorgen kann oder will (Urteil in BFHE 108, 500, BStBl II 1973, 442). Soweit alte Menschen zunehmend auf fremde Hilfe angewiesen sind, hat der Gesetzgeber den hierdurch bedingten Aufwendungen, soweit sie das übliche Existenzminimum überschreiten und damit durch den Grundfreibetrag nicht erfaßt werden, jedenfalls für das Streitjahr durch die Gewährung des Altersfreibetrags in Höhe von 720 DM Rechnung getragen (vgl. auch Urteil in BFHE 107, 496, BStBl II 1973, 159).

Nach der Rechtsprechung kann allerdings auch im Falle der Heimunterbringung der Tatbestand des § 33 EStG ausnahmsweise erfüllt sein, wenn der dortige Aufenthalt ausschließlich durch eine Krankheit veranlaßt ist (Urteile in BFHE 108, 500, BStBl II 1973, 442; in BFHE 131, 381, BStBl II 1981, 23, und in BFHE 131, 378, BStBl II 1981, 25). In diesem Falle stellen die Aufwendungen für die Heimunterbringung Krankheitskosten dar, zu denen nicht nur Kosten für medizinische Leistungen, sondern auch Pflegekosten rechnen. Denn Aufwendungen, die zum Zwecke der Heilung oder mit dem Ziel getätigt werden, die Krankheit erträglich zu machen, sind immer außergewöhnlich und zwangsläufig (vgl. die Rechtsprechungsnachweise bei Herrmann/Heuer/Raupach, Einkommensteuer- und Körperschaftsteuergesetz mit Nebengesetzen, Kommentar, 19.Aufl., § 33 EStG Anm.90).

c) Nach den mit Verfahrensrügen nicht angegriffenen und deshalb für den erkennenden Senat bindenden Feststellungen des FG (vgl. § 118 Abs.2 FGO) hielt sich die Steuerpflichtige bis einschließlich 1982 lediglich altersbedingt in dem Seniorenwohnstift auf. Sie war in diesem Zeitraum nur in dem Umfang pflegebedürftig, wie es bei Personen dieses Alters üblich ist. Die Aufwendungen für den Heimaufenthalt stellen deshalb keine (außergewöhnlichen) Krankheitskosten dar.

Allerdings sind nach Auffassung der Verwaltung Aufwendungen des Steuerpflichtigen, die ihm infolge seiner Pflegebedürftigkeit erwachsen, regelmäßig eine außergewöhnliche Belastung. Hierzu sollen auch die Aufwendungen zur Unterbringung in der Pflegestation eines Altenheims, in einem Altenpflegeheim oder Pflegeheim zählen (vgl. Abschn.187 Abs.1 der Einkommensteuer-Richtlinien 1987 --EStR--). Die Steuerpflichtige war jedoch im Jahre 1982 weder in einem (Alten-)Pflegeheim noch auf der Pflegestation des Seniorenwohnstifts untergebracht. Die Unterbringung in einem Alterswohnheim, in dem ausweislich des Wohnstiftsvertrags den Appartementbewohnern lediglich eine allgemeine ärztliche Überwachung und eine nicht gesondert zu vergütende Pflege im Krankheitsfall (Grundpflege) zuteil wird, führt zu keinen Aufwendungen infolge Pflegebedürftigkeit i.S. des Abschn.187 EStR. Die Steuerpflichtige hat im Jahr 1982 allenfalls Leistungen im Rahmen dieser Grundpflege erhalten, auf die sie wie jeder andere Heimbewohner Anspruch hatte. Besondere Aufwendungen für etwaige Pflegeleistungen entstanden insoweit nicht, da die Grundpflege im Pauschalentgelt für die Unterbringung im Seniorenwohnstift enthalten war. Eine Aufteilung des Pauschalentgelts in übliche Unterbringungskosten und außergewöhnliche Krankheits(Pflege)kosten kommt nicht in Betracht (vgl. hierzu unter 2c).

2. Zu Unrecht hat das FG angenommen, daß sich der ursprüngliche Charakter des Pauschalentgelts für die Unterbringung im Seniorenwohnstift als Teil der üblichen Lebensführungskosten der Steuerpflichtigen durch ihre Ende 1982 eingetretene Erkrankung geändert habe.

a) Soweit der Steuerpflichtigen im Streitjahr 1983 durch den Aufenthalt im Krankenhaus und auf der Pflegestation des Seniorenwohnstifts außergewöhnliche (krankheitsbedingte) Aufwendungen entstanden sind, scheidet eine außergewöhnliche Belastung der Steuerpflichtigen schon deshalb aus, weil sie diese --ihr erstatteten-- Aufwendungen nicht selbst getragen hat.

b) Die Annahme einer außergewöhnlichen Belastung i.S. von § 33 EStG durch die Kosten der Heimunterbringung käme nur in Betracht, wenn und soweit der Steuerpflichtigen über die üblichen Lebensführungskosten hinaus zusätzliche krankheitsbedingte Aufwendungen erwachsen wären (vgl. Blümich/Oepen, Einkommensteuergesetz, Kommentar, 13.Aufl., § 33 Rdnr.72). Diese Voraussetzung ist im Streitfall nicht erfüllt. Denn die Höhe des Pauschalentgelts für die Heimunterbringung wurde durch die Erkrankung der Steuerpflichtigen nicht berührt. Bei den Kosten der Heimunterbringung handelte es sich danach nicht um durch Krankheit (zusätzlich) verursachte Aufwendungen, die eine außergewöhnliche Belastung in Form von Krankheitskosten hätten begründen können.

Ohne Erfolg bemüht das FG in diesem Zusammenhang den dem Zivilrecht entlehnten Begriff der überholenden Kausalität, um einen ursächlichen Zusammenhang zwischen der Erkrankung der Steuerpflichtigen und den Kosten für die Heimunterbringung zu begründen. Die Rechtsfigur der überholenden Kausalität betrifft jedoch nicht das Problem der Kausalität, sondern die im Rahmen des § 33 EStG nicht relevante Frage der Schadenszurechnung (vgl. Grunsky in Münchener Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch, 2.Aufl., Vorbemerkung 79 zu § 249).

Auch mit dem Grundsatz der Gleichmäßigkeit der Besteuerung läßt sich eine auch nur teilweise Berücksichtigung der Unterbringungskosten als außergewöhnliche Belastung nicht begründen. Soweit das FG eine Gleichstellung der Steuerpflichtigen mit Personen für geboten hält, deren erstmalige Heimunterbringung aus Krankheitsgründen erfolgt, legt es als Vergleichsmaßstab nicht vergleichbare Sachverhalte zugrunde. Denn die Steuerpflichtige kann nur mit solchen Heimbewohnern verglichen werden, die altersbedingt in ein Altersheim gezogen sind. Es würde jedoch zu einer sachlich nicht gerechtfertigten steuerlichen Besserstellung der Steuerpflichtigen gegenüber diesen Heimbewohnern führen, wenn die Aufwendungen bei ihr lediglich deshalb eine außergewöhnliche Belastung begründen könnten, weil neben die Heimunterbringung aus Altersgründen eine krankheitsbedingte Pflegebedürftigkeit getreten ist, obwohl in Höhe des Pauschalentgelts alle Heimbewohner derselben Belastung ausgesetzt sind.

c) Der Steuerpflichtigen entsteht entgegen der Behauptung der Kläger auch kein steuerlicher Nachteil dadurch, daß im Streitfall die Pflegekosten nicht gesondert in Rechnung gestellt, sondern mit dem Pauschalentgelt für die Heimunterbringung auch die nach dem Wohnstiftsvertrag zugesagten Pflegeleistungen abgegolten wurden. Zwar könnte § 33 EStG dem Grunde nach zum Zuge kommen, soweit infolge der Krankheit ausscheidbare Aufwendungen entstehen. Auch ließen sich die auf Pflegeleistungen entfallenden Kosten grundsätzlich im Schätzungswege ermitteln. Soweit jedoch diese Kosten --wie im Streitfall-- infolge der Mischpreiskalkulation des Heimträgers von der Gemeinschaft sämtlicher Heimbewohner im Wege von Solidarbeiträgen aufgebracht werden, können sie durch den einzelnen Heimbewohner nicht als Krankheitskosten geltend gemacht werden. Es wäre mit dem Grundsatz der steuerlichen Gleichbehandlung nicht zu vereinbaren, diese Beiträge ausnahmsweise in den Fällen als außergewöhnliche Belastung zum Abzug zuzulassen, in denen die mit ihnen abgegoltenen Pflegeleistungen wegen einer Erkrankung des Heimbewohners erbracht werden.

3. Da eine Berücksichtigung der im Pauschalentgelt enthaltenen Pflegekosten nach § 33 EStG im Streitfall bereits aus den vorstehenden Erwägungen ausscheidet, bedarf es keines Eingehens auf die vom FA erstmals mit der Revision aufgeworfene Frage des Umfangs der Abgeltungswirkung des wegen ständiger Pflegebedürftigkeit gewährten erhöhten Körperbehindertenpauschbetrags nach § 33b Abs.3 Satz 3 EStG.

 

Fundstellen

Haufe-Index 62700

BFH/NV 1989, 51

BStBl II 1990, 418

BFHE 158, 380

BFHE 1990, 380

BB 1990, 838

BB 1990, 838-840 (LT)

DStR 1990, 36 (KT)

HFR 1990, 136 (LT)

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