Leitsatz (amtlich)

Wechselnde Bau- und Montagestellen können, auch wenn sie sich innerhalb einer politischen Gemeinde befinden, nicht als eine einheitliche Bau- und Montagestelle angesehen werden.

 

Normenkette

EStG § 3 Nr. 16; LStDV § 4 Nr. 3; LStR 1960 bis 1966 Abschn. 22 Abs. 1

 

Tatbestand

Der Kläger und Revisionsbeklagte ist Inhaber eines Unternehmens für sanitäre Installationen und Zentralheizungsbau in X. Bei einer Lohnsteuerprüfung im Jahre 1964 - die vorhergehende Prüfung hatte 1957 stattgefunden - stellte der Prüfer unter anderem fest, daß der Revisionsbeklagte von 1958 bis 30. September 1964 auf Grund des Lohntarifvertrags für das Installateur-, Klempner-, Zentralheizungsbauer- und Kupferschmiedehandwerk im Land Nordrhein-Westfalen an seine Arbeitnehmer, wenn diese auf auswärtigen Montagestellen in einer Entfernung von mehr als 5 km vom Betriebssitz tätig gewesen waren, steuerfreie Auslösungen gezahlt hatte, und zwar auch dann, wenn sich die Montagestellen im Stadtbezirk von X befunden und die Arbeitnehmer sie unmittelbar von der Wohnung aus aufgesucht hatten. An Hand des Projektbuchs ermittelte der Prüfer aus dem Gesamtbetrag der Auslösungen nach dem anteiligen Verhältnis der Baustellen in X zu den auswärtigen Baustellen den nachzuversteuernden Betrag.

Das FA nahm den Revisionsbeklagten als Haftungsschuldner in Anspruch. Der Einspruch gegen den Haftungsbescheid hatte keinen Erfolg. Das FA vertrat die Auffassung, daß eine Dienstreise im Sinne von Abschn. 21 Abs. 2 LStR, wie sie für die Anerkennung von steuerfreien Auslösungen vorausgesetzt werde (Abschn. 22 Abs. 1 LStR), dann nicht gegeben sei, wenn ein Arbeitnehmer die mehr als 5 km entfernt liegende Arbeitsstätte von seiner Wohnung aus aufsuche.

Das FG gab der Klage unter Berufung auf das Urteil des BFH VI R 168/66 vom 14. April 1967 (BFH 88, 422, BStBl III 1967, 430) statt, wonach es für den Begriff der Dienstreise unerheblich sei, ob die Reise von der regelmäßigen Arbeitsstätte oder von zu Hause aus angetreten werde. Es führte aus, daß steuerfreie Auslösungen im Sinne von Abschn. 22 Abs. 1 letzter Satz LStR 1960 ff. nicht nur für die ersten drei Monate der Beschäftigung gezahlt werden könnten. Auch nach Ablauf der ersten drei Monate würden wechselnde Bau- und Montagestellen am Betriebsort nicht zur regelmäßigen Arbeitsstätte. Insbesondere könnten wechselnde, nebeneinander bestehende Bau- und Montagestellen nicht als regelmäßige Arbeitsstätte angesehen werden mit der Folge, daß nach drei Monaten der Begriff der Dienstreise entfiele.

Mit der Revision rügt das FA unrichtige Anwendung des § 3 Nr. 16 EStG und § 4 Nr. 3 LStDV. Es trägt vor: Der Begriff der Dienstreise schließe nach dem Sprachgebrauch eine zeitliche Beschränkung ein. Im allgemeinen könne eine vorübergehende auswärtige Beschäftigung bis zu einem Monat eine Dienstreise sein. Die Auslegung in Abschn. 22 Abs. 1 letzter Satz LStR sei sehr weitgehend und könne nur als äußerste Grenze für die Annahme einer Dienstreise angesehen werden. Auch der BFH habe in den Urteilen VI 269/57 vom 18. Juli 1958 (nicht veröffentlicht) und VI 71/62 U vom 30. August 1963 (BFH 77, 713, BStBl III 1963, 582) die unbegrenzte zeitliche Ausdehnung einer Dienstreise, wie sie das FG in seiner Entscheidung angewandt habe, nicht zugelassen, ohne allerdings die anzuerkennende Dauer einer Dienstreise festzustellen. Eine zeitliche Ausdehnung über drei Monate würde in der Regel zu einer unzutreffenden Besteuerung führen.

Das FA beantragt, das Urteil des FG aufzuheben, hilfsweise die Sache an das FG zur anderweitigen Verhandlung zurückzuverweisen.

Der Revisionsbeklagte beantragt, die Revision zurückzuweisen. Er führt aus: Zwar sei dem FA darin zuzustimmen, daß Aufenthalte an einem bestimmten Arbeitsort nicht zeitlich unbefristet Dienstreisen darstellen könnten. Mit dem Moment, in dem die Arbeitsstätte zum Mittelpunkt der Tätigkeit des Arbeitnehmers werde, ende die Dienstreise. Die typisierende Dreimonatsfrist in Abschn. 22 Abs. 1 LStR könne jedoch nur dann akzeptiert werden, wenn die Frist für jede einzelne Baustelle, auf der der Arbeitnehmer eingesetzt werde, von neuem zu laufen beginne. Es könne keinesfalls zutreffend sein, das Vorliegen einer Dienstreise abzulehnen, wenn ein Arbeitnehmer laufend auf anderen Baustellen tätig werde, diese sich aber in einer politischen Gemeinde befänden und der Aufenthalt in der Gemeinde die Dreimonatsfrist überschreite. Seine Heranziehung zur Haftung sei zudem ermessensfehlerhaft, da die Verwaltungsanweisungen unklar gewesen seien. Die vor 1968 und damit in den Streitjahren geltende Fassung des Abschn. 22 Abs. 1 letzter Satz LStR sei von der Beschäftigung am Ort einer Bau- und Montagestelle ausgegangen, während in der Fassung von 1968 von Bau- und Montagestellen desselben Orts die Rede sei. Aus dem Wortlaut der früheren Fassung habe man schließen können, daß "Ort" die einzelne Baustelle, nicht eine Stadt oder Gemeinde sei. Hinzu komme, daß das FA mit seiner Prüfung ungewöhnlich lange zugewartet habe. Nach § 52 Abs. 2 LStDV, der eine Schutzvorschrift für den Arbeitgeber sei, müsse jede Betriebstätte binnen einer bestimmten Frist mindestens einmal geprüft werden. Die Frist betrage dem Vernehmen nach im Bereich der OFD X zwei Jahre. Eine Nacherhebung sei bei einer Prüfung nach sieben Jahren unzumutbar (vgl. Urteil des FG Berlin X A 7/64 vom 13. Juli 1965, EFG 1966, 139, und BFH-Urteil VI 85/61 U vom 16. März 1962, BFH 75, 36, BStBl III 1962, 282), zumal es um die Nachforderung fremder Steuern gehe, mit deren Einbehaltung und Abführung der Unternehmer ohnehin schon erheblich belastet sei. Im übrigen werde Verwirkung geltend gemacht. Die jahrelange Untätigkeit des FA könne nur als Verzicht auf die Nachprüfung der Jahre 1958 bis 1961 angesehen werden. Zwar genüge die Untätigkeit allein nicht zur Annahme der Verwirkung. Der hinzukommende besondere Umstand sei hier jedoch der Gesetzesbefehl des § 52 Abs. 2 LStDV.

 

Entscheidungsgründe

Aus den Gründen:

Die Revision führt zur Aufhebung der Vorentscheidung.

Auslösungen können nur steuerfrei gezahlt werden, wenn sie Reisekosten- (§ 3 Nr. 16 EStG, § 4 Nr. 3 LStDV) oder Auslagenersatz (§ 3 Nr. 50 EStG) sind. Dies hat das FG zwar nicht verkannt. Insoweit reichen seine Ausführungen jedoch nicht aus, um seine Entscheidung zu rechtfertigen.

Voraussetzung für den steuerfreien Reisekostenersatz durch den Arbeitgeber ist das Vorliegen einer Dienstreise (vgl. BFH-Urteil VI 71/62 U, a. a. O.). Nach dem von der Rechtsprechung als zutreffende Auslegung anerkannten, in Abschn. 21 Abs. 2 LStR niedergelegten Dienstreisebegriff liegt eine Dienstreise vor, wenn der Arbeitnehmer aus dienstlichen Gründen vom Ort seiner regelmäßigen Arbeitsstätte abwesend oder wenn er zwar innerhalb der Gemeindegrenzen des Orts seiner regelmäßigen Arbeitsstätte, aber in einer Entfernung von mehr als 5 km tätig wird. Die Annahme einer Dienstreise erfordert stets die Abwesenheit von der regelmäßigen Arbeitsstätte.

Im vorliegenden Fall spricht die Tatsache, daß die Arbeitnehmer des Revisionsbeklagten ihre wechselnden Arbeitsstätten von ihrer Wohnung aus aufsuchten, gegen das Vorhandensein einer regelmäßigen Arbeitsstätte im Betrieb. Das FG hat jedoch keine Feststellungen getroffen, die Schlußfolgerungen hinsichtlich des Vorhandenseins bzw. Nichtvorhandenseins einer regelmäßigen Arbeitsstätte zulassen. Das Urteil des FG ist aus diesem Grunde aufzuheben. Die nicht spruchreife Sache wird an das FG zurückverwiesen. Dieses wird nunmehr festzustellen haben, ob die Arbeitnehmer des Revisionsbeklagten eine regelmäßige Arbeitsstätte hatten. Bei seiner Entscheidung wird das FG insbesondere die Entscheidung des Senats VI R 184/69 vom 5. November 1971 (BFH 103, 493, BStBl II 1972, 130) zu berücksichtigen haben. Danach kann bei Arbeitnehmern, die ständig auf auswärtigen Bauoder Montagestellen tätig sind, der Firmensitz nicht als regelmäßige Arbeitsstätte angesehen werden, wenn der Arbeitnehmer dort nicht - auch nicht vorübergehend - tätig wird, sondern ihn nur zur Angabe der geleisteten Arbeitsstunden, zur Entgegennahme des Arbeitslohns und zur Entgegennahme weiterer Arbeitsaufträge aufsucht.

Hatten die Arbeitnehmer des Revisionsbeklagten eine regelmäßige Arbeitsstätte, so sind die Fahrten zu den wechselnden Bau- und Montagestellen Dienstreisen. Dem FG ist darin zu folgen, daß die wechselnden Bau- und Montagestellen nicht als eine einheitiche Bau- und Montagestelle angesehen werden können. Dies gilt auch dann, wenn sie sich innerhalb einer politischen Gemeinde befinden. Andernfalls würden die in einer Großstadt auf wechselnden Bau- und Montagestellen tätigen Arbeitnehmer gegenüber den in einem vergleichbaren Einsatzkreis in verschiedenen kleinen politischen Gemeinden beschäftigten Arbeitnehmern benachteiligt werden. Das FG wird in diesem Zusammenhang aber zu prüfen haben, ob die Anwendung der Dienstreisepauschsätze (Abschn. 21 Abs. 4 LStR) nicht zu einer unzutreffenden Besteuerung führt (vgl. z. B. BFH-Urteil VI R 257/70 vom 20. Dezember 1971, BFH 104, 217, BStBl II 1972, 246). Abgesehen davon, daß die Anwendung der Dienstreisepauschsätze bei Tätigkeiten, die weniger als drei Monate dauern, nicht ohne weiteres zu einem zutreffenden Ergebnis führt, gibt der Senat noch zu bedenken, daß Außenmonteure mit einer regelmäßigen Arbeitsstätte im Grunde nichts anderes tun als die Arbeitnehmer, die ohne regelmäßige Arbeitsstätte ständig auf häufig wechselnden Bau- und Montagestellen tätig sind. Wegen der Behandlung der letzteren Gruppe verweist der Senat auf seine Entscheidung VI R 184/69 vom 5. November 1971 (a. a. O.). Danach können die ständig auf auswärtigen Bau- und Montagestellen tätigen Arbeitnehmer einen ihrem Verpflegungsmehraufwand entsprechenden Betrag als Werbungskosten geltend machen. In Höhe dieses Verpflegungsmehraufwands kann steuerfreier Auslagenersatz in Betracht kommen, wenn die Arbeitnehmer des Revisionsbeklagten eine regelmäßige Arbeitsstätte nicht hatten. Die Anerkennung des steuerfreien Auslagenersatzes hängt davon ab, daß die Gestaltung des Auslagenersatzes den von der Rechtsprechung herausgestellten Voraussetzungen des § 3 Nr. 50 EStG entspricht. Der Senat weist hierzu auf seine Urteile VI 68/65 vom 11. Juli 1969 (BFH 97, 107, BStBl II 1970, 69) und VI R 207/68 vom 5. November 1971 (BFH 103, 472, BStBl II 1972, 137) hin.

Liegt danach steuerfreier Auslagenersatz nicht vor, so daß der Revisionsbeklagte steuerfreie Auslösungen nicht zahlen konnte, so wird sich das FG schließlich mit der Frage zu befassen haben, ob die Inanspruchnahme des Revisionsbeklagten als Haftenden unbillig ist. Der Senat verweist insoweit auf die Entscheidungen VI R 279/67 vom 29. November 1968 (BFH 94, 336, BStBl II 1969, 173) und VI R 207/68 (a. a. O.). Der Arbeitgeber kann sich im Haftungsverfahren darauf berufen, daß er und seine Arbeitnehmer über die Zugehörigkeit von Bezügen zum Arbeitslohn und damit auch über die Notwendigkeit der Eintragung der mit diesen Bezügen zusammenhängenden Werbungskosten irrten und irren konnten und die mögliche Geltendmachung von Werbungskosten deshalb unterblieb. Daß im Streitfall eine nicht ganz einfach zu beurteilende Rechtsfrage vorliegt, muß zugegeben werden. Zu beachten ist jedoch, daß die Arbeitnehmer des Revisionsbeklagten Verpflegungsmehraufwand nicht in Höhe der Reisekostenpauschsätze hätten geltend machen können (vgl. BFH-Urteil VI R 184/69, a. a. O.).

Die Inanspruchnahme des Revisionsbeklagten für den ganzen Prüfungszeitraum ist im Hinblick auf § 52 Abs. 2 LStDV nicht ermessensmißbräuchlich. Die Prüfung sollte im Dezember 1963 für die Jahre ab 1958 stattfinden, wurde aber auf Wunsch des Revisionsbeklagten auf 1964 verschoben. Nach § 31 Abs. 4 LStDV ist das Lohnkonto jedes Arbeitnehmers bis zum Ablauf des 5. Kalenderjahrs, das auf die Lohnzahlung folgt, aufzubewahren. Dem Willen des Verordnungsgebers entspricht demgemäß ein Prüfungszeitraum von höchstens sechs Jahren. Demgegenüber kann § 52 Abs. 2 LStDV, der keine Zeitbestimmung enthält, keine Bedeutung als Schutzvorschrift für den Arbeitgeber beigemessen werden. Der Prüfungszeitraum des FA umfaßte sechs Jahre und hielt sich damit im Rahmen der gesetzlichen Möglichkeiten.

Teilweise Verwirkung des Lohnsteueranspruchs kann der Revisionsbeklagte nicht geltend machen. Wie er selbst ausführt, ist zur Annahme der Verwirkung außer einem längeren Zeitablauf ein besonderes Verhalten erforderlich, das als Verzicht auf den Anspruch gedeutet werden kann. An diesem Tätigwerden fehlt es hier.

 

Fundstellen

Haufe-Index 413132

BStBl II 1972, 677

BFHE 1972, 340

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