Entscheidungsstichwort (Thema)

Zwangsläufigkeit der Unterhaltsgewährung aus sittlichen Gründen bei eheähnlicher Gemeinschaft - Berücksichtigung von Unterhaltsleistungen bei eheähnlicher Gemeinschaft: Kein Widerspruch zu Art. 6 Abs. 1 GG

 

Leitsatz (amtlich)

Unterhaltsleistungen entstehen einem in einer eheähnlichen Gemeinschaft lebenden Steuerpflichtigen aus sittlichen Gründen zwangsläufig, wenn dem hilfsbedürftigen Partner die Sozialhilfe im Hinblick auf das Zusammenleben gemäß § 122 Satz 1 BSHG verweigert wird.

 

Orientierungssatz

1. Unterhaltsleistungen an den Partner einer eheähnlichen Gemeinschaft erwachsen nicht schon aufgrund des (auch auf Dauer angelegten) Zusammenlebens und wegen der gemeinsamen Haushaltsführung und Wirtschaftsführung aus sittlichen Gründen zwangsläufig. Vielmehr kommt eine sittliche Verpflichtung zur Unterhaltsgewährung nur in Betracht, wenn die Bedürftigkeit des Partners gemeinschaftsbedingt ist und besondere Umstände vorliegen, die die Unterhaltsgewährung bei Würdigung der gesamten Umstände als unausweichlich erscheinen lassen (vgl. BFH-Rechtsprechung).

2. Soweit aus dem BFH-Urteil vom 27.10.1989 III R 205/82 entnommen werden könnte, daß auch bei Verlust von Sozialhilfe nach § 122 Satz 1 BSHG eine Zwangsläufigkeit des Steuerpflichtigen zur Unterstützung seines einkommenslosen Partners verneint würde, wird daran nicht mehr festgehalten.

3. Die Rechtsprechung des BFH, Unterhaltsleistungen eines Steuerpflichtigen, der in einer eheähnlichen Gemeinschaft lebt und dessen Partner im Hinblick auf das Zusammenleben die Sozialhilfe nach § 122 Satz 1 BSHG verweigert wird, als aus sittlichen Gründen zwangsläufig entstanden anzusehen, steht nicht in Widerspruch zu Art. 6 Abs. 1 GG, da keine Benachteiligung von Steuerpflichtigen, die in einer intakten Ehe leben, gegeben ist. Für sie bestehen die Sondervorschriften über die Ehegattenbesteuerung, die § 33a Abs. 1 EStG verdrängen und durch die Anwendung des Splittingverfahrens die Besonderheiten der ehelichen Erwerbsgemeinschaft und Wirtschaftsgemeinschaft berücksichtigen (vgl. BFH-Beschluß vom 28.11.1988 GrS 1/87).

 

Normenkette

EStG 1987 § 33a Abs. 1, § 33 Abs. 2; BSHG § 122 S. 1; EStG 1987 §§ 26, 32a Abs. 5; GG Art. 6 Abs. 1

 

Tatbestand

Der Kläger und Revisionskläger (Kläger) lebte im Streitjahr 1987 mit Frau B in einer eheähnlichen Lebensgemeinschaft. Zum gemeinsamen Haushalt zählten auch die 1972 und 1976 geborenen Kinder der B. Mit Verfügung vom 16.April 1986 hatte das Sozialamt des Bezirksamts H die Zahlung der B bis dahin gewährten Sozialhilfe unter Hinweis auf das Zusammenleben mit dem Kläger eingestellt.

In der Steuererklärung für das Streitjahr beantragte der Kläger, der seit 1989 mit B verheiratet ist, Unterstützungsleistungen an diese in Höhe von 3 600 DM als außergewöhnliche Belastung zu berücksichtigen. Dies lehnte der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt --FA--) ab. Einspruch und Klage, mit denen der Kläger die Berücksichtigung von Unterhaltsleistungen in Höhe von 4 500 DM begehrte, blieben insoweit erfolglos.

Das Finanzgericht (FG) vertrat die Auffassung, nach der neueren Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs --BFH-- (Hinweis auf das Urteil vom 27.Oktober 1989 III R 205/82, BFHE 158, 431, BStBl II 1990, 294) seien dem Kläger die strittigen Aufwendungen nicht zwangsläufig erwachsen.

Die Zwangsläufigkeit werde zunächst nicht durch das vom Kläger behauptete Verlöbnis mit B begründet. Zwangsläufigkeit sei dabei weder in rechtlicher noch in tatsächlicher Hinsicht anzunehmen.

Auch die Voraussetzungen, die der BFH für die sittliche Zwangsläufigkeit von Unterhaltszahlungen im Rahmen einer eheähnlichen Lebensgemeinschaft entwickelt habe, lägen nicht vor. Die Unterhaltsleistungen seien nicht aufgrund gemeinschaftsbedingter Bedürftigkeit sowie zusätzlicher besonderer Umstände unausweichlich gewesen. Dies gelte auch unter Berücksichtigung der in der Lebensgemeinschaft aufwachsenden Kinder. Eine gemeinschaftsbedingte Bedürftigkeit könne insoweit nur angenommen werden, wenn gemeinsame Kinder zu betreuen seien.

Die Zwangsläufigkeit könne schließlich auch nicht damit begründet werden, daß B wegen der mit dem Kläger eingegangenen Wirtschafts- und Lebensgemeinschaft die Sozialhilfe entzogen worden sei. Es entspreche dem Regelfall des § 33a des Einkommensteuergesetzes (EStG), daß im Rahmen einer eheähnlichen Gemeinschaft entweder ein Sozialhilfeanspruch bestehe, wenn der Partner keinen Unterhalt leiste, oder die Sozialhilfe wegen der Regelung in § 122 Satz 1 des Bundessozialhilfegesetzes (BSHG) versagt werde. Besondere Umstände seien jedenfalls nicht ersichtlich.

Die Nichtberücksichtigung von Unterhaltszahlungen an den Partner einer eheähnlichen Lebensgemeinschaft als außergewöhnliche Belastung sei verfassungsrechtlich unbedenklich. Das unbefriedigende Nebeneinander der steuerrechtlichen Behandlung von Unterhaltsleistungen und der Regelung in § 122 Satz 1 BSHG beruhe auf der mit dieser Vorschrift getroffenen politischen Wertentscheidung des Gesetzgebers, die grundsätzlich im Rahmen des Steuerrechts nicht durch Richterrecht beseitigt werden könne.

Mit seiner Revision rügt der Kläger die Verletzung materiellen Rechts. Nach seiner Ansicht folgt bereits aus dem Verlöbnis eine rechtliche und tatsächliche Zwangsläufigkeit der Unterhaltsaufwendungen. Im übrigen begründe auch die eheähnliche Lebensgemeinschaft die sittliche Zwangsläufigkeit der Unterhaltsleistungen. Nach der Rechtsprechung des BFH sei die Zwangsläufigkeit gegeben, wenn bei einer auf längere Dauer eingegangenen eheähnlichen Lebensgemeinschaft die Bedürftigkeit des einen Partners durch die Betreuung gemeinsamer Kinder veranlaßt sei. Davon sei auch hier auszugehen, wenn es sich auch nicht um seine leiblichen Kinder handele. Die Kinder seien jedoch durch die völlige Aufnahme in den Haushalt und das gemeinsame "Familienleben" der zunächst nur eheähnlichen Lebensgemeinschaft zu "gemeinsamen" Kindern i.S. der BFH-Rechtsprechung geworden. Der BFH habe, ohne dies näher zu begründen, zudem die Betreuung eines gemeinsamen Kindes in seiner Rechtsprechung nur beispielhaft genannt. Gemeinschaftsbedingt könne deshalb auch die gemeinsame Betreuung von Kindern nur eines Partners sein.

Es sei darauf hinzuweisen, daß im Steuerrecht auch Pflegekinder den Kindbegriff erfüllten. Wenn aber Pflegekinder "gemeinsame" Kinder im Hinblick auf die Gewährung von Kinderfreibeträgen der Pflegeeltern seien, werde daraus die Absicht des Gesetzgebers deutlich, allein den tatsächlichen und sozialen Umständen Rechnung zu tragen.

Das FA meint, nach der bisherigen Rechtsprechung des BFH könne in einem Fall der hier vorliegenden Art keine Zwangsläufigkeit aus sittlichen Gründen angenommen werden. Es sei aber fraglich, ob unter den heutigen Umständen die Unterscheidung zwischen der Betreuung gemeinsamer leiblicher Kinder beider Partner und der Betreuung der leiblichen Kinder nur eines Partners noch gerechtfertigt sei. Im Hinblick auf die emotionalen und wirtschaftlichen Bedingungen bestünden keine wesentlichen Unterschiede. Im übrigen gebe es vor dem Hintergrund eines Wandels in den gesellschaftlichen Anschauungen Bestrebungen, die eheähnliche Lebensgemeinschaft rechtlich aufzuwerten. Eine andere steuer- rechtliche Beurteilung der Frage, unter welchen Voraussetzungen Unterhaltsleistungen an den Partner einer eheähnlichen Lebens- gemeinschaft steuerlich abzugsfähig seien, könne durch eine Änderung der Rechtsprechung des BFH bewirkt werden.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision ist begründet. Sie führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und zur Zurückverweisung der Sache an das FG.

1. Nach § 33a Abs.1 EStG setzt der Abzug von Unterhaltsleistungen neben anderen Erfordernissen voraus, daß dem Steuerpflichtigen die Aufwendungen zwangsläufig erwachsen sind. Aufwendungen entstehen dem Steuerpflichtigen zwangsläufig, wenn er sich ihnen aus rechtlichen, tatsächlichen oder sittlichen Gründen nicht entziehen kann (§ 33 Abs.2 Satz 1 EStG). Diese Voraussetzung ist erfüllt, wenn die vorstehend aufgezählten Gründe von außen, d.h. vom Willen des Steuerpflichtigen unabhängig, auf seine Entschließung in einer Weise einwirken, daß er ihnen nicht ausweichen kann.

Unterhaltsleistungen an den Partner einer eheähnlichen Gemeinschaft erwachsen nach der Rechtsprechung des Senats regelmäßig weder aus rechtlichen noch aus tatsächlichen Gründen zwangsläufig. Auch Zwangsläufigkeit aus sittlichen Gründen ist nicht schon aufgrund des (auch auf Dauer angelegten) Zusammenlebens und wegen der gemeinsamen Haushalts- und Wirtschaftsführung gegeben. Vielmehr kommt eine sittliche Verpflichtung zur Unterhaltsgewährung nur in Betracht, wenn die Bedürftigkeit des Partners gemeinschaftsbedingt ist und besondere Umstände vorliegen, die die Unterhaltsgewährung bei Würdigung der gesamten Umstände als unausweichlich erscheinen lassen (vgl. Senatsurteile in BFHE 158, 431, BStBl II 1990, 294, m.w.N., und vom 12.April 1991 III R 85/89, BFHE 164, 82, BStBl II 1991, 518).

Diese Voraussetzungen sind hier gegeben.

Mit den Beteiligten ist davon auszugehen, daß die (vom Kläger behauptete) Unterhaltsbedürftigkeit der B gemeinschaftsbedingt war. Denn daß B den Anspruch auf Sozialhilfe aufgrund des § 122 Satz 1 BSHG verloren hat, war durch das Zusammenleben mit dem Kläger bedingt.

Sozialhilfeleistungen nach dem BSHG werden nur bei Bedürftigkeit gewährt. Bei nicht dauernd getrennt lebenden Ehegatten sind das Einkommen und das Vermögen beider Ehegatten zu berücksichtigen (§ 11 Abs.1 Satz 2, § 28 BSHG). Diese Regelung wird durch § 122 Satz 1 BSHG auf die Partner einer eheähnlichen Gemeinschaft erstreckt. Das bedeutet, daß aufgrund von § 122 Satz 1 BSHG der nicht hilfesuchende Partner einer eheähnlichen Gemeinschaft mit seinem gesamten Einkommen und Vermögen in die Bedarfsgemeinschaft nach §§ 11 und 28 BSHG genauso wie der nicht getrennt lebende Ehegatte einzubeziehen ist. Dem hilfesuchenden Partner ist danach die Sozialhilfe zu versagen, wenn das Einkommen des einen Partners der eheähnlichen Gemeinschaft geeignet ist, die Bedürftigkeit des anderen zu beseitigen.

Wird danach dem hilfesuchenden Partner einer eheähnlichen Gemeinschaft die Sozialhilfe versagt, kann sich nach Auffassung des Senats für den einkünftebeziehenden Partner die Notwendigkeit ergeben, den hilfsbedürftigen Partner durch eigene Zahlungen zu unterhalten. Dies gilt jedenfalls dann, wenn die Sozialhilfe, wovon das FG hier ausgegangen ist, mit Rücksicht auf das Einkommen und Vermögen des Partners völlig wegfällt.

Da B aufgrund des Zusammenlebens in einer eheähnlichen Gemeinschaft mit dem Kläger keine Sozialhilfe mehr erhielt, lagen auch, zumindest dem Grunde nach, besondere Umstände vor, die die Unterhaltsgewährung bei Würdigung der gesamten Umstände für den Kläger als unausweichlich erscheinen ließen. Denn da der Gesetzgeber des § 122 Satz 1 BSHG den Bedürftigen praktisch auf das Einkommen und Vermögen des Lebenspartners verweist, hätte B ihren Anspruch auf Sozialhilfe nur dadurch erhalten können, daß sie sich vom Kläger getrennt hätte. Da sie dies nicht getan hat, war der Kläger unter den gegebenen Umständen sittlich verpflichtet, für den Unterhalt der B selbst zu sorgen.

Der vorstehenden Beurteilung steht nicht entgegen, daß der Senat im Urteil in BFHE 158, 431, BStBl II 1990, 294 ausgeführt hat, eine Zwangsläufigkeit aus sittlichen Gründen zur Unterstützung des Partners einer eheähnlichen Gemeinschaft lasse sich aus § 122 Satz 1 BSHG und der dazu ergangenen Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) nicht herleiten. Denn dieses Urteil betrifft einen Sachverhalt, in dem § 122 Satz 1 BSHG unmittelbar keine Rolle spielte, weil ein Fall der Versagung von Sozialhilfe nicht Gegenstand des Verfahrens war. Soweit aus dem vorerwähnten Urteil allerdings entnommen werden könnte, der Senat würde auch bei Verlust von Sozialhilfe nach § 122 Satz 1 BSHG eine Zwangsläufigkeit des Steuerpflichtigen zur Unterstützung seines einkommenslosen Partners verneinen, hält der Senat daran nicht mehr fest.

Die Rechtsprechung des Senats steht schließlich nicht in Widerspruch zu Art.6 Abs.1 des Grundgesetzes (GG). Denn die vorstehenden Erwägungen stellen keine Benachteiligung von Steuerpflichtigen, die in einer intakten Ehe leben, dar. Für sie bestehen die Sondervorschriften über die Ehegattenbesteuerung (§§ 25 bis 26b, § 32a Abs.5 EStG), die § 33a Abs.1 EStG verdrängen und durch die Anwendung des Splittingverfahrens die Besonderheiten der ehelichen Erwerbs- und Wirtschaftsgemeinschaft berücksichtigen (BFH-Beschluß vom 28.November 1988 GrS 1/87, BFHE 154, 556, BStBl II 1989, 164).

2. Die Vorentscheidung, die der Rechtsauffassung des Senats nicht entspricht, ist aufzuheben. Die Sache ist gemäß § 126 Abs.3 Nr.2 der Finanzgerichtsordnung (FGO) an das FG zurückzuverweisen, da sie nicht spruchreif ist. Das FG hat --von seinem Standpunkt aus folgerichtig-- keine Feststellungen dazu getroffen, ob und in welcher Höhe der Kläger tatsächlich Unterhaltsleistungen an B erbracht hat und ob der Unterhaltshöchstbetrag etwa durch Einkünfte und Bezüge der B i.S. des § 33a Abs.1 Satz 3 EStG zu mindern ist. Bei der Prüfung, welche Unterhaltsleistungen der Kläger erbracht hat, kann allerdings --ohne entsprechenden Nachweis-- davon ausgegangen werden, daß er Unterhaltsleistungen jedenfalls in Höhe der für B in Betracht kommenden Sozialhilfe erbracht hat.

 

Fundstellen

Haufe-Index 64864

BFH/NV 1994, 19

BStBl II 1994, 236

BFHE 172, 516

BFHE 1994, 516

BB 1994, 1130

BB 1994, 1130-1132 (LT)

BB 1994, 350

DB 1994, 409-410 (LT)

DStR 1994, 282 (KT)

DStZ 1994, 185 (KT)

HFR 1994, 211-212 (LT)

StE 1994, 95 (K)

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