Entscheidungsstichwort (Thema)
Vorsteuerabzug bei Errichtung eines teilweise unternehmerisch und teilweise nichtunternehmerisch genutzten Gebäudes; Zuordnung des Gebäudes zum Unternehmen; nichtunternehmerische Verwendung als Eigenverbrauch
Leitsatz (amtlich)
1. Ein Unternehmer, der ein Gebäude errichtet, das er teilweise unternehmerisch und teilweise nichtunternehmerisch (zu eigenen Wohnzwecken) nutzt, darf das Gebäude insgesamt seinem Unternehmen zuordnen und die auf das gesamte Gebäude ―einschließlich des nichtunternehmerisch genutzten Teils― entfallenden Vorsteuerbeträge nach Maßgabe des § 15 Abs. 1 UStG abziehen.
2. Die (teilweise) Verwendung des dem Unternehmen zugeordneten Gebäudes für den privaten Bedarf des Unternehmers ist keine steuerfreie Grundstücksvermietung i.S. des § 4 Nr. 12 Satz 1 Buchst. a UStG und schließt deshalb den Vorsteuerabzug nicht gemäß § 15 Abs. 2 Nr. 1 UStG aus (Änderung der Rechtsprechung).
3. Die nichtunternehmerische Verwendung des Gebäudes unterliegt als steuerpflichtiger Eigenverbrauch der Umsatzbesteuerung.
Normenkette
UStG 1993 § 1 Abs. 1 Nr. 2 S. 2 Buchst. b, § 4 Nr. 12 S. 1 Buchst. a, § 15 Abs. 1, 2 Nr. 1; EWGRL 388/77 Art. 6 Abs. 2 Buchst. a, Art. 13 Teil B Buchst. b, Art. 13 Teil C S. 1 Buchst. a, Art. 17 Abs. 2 Buchst. a
Verfahrensgang
Tatbestand
I. Der Kläger und Revisionskläger (Kläger) ist Inhaber eines Baumpflege- und Gartenbaubetriebes, der der Regelbesteuerung unterliegt. Er errichtete 1995 (Streitjahr) ein Gebäude, das er (insgesamt) seinem Unternehmen zuordnete und seit Fertigstellung teilweise unternehmerisch und teilweise für eigene Wohnzwecke nutzt.
In seiner Umsatzsteuererklärung für das Streitjahr machte der Kläger Vorsteuerbeträge aus der Errichtung des Gebäudes in Höhe von insgesamt 85 973,06 DM geltend, wovon 34 293,65 DM auf den für eigene Wohnzwecke genutzten Teil des Hauses entfielen. Im Hinblick auf die nichtunternehmerische Verwendung dieses Teils des Hauses erklärte er einen steuerpflichtigen Eigenverbrauch in Höhe von 5 359 DM und eine darauf entfallende Umsatzsteuer in Höhe von 803,85 DM.
Dagegen beurteilte der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt ―FA―) die nichtunternehmerische Nutzung des Gebäudes als steuerfreien Eigenverbrauch und versagte dem Kläger insoweit den Vorsteuerabzug. Dabei übernahm das FA die vom Kläger jeweils angesetzten Besteuerungsgrundlagen.
Das Finanzgericht (FG) folgte der Auffassung des FA und wies die Klage ab. Das Urteil ist in Umsatzsteuer- und Verkehrsteuer-Recht (UVR) 1999, 297 abgedruckt.
Auf die vom FG zugelassene Revision des Klägers hat der erkennende Senat durch Beschluss vom 25. Mai 2000 V R 39/99 (BFHE 191, 450) das Verfahren ausgesetzt und dem Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften (EuGH) folgende Frage zur Auslegung der Sechsten Richtlinie des Rates vom 17. Mai 1977 zur Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Umsatzsteuern 77/388/EWG (Richtlinie 77/388/EWG) vorgelegt:
"Darf ein Mitgliedstaat die nach Art. 6 Abs. 2 Buchst. a der Richtlinie 77/388/EWG einer Dienstleistung gegen Entgelt gleichgestellte Verwendung einer Wohnung zu eigenen Wohnzwecken in einem insgesamt dem Unternehmen zugeordneten Betriebsgebäude als steuerfrei (gemäß Art. 13 Teil B Buchst. b der Richtlinie 77/388/EWG, aber ohne Möglichkeit, auf die Steuerbefreiung zu verzichten) behandeln mit der Folge, dass der Abzug der im Zusammenhang mit der Herstellung des Gebäudes angefallenen Mehrwertsteuer als Vorsteuer insoweit gemäß Art. 17 Abs. 2 Buchst. a der Richtlinie 77/388/EWG ausgeschlossen ist?"
Der EuGH hat darauf mit Urteil vom 8. Mai 2003 Rs. C-269/00 ―Seeling― geantwortet:
"Die Artikel 6 Absatz 2 Unterabsatz 1 Buchstabe a und 13 Teil B Buchstabe b der Sechsten Richtlinie 77/388/EWG des Rates vom 17. Mai 1977 zur Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Umsatzsteuern - Gemeinsames Mehrwertsteuersystem: einheitliche steuerpflichtige Bemessungsgrundlage sind so auszulegen, dass sie nationalen Rechtsvorschriften entgegenstehen, wonach die Verwendung eines Teils eines insgesamt dem Unternehmen zugeordneten Betriebsgebäudes für den privaten Bedarf des Steuerpflichtigen als eine ―als Vermietung oder Verpachtung eines Grundstücks i.S. des Artikels 13 Teil B Buchstabe b― steuerfreie Dienstleistung behandelt wird."
Der Kläger beantragt weiterhin, unter Aufhebung der Vorentscheidung und der Einspruchsentscheidung die Umsatzsteuer 1995 auf 1 939 DM herabzusetzen.
Das FA beantragt, die Revision zurückzuweisen.
Die Beteiligten haben auf mündliche Verhandlung verzichtet.
Entscheidungsgründe
II. Die Revision des Klägers ist begründet. Er ist gemäß seinem Antrag zur Umsatzsteuer 1995 zu veranlagen.
1. Der Unternehmer kann gemäß § 15 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 des Umsatzsteuergesetzes (UStG) die in Rechnungen i.S. des § 14 UStG gesondert ausgewiesene Steuer für Lieferungen oder sonstige Leistungen, die von anderen Unternehmern für sein Unternehmen ausgeführt worden sind, abziehen. Ein Unternehmer, der ein Gebäude errichtet, das er teilweise unternehmerisch und teilweise nichtunternehmerisch (zu eigenen Wohnzwecken) nutzt, darf das Gebäude insgesamt seinem Unternehmen zuordnen und die auf das gesamte Gebäude ―einschließlich des nichtunternehmerisch genutzten Teils― entfallenden Vorsteuerbeträge abziehen (vgl. das in dieser Sache ergangene EuGH-Urteil vom 8. Mai 2003 Rs. C-269/00 ―Seeling―, Rdnr. 40 bis 44; Urteil des Bundesfinanzhofs ―BFH― vom 31. Januar 2002 V R 61/96 ―Bakcsi―, BFHE 197, 372, Umsatzsteuer-Rundschau ―UR― 2002, 211).
2. Der Vorsteuerabzug ist nicht nach § 15 Abs. 2 Nr. 1 UStG ausgeschlossen.
Die (teilweise) Verwendung des dem Unternehmen zugeordneten Gebäudes für den privaten Bedarf des Unternehmers ist keine steuerfreie Grundstücksvermietung i.S. des § 4 Nr. 12 Satz 1 Buchst. a UStG und schließt deshalb den Vorsteuerabzug nicht gemäß § 15 Abs. 2 Nr. 1 UStG aus (Änderung der Rechtsprechung).
a) Nach § 1 Abs. 1 Nr. 2 Satz 2 Buchst. b UStG in der im Streitjahr 1995 geltenden Fassung liegt steuerbarer Eigenverbrauch vor, wenn ein Unternehmer im Rahmen seines Unternehmens sonstige Leistungen der in § 3 Abs. 9 bezeichneten Art ―das sind Leistungen, die keine Lieferungen sind― für Zwecke ausführt, die außerhalb des Unternehmens liegen. Nach § 4 Nr. 12 Satz 1 Buchst. a UStG 1993 in der im Streitjahr geltenden Fassung war von dem "unter § 1 Abs. 1 Nr. 1 bis 3" UStG fallenden Umsätzen steuerfrei die Vermietung und die Verpachtung von Grundstücken. Vom Vorsteuerabzug ausgeschlossen ist nach § 15 Abs. 2 Nr. 1 UStG 1993 die Steuer für die Lieferungen von Gegenständen sowie für die sonstigen Leistungen, die der Unternehmer zur Ausführung steuerfreier Umsätze verwendet.
b) Nach der bisherigen Rechtsprechung des Senats war die Verwendung eines dem Unternehmen zugeordneten Grundstücks für unternehmensfremde Zwecke dann steuerfrei und schloss deshalb gemäß § 15 Abs. 2 Nr. 1 UStG den Vorsteuerabzug aus, wenn im Falle entgeltlicher Überlassung an einen Dritten eine Grundstücksvermietung i.S. des § 4 Nr. 12 Satz 1 Buchst. a UStG gegeben wäre (vgl. BFH-Urteile vom 16. Oktober 1980 V R 51/76, BFHE 132, 119, BStBl II 1981, 228; vom 18. Dezember 1986 V R 176/75, BFHE 149, 78, BStBl II 1987, 350; vom 10. Februar 1994 V R 33/92, BFHE 174, 258, BStBl II 1994, 668).
An dieser Rechtsprechung, der die Finanzverwaltung gefolgt war, hält der Senat nach dem im Streitfall ergangenen EuGH-Urteil vom 8. Mai 2003 Rs. C-269/00 ―Seeling― nicht mehr fest. Nach diesem Urteil dürfen nationale Rechtsvorschriften die Verwendung eines Teils eines insgesamt dem Unternehmen zugeordneten Betriebsgebäudes für den privaten Bedarf eines Steuerpflichtigen nicht als eine ―als Vermietung oder Verpachtung eines Grundstücks i.S. des Art. 13 Teil B Buchst. b der Richtlinie 77/388/EWG― steuerfreie Dienstleistung behandeln.
Der EuGH hat zwar ―insoweit abweichend von der Vorlagefrage des Senats― auf nicht näher bezeichnete "nationale Rechtsvorschriften" abgestellt. Seine Aussage gilt aber ebenso für die Auslegung nationaler Rechtsvorschriften, die ―wie hier § 1 Abs. 1 Nr. 2 Satz 2 Buchst b, § 4 Nr. 12 Satz 1 Buchst a UStG 1993― Gemeinschaftsrecht umsetzen. Diese Auslegung ist richtlinienkonform vorzunehmen; sie hat sich, soweit wie möglich, am Wortlaut und Zweck der Richtlinie auszurichten und die dazu ergangenen Erkenntnisse des EuGH zu berücksichtigen (vgl. EuGH-Urteile vom 8. Oktober 1987 Rs. 80/86 ―Kolpinghuis BV Nijmegen―, Slg. 1987, 3969, Höchstrichterliche Finanzrechtsprechung 1988, 594; vom 7. Dezember 1995 Rs. C-472/93 ―Luigi Spano―, Slg. 1995, I-4321, Europäische Zeitschrift für Wirtschaft 1996, 185; BFH-Urteil vom 2. April 1998 V R 34/97, BFHE 185, 536, BStBl II 1998, 695, unter II. 3. b bb).
Fundstellen
Haufe-Index 985737 |
BFH/NV 2003, 1513 |
BStBl II 2004, 371 |
BFHE 2004, 206 |
BFHE 203, 206 |
BB 2003, 2276 |
DB 2003, 2633 |
DStR 2003, 1791 |
DStRE 2003, 1312 |
HFR 2003, 1197 |
UR 2003, 539 |