Leitsatz

Der abkommensrechtliche Grundsatz des "dealing at arm’s length" (nach Art. 9 Abs. 1 OECD-MA, hier: nach Art. 6 Abs. 1 DBA-Niederlande 1959) entfaltet bei verbundenen Unternehmen eine Sperrwirkung gegenüber den sog. Sonderbedingungen, denen beherrschende Unternehmen im Rahmen der Einkommenskorrektur nach § 8 Abs. 3 Satz 2 KStG bei Annahme einer verdeckten Gewinnausschüttung unterworfen sind.

 

Normenkette

§ 8 Abs. 3 Satz 2 KStG, Art. 6 Abs. 1 DBA-Niederlande 1959, Art. 9 Abs. 1 OECD-MA

 

Sachverhalt

Die Anteile an der Klägerin, einer GmbH, wurden zu 100 % von einer niederländischen Kapitalgesellschaft gehalten, der D-BV.

Mit Rechnung vom 31.12.2004 machte die D-BV gegenüber der Klägerin Aufwendungen i.H.v. 70.826 EUR geltend. Dieser Rechnung lag ein Vertrag über die konzerninterne Erbringung von Dienstleistungen gegen Kostenumlage zugrunde, den die Beteiligten – so die Klägerin – bereits Ende des Jahres 2003 mündlich geschlossen hatten und der am 29.12.2004 rückwirkend zum 1.1.2004 schriftlich fixiert worden war. Die D-BV hatte sich darin gegenüber der Klägerin zu verschiedenen Dienstleistungen verpflichtet, die jährlich im Nachhinein stunden- und abteilungsweise auf der Grundlage gleichfalls jährlich festgelegter Service-Raten abgerechnet werden sollten.

Das FA vertrat – unter Hinweis auf Tz. 6.1.1 der sog. Verwaltungsgrundsätze-Verfahren im BMF-Schreiben vom 12.4.2005 (BStBl I 2005, 570) – die Auffassung, die Kostenumlage sei mangels wirksamer vorheriger Vereinbarung gem. § 8 Abs. 3 Satz 2 KStG als vGA zu behandeln.

Die Klage gegen die hiernach ergangenen Steuerbescheide war erfolgreich (FG Hamburg, Urteil vom 31.10.2011, 6 K 179/10, Haufe-Index 2882699).

 

Entscheidung

Der BFH sah das genauso wie das FG. Ausschlaggebend sei, dass die vereinbarten und gezahlten Preise fremdüblich und angemessen gewesen seien. Dass es an einer vorherigen Zivilrechtsvereinbarung über die Umlage womöglich gefehlt habe, tue wegen der Sperrwirkung von Art 6 Abs. 1 DBA-Niederlande 1959 gegenüber den allgemeinen vGA-Grundsätzen nichts zur Sache. Weiteres ergibt sich aus den Praxis-Hinweisen.

 

Hinweis

1. Bei der Prüfung der Frage, ob eine vGA gem. § 8 Abs. 3 Satz 2 KStG vorliegt, sind stets und immer auch die Sondererfordernisse zu berücksichtigen, denen der Mehrheitsgesellschafter einer Kapitalgesellschaft unterworfen ist.

Das bedeutet: Vereinbarungen zwischen diesen beiden müssen regelmäßig klar und eindeutig gefasst sein, sie müssen zivilrechtlich wirksam sein, tatsächlich durchgeführt werden und – vor allem – zu einem Zeitpunkt vor dem betreffenden Geschäftsvorfall und der Leistungserbringung getroffen worden sein. Fehlt es an dem einen oder dem anderen oder an allem, spricht die Regelvermutung dafür, dass die Vereinbarung nicht schuldrechtlich, sondern gesellschaftsrechtlich mitveranlasst ist. Es droht dann die Annahme der vGA.

2. Das ist sozusagen "alter Tobak".

Spannender wird es, wenn die Vereinbarung grenzüberschreitend ist und Gesellschaft und Gesellschafter im In- und Ausland ansässig sind. Namentlich bei Vereinbarungen von Verrechnungspreisen zwischen verbundenen Unternehmen stehen dann die Kautelen des Art. 9 Abs. 1 OECD-MA im Raum (natürlich in Gestalt des diesem nachgebildeten jeweils konkret einschlägigen DBA), also der Grundsätze des sog. "dealing at arm’s length".

Es wird diskutiert, ob diese Grundsätze die besagten Sondererfordernisse verdrängen bzw. diese aus abkommensrechtlich speziellerer Sicht "absperren":

Zwar ermächtigt Art. 9 Abs. 1 OECD-MA die Vertragsstaaten zur Gewinnkorrektur, wenn miteinander verbundene Unternehmen "in ihren kaufmännischen oder finanziellen Beziehungen an vereinbarte oder auferlegte Bedingungen gebunden sind, die von denen abweichen, die unabhängige Unternehmen miteinander vereinbaren würden". Jedoch betrifft das eigentlich nur die Angemessenheit, also die Höhe des Vereinbarten. Es ist keineswegs ausgemacht, dass die Grundlegung der Vereinbarung in Gestalt der (innerdeutschen) Sondererfordernisse bei Prüfung der vGA hiervon erfasst wird.

3. Von der Finanzverwaltung wird eine derartige Sperrwirkung des Art. 9 Abs. 1 OECD-MA auf die nationalen vGA-Grundsätze bislang verneint. Das überwiegende Schrifttum ist aber anderer Meinung. Letzterem hat sich der BFH nun – bezogen auf den insoweit mit Art. 9 Abs. 1 OECD-MA weitgehend gleichlautenden Art. 6 Abs. 1 DBA-Niederlande 1959 – angeschlossen (das hatte sich bereits im BFH-Urteil vom 9.11.2005, I R 27/03, BFH/NV 2006, 995, BFH/PR 2005, 235 angedeutet und kann nicht überraschen).

Eine Gewinnkorrektur, die sich nicht nur auf die Angemessenheit (Höhe) des Vereinbarten erstreckt, sondern – in einem zweistufigen Vorgehen – gleichermaßen auf dessen "Grund" (Üblichkeit, Ernsthaftigkeit), ist den Vergleichsmaßstäben des "dealing at arm’s length" fremd. Diese Vergleichsmaßstäbe sind vielmehr einem abkommenseigenen und damit einheitlichen Begriffsverständnis unterworfen, der innerstaatlichen Modifikationen des Fremdvergleichsbegriffs ex ante entgegensteht. Ein d...

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