Leitsatz

Der sog. Sanierungserlass (BMF, Schreiben vom 27.3.2003, BStBl I 2003, 240) ist weder eine allgemeine Verwaltungsvorschrift der Bundesregierung noch eine allgemeine Verwaltungsvorschrift einer obersten Landesfinanzbehörde i.S.d. § 184 Abs. 2 AO. Aus dem Sanierungserlass kann sich damit bei der Festsetzung des GewSt-Messbetrags grundsätzlich keine Zuständigkeit des FA zur abweichenden Festsetzung aus sachlichen Billigkeitsgründen nach § 163 Satz 1 AO ergeben; zuständig dafür sind die Gemeinden.

 

Normenkette

§ 163 Satz 1, § 184 Abs. 2 Satz 1 AO, § 3 Nr. 66 EStG 1990

 

Sachverhalt

Die Klägerin beantragte für das Streitjahr 2003 auf der Basis des sog. Sanierungserlasses eine abweichende Festsetzung von Steuern nach § 163 Satz 1 AO aus sachlichen Billigkeitsgründen. Der GewSt-Messbetrag sei auf null EUR herabzusetzen.

Das FA war zwar der Auffassung, dass ein Sanierungsgewinn i.S.d. Sanierungserlasses vorliege, setzte den GewSt-Messbetrag aber dennoch nicht wie beantragt herab. Das sei allein Sache der dafür zuständigen Gemeinde.

Die dagegen gerichtete Klage war erfolgreich (FG Düsseldorf, Urteil vom 16.3.2011, 7 K 3831/10, Haufe-Index 2717202, EFG 2011, 1685).

 

Entscheidung

Der BFH hob das FG-Urteil auf und wies die Klage ab: Das beklagte FA sei in der Tat nicht dafür zuständig, die GewSt billigkeitsweise herabzusetzen.

 

Hinweis

1. Der BFH musste sich mit der Frage auseinandersetzen, an welche Behörde ein Steuerpflichtiger sich wenden muss, wenn er in den Genuss der Wohltaten des – im BMF-Schreiben vom 27.3.2003 (BStBl I 2003, 240) niedergelegten – sog. Sanierungserlasses gelangen möchte. Für die Ertragsteuern ist das klar; zuständig dafür ist das FA. Für die GewSt ist das indes ungewiss, weil Erhebungs- und damit auch Billigkeitsfragen "an sich" Sache der zuständigen Gemeinden sind.

Nun gewährt § 184 Abs. 2 AO hier einige Erleichterungen und ermöglicht es, die Zuständigkeiten auch für die "Realsteuern" in der Hand des FA zu bündeln. Doch erfordert diese Zuständigkeitsverlagerung die entsprechende Anordnung entweder durch eine allgemeine Verwaltungsvorschrift der Bundesregierung oder aber einer obersten Landesfinanzbehörde.

Beides sah der BFH in dem sog. Sanierungserlass als nicht gegeben an. Es handelt sich hierbei um ein "schlichtes" BMF-Schreiben, das ungeeignet ist, die normativen Zuständigkeitsvorgaben zu durchbrechen.

Das "Einvernehmen mit den obersten Finanzbehörden der Länder", in welchem der BMF-Erlass ergangen ist (s. a. § 21a FVG), steht dem nicht entgegen. Es handelt sich dennoch um einen "ureigenen" BMF-Erlass. Und auch wenn das anders und der BMF-Erlass explizit und originär von der obersten Landesfinanzbehörde in einem (Folge-)Erlass umgesetzt worden wäre (s. dazu z.B. im Allgemeinerlass des FinMin NRW an die nachgeordneten Behörden vom 13.6.1997), verhielte es sich jedenfalls für die GewSt-Erhebung (und damit auch die GewSt-Billigkeit) nicht anders, weil es dafür jedenfalls in Nordrhein-Westfalen kompetentiell einer Verwaltungsvorschrift des Finanzministers (für die Steuern) und des Innenministers (für die Kommunalverwaltung) bedarf; das ergibt sich aus §§ 1 und 3 des nordrhein-westfälischen Gesetzes über die Zuständigkeit für die Festsetzung und Erhebung der Realsteuern vom 16.12.1981 (GV NRW 1981, 732). Überdies bliebe dann noch zu beantworten, ob ein "bloßer" Verfügungsakt der obersten Landesfinanzbehörde ausreicht, um eine (fehlende) allgemeine Verwaltungsvorschrift der Bundesregierung in qualitativer Hinsicht zu substituieren.

2. Der klagende Steuerpflichtige blieb deswegen mit seinem Ansinnen erfolglos, obschon die "tatbestandlichen" Erlassvoraussetzungen (wohl) gegeben waren. Der BFH brauchte sich in Anbetracht dessen nicht mit weiteren grundlegenden Fragen zu beschäftigen, nämlich jener nach der Rechtsgrundlage für den Erlass und dessen Verhältnis zu dem allgemeinen Gesetzesvorbehalt und auch jener danach, ob der Sanierungserlass eine "verdeckte" Beihilfe darstellt, welche – ähnlich wie nach Auffassung der EU-Kommission die Sanierungsklausel in § 8c KStG – gegen unionsrechtliches Beihilferecht verstößt. Der Aspekt des Gesetzesvorbehalts soll nach Auffassung des X. Senats trotz der "maßstabbildenden" Abschaffung von § 3 Nr. 66 EStG und damit der Steuerfreiheit von Sanierungsgewinnen prinzipiell zwar nicht tangiert sein (BFH, Urteil vom 14.7.2010, X R 34/08, Haufe-Index 2375968, BFH/PR 2010, 500). Es ist aber durchaus möglich, dass der Billigkeitserweis denn doch an dem einen oder dem anderen – unbeschadet der besagten "Tatbestandsmäßigkeit" – scheitern könnte.

3. Die nunmehr beantwortete Zuständigkeitsfrage ist über die "enge" Frage des Sanierungserlasses hinaus auch andernorts von erheblicher praktischer Bedeutung. So betrifft sie etwa gleichermaßen einschlägige Ersuchen um verbindliche Auskünfte. Und sie betrifft auch Umwandlungsvorgänge, z. B. die Übertragung sog. sperrfristbehafteter Anteile, die nach § 22 Abs. 1 und 2 UmwStG an sich die rückwirkende Besteuerung eines Einbringungsgewinns auslös...

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