Leitsatz

Ist bei einem in die häusliche Sphäre eingebundenen Raum, der als Behandlungsraum eingerichtet ist und der nachhaltig zur Behandlung von Patienten genutzt wird, aufgrund seiner Einrichtung und tatsächlichen Nutzung eine private (Mit‐)Nutzung praktisch auszuschließen, begründet allein der Umstand, dass die Patienten den Behandlungsraum nur über einen dem privaten Bereich zuzuordnenden Flur erreichen können, keine Abzugsbeschränkung gemäß § 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 6b EStG für die hierfür geltend gemachten Betriebsausgaben.

 

Normenkette

§ 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 6b EStG

 

Sachverhalt

Die Klägerin ist eine Augenärztin. Sie übte ihre Tätigkeit in den Praxisräumen einer Gemeinschaftspraxis aus. Zudem behandelte sie in den Streitjahren 147 Notfälle in einem Kellerraum ihres privaten Wohnhauses. Dieser war mit einer Klappliege, einer Spaltlampe, einer Sehtafel, einem Medizinschrank, Instrumenten und Hilfsmitteln (z.B. zum Entfernen von Fremdkörpern) sowie einem kleinen Tisch zum Ausstellen von Rezepten und mehreren Stühlen ausgestattet. Er wurde ausschließlich für ärztliche Behandlungen genutzt. Der Raum war nicht über einen gesonderten Kellereingang erreichbar, sondern nur über den Eingang zu den Wohnräumen der Klägerin. Das FA lehnte die steuerliche Berücksichtigung der Aufwendungen für den Notbehandlungsraum ab. Einspruch und Klage (FG Münster, Urteil vom 14.7.2017, 6 K 2606/15 F, Haufe-Index 11364993, EFG 2017, 1730) blieben ohne Erfolg.

 

Entscheidung

Die Revision der Klägerin war begründet. Der BFH hat das FG-Urteil aufgehoben und der Klage stattgegeben.

 

Hinweis

1. Häusliches Arbeitszimmer oder Betriebsstätte? Das war im vorliegenden Fall in Bezug auf die von der Klägerin im Eigenheim betriebene Notfallpraxis die Frage. Handelte es sich um ein häusliches Arbeitszimmer i.S.d. § 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 6b EStG, so wären die Aufwendungen der Klägerin für die Raumkosten steuerlich nicht zu berücksichtigen gewesen, da ihr in der Gemeinschaftspraxis ein anderer Arbeitsplatz zur Verfügung stand. Ein Abzug der Raumkosten kam danach nur in Betracht, wenn es sich bei der Notfallpraxis um eine Betriebsstätte handelte, die nicht als häusliches Arbeitszimmer zu qualifizieren ist.

2. Dies hat der BFH bejaht. Aufwendungen für Räume innerhalb des privaten Wohnbereichs des Steuerpflichtigen, die nicht dem Typus des häuslichen Arbeitszimmers entsprechen, sind unbeschränkt als Betriebsausgaben gemäß § 4 Abs. 4 EStG abziehbar, wenn sie betrieblich genutzt werden und sich der betriebliche Charakter des Raums und dessen Nutzung anhand objektiver Kriterien feststellen lassen. Der für die Abzugsbeschränkung in § 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 6b EStG maßgebliche Grund der nicht auszuschließenden privaten Mitbenutzung gilt für diese Räume nicht, wenn bereits aus der Ausstattung oder wegen ihrer Zugänglichkeit durch dritte Personen eine private Mitbenutzung ausgeschlossen werden kann.

3. Problematisch war im vorliegenden Fall, dass die Notfallpraxis der Klägerin über keinen eigenen Eingang verfügte. Die Patienten konnten nur über den Eingang zur Privatwohnung der Klägerin den Behandlungsraum betreten. Der BFH hat dem Kriterium der "leichten Zugänglichkeit" des Behandlungsraums jedoch aufgrund der Besonderheiten des vorliegenden Falles kein entscheidendes Gewicht beigemessen. Nach seiner Auffassung war aufgrund der Ausstattung des Raums und dessen vom FG festgestellter Nutzung zur Behandlung einer Vielzahl von Patienten eine die Abzugsbeschränkung rechtfertigende private (Mit‐)Nutzung praktisch ausgeschlossen. Es handelte sich danach um eine Betriebsstätte, die nicht unter das Abzugsverbot des § 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 6b EStG für ein häusliches Arbeitszimmer fällt.

4. Der BFH hat mit der vorliegenden Entscheidung betont, dass es für die Qualifizierung eines Raumes als Betriebsstätte nicht allein darauf ankommt, dass ein eigener Zugang zu diesem Raum besteht. Kann aufgrund der Ausstattung und Nutzung des Raumes nahezu ausgeschlossen werden, dass dieser auch privat genutzt wird, liegt kein häusliches Arbeitszimmer i.S.d. § 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 6b EStG vor, auch wenn die Betriebsstätte im Wohnhaus der Steuerpflichtigen liegt und über keinen separaten Eingang verfügt.

FG muss Tatsachen feststellen

Es sollte bereits im Verfahren erster Instanz darauf hingewirkt werden, dass das FG in seinem Urteil konkrete Feststellungen zur Ausstattung des Raumes und zu dessen intensiver Nutzung als Betriebsstätte trifft. Dies sollte durch die Vorlage von Dokumenten und die Stellung von Beweisanträgen sichergestellt werden, da der BFH an die tatsächlichen Feststellungen des FG grundsätzlich gebunden ist.

 

Link zur Entscheidung

BFH, Urteil vom 29.1.2020 – VIII R 11/17

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