In der ersten Phase der Krise fokussieren wir uns darauf das Überleben des Unternehmens zu gewährleisten. Die Krise ist noch relativ neu und viele Unternehmen erleben sogar ein "business as usual", d. h. es werden noch mit den Vorjahren oder der Planung einigermaßen in Einklang zu bringende Umsätze generiert. An den Auftragseingangsrückgängen wird die Krise allerdings deutlich. Es sollten erste Krisenprojektteams etabliert sein oder diese nun ins Auge gefasst werden. Dafür ist es zunächst unabdingbar, dass alle relevanten Stakeholder die aktuelle Krisenlage verstanden und vor ihrem Unternehmenshintergrund reflektiert haben, d. h. eine gewisse Einigkeit über den Krisenstatus und die Dringlichkeit zum Handeln besteht.

Nicht alle Branchen müssen sofort zurückstecken oder fühlen sich in einer Krisensituation: Nach wie vor gibt es auch Branchen, die boomen (im Falle der COVID-19-Krise z. B. die Bauindustrie in Deutschland oder die Pharmabranche); aber auch bereits solche, die mit dem völligen Stillstand aller wirtschaftlichen Aktivitäten konfrontiert sind (wie in der Corona-Krise die Gastronomie, die Tourismusindustrie oder der Aviation-Bereich). Es gibt auch Industrien und Branchen, die durch die Krisen einen regelrechten Aufschwung erfahren, wie in der Corona-Krise z. B. die Medizintechnikindustrie (s. bspw. Intubationsgeräte) oder die Logistikbranche. Amazon hat im 2. Quartal 2020 den größten Ertrag in seiner 26-jährigen Unternehmenshistorie verzeichnen können. Der gesamte Online-Handel erlebt einen drastischen Zuwachs. Die digitale Unterhaltungsbranche wie Netflix oder Spotify verzeichnen ebenfalls Höhepunkte an Abonnentenzahlen und Wertsteigerungen um bis zu 30 %. Ganz anders sieht es in der Sportindustrie und bei Luxusgütern aus: z. B. musste die Modemarke Michael Kors Wertverluste von mehr als 60 % hinnehmen.

Für die aktuelle Krise hat die deutsche Regierung ein Soforthilfepaket für Selbstständige entwickelt; man kann sich jedoch gut vorstellen, dass diese finanzielle Unterstützung nur kurzfristig helfen wird. In welchem Ausmaß die Krise die Gesamtwirtschaft treffen wird, kann man aktuell nur schwer abschätzen. Analysten der World Bank sagen jedoch die gravierendste Rezession seit dem 2. Weltkrieg voraus (s. Abb. 5). Die Grafik soll verdeutlichen, wie verheerend das weltweite Ausmaß dieser Rezession wohl möglich sein kann. Aber es gibt auch Grund zum Aufatmen, wenn auch nur teilweise: Nach aktuellen Entwicklungen wird für 2021 ein deutlicher Aufschwung erwartet, der mit dem von 2018 vergleichbar sein soll.

Abb. 5: Entwicklung und Prognose des Handelswachstums[1]

In der aktuellen Corona-Krise gewinnen die gesundheitlichen Aspekte und die richtige Form der Kommunikation mit Mitarbeitern und anderen Stakeholdern sowie die Motivation der Mitarbeiter eine ganz besondere Rolle. Auch sind in dieser Phase die Möglichkeiten der Nutzung der staatlichen Hilfsprogramme von den Unternehmensverantwortlichen intensiv zu prüfen und Voraussetzungen zu deren möglicher Nutzung zu schaffen (z. B. Abbau der Überstunden als vorbereitende Maßnahme für die Beantragung von Kurzarbeit). Die betriebswirtschaftliche Kernsteuerungsgröße ist zu diesem Zeitpunkt der Krise die Liquidität, deren Vorhandensein das Überleben des Unternehmens sichert. Man könnte diese Kernprämisse "cash safeguarding" nennen. Die Unternehmensberatung Horváth & Partners definiert in ihrer Studie zur aktuellen Krise diesbezüglich vier Hauptsäulen für adäquates Liquiditätsmanagement:

  1. Kontinuierliche Überwachung der Liquidität, Kreditlinien und Vertragsbedingungen
  2. Bewertung, ob CapEx Investments und andere externe Zahlungen eingefroren werden sollen
  3. Krisenkommunikation mit externen Interessengruppen und Bewertung des Bedarfs an staatlicher Unterstützung
  4. Bewertung des Betriebskapitals und Überwachung der Ausfallrisiken bei Forderungen.[2]

Für die gegenwärtige COVID-19-Krise spielen zudem die Faktoren Gesundheit und Hygiene eine erhebliche Rolle. Diese müssen unternehmensweit sichergestellt werden (z. B. Homeoffice-Lösungen, Maskenpflicht, Abstandsregeln usw.).

Abb. 6: Überlebensratgeber für Krisen[3]

Viele Unternehmen trifft eine Krise wie ein regelrechter Schock – auch wenn zu Beginn der Krise noch vieles "normal" erscheint. Statt kräftigen Investitionen sind Kurzarbeit, Freistellungen und Geschäftsschließungen an der Tagesordnung. Wir haben versucht, die wichtigsten Maßnahmen und Themen in einer kurzen Checkliste als "Überlebensratgeber" zusammenzufassen (s. Abb. 6). Die Bildung von Krisenteams sowie die anschließende Analyse möglicher Szenarien und Krisenauswirkungen werden ausführlich in Kap. 3.1 thematisiert. Deshalb wollen wir hier nur kurz erläutern, dass betroffene Unternehmen gesamtheitlich auf den Prüfstand gestellt werden sollten. Das bedeutet, dass Krisenursachen, die Auswirkungen und mögliche Gegenmaßnahmen immer wieder neu kontrolliert werden müssen.

[1] In Anlehnung an Kose/Sugawara, 2020.
[2] Horváth & Partners, 2020.
[3] Eigene Darstellung.

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