Leitsatz (amtlich)

1. Die quartiers compensés der Tarifstelle 02.01-A-II-a-2-aa des Gemeinsamen Zolltarifs unterliegen als einheitliche Waren nicht den Vorschriften, durch die die in Art. 14 Abs. 1 der VO (EWG 805/68 des Rates der EWG über die Gemeinsame Marktordnung für Rindfleisch vom 27. Juni 1968 erwähnte Sonderregelung getroffen worden ist.

2. Ein Sondervermerk auf der Einfuhrgenehmigung für quartiers compensés, der nicht diese Ware, sondern nur die in ihr als Bestandteil enthaltenen Vorderviertel zum Gegenstand hat, ist für die zollamtliche Abfertigung bedeutungslos.

 

Normenkette

EWGV 805/68; EWGV 888/68; EWGV 1083/68; AbG § 2 Abs. 1; ZG § 36

 

Tatbestand

Die Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin) ließ am 19. September 1968 Rindergefrierfleisch aus Argentinien zum freien Verkehr abfertigen. Es handelt sich um „quartiers compensés” im Sinne der Stelle 02.01-A-II-a-2-aa des Gemeinsamen Zolltarifs (GZT). Die Klägerin legte dem Zollamt (ZA) eine Einfuhrgenehmigung der Einfuhr- und Vorratsstelle für Schlachtvieh, Fleisch und Fleischerzeugnisse (EVSt-Fleisch) vor, die folgenden Sondervermerk enthielt:

„… davon 114 000 kg Vorderviertel, zur Bearbeitung bestimmtes Fleisch, Regelung bb) Aussetzung der Abschöpfung in Höhe von 25 v. H.”

Das ZA wies das Fleisch den Tarifstellen 02.01 – A – II – a – 2 – aa und 02.01 – A – II – a – 2 – bb zu und forderte durch vorläufigen Bescheid Zoll, Abschöpfung und Einfuhrumsatzsteuer. Bei der Berechnung der Abschöpfung behandelte es die Hinterviertel wie quartiers compensés und legte den dafür vorgesehenen Abschöpfungssatz von 144,96 DM je 100 kg zugrunde. Für die Vorderviertel setzte es 25 v. H. dieses Satzes aus und errechnete einen entsprechend niedrigeren Satz von 108.72 DM je 100 kg.

Durch Bescheid vom 12. Mai 1969 forderte das ZA Abschöpfung mit der Begründung nach, die Ware sei als quartiers compensés ausschließlich der Tarifstelle 02.01 – A – II – a – 1 – aa zuzuweisen. Die hiergegen erhobene Klage wies das Finanzgericht (FG) durch Urteil vom 8. Dezember 1971 mit folgender Begründung ab:

Nach der Zusätzlichen Vorschrift IJ Abs. b zu Kap. 2 des GZT seien die quartiers compensés als die Gesamtheit der gleichzeitig und in gleicher Zahl zur Abfertigung gestellten Vorder- und Hinterviertel anzusehen. Das ZA habe sie in dem angefochtenen Bescheid zu Recht der Tarifstelle 02.01 – A – II – a – 2 – aa zugewiesen. Diese Tarifentscheidung sei auch für die Erhebung und Bemessung der Abschöpfung maßgebend gewesen. Die Erhebung der Abschöpfung beruhe auf § 1 des Abschöpfungserhebungsgesetzes (AbG) vom 25. Juli 1962 (BGBl I 1962, 453, BZBl 1962, 650) in Verbindung mit Art. 13 Abs. 1 der Verordnung (EWG) Nr. 805/68 – VO (EWG) 805/68 – des Rates der EWG über die Gemeinsame Marktordnung für Rindfleisch vom 27. Juni 1968 (Amtsblatt der Europäischen Gemeinschaften – ABlEG – Nr. L 148 vom 28. Juni 1968, BZBl 1968, 793). Da hierbei gemäß § 2 Abs. 1 AbG grundsätzlich die Regelungen des ZG anzuwenden seien, habe die Entscheidung über die Tarifierung der Ware nur dem ZA zugestanden. Dieses sei also nicht an die in der Einfuhrgenehmigung enthaltene Tarifauffassung der EVSt-Fleisch gebunden gewesen. Die in Art. 14 Abs. 3 b der VO (EWG) 805/68 vorgesehene und durch die VO (EWG) 1083/68 der Kommission zur Festsetzung der Durchführungsbestimmungen zu den Einfuhrlizenzen für Rindfleisch vom 26. Juli 1968 (ABlEG Nr. L 181 vom 27. Juli 1968, BZBl 1968, 1003) behandelte Aussetzung der Abschöpfung gelte nicht für quartiers compensés, sondern nur für das zur Verarbeitung bestimmte Fleisch der Tarifstellen 02.01 – A – II – a – 2 – bb und 02.01 – A – II – a – 2 – dd des GZT, also nur für Vorderviertel und Teilstücke ohne Knochen von genießbarem Fleisch von Hausrindern, gefroren.

Mit der Revision macht die Klägerin geltend: Das FG-Urteil beruhe auf einer Verkennung und Verletzung der Verordnungen (EWG) 80.5/68 und 1083/68 sowie der Vorschriften des Abschöpfungserhebungsgesetzes und des Zollgesetzes.

Das ZA sei verpflichtet gewesen, den in der Einfuhrgenehmigung der EVSt-Fleisch enthaltenen Sondervermerk über eine teilweise Aussetzung der Abschöpfung bei deren Berechnung zu berücksichtigen. Durch den in diesem Verwaltungsakt enthaltenen Ausdruck „Regelung bb” habe die EVSt-Fleisch nicht etwa auf eine Zoll- oder Abschöpfungstarifstelle Bezug genommen oder bestimmt, daß die Vorderviertel der Tarifstelle 02.01 – A – II – a – 2 – bb zuzuweisen seien. Der Ausdruck beziehe sich vielmehr auf die in Art. 14 Abs. 3 h der VO (EWG) 805/68 enthaltene Ermächtigung des Rates der EWG, in gewissen Fällen die Abschöpfung ganz oder teilweise auszusetzen. Damit habe die EVSt-Fleisch die in Art. 9 Abs. 6 der VO (EWG) 1083/68 enthaltene Bestimmung angewendet, daß die Lizenzen, die zu der besonderen Einfuhrregelung im Sinne des Art. 14 Abs. 3 h der VO (EWG) 805/68 berechtigten, mit einem Sondervermerk versehen werden müßten. Die EVSt-Fleisch habe den in den quartiers compensés enthaltenen Vordervierteln eine Sonderregelung zuerkannt, die nicht ins Leere gehen könne. Die Ausführungen, mit denen das FG die Pflicht des ZA zur Beachtung des Sondervermerks verneint habe, zeigten, daß sich das FG über den Vorrang des EWG-Rechts, über den Begriff der Tarifierung und über die Grundsätze nicht genügend klar geworden sei, die innerhalb einer staatlichen Ordnung zwischen Dienststellen mit unterschiedlicher Aufgabe eingehalten werden müßten. Den Zollstellen sei es verwehrt, sich an Hand der zollrechtlichen Bestimmungen über einen auf Grund einschlägiger Bestimmungen der EWG in die Einfuhrgenehmigung aufgenommenen Sondervermerk über die Bemessung oder Aussetzung der Abschöpfung hinwegzusetzen.

Die EVSt-Fleisch habe schon lange Zeit vor dem gegenwärtigen Fall die quartiers compensés in der erwähnten Weise behandelt und die Zollverwaltung habe dies nicht beanstandet. Dem Beklagten und Revisionsbeklagten (Hauptzollamt -HZA-) sei bekanntgewesen, daß sich in H. und in G. gleichartige Fälle ereignet hätten, in denen die EVSt-Fleisch den Sondervermerk ebenfalls aus marktwirtschaftlichen Gründen für gerechtfertigt gehalten und eine Änderung oder Berichtigung des Vermerks abgelehnt habe. Wenn der Bundesfinanzhof (BFH) zu dem Ergebnis kommen sollte, daß ein auf der VO (EWG) 805/68 beruhender Sondervermerk entgegen dem Wortlaut der Verordnung keinen Rechtsanspruch auf die Sonderbehandlung gewähre, müsse eine Vorabentscheidung des Gerichtshofs der Europäischen Gemeinschaften (EGH) eingeholt werden.

Die Klägerin hat beantragt, das FG-Urteil dahin zu ändern, daß der Bescheid des ZA vom 12. Mai 1969 und die Einspruchsentscheidung des Beklagten und Revisionsbeklagten (HZA) vom 30. September 1969 aufgehoben und die Kosten des Verfahrens unter Einschluß der der Klägerin im Einspruchsverfahren durch die Beauftragung eines Rechtsanwalts erwachsenen Kosten dem HZA auferlegt werden. Das HZA hat beantragt, die Revision als unbegründet zurückzuweisen.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision ist nicht begründet.

Das FG ist zutreffend davon ausgegangen, daß die von der Klägerin als quartiers compensés eingeführten Vorder- und Hinterviertel in ihrer Gesamtheit eine einzige Ware darstellten und durch die Stelle 02.01 – A – II – a – 2 – aa des GZT erfaßt wurden. Diese Ware unterlag gemäß § 1 AbG in Verbindung mit Art. 13 Abs. 1 der VO (EWG) 805/68 einer Abschöpfung, deren Höhe durch Art. 13 Abs. 2 der erwähnten Verordnung umschrieben und gemäß Art. 13 Abs. 6 der erwähnten Verordnung von der Kommission festgesetzt worden war. Für Gefrierfleisch der Tarifstellen 02.01 – A – II – a – 2 – bb und 02.01 – A – II – a – 2 – dd 22, das zur Verarbeitung bestimmt ist, wird gemäß Art. 14 Abs. 1 der VO (EWG) 805/68 eine Sonderregelung gewährt, die in der vollständigen oder teilweisen Aussetzung der Abschöpfung besteht. Diese Vorschrift erfaßt mit den erwähnten Tarifstellen nur solche Waren, die sich als Vorderviertel bzw. als Teilstücke ohne Knochen darstellen, nicht etwa die quartiers compensés im Sinne der Tarifstelle 02.01 – A – II – a – 2 – aa und insbesondere nicht Vorderviertel, die zusammen mit den in gleicher Anzahl und zu gleicher Zeit gestellten Hintervierteln einen Bestandteil von quartiers compensés bilden. Es ist daher nicht möglich, auf quartiers compensés oder auf die in ihnen enthaltenen Vorderviertel die Vorschriften anzuwenden, durch die die in Art. 14 Abs. 1 der VO (EWG) 805/68 erwähnte Sonderregelung getroffen worden ist. Dazu gehören Art. 14 Abs. 3 der VO (EWG) 805/68, die VO (EWG) 888/68 des Rates zur Festlegung der Grundregeln für die besondere Einfuhrregelung bei zur Verarbeitung bestimmten Gefrierfleisch vom 28. Juni 1968 (ABlEG Nr. L 156 vom 4. Juli 1968, BZBl 1968, 1000) und die VO (EWG) 1083/68.

Die EVSt-Fleisch durfte also die auch in der VO (EWG) 805/68 als eine einheitliche Ware besonderer Art behandelten quartiers compensés nicht rechtlich in Vorderviertel und Hinterviertel aufteilen und die Einfuhrgenehmigung in bezug auf die Vorderviertel mit dem in Art. 9 Abs. 6 der VO (EWG) 1083/68 erwähnten Sondervermerk versehen. Da quartiers compensés weder als solche noch mit den in ihnen enthaltenen Vordervierteln unter die in Art. 14 Abs. 1 der VO (EWG) 805/68 erwähnte Sonderregelung fallen, kann es auf das Rangverhältnis zwischen EWG-Vorschriften und nationalen Vorschriften nicht ankommen.

An den von der EVSt-Fleisch rechtsirrig in die Einfuhrgenehmigung aufgenommenen Sondervermerk war das ZA entgegen der Meinung der Klägerin nicht gebunden. Das ZA mußte davon ausgehen, daß die Klägerin zum Gegenstand ihres Zollantrags und ihrer Zollanmeldung die quartiers compensés in deren Eigenschaft als einheitliche Ware gemacht hatte. Die vom ZA gemäß § 2 Abs. 1 AbG in Verbindung mit § 36 ZG in eigener Zuständigkeit vorzunehmende Prüfung, ob und in welcher Höhe Abschöpfung zu erheben ist, mußte sich daher auf die quartiers compensés beziehen, nicht auf die in ihnen enthaltenen Vorder- und Hinterviertel. Dieser gesetzlichen Pflicht durfte sich das ZA nicht deshalb entziehen, weil die EVSt-Fleisch durch den Sondervermerk auf der Einfuhrgenehmigung die Auffassung bekundet hatte, die in den quartiers compensés enthaltenen Vorderviertel könnten als selbständige Ware behandelt werden. Ein Sondervermerk auf der Einfuhrgenehmigung für quartiers compensés, der nicht diese Ware, sondern nur die in ihr als Bestandteil enthaltenen Vorderviertel zum Gegenstand hat, ist also für die zollamtliche Abfertigung bedeutungslos.

Obgleich auch das ZA bei der Abfertigung der quartiers compensés die Rechtslage verkannt hat, ist die Abschöpfungsschuld gemäß § 2 Abs. 1 AbG in Verbindung mit § 36 Abs. 3 Satz 2 ZG mit der Bekanntgabe des ursprünglichen Bescheides in der gesetzlich vorgesehenen Höhe entstanden. Das ZA war nach § 2 Abs. 1 AbG in Verbindung mit § 94 Abs. 1 Nr. 1 und § 223 der Reichsabgabenordnung berechtigt, den ursprünglichen Bescheid durch den Bescheid vom 12. Mai 1969 zu ändern und den zunächst nicht erhobenen Teil der Abschöpfung nachzufordern. Die Ausführungen, mit denen die Klägerin geltend macht, die Zollverwaltung habe in gleichartigen früheren und späteren Fällen den Sondervermerk der EVSt-Fleisch in der Einfuhrgenehmigung nicht beanstandet und die Klägerin habe auf die Beachtung des Sondervermerks vertrauen dürfen, kann der Senat nicht unter dem Gesichtspunkt von Treu und Glauben berücksichtigen. Denn die Revision kann nach § 118 Abs. 1 FGO nur darauf gestützt werden, daß das angefochtene Urteil auf der Verletzung von Bundesrecht beruhe. Der Senat ist dementsprechend durch § 118 Abs. 2 FGO an die in dem angefochtenen Urteil getroffenen tatsächlichen Feststellungen gebunden, wenn nicht in bezug auf diese Feststellungen zulässige und begründete Revisionsgründe vorgebracht worden sind. Die erwähnten Ausführungen gehen über die tatsächlichen Feststellungen des FG-Urteils hinaus. Die Klägerin hat nicht gerügt, daß diese Feststellungen unzulänglich gewesen seien.

Es besteht schließlich kein Anlaß, eine Vorabentscheidung des BGH einzuholen, da die Entscheidung über die Revision nicht von der Auslegung einer Rechtsnorm der EWG abhängt, sondern nur von der Frage ob das ZA an einen den EWG-Vorschriften nicht entsprechenden Verwaltungsakt der EVSt-Fleisch gebunden war (vgl. Art. 177 des Vertrags zur Gründung der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft).

 

Fundstellen

Haufe-Index 514715

BFHE 1975, 328

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