Entscheidungsstichwort (Thema)

Steuerabzugsbetrag nach §9 Abs. 1 DBStÄndG DDR

 

Leitsatz (NV)

Der Steuerabzugsbetrag gemäß §9 Abs. 1 DB-StÄndG DDR im Zusammenhang mit der Neueröffnung eines Betriebes im Beitrittsgebiet ist in DM-Beträgen auf die zum Jahresende 1990 entstandene Steuerschuld (Steuerrate) anzurechnen.

 

Normenkette

DBStÄndG DDR § 9 Abs. 1

 

Tatbestand

Der Kläger und Revisionsbeklagte (Kläger) eröffnete im Frühjahr des Streitjahres (1990) in A (Beitrittsgebiet) einen Großhandel. In der Jahreserklärung für Steuern der Gewerbetreibenden und der anderen Bürger im Beitrittsgebiet für 1990 meldete der Kläger eine Steuerrate in Höhe von 20 803 DM an, für die er die Besteuerungsgrundlagen entsprechend dem Vordruck halbjahresbezogen ermittelt hatte. Den Steuerabzugsbetrag gemäß §9 Abs. 1 der Durchführungsbestimmung zum Gesetz zur Änderung der Rechtsvorschriften über die Einkommen-, Körperschaft- und Vermögensteuer vom 16. März 1990 (Gesetzblatt der DDR -- GBl DDR -- I 1990, 195) i. d. F. des Steueranpassungsgesetzes vom 22. Juni 1990 (GBl DDR Sonderdruck Nr. 1427) -- DBStÄndG DDR -- hatte er in voller Höhe bei dem auf die 2. Jahreshälfte entfallenden Steuerbetrag abgesetzt.

Der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt -- FA --) setzte mit Bescheid vom 6. Juli 1992 die Steuerrate auf 23 508 DM fest. Das FA übernahm die vom Kläger ermittelten Steuerbeträge, teilte den Steuerabzugsbetrag nach §9 DBStÄndG DDR jedoch entsprechend dem Verhältnis der Halbjahressteuerbeträge zueinander auf und berücksichtigte ihn in Höhe von 5 410 M/DDR und 4 590 DM bei den entsprechenden Steuerbeträgen. Den für das 1. Halbjahr danach verbleibenden Steuerbetrag in Höhe von 17 440 DM M/DDR rechnete das FA im Verhältnis 2:1 um.

Die nach erfolglosem Einspruchsverfahren erhobene Klage hatte Erfolg. Das Finanzgericht (FG) war der Auffassung, der Steuerabzugsbetrag sei auf die am Jahresende entstandene Steuerrate und damit in DM-Beträgen anzurechnen. Für eine halbjahresbezogene Aufteilung fehle eine gesetzliche Grundlage. Übereinstimmend mit den Beteiligten sei davon auszugehen, daß die Voraussetzungen für die Steuerbefreiung nach §9 DBStÄndG DDR im Streitfall gegeben seien. Die Besteuerung für das Streitjahr erfolge aufgrund der Fortgeltung des DDR-Steuerrechts und der Vorschriften über die Selbstberechnung in einem einheitlichen Verfahren, dessen Ergebnis die Steuerrate oder Jahressteuer sei, die in einem einzigen Bescheid festgesetzt werde. Veranlagungszeitraum für 1990 sei, ungeachtet der Währungsumstellung, das Kalenderjahr. Der Gesetzgeber habe in §53 des D-Markbilanzgesetzes (DMBilG) zwar zwei Wirtschaftsjahre festgelegt, nicht dagegen entsprechende steuerliche Regelungen getroffen. Daraus folge, daß das für 1990 geltende Steuerrecht (mit Ausnahme der Umsatzsteuer 1990) grundsätzlich jahresbezogen sei. Entsprechend §38 der Abgabenordnung der DDR vom 22. Juni 1990 (GBl DDR Sonderdruck Nr. 1428), wonach Steueransprüche mit der Verwirklichung des gesetzlichen Tatbestands entstünden, und dem Grundsatz der Periodizität der Besteuerung entstehe die Steuerrate erst mit Verwirklichung des gesamten Tatbestands mit Ablauf des Kalenderjahres; sie sei der einheitliche Steueranspruch dieses Besteuerungszeitraums. Das entspreche auch §97 a der bis zum 30. Juni 1990 gültigen Abgabenordnung der DDR (-- AO DDR -- i. d. F. vom 18. September 1970 -- GBl Sonderdruck Nr. 681). Da die Steuerrate 1990 das Ergebnis einer einheitlichen Veranlagung sei, sei sie dementsprechend mit Ablauf des Kalenderjahres auch in DM entstanden, einschließlich der Umsatzsteuer für das 1. Halbjahr. Das bedeute, daß der Steuerabzugsbetrag bei der Festsetzung der Steuerrate in DM zu berücksichtigen sei, denn er sei der gesetzlich fixierte Anspruch auf Minderung der Steuerschuld. Diese Steuerbefreiung existiere nicht losgelöst vom Steueranspruch, sondern realisiere sich erst und soweit überhaupt ein Steueranspruch entstehe. Zum 30. Juni 1990 habe noch kein Steueranspruch bestanden, so daß für ihn auch keine Steuerbefreiung in M/DDR gegeben sein könne. Das FA gehe zwar von einer als gerecht empfundenen Lösung aus; diese finde im Gesetz jedoch keine rechtliche Grundlage. Die Festsetzung der Steuerrate sei deshalb in Höhe von 2 705 DM aufzuheben gewesen.

Mit seiner Revision rügt das FA die Verletzung der Bestimmungen des §97 a AO DDR sowie des §9 DBStÄndG DDR und führt dazu insbesondere aus: Die Steuervergünstigung nach §9 Abs. 1 DBStÄndG DDR sei keiner Steuerart zuzuordnen. Sie stelle vielmehr eine pauschale Befreiung dar, die Unternehmen im Beitrittsgebiet in ihrer Startphase begünstigen solle. Ein Wahlrecht, welches dem Unternehmer den Zeitpunkt des Abzugs freistelle, bestehe nicht. Entsprechend dem Sinn und Zweck sei die Steuervergünstigung zum frühestmöglichen Zeitpunkt vom Steueranspruch abzuziehen. Die Realisierung der Steuervergünstigung sowie die Frage, ob sie auf einen Steueranspruch in M/DDR oder DM anzurechnen sei, hänge somit vom Steueranspruch ab und trage dessen Währungsschicksal.

Für die Ermittlung der Einkünfte, der Einkommensteuer, der Gewerbesteuer sowie der Umsatzsteuer für das 1. Halbjahr 1990 sei das Steuerrecht der ehemaligen DDR anzuwenden. Durch die Regelung des Gesetzes zum Vertrag über die Schaffung einer Währungs-, Wirtschafts- und Sozialunion zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Deutschen Demokratischen Republik vom 18. Mai 1990 (VWWSU) seien zum 1. Juli 1990 die Gewinnermittlungsvorschriften der Bundesrepublik Deutschland im späteren Beitrittsgebiet in Kraft getreten. Die Ermittlung des Gewinns der Gewerbetreibenden im Jahre 1990 erfolge demnach und nach §53 DMBilG getrennt nach unterschiedlichen Rechtsvorschriften und in unterschiedlichen Währungen. Für Zwecke der Einkommensteuer und Gewerbesteuer sei ein Jahresbetrag der zu versteuernden Einkünfte zu ermitteln, wozu die nominellen Einkünfte für die beiden Jahreshälften (in M/DDR und DM) zusammenzurechnen seien. Aus der nominellen Summe der Einkünfte sei die Jahreseinkommensteuer/Jahresgewerbesteuer zu ermitteln, die dann auf die beiden Halbjahre aufzuteilen sei, da zum 1. Juli 1990 die Salden der Steuerkonten währungsgemäß umgestellt worden seien. Aus der Weiterentwicklung dieser Aufteilungsberechnung folge, daß ein in M/DDR ermittelter Gewinn und die darauf entfallenden Steuern in M/DDR auch nur in M/DDR zu begünstigen seien. Der Steuerabzugsbetrag sei deshalb nur im Verhältnis der Steuer in M/DDR (1. Halbjahr) und in DM (2. Halbjahr) zu gewähren.

Das FA beantragt sinngemäß, die Vorentscheidung aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Der Kläger beantragt, die Revision zurückzuweisen.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision ist unbegründet. Das FG hat den begehrten Abzugsbetrag im Ergebnis zutreffend weder halbjahres- noch währungsbezogen aufgeteilt.

1. Nach §9 Abs. 1 Satz 1 DBStÄndG DDR wird bei Neueröffnung eines Handwerks-, Handels- oder Gewerbebetriebs im Beitrittsgebiet dem Inhaber eine einmalige Steuerbefreiung für zwei Jahre von höchstens bis 10 000 DM gewährt. Diese "Steuerbefreiung" führt nach der Rechtsprechung der bisher mit dieser Vorschrift befaßten Senate des Bundesfinanzhofs -- BFH -- (vgl. u. a. die Urteile vom 9. November 1994 I R 67/94, BFHE 176, 244, BStBl II 1995, 305; vom 6. Juli 1995 IV R 84/94, BFHE 178, 189, BStBl II 1995, 833; vom 6. März 1995 VI R 81/94, BFHE 177, 122, BStBl II 1995, 463; vom 21. März 1996 XI R 6/95, BFHE 180, 325, BStBl II 1996, 604), der sich der erkennende Senat anschließt, zu einem Abzug von der Steuerschuld, die sich aus der Summe der (in DM) festgesetzten Steuer errechnet. Der I. Senat hat dazu in der Entscheidung in BFHE 176, 244, BStBl II 1995, 305 ausgeführt: §9 DBStÄndG DDR könne als Steuerrechtsnorm der ehemaligen DDR nicht ohne weiteres anhand des bundesdeutschen Begriffsverständnisses interpretiert werden. Die richtige systematische Einordnung der Norm ergebe sich vielmehr aus einer rechtshistorischen Betrachtung, was zu dem vorgenannten Ergebnis führe; die seinerzeit in der ehemaligen DDR geltenden Vorgängerregelungen zu §9 DBStÄndG DDR seien so verstanden worden, daß die Steuerpflichtigen von der Abführung der Steuern befreit gewesen seien. Der Steuerabzugsbetrag stellt danach die Verwirklichung des Steuerschuldverhältnisses i. S. des §218 Abs. 1 der Abgabenordnung (AO 1977) dar. Der Steuerabzugsbetrag hat nur erfüllende Wirkung; er läßt den aus dem Steuerschuldverhältnis entstandenen Steueranspruch erlöschen (vgl. BFH-Urteil vom 22. November 1995 I R 2/95, BFHE 179, 111, BStBl II 1996, 381).

Die daraus abzuleitende Aussage, der Steuerabzugsbetrag mindere die festgesetzte Steuer, hat weiter zur Folge, daß eine Aufteilung des Betrages in M/DDR und DM entfällt.

Wie der BFH bereits entschieden hat, sieht die Anlage I zum VWWSU eine Umstellung des im ersten Halbjahr 1990 erzielten Gewinns bzw. Einkommens im Verhältnis 2:1 nicht vor. Die Einkommensteuerschuld 1990 entstand, auch soweit sie rechnerisch auf das 1. Halbjahr 1990 entfällt, erst mit Ablauf des 31. Dezember 1990. Nach §38 AO DDR vom 22. Juni 1990 bzw. §97 a AO DDR entstehen Ansprüche aus dem Steuerschuldverhältnis bzw. die Steuerschuld, sobald der Tatbestand verwirklicht ist, an den das Gesetz die Leistungspflicht knüpft. Da die Einkommensteuer an das Einkommen anknüpft, das der Steuerpflichtige innerhalb des Kalenderjahres bezogen hat (§2 Abs. 1, §25 des Einkommensteuergesetzes der DDR -- EStG DDR -- 1970/1990), entspricht die Rechtslage im Beitrittsgebiet im Streitjahr derjenigen des §36 Abs. 1 des Einkommensteuergesetzes. Entsprechendes gilt für die Gewerbesteuer (zur weiteren Begründung wird auf die BFH-Urteile vom 30. März 1994 I R 124/93, BFHE 175, 46, BStBl II 1994, 852, und vom 16. März 1994 I R 146/93, BFHE 175, 22, BStBl II 1994, 941, verwiesen). Die in der Steuerrate zusammengefaßten Steuern waren daher in DM festzusetzen, so daß auch der die Steuerrate mindernde Steuerabzugsbetrag nur in DM auszuweisen war.

Für den Streitfall folgt daraus, daß dem Kläger die Steuerbegünstigung nach §9 DBStÄndG DDR in voller Höhe zusteht, da -- wie das FG für den Senat bindend festgestellt hat (§118 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung -- FGO --) -- die materiell-rechtlichen Voraussetzungen für seine Gewährung gegeben sind.

2. Die Streitfrage konnte im vorliegenden Verfahren betreffend die Steuerfestsetzung entschieden werden (vgl. dazu BFH-Urteil vom 13. November 1996 XI R 6/95, BFHE 182, 75, BStBl II 1997, 293).

3. Der Einwand, der Kläger sei durch die Anrechnung des Steuerabzugsbetrages in DM möglicherweise doppelt begünstigt, weil bereits die auf das 1. Halbjahr 1990 entfallende Steuer halbiert worden sei, kann der Revision ebenfalls nicht zum Erfolg verhelfen. Der für das Streitjahr ergangene und von dem Kläger angefochtene Steuerbescheid enthält mehrere selbständige Regelungen, die lediglich verfahrensrechtlich miteinander verbunden sind. Demgemäß ist sowohl vom FA als auch vom FG zu beachten, gegen welchen Regelungsgegenstand des Sammelbescheids sich die Einwendungen des Steuerpflichtigen bzw. Klägers richten; vor allem ist dabei zwischen der Feststellung der Besteuerungsgrundlagen oder der Festsetzung der Steuer einerseits und Billigkeitsmaßnahmen i. S. von §163 AO 1977 wie der in der Zusammenfassung und Abrechnung für 1990 enthaltenen Anordnung, daß die auf das 1. Halbjahr entfallende Steuerrate halbiert wird, andererseits zu trennen (vgl. BFH-Urteile vom 14. September 1994 I R 136/93, BFHE 175, 406, BStBl II 1995, 382, und vom 8. August 1995 III R 263/94, BFH/NV 1996, 287). Die Revision des FA richtet sich nach der innerhalb der Revisionsbegründungsfrist nach §120 Abs. 1 Satz 1 FGO abgegebenen Begründung ausschließlich gegen den vom FG zugelassenen Ansatz des Steuerabzugsbetrages nach §9 Abs. 1 DBStÄndG DDR in DM und damit nicht gegen eine Billigkeitsmaßnahme im vorgenannten Sinn. Die vom FA gewährte Billigkeitsmaßnahme, nämlich der Ansatz der auf das erste Halbjahr entfallenden Steuer mit nur 50 v. H., ist daher bestandskräftig geworden, so daß sie im Revisionsverfahren nicht mehr überprüft werden kann.

 

Fundstellen

BFH/NV 1998, 838

ZAP-Ost 1998, 522

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