Rz. 63

Das Wertaufhellungsprinzip und die entsprechende Unterscheidung zwischen wertaufhellenden und wertbegründenden Tatsachen folgt aus der Systematik der Trennung von Abschlussstichtag (s. zum Abschlussstichtag § 242 Rz 8 ff.) und dem Stichtag der Bilanzaufstellung (§ 243 Rz 33, § 264 Rz 43) i. V. m. § 252 Abs. 1 Nr. 3 HGB sowie § 252 Nr. 4 Hs. 1 HGB. Wenngleich es bei kleineren Ges. in Einzelfällen zu einer zeitlichen Deckung der beiden Zeitpunkte kommen kann, weichen Abschlussstichtag und Aufstellungstag i. d. R. voneinander ab. Basierend auf dieser (zumindest möglichen) Trennung und bereits aus der Vorgabe des § 252 Abs. 1 Nr. 3 HGB zur Abstellung auf die Verhältnisse am Abschlussstichtag folgt die Pflicht zur etwaigen Berücksichtigung wertaufhellender Ereignisse, die zwischen diesen beiden Zeitpunkten bekannt geworden sind, jedoch bereits vor dem Bilanzstichtag verursacht wurden. Die gem. § 252 Abs. 1 Nr. 4 HGB vorgeschriebene Berücksichtigung von vorhersehbaren Risiken und Verlusten, die bis zum Abschlussstichtag entstanden sind, selbst wenn sie erst zwischen dem Abschlussstichtag und dem Tag der Aufstellung bekannt geworden sind (Imparitätsprinzip), konkretisiert/untermauert die Pflicht zur Berücksichtigung wertaufhellender Tatsachen. Für die Gewinnrealisierung gilt mit § 252 Nr. 4 Hs. 2 HGB das Realisationsprinzip. Allerdings hat der BFH unter Einschränkung des Realisationsprinzips entschieden, dass die Reduktion von Verlustrisiken oder deren Wegfall durchaus zu berücksichtigen sind.[1] Auch im IDW PS 203.9 n. F. und im Schrifttum wird die Auffassung vertreten, dass nicht nur Risiken und Verluste, sondern auch positive Ereignisse als wertaufhellende Tatsachen zu berücksichtigen sind.[2] Dem ist zuzustimmen.

Da der Unterschied zwischen der Verringerung von Verlustrisiken und Gewinnen in letzter Instanz gering ist, lässt sich bereits erkennen, dass die Grenzen zwischen wertaufhellenden und wertbegründenden Tatsachen wie auch jene zwischen dem Imparitäts- und dem Realisationsprinzip fließend sind.

 

Rz. 64

Die Abgrenzung zwischen wertaufhellenden und wertbegründenden Ereignissen hat zwei Dimensionen: den Merkmalsbereich der zeitlichen Verursachung vor dem Abschlussstichtag und den Merkmalsbereich des Bekanntwerdens. Der BFH hat im Kontext der Abgrenzung bereits ein passendes, wenn auch überzeichnetes und stark vereinfachtes Beispiel zur Abgrenzung wertaufhellender und wertbegründender Ereignisse skizziert, auf dem aufbauend die Auslegungsschwierigkeiten innerhalb der zwei Dimensionen veranschaulicht werden können.

 

Praxis-Beispiel[3]

Abgrenzung zwischen wertaufhellenden und wertbegründenden Ereignissen I

Sachverhalt

Der Kunde A zahlt seine Rechnungen bis zum Bilanzstichtag zunehmend schleppend und der Forderungsbestand nimmt korrespondierend immer weiter zu.

Fall 1:

Kurz nach dem Bilanzstichtag meldet der Kunde Insolvenz an.

Fall 2:

Der Kunde erbt kurz nach dem Bilanzstichtag oder macht einen Lottogewinn. Der Vermögenszuwachs deckt die Forderung voll ab und Kunde A begleicht sogleich alle offenen Forderungen.

Beurteilung

In Fall 1 ist dem Gläubiger zwischen Abschlussstichtag und Aufstellung des Abschlusses bekannt geworden, dass die Forderungen gegenüber dem Schuldner A nicht oder zumindest nur tw. einbringlich sind. Da Kunde A die Rechnungen bis zum Bilanzstichtag bereits zunehmend schleppend gezahlt hat, ist von einer Entstehung bereits bis zum Abschlussstichtag auszugehen. Entsprechend handelt es sich um eine wertaufhellende Tatsache, die bereits im Jahresabschluss des abgelaufenen Gj Berücksichtigung finden muss.

In Fall 2 ist das Tatbestandsmerkmal des Bekanntwerdens zwischen Abschlussstichtag und Aufstellung, nicht jedoch jenes der zeitlichen Verursachung vor dem Abschlussstichtag erfüllt. Der Lottogewinn bzw. die Erbschaft sind erst nach dem Abschlussstichtag eingetreten. Insofern handelt es sich um eine wertbegründende Tatsache, die erst im laufenden Gj zu erfassen ist.

 

Rz. 65

Anders als im skizzierten Beispielfall können sowohl im Merkmalsbereich der zeitlichen Verursachung vor dem Abschlussstichtag als auch im Merkmalsbereich des Bekanntwerdens Unklarheiten auftreten, die die Abgrenzung zwischen wertaufhellenden und wertbegründenden Tatsachen erschweren und regelmäßig zu Ermessensspielräumen führen.

 

Rz. 66

Hinsichtlich des Tatbestandsmerkmals der zeitlichen Entstehung vor dem Abschlussstichtag kann insb. unklar sein, ob Forderungen trotz bekanntgewordener Insolvenz zwischen Abschlussstichtag und Aufstellung bereits nicht mehr werthaltig waren und damit die Entstehung des Ereignisses bereits vor dem Abschlussstichtag gegeben ist. Daraus ergeben sich zwangsläufig Ermessensspielräume, wie folgendes Beispiel zeigt.

 
Praxis-Beispiel

Abgrenzung des Tatbestandsmerkmals der zeitlichen Entstehung I

Sachverhalt

Abweichend vom letzten Beispiel zahlt Kunde A erstmals im Dezember Rechnungen verspätet. Eine feiertagsbedingte Schließung des Betriebs über die Festtage ist nicht erfolgt. Lange nach dem Bilanzstichtag und erst k...

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