Der Interviewpartner:
Prof. Dr. Avo Schönbohm lehrt und forscht seit 2010 an der Hochschule für Wirtschaft und Recht Berlin. Neben Controlling sind Science-Fiction und Serious Games seine Leidenschaften, die er unkonventionell auch als Berater in der Industrie einsetzt. Seine Mission ist es, Zukunftsperspektiven zu ermöglichen.
Die Fragen stellte Günther Lehmann, Chefredakteur Controlling von Haufe und Vorstandsmitglied der Verlag für ControllingWissen AG.
Lehmann: Spontan dachte ich, dass Controlling mit seiner Planungsaufgabe immer „Zukunftscontrolling“ ist. Deshalb die erste Frage: Was versteht man darunter?
Schönbohm: Zukunftscontrolling hat nichts mit klassischer Budgetplanung oder Forecasting zu tun. Es ist ein Ansatz, der Science-Fiction-Elemente als Inspirationsquelle nutzt, um Unternehmen strategisch auf disruptive Zukünfte vorzubereiten. Dabei werden keine klassischen Budgets oder Prognosen erstellt, sondern innovative Technologien und Organisationsformen durch kreative Szenarien frühzeitig identifiziert und in konkrete Maßnahmen übersetzt.
Können Sie dies anhand eines Beispiels veranschaulichen?
Ein anschauliches Beispiel ist Daniel Suarez’ Roman „Daemon“: Nach dem Tod eines brillanten Spieleentwicklers beginnt ein autonomes Computerprogramm namens „Daemon“, eigenständig reale Abläufe und physische Ressourcen zu steuern und startet so eine weltweite Revolution. Dieses Szenario verdeutlicht eindrücklich mögliche Auswirkungen disruptiver Technologien wie Künstlicher Intelligenz und autonomer Systeme. Ein Unternehmen nutzt nun Zukunftscontrolling, um die Implikationen dieser Science-Fiction-Inspiration strategisch zu analysieren: Der Daemon steuert autonome Fahrzeuge und Drohnen präzise in Echtzeit. Daraus leitet das Unternehmen ab, dass autonome, KI-gesteuerte Transport- und Liefersysteme bald realistisch sein könnten. Der Daemon handelt ohne zentrale Steuerung. Das Unternehmen erkennt dadurch die Möglichkeit neuer Organisationsformen, in denen Entscheidungen automatisiert und dezentral getroffen werden.
Das Unternehmen identifiziert daraufhin konkrete Maßnahmen: Eine Testphase autonomer Drohnen und Fahrzeuge im realen Betrieb und die Einführung agiler Organisationsstrukturen in Kombination mit KI-unterstützten Entscheidungen.
Wie funktioniert Zukunftscontrolling grundsätzlich?
Es geht um eine andere Form des spekulativen Denkens: Future Labs oder Zukunftslabore sind zentrale Instrumente des Zukunftscontrollings, die strategische Planung mit zukunftsorientierter Entscheidungsfindung verknüpfen. Hier geht es um radikales und kreatives Denken in Szenarien. Deshalb arbeite ich mit Science-Fiction in unterschiedlichen Varianten, klassischer Literatur, spekulativen Spielen aber auch individueller Science Fiction für konkrete Kunden oder Märkte.
Wie findet man geeignete Sci-Fi-Literatur? Die Verantwortlichen sind hier ja meist nicht mehr auf dem aktuellen Stand.
Science-Fiction ist keine verlässliche Zukunftsprognose, sondern eine Methode des revolutionär-innovativen Denkens. Sie erinnert uns daran, dass wir unseren Kreativmuskel nicht genügend nutzen, wenn wir an die Zukunft denken. Lesen wir Jules Vernes, Isaak Asimov oder Dan Simmons, so können wir eine geniale Zukunftsdenkschule lesend nachvollziehen.
Warum ist Zukunftscontrolling gerade jetzt wichtig?
Die Zeiten der verlässlichen Zukunftsperspektiven sind vorbei: Das Erstarken der Geopolitik, technologische Umbrüche im Bereich von IT und Biologie und demographische Veränderungen haben die Tektonik der Zukünfte in Bewegung gebracht. Vieles, was vor wenigen Jahren unvorstellbar erschien, ist mittlerweile die neue politische, technologische und wirtschaftliche Realität. Es wird Zeit, sich auf radikale Umbrüche systematisch einzustellen und dabei Denkverbote auszumerzen.
Haufe Online-Jahresforum Controlling (16./17.09.2025) |
Beim Haufe Online-Jahresforum Controlling geben führende Expert:innen Einblicke in aktuelle Themen im Controlling u. a. künstliche Intelligenz, Data Governance und nachhaltige Unternehmenssteuerung. Die Teilnehmenden erwartet ein abwechslungsreiches Programm mit Vorträgen, Breakout Sessions, Diskussionen und virtuellem Networking, u. a. mit einem Vortrag von Prof. Avo Schönbohm zum Thema des Interviews. Termin: 16./17.09.2025, jeweils 13 bis 17:45 Uhr Teilnahmegebühr: 390 EUR zzgl. MwSt. Veranstalter: Haufe Akademie GmbH & Co. KG, Munzinger Str. 9, 79111 Freiburg |