Wirtschaften jenseits des Wachstums – Neue Erfolgskategorien

Wir befinden uns an einer entscheidenden Weggabelung. Jahrzehntelang haben wir uns in der Wirtschaft auf einem klaren Pfad bewegt – immer vorwärts, immer weiter, getrieben von der Überzeugung, dass weiteres Wachstum der einzige Weg ist. Doch nun stehen wir vor der Frage: Führt dieser Weg in eine Sackgasse? Der bisherige Kurs, der unendliches Wachstum voraussetzt, hinterlässt schon heute zerstörte ökologische Systeme und führt zu sozialen Verwerfungen. Die Alternative ist ein noch wenig erforschter Pfad, der uns auffordert, Erfolg neu zu definieren und die Spielregeln deutlich fundamentaler zu ändern.
Ein Manifest, das im Mai 2023 im Rahmen der Beyond Growth Konferenz in Brüssel vorgestellt wurde, beschreibt diesen Wendepunkt treffend: „Unsere Besessenheit vom endlosen Streben nach Wachstum und Profit steht im Widerspruch zu den endlichen Grenzen des Planeten und dem menschlichen Wohlergehen.“ Dieser Aufruf fordert dazu auf, sich von der dominanten Wachstumsorientierung zu lösen und eine stabile Wirtschaft zu schaffen, die dem Planeten und den Menschen dient, nicht umgekehrt.
Neue Definitionen von Erfolg: Ein Kompass für die Zukunft
Es stellt sich die Frage: Was bedeutet Erfolg in einer Welt, in der gesamtwirtschaftliches wie individuell-unternehmerisches Wachstum nicht mehr die Leitlinie ist? Bisher war die Handlungsanweisung klar: Mehr Umsatz, mehr Gewinn, mehr Marktanteil. Doch was, wenn „mehr“ im Sinne einer Expansion nicht länger der Maßstab ist? Welche neuen Kategorien von Erfolg können Unternehmen anstreben? Wie wäre es, wenn Unternehmen ihren Erfolg daran messen, wie umfassend sie die Gesellschaft inklusive der natürlichen Umwelt bereichern? Erfolg könnte darin bestehen, faktisch zur Regeneration natürlicher Systeme beigetragen zu haben – etwa durch die Wiederherstellung von Wäldern, die Revitalisierung von Böden oder die Förderung der Biodiversität.
Erfolg könnte auch darin liegen, soziale Gerechtigkeit zu fördern, indem gerechte Arbeitsbedingungen, gesellschaftliche Teilhabe und die Unterstützung lokaler Gemeinschaften gestärkt werden. Schließlich könnte Erfolg darin bestehen, einen kulturellen Wandel zu bewirken, indem Werte und zukunftsfähige Lebensweisen verbreitet und Stakeholder zu einem bewussteren Handeln und Konsum inspiriert werden. Zusammengefasst könnte man sagen: „Zum gemeinsamen Gedeihen beizutragen“ ist der neue Maßstab für Erfolg.
Nachhaltigkeitsverantwortliche als Treiber
Nachhaltigkeitsverantwortliche spielen eine entscheidende Rolle bei der Transformation von Unternehmen hin zu einem Postwachstums-Modell. Sie sind es, die das Bewusstsein für die Grenzen des traditionellen Wachstums schärfen und alternative Wege aufzeigen können. Dabei sollten sie besonders auf die Identifikation von Rebound-Effekten achten. Rebound-Effekte treten auf, wenn Ressourceneinsparungen durch gesteigerte Produktion und Konsum teilweise oder vollständig aufgehoben werden. Dies geschieht beispielsweise, wenn die Einsparungen durch effizientere Technologien dazu führen, dass die freigewordenen Ressourcen an anderer Stelle genutzt werden, was letztlich den ökologischen Nutzen mindert.
Nachhaltigkeitsverantwortliche sollten solche Effekte frühzeitig erkennen und adressieren, um sicherzustellen, dass ökologische Ziele tatsächlich erreicht werden. Dies kann durch eine umfassende Lebenszyklusanalyse und durch das Einbeziehen von Suffizienz steigernden Maßnahmen geschehen, die darauf abzielen, den absoluten Verbrauch zu reduzieren, anstatt nur die Effizienz zu steigern.
Suffizienzstrategien gehen über sogenannte Konsistenz- und Effizienzstrategien hinaus und setzen direkt am Konsumverhalten an. Anstatt lediglich die Effizienz zu verbessern (also weniger Ressourcen für die gleiche Leistung zu nutzen) oder Konsistenz durch die Umstellung auf erneuerbare Ressourcen zu fördern, zielen Suffizienzstrategien darauf ab, den gesamten Ressourcenverbrauch absolut zu senken. Dies kann durch die Förderung von weniger und bewussterem Konsum, durch die Verlängerung der Produktlebensdauer und durch die Förderung von gemeinsamen Nutzungsmodellen geschehen.
Nachhaltigkeitsverantwortliche können Bildungsprogramme entwickeln, die Mitarbeitende für diese Zusammenhänge sensibilisieren und gleichzeitig Suffizienz in den Unternehmensalltag integrieren. Dies erfordert eine enge Zusammenarbeit mit der Geschäftsführung, um sicherzustellen, dass Nachhaltigkeit nicht als Add-on, sondern als zentraler Bestandteil der Geschäftsstrategie betrachtet wird. Zudem sollten sie Netzwerke aufbauen und Partnerschaften mit anderen Unternehmen, NGOs und wissenschaftlichen Einrichtungen eingehen, um Wissen und Best Practices auszutauschen und gemeinsam den Wandel hin zu einer suffizienten und regenerativen Wirtschaft voranzutreiben.
Geschäftsmodelle neu gestalten: Der Weg zur Regeneration
Je deutlicher sich die Herausforderungen der Gegenwart zeigen, desto klarer wird: Es reicht nicht, marginal die Richtung zu ändern – es ist nötig, die Grundprinzipien unserer Geschäftsmodelle neu zu gestalten. Unsere bisherigen Geschäftsmodelle, die in erster Linie darauf ausgelegt waren, Umsatzwachstum zu erzeugen, müssen grundlegend umgebaut werden, um in einer Postwachstums-Welt bestehen zu können. Regenerative Geschäftsmodelle könnten hier der Schlüssel sein. Was braucht es, um diese zu realisieren
Systemisches Denken und Handeln: Regenerative Geschäftsmodelle bieten Unternehmen die Chance, die Wechselwirkungen zwischen ökologischen, sozialen und wirtschaftlichen Systemen tief zu verstehen und für sich zu nutzen. Durch das Denken in Kreisläufen anstatt in linearen Prozessen eröffnen sich neue Möglichkeiten, Abfälle nicht nur zu vermeiden, sondern als wertvolle Ressourcen zu betrachten, die in neue Zyklen industrieller Symbiose eingespeist werden können. Ein inspirierendes Beispiel ist die regenerativ-ökologische Landwirtschaft, die weit mehr bewirken kann als nur Nahrungsmittelproduktion: Sie fördert die Gesundheit der Böden, steigert die Biodiversität und stärkt das Wohl lokaler Gemeinschaften.
Förderung von Resilienz und Diversität: In regenerativen Geschäftsmodellen eröffnet sich die Gelegenheit, Resilienz durch Diversität zu fördern – sowohl in den Ökosystemen, in denen Unternehmen tätig sind, als auch innerhalb der Organisationen selbst. Durch die Förderung vielfältiger und lokaler Wertschöpfungsketten können Unternehmen sich robuster aufstellen und ihre Abhängigkeiten und Vulnerabilität durch globalen Schocks reduzieren. Gleichzeitig entstehen durch den Aufbau von vertrauensvollen, gegenseitig nutzbringenden Beziehungen stabile Netzwerke, die langfristige Erfolge ermöglichen.
Regenerative Re-Investitionen: Langfristiger Erfolg entsteht durch kontinuierliche Re-Investitionen in interne und externe Systeme. Dazu gehören Investitionen in Bildung, soziale Infrastruktur, Forschung und Entwicklung sowie in die Regeneration natürlicher Ressourcen. Ein regeneratives Geschäftsmodell legt den Fokus darauf, signifikante Ressourcen und Mittel in die Erneuerung und Pflege dieser Systeme zu stecken, um deren langfristige Gesundheit und Vitalität zu fördern.
Kollektives Lernen und adaptive Managementstrategien: Unternehmen, die sich als lernende Organisationen verstehen, können flexibel auf Veränderungen reagieren und kontinuierlich aus Feedback-Schleifen lernen. Diese Haltung fördert eine Unternehmenskultur, die Innovation willkommen heißt und offen für neue Ansätze ist. Durch die Anwendung adaptiver Managementstrategien, die auf den Prinzipien der Selbstorganisation und Resilienz basieren, sind Unternehmen bestens aufgestellt, um in einer sich stetig wandelnden Welt erfolgreich zu agieren und sich zu behaupten.
Ein neues Kapitel: Unternehmerischen und gesellschaftlichen Erfolg neu denken
Der Übergang in eine Welt jenseits des Wachstums ist zweifellos herausfordernd, doch er eröffnet die Chance, eine wirklich zukunftsfähige Wirtschaft zu gestalten. Dieser Weg ist kein Weg des Verzichts, sondern ein Weg, der darauf abzielt, ein gedeihendes Leben für alle zu ermöglichen. Für manche mag das Postwachstums-Denken wie das Ende des Fortschritts erscheinen. Aber kann es nicht vielmehr als Fortschritt verstanden werden, wenn wir lernen, bestimmte Grenzen zu respektieren, eindimensionale Fokussierungen hinter uns zu lassen und die Lebensqualität in den Mittelpunkt zu stellen?
Es liegt an uns allen – Unternehmen, Nachhaltigkeitsverantwortlichen und der Gesellschaft – wie wir diesen Weg gestalten. Mit positiver Energie und einem klaren Fokus auf das Gedeihen, den Einklang mit der Natur und die Bedürfnisse unserer Mitmenschen könnte dieser Wandel gelingen.
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