Bisher größte Schadenersatzklage gegen Lkw-Kartell ist abgewiesen

Das bisher größten Kartellverfahren in der Lkw-Branche endete vor dem LG München I. Das klagende Inkassounternehmen fordert 867 Millionen EUR Schadensersatz von diversen Herstellern, darunter Daimler und MAN, wegen verbotener Preisabsprachen. Nun hat das LG München die Klage als unzulässig abgewiesen. Die Berufung ist bereits angekündigt.

Die Frage, ob es zu den verbotenen Preisabsprachen zwischen den beklagten Lkw-Herstellern gekommen ist, hat bei dem Prozess keine Rolle mehr gespielt. Sie gilt als beantwortet.

14 Jahre lang gab es ein LKW-Kartell. Nun geht es um Schadensersatz

Über einen Zeitraum von ca. 14 Jahren wurden zwischen Daimler, MAN, Volvo/Renault, DAF und Iveco munter Preislisten ausgetauscht. Die EU-Kommission hat den betreffenden Herstellern bereits Bußgelder von knapp 4 Milliarden EUR auferlegt. Ob die zum VW-Konzern gehörende schwedische Marke Scania auch dazugehört, hat der EuGH noch nicht entschieden. Nun ging es um den Schadensersatz für die Geschädigten.

Entscheidendes Rechtsproblem: Klagebündelung durch „Financialright“

Das Gericht benannte zum Beginn der mündlichen Verhandlung sofort die nach Ansicht der Kammer nicht leicht zu lösende Grundproblematik des Prozesses. Das in Düsseldorf ansässige Inkassounternehmen „Financialright Claims“ hatte die Klage im eigenen Namen eingereicht.

Dabei hat das Inkassounternehmen nach Ansicht der Kammer die Ansprüche verschiedener Anspruchsteller

nach Art einer Sammelklage

gebündelt. Die Klageschrift nebst Anlagen zu ca. 85.000 Kaufvorgängen umfasst ca. 17.000 Seiten.

Bisher keine Präzedenzfälle für klagende Inkassounternehmen

Zur Frage, ob die Klage  in dieser Form zulässig ist, existiert nach Auffassung der Kammer bisher kein Präzedenzfall. Auch eine Tendenz sei in der höchstrichterlichen Rechtsprechung zu diesem Problem bisher nicht erkennbar. Anhaltspunkte könne allenfalls das vor dem BGH seinerzeit noch anhängige Verfahren gegen den Internetanbieter „Wenigermiete.de“ liefern. 

BGH ließ Bündelung gelten

In diesem Verfahren hat der BGH die Geltendmachung abgetretener Mieteransprüche gegen den Vermieter durch den Rechtedienstleister inzwischen als von der Inkassolizenz gedeckt und damit als rechtlich zulässig eingestuft (BGH, Urteil v. 27.11.2019, VIII ZR 285/18).

In München waren Klagen über insgesamt 1,4 Milliarden Euro anhängig

In München ging es um die aus den verbotenen Preisabsprachen abzuleitenden Schadenersatzansprüche der Lkw-Käufer. Die Lkw-Käufer reklamieren für sich, infolge des Kartells überhöhte Kaufpreise für ihre Lkw gezahlt zu haben.

Wenn eine Kartell-Absprache erwiesen ist, streitet für den Käufer dem Grunde nach eine widerlegliche Vermutung für die Kausalität der Kartell-Absprache im Hinblick auf die Entstehung eines Schadens im Sinne von § 33 Abs. 3 GWB.

Privatgutachter schätzt den Schaden auf 10 % des Kaufpreises

Ein von den Herstellern beauftragter Gutachter hat bereits den durch die verbotenen Kartellabsprachen verursachten Preisaufschlag auf ca. 10 % geschätzt. Die Hersteller bestreiten eine Auswirkung des Kartells auf die tatsächlich gezahlten Preise, denn die Listenpreise seien ohnehin nicht durchsetzbar gewesen. Der Absatz der Lkw sei nur mit hohen, branchenüblichen Rabatten möglich gewesen.

Eine Fülle weiterer Einzelklagen

Nach Mitteilung des LG München sind alleine dort 110 Klagen anhängig, die den Kauf von insgesamt ca. 250.000 Lkw betreffen. Die beiden größten Klagen kommen von dem Inkassounternehmen „Financialright Claims“, einem speziell für das Lkw-Kartell gegründeten Schwesterunternehmen von „myright“.

Die Klagen von „Financialright“ betreffen ca. 150.000 Lkw und eine Gesamtschadenersatzsumme von 1,4 Milliarden Euro. Die Provision des Inkassounternehmens beträgt im Erfolgsfall 33 % des zugesprochenen Schadenersatzes. Auch bei anderen Kammern sind eine ganze Reihe von Einzelklagen gegen die Lkw-Hersteller anhängig, darunter auch Klagen der Deutschen Bahn und der Bundeswehr.

Beklagte Hersteller rügen fehlende Klagebefugnis von „Financialright“

Die beklagten Lkw-Hersteller bestritten die Klagebefugnis von „Financialright“. Sie rügen, der Inkassodienstleister mache unter Umgehung des Grundsatzes der Unzulässigkeit von Sammelklagen und unter Umgehung der Vorschriften zur Musterfeststellungsklage in einer Art Sammelklage Ansprüche seiner Kunden vordergründig im eigenen Namen geltend. Dabei gehe das Inkassounternehmen weit über eine reine Inkassotätigkeit hinaus.

Erbringt „Financialright“ unzulässige Rechtsdienstleistungen?

Die beklagten Lkw-Hersteller verwiesen in diesem Zusammenhang darauf, dass das Lkw-Kartell rechtlich äußerst schwierig zu beurteilen sei. Ob und in welchem Umfange gegebenenfalls Ansprüche bestünden und wie diese rechtlich zu bewerten seien, sei bisher juristisch ungeklärt.

  • Das Inkassounternehmen leiste hier gegenüber seinen Kunden in unzulässiger Weise eine juristisch komplexe rechtsberatende Tätigkeit.
  • Das Unternehmen erbringe in erheblichem Umfang Rechtsdienstleistungen nach dem RDG, ohne die hierfür erforderliche Erlaubnis zu besitzen.
  • Solche Rechtsdienstleistungen dürften nur von zugelassenen Rechtsanwälten erbracht werden.

Zunächst stand die Klagebefugnis im Streit

In der mündlichen Verhandlung stellte die Vorsitzende Richterin die Frage der Klagebefugnis als die im ersten Schritt zu entscheidende Grundfrage des Verfahrens heraus, wies aber gleichzeitig darauf hin, dass die darüber hinaus angebrachten Kritikpunkte der beklagten Lkw-Hersteller an der Zulässigkeit der Klage eher nicht überzeugend seien. Die Klage sei insgesamt ordnungsgemäß erhoben worden.

Entscheidung des Gerichts dauerte dreieinhalb Monate

Entgegen seiner ursprünglichen Hinweise machte die Kammer ihre erst mehr als drei Monate nach der mündlichen Verhandlung gefällte Entscheidung im Ergebnis nicht an der Klagebefugnis, sondern an der fehlenden Aktivlegitimation der Klägerin fest. Die Kammer bewertete die Abtretung der Forderungen durch die Lkw-Käufer an die Klägerin als nichtig, da sie auf einem rechtswidrigen Grundgeschäft beruhe, das eine verbotene Rechtsdienstleistung darstelle.

Verbotene Dienstleistung: Financialright-Geschäftsmodell nicht im Einklang mit dem RDG

Dieses Ergebnis folgert die Kammer insbesondere aus dem Sinn und Zweck des RDG, das den Schutzzweck verfolge, den Rechtssuchenden, den Rechtsverkehr sowie die Rechtsordnung vor unqualifizierten Rechtsdienstleistungen zu schützen. Diesem Schutzzweck läuft nach Auffassung des LG das Geschäftsmodell der Klägerin, im Rahmen eines ausufernden Masseninkassos eine Vielzahl von teilweise sehr unterschiedlichen Einzelforderungen in einer einzigen Klage zu bündeln, zuwider. Damit sei die Klägerin erst gar nicht Inhaberin der geltend gemachten Forderungen geworden und die Klage daher unbegründet.

Nicht hinnehmbare Interessenkonflikte durch Massenklage

Dieses Verdikt der verbotenen Rechtsdienstleistung begründete die Kammer damit, dass Financialright durch Bündelung von mehr als 3.000 Einzelforderungen rechtlich nicht akzeptable Interessenkonflikte in Kauf nehme. So habe die Klägerin sich Forderungen abtreten lassen, deren Erfolgsaussichten im einzelnen völlig unterschiedlich seien.

  • Die Forderungen beträfen Kaufverträge unterschiedlichster Lkw-Typen, darunter Sattelschlepper und Betonmischer, die von Kunden in verschiedenen Ländern gekauft worden seien.
  • Die Ausstattungen und Motoren der Fahrzeuge deckten eine weite Spannbreite ab.
  • In einigen Fällen seien die Erfolgsaussichten für eine Klage sehr gut, in anderen Fällen deutlich schlechter.

Sämtliche Forderungen würden durch die „Sammelklage“ aber in einen Topf geworfen, so dass die Interessen der Kläger mit besonders guten Chancen gegenüber denen mit schlechteren Chancen nicht angemessen vertreten würden.

Besondere Interessengefährdung im Vergleichsfall

Eine Gefährdung der Interessen Einzelner drohe insbesondere auch im Falle der Beendigung eines Prozesses durch einen Vergleich. Nach den Geschäftsbedingungen der Klägerin erfolge in diesem Fall eine rein rechnerische Quotierung der Auszahlungssummen u.a. nach dem Verhältnis der jeweils gezahlten Kaufpreise der Kunden. Kunden, deren Forderungen eine eher geringe Erfolgsaussicht auf gerichtliche Durchsetzung hatten, würden durch dieses System in unangemessener Weise profitieren während Kunden mit guten Erfolgsaussichten benachteiligt würden.

Prozessfinanzierer im Ausland mit Eigeninteressen

Schließlich habe die Klägerin den Prozess komplett durch eine börsennotierte ausländische Gesellschaft finanzieren lassen. Diese erhalte einen Anteil an der Erfolgsprovision der Klägerin. Die Klägerin sei vertraglich verpflichtet, dem Prozessfinanzierer kontinuierlich Bericht zu erstatten. Hierdurch bestehe die Gefahr, dass Zweckmäßigkeitserwägungen des Prozessfinanzierers die Klägerin bei der Entscheidung über einzelne Prozessschritte beeinflusse und dies zumindest in Einzelfällen den Kundeninteressen zuwiderlaufen könne.

Widerspruch zur BGH-Legal-Tech-Rechtsprechung?

Nach Auffassung der Klägerin widerspricht die Abweisung der Klage durch das LG München der Entscheidung des BGH im Fall „Wenigermiete.de“, der die Abtretung der Kundenforderungen an die Betreiberin der Internetplattform „Wenigermiete.de“,  als rechtlich zulässig bewertet hatte. Hierzu hat das LG in seiner Entscheidung vorsorglich ausdrücklich auf einen wesentlichen Unterschied zum BGH-Fall hingewiesen.

  • Im Fall „Wenigermiete.de“ habe der BGH über eine einzelne abgetretene Forderung im Fall einer Einzelklage entschieden.
  • Im Fall von Financialright sei das gesamte Geschäftsmodell jedoch von vornherein auf eine gerichtliche Geltendmachung der einzelnen Forderungen in Form einer Bündelung in einer verkappten Sammelklage ausgerichtet gewesen.

Dieser Gesamteindruck werde sowohl durch den Internetauftritt der Klägerin als auch die übrigen Begleitmaßnahmen deutlich belegt.

Massenabtretung sprengt Rahmen der erteilten Inkassoerlaubnis

Mit dieser Form des Masseninkassos hat die Klägerin nach Wertung der Kammer den Rahmen der ihr erteilten Inkassoerlaubnis deutlich überschritten. In diesem entscheidenden Punkt, der zu den in der Urteilsbegründung aufgezeigten erheblichen Interessenkonflikten führe, sei der anhängige Fall mit der vom BGH entschiedenen Fallkonstellation nicht vergleichbar. Deshalb widerspreche das Urteil auch in keiner Weise der BGH-Entscheidung.

Financialright hat bereits angekündigt, gegen das Urteil in Berufung zum OLG zu gehen. Aber auch dort dürfte voraussichtlich das letzte Wort nicht gesprochen werden. Mit hoher Wahrscheinlichkeit wird am Ende eine Entscheidung durch den BGH stehen. Bis es soweit ist, könnten noch Jahre vergehen. Für die betroffenen Kunden von Financialright wäre dies eine äußerst lange Wartezeit.

(LG München I, Urteil v. 7.2.2020, 37 O 18934/17).

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Hintergrund:

Bei dem Schadensersatz für Kartellopfer bewegte sich das Gericht auf juristisch relativ neuem Terrain. 

  • Die Rechte der Kartellgeschädigten werden durch die Reform des Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkung (9. GWB-Novelle) Mitte 2017 deutlich gestärkt.
  • Die Optionen, Schadenersatz zu fordern werden für die durch Kartellverstöße Geschädigten erheblich vereinfacht und erweitert.Die Novelle dient der Umsetzung der europäischen Richtlinie 2014/104/EU.

Jedes Unternehmen in einer Lieferkette, dass infolge einer Kartellabsprache für Waren oder Dienstleistungen zu viel gezahlt hat, kann in Zukunft Schadenersatz geltend machen. Gemäß § 33 c GWB wird vermutet, dass der Schaden durch den Kartellgeschädigten in einer Lieferkette auch weitergegeben wurde. Ein bisher nicht eindeutig gelöstes Problem ist hierbei die Frage, wie die Höhe eines solchen Schadens - beispielsweise anhand eines vermuteten Preisaufschlags - zu ermitteln ist. Leider ist das LG München zu dieser interessanten Frage in der jetzt getroffenen Entscheidung erst gar nicht gekommen.

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