Unterstellt, es gäbe keine rechtliche Pflicht Steuern zu zahlen, dann könnten wir Bürger dennoch z. B. 30 % unseres jeweiligen Einkommens an den Staat abführen, um die Funktionsfähigkeit der Infrastruktur zu sichern und bei Bedarf Sozialleistungen zu erhalten. Entsprechendes trifft auf Unternehmen zu, die neben einem Austausch "Leistung gegen Gegenleistung" mit ihren Beschäftigten auch von der Infrastruktur des Staates profitieren. Es wäre auch ohne rechtliche Pflicht im Interesse des Individuums sowie des Unternehmens entsprechende Steuern an den Staat abzuführen. Beide würden "morgen" von ihren Zahlungen "heute" profitieren. Ohne extrinsische "Motivation" stellt sich jedoch die Frage, ob jeder Bürger und jedes Unternehmen (intrinsisch motiviert) einer ggf. bestehenden moralischen Pflicht oder einem solchen zukunftssichernden und somit effizienten Einsatz der Finanzen nachkommen würde. Steuern sind jedoch eine notwendige Einnahme des Staates zum Wohle der Gesellschaft. Dieses Beispiel verdeutlicht zunächst die Notwendigkeit des extrinsischen Faktors Recht und Gesetz (1. Faktor) zum Erreichen der Rechtschaffenheit.

Ist die Existenz von Recht und Gesetz jedoch ausreichend? Wieso halten wir uns (mehr oder weniger) daran? Was hält uns z. B. davon ab, nachts um 05.00 Uhr bei einer "Rot" anzeigenden Ampel die Straße nicht zu überqueren, wenn weder die Polizei noch ein Auto in Sicht ist? Wieso akzeptieren wir 51 km/h in geschlossenen Ortschaften als besonders gefährliches Verhalten, wenn auch bei 49 km/h entsprechende Körperverletzungen eintreten können?

Es gibt eine Vielzahl spannender Theorien der (Rechts-)Philosophie, wieso wir uns an Recht und Gesetz halten. Diese sollen jedoch im Detail nicht Inhalt dieses Artikels sein (siehe dafür weiterführende Literatur). Zusammengefasst und stark verallgemeinert sei jedoch Folgendes gesagt: Diskutiert wird u. a.

  1. der hypothetische Abschluss eines "Gesellschaftsvertrags" des Gebens und Nehmens,
  2. eine Identifikation mit dem Staat und der Gemeinschaft sowie
  3. ein verbindendes "Wir-Gefühl" auf Basis der Gleichberechtigung.

Der Artikel reflektiert u. a diese Ansätze später in den Best-Practise-Beispielen. Den Ansatz zu 1. konkretisierend, überqueren wir die Ampel auch nachts nicht bei "Rot" und akzeptieren 50 km/h als Grenze des "erlaubten Risikos", da wir uns als Gesellschaft inzident oder explizit (z. B. in Form von Gesetzen) in einem "Gesellschaftsvertrag" dahingehend einigten. Zum Erlangen von Rechtschaffenheit bedarf es daher nunmehr schon der Kombination der intrinsischen Motivation der Werte (2. Faktor), die sich an extrinsisch wirkenden Faktoren als systematisches Regelnetzwerk (1. Faktor) orientieren können. Soweit so gut, scheinbar hält sich jedoch nicht jeder im gleichen Maße z. B. an den "Gesellschaftsvertrag". Sonst gäbe es ja auch keine Kartellverstöße oder Korruption. Entgegenstehende Gesetze existieren – wie können wir also die intrinsische Motivation "des Individuums zum Einhalten der extrinsischen Faktoren" erhöhen?

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