"Remote-Begehung" – Arbeitsschutz aus der Distanz organisieren

Die heutigen Unternehmensstrukturen sind oft komplex: Mitarbeiter arbeiten teilweise mobil und Unternehmen setzen sich aus vielen großen und kleinen Standorten zusammen, die häufig eher funktions- statt standortabhängig zusammenarbeiten. In solchen Strukturen müssen Führungskräfte und Arbeitsschutzverantwortliche Prozesse und Schutzmaßnahmen auch für Niederlassungen und kleine Standorte organisieren, an denen sie räumlich nicht präsent sein können.

Cornelia von Quistorp ist als Sicherheitsingenieurin seit mehr als 20 Jahren als Arbeitsschutzberaterin im überbetrieblichen Dienst in Betrieben aller Branchen tätig, häufig im Gesundheitswesen, in Bildungseinrichtungen sowie Verwaltung und öffentlichem Dienst. Schwerpunkte ihrer Arbeit sind Organisationsberatung im Arbeitsschutz, Schulung und Unterweisung, Ergonomie, Brandschutz sowie Betriebliches Gesundheitsmanagement. Als Expertin beantwortet sie die wichtigsten Fragen zum Thema Remote-Begehung im Arbeitsschutz.

Gefährdungsbeurteilung ohne Betriebsbegehung

Frau von Quistorp, was ist aus ihrer Sicht essenziell für eine Gefährdungsbeurteilung über die Distanz?

Das ist einerseits eine sehr gute Kenntnis der Tätigkeiten und Arbeitsbedingungen, die die Arbeitsplätze vor Ort prägen. Die gewinnt man aber nicht zwingend und nicht nur durch eine Begehung vor Ort, sondern auch durch Einblicke und Informationen, die aus Erfahrungen an anderen Standorten gewonnen werden, oder aus der Arbeit im Arbeitsschutzausschuss, aus Gesprächen, Dokumenten - im Prinzip aus allen Arbeitsschutzbemühungen eines Unternehmens.
Andererseits ist Offenheit und Selbstverantwortung aller Beteiligten wichtig, damit diese gemeinsam auch aus der Distanz effektiv zusammenarbeiten können. Wenn Fachkräfte für Arbeitssicherheit sich vorrangig als Aufpasser verstehen oder Führungskräfte vor Ort Probleme lieber verstecken als lösen möchten, sind kaum Fortschritte im Arbeitsschutz zu erzielen – übrigens auch in Präsenz nicht. 

Komplexe Strukturen fordern neue Arbeitsweisen

Worin liegt aus Ihrer Sicht die Relevanz des Themas?

Unternehmen haben heute viel komplexere Strukturen als früher. Die Arbeitswelt heute ist in vielen Bereichen nicht mehr die, die sie war, als das deutsche Arbeitsschutzsystem geprägt wurde. Gleichzeitig werden sichere und gesunde Arbeitsbedingungen aber noch wichtiger, damit Beschäftigte langzeitig leistungsfähig und leistungsbereit bleiben. Damit das gelingt, muss der Arbeitgeber sich den neuen Gegebenheiten anpassen und durch zielgerichtete und effiziente Arbeitsschutzmaßnahmen seiner Fürsorgepflicht nachkommen.

Worin sehen Sie die Herausforderungen in den neuen Arbeitsweisen?

Alle Beteiligten müssen sich darauf einlassen. Remote-Begehung heißt nicht, dass niemand hingucken möchte oder dass ohne Bezug zur Realität gearbeitet wird. Die Beratungsgespräche, die im Rahmen einer Remote-Begehung geführt werden, brauchen eine offene und konstruktive Arbeitsatmosphäre.

Welche Probleme begegnen Ihnen dabei häufig?

Gar nicht so viele. Ich erlebe es oft so, dass Standortverantwortliche, die sich in einem Online-Beratungstermin, angeleitet durch die Fachkraft für Arbeitssicherheit, selbstverantwortlich Gedanken über die Arbeitsbedingungen in ihrem Zuständigkeitsbereich machen, sehr engagiert und aufmerksam dabei sind. Wenn die Fachkraft für Arbeitssicherheit selbst vor Ort durch die Arbeitsräume geht, neigen Führungskräfte oft mehr dazu, die eigene Zuständigkeit darauf abzuwälzen.

Kann das in allen Branchen umgesetzt werden oder gibt es Grenzen?

Der Verzicht auf Präsenzbegehungen bietet sich vor allem dann an, wenn ein Unternehmen über mehrere gleichartige und gut durchstrukturierte Standorte verfügt, die eher geringe bzw. klar identifizierte Arbeitsschutzrisiken haben, z.B. Büros oder kleinere Logistik- oder Serviceeinheiten. Wenn ein Unternehmensstandort andererseits von seiner Gebäudestruktur kritisch geprägt ist, stark veränderlichen Betriebsbedingungen unterliegt, es sehr spezielle Arbeitsverfahren oder Anlagen gibt, innerbetrieblicher Verkehr eine große Rolle spielt oder Baumaßnahmen anstehen bzw. umgesetzt werden, spricht das nicht für eine Remote-Begehung.

Gefährdungsbeurteilung bleibt Führungsaufgabe

Gibt es No-Go`s bei der Remote-Begehung?

Führungskräfte sollten auf keinen Fall aus dem Prozess der Gefährdungsbeurteilung „herausrutschen“. Wenn die Fachkraft für Arbeitssicherheit nicht vor Ort erscheint, heißt das nicht, dass keine Gefährdungsbeurteilung stattfindet oder diese irgendwo anders und ohne Mitwirkung der zuständigen Führungskraft entsteht. Natürlich ist – ähnlich wie bei einer Präsenzbegehung auch – nicht bei jeder Beratung die Führungskraft persönlich mit dabei, sondern kann die Aufgabe an geeignete Mitarbeiter:innen delegieren. Aber verabschieden sollte sie sich – im eigenen Interesse – aus dem Prozess der Gefährdungsbeurteilung nie.

Welchen Mehrwert sehen Sie im Besuch des Seminars?

Viele Unternehmen unterliegen starken Veränderungsprozessen, die auf allen Ebenen eine hohe Agilität und Veränderungsbereitschaft erfordern. Überkommene Arbeitsprozesse sind dabei manchmal mit den vorhandenen Ressourcen schlicht nicht mehr umsetzbar, auch wenn sie sehr bewährt waren. Das Seminar lädt ein, Arbeitsschutz hier und da neu und anders zu denken.  

Online-Seminar-Tipp:

Das Online-Seminar „Remote-Begehung – Arbeitsschutz effektiv aus der Distanz organisieren“ mit Cornelia von Quistorp findet am Montag, den 23.10.2023 um 10 Uhr statt.

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