Gefährdungsbeurteilung psychischer Belastungen: Pflicht und Herausforderung

Antworten auf diese und weitere Fragen gibt Julia Scharnhorst, seit 2003 selbstständig als Beraterin, Trainerin und Autorin, im Interview mit der Haufe Online Redaktion.
Wer muss eine Gefährdungsbeurteilung psychischer Belastungen durchführen?
Haufe Online Redaktion: Frau Scharnhorst Sie haben Ihre beruflichen Schwerpunkte unter anderem auf die psychische Gesundheit am Arbeitsplatz und die Gefährdungsbeurteilung psychischer Belastungen gelegt. Was sind hierfür die Grundlagen, wer muss eine Gefährdungsbeurteilung psychischer Belastungen durchführen?
Julia Scharnhorst: Die Zuständigkeit für die Gefährdungsbeurteilung ist sehr klar im Arbeitsschutzgesetz festgelegt: Alle Arbeitgeber müssen aktiv überprüfen, ob von den Arbeitstätigkeiten Gefahren für die Gesundheit der Mitarbeitenden ausgehen. Das betrifft explizit auch die psychische Gesundheit. Falls solche Gesundheitsgefährdungen gefunden werden, müssen Arbeitgeber passende Gegenmaßnahmen ergreifen und später auch deren Wirksamkeit überprüfen. Das gilt, sobald mindestens eine Person beschäftigt ist. Also müssen ausnahmslos alle Unternehmen die Gefährdungsbeurteilung psychischer Belastung für die einzelnen Arbeitstätigkeiten durchführen.
Nur eine Drittel der Unternehmen wird aktiv
Haufe Online Redaktion: Ist dieses Thema nach wie vor noch aktuell oder haben die meisten Unternehmen in der Zwischenzeit die Gefährdungsbeurteilung psychischer Belastungen schon lange etabliert?
Julia Scharnhorst: Das Thema ist leider nach wie vor hoch aktuell! Obwohl das Arbeitsschutzgesetz bereits seit 2013 ausdrücklich bestimmt, dass auch die psychischen Belastungen überprüft werden müssen, führt nur etwa ein Drittel aller Betriebe diese Gefährdungsbeurteilung auch durch. Und bei den Unternehmen, die die Gefährdungsbeurteilung tatsächlich durchführen, stellt sich immer noch die Frage nach der Qualität der Untersuchung und der ergriffenen Maßnahmen. Hier gibt es also nach wie vor große Lücken und einen enormen Nachholbedarf. Leider wird der psychischen Gesundheit der Beschäftigten anscheinend nur wenig Bedeutung beigemessen. Meistens werden technische Anlagen und Geräte regelmäßig überprüft und gewartet – bei den Menschen sollte man sich mindestens genauso viel Mühe geben!
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Unwissen und Unsicherheit sind Stolpersteine
Haufe Online Redaktion: Was meinen Sie, woran es liegen kann, dass Unternehmen immer noch zögern, die Gefährdungsbeurteilung psychischer Belastungen im Betrieb durchzuführen?
Julia Scharnhorst: Viele Unternehmen, die sich um das Thema der psychischen Gesundheit noch nicht ausreichend kümmern, vermuten einfach, dass es bei ihnen keine Belastungen gibt. Daneben herrschen oft ein großes Unwissen und damit verbunden Unsicherheit über das richtige Vorgehen.
Gerade in kleineren Betrieben fehlen oft die nötige Sachkenntnis und Zeit in den Personalabteilungen. Es lässt sich beobachten, dass diejenigen Unternehmen, die ihren Arbeitsschutz sehr gut organisiert haben, auch die Gefährdungsbeurteilung psychischer Belastung am besten handhaben. Dem Thema Mitarbeitergesundheit und -sicherheit sollte also ein größeres Gewicht zugemessen werden, dann werden auch die nötigen Ressourcen an Zeit und Geld zur Verfügung gestellt. Bei Bedarf können Unternehmen sich auch externe Experten dazuholen, gerade wenn sie noch wenig Erfahrung in dem Bereich haben.
Psychische Störungen immer noch Tabuthema
Haufe Online Redaktion: Worin sehen Sie die größten Schwierigkeiten bei dem Thema psychische Gesundheit?
Julia Scharnhorst: Es herrschen hier immer noch viele Missverständnisse vor. So glauben viele Arbeitgeber, sie müssten erst aktiv werden, wenn bereits psychische Gesundheitsstörungen in der Belegschaft aufgetreten sind. Das Arbeitsschutzgesetz verlangt aber einen präventiven Ansatz, es müssen also Belastungen erfasst und vermindert oder beseitigt werden, bevor es zu gesundheitlichen Problemen kommt.
Diese Missverständnisse liegen sicherlich auch darin begründet, dass gerade psychische Störungen immer noch ein Tabuthema sind, über das nicht offen gesprochen wird. Die Ursachen werden dann eher bei den Betroffenen vermutet und nicht z. B. in den Arbeitsbedingungen. Dabei nehmen die Fehlzeiten wegen psychischer Störungen seit ca. 30 Jahren völlig ungebremst zu! Das sollte eigentlich jedem Arbeitgeber Anlass zum Nachdenken und Aktivwerden geben. Gerade in Zeiten des Fachkräftemangels kann es sich eigentlich keine Firma mehr leisten, Gesundheit und Wohlbefinden der Belegschaft zu ignorieren.
Die gute Nachricht ist, dass Firmen sehr viel für das Wohlbefinden und damit auch die Leistungsfähigkeit ihrer Beschäftigten tun können, wenn sie sich ernsthaft und gründlich um die psychische Gesundheit kümmern. Häufig ergeben die Gefährdungsbeurteilungen nämlich sehr viele Verbesserungsansätze, die mit wenig Aufwand umzusetzen sind.
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