Arbeitsverdichtung: Gesundheitlichen Folgen sichtbar

Die Intensivierung der Arbeit, auch Arbeitsverdichtung genannt, bedroht die psychische Gesundheit der Beschäftigten wie kaum ein anderes Phänomen in der modernen Arbeitswelt. Psychische Gefährdungsbeurteilungen und die Bewertung der Arbeitsintensität müssen daher Teil einer Gefährdungsbeurteilung in jedem Betrieb sein.

Personalabbau, Umstrukturierungen, Flexibilisierung und Digitalisierung haben in vielen Betrieben dazu geführt, dass die gleiche Arbeit von immer weniger Personen in immer kürzerer Zeit gemacht werden muss. Die so entstehende Arbeitsintensität und der steigende Arbeitsdruck können mittel- und langfristig zu schwerwiegenden gesundheitlichen Problemen bei vielen Beschäftigten führen. Die Arbeitsintensivierung in Verbindung mit erhöhtem Zeitdruck wird in der Arbeitswissenschaft als „Arbeitsverdichtung“ bezeichnet. Die Begriffe Arbeitsintensität und Arbeitsverdichtung werden in Praxis und Forschung zumeist synonym verwendet, eine gesonderte Begriffsdefinition hat sich (noch) nicht durchgesetzt.

Arbeitsverdichtung – eine Kombination von Belastungen

Trotz der Aktualität und Brisanz des Phänomens gibt es bis heute, wie oben schon keinen Konsens in der Fachwelt, wie Arbeitsverdichtung oder Arbeitsintensität gemessen werden können. Das Problem dabei ist, dass die Arbeitsintensität keine bestimmte (eindimensionale) Belastung beschreibt, wie zum Beispiel der Zeitdruck, sondern es handelt sich bei ihr um eine Kombination unterschiedlicher Belastungen. Hierzu zählen unter anderem erhöhtes Arbeitsvolumen (Quantität der Arbeit, Zeitdruck), häufigere Überlastungssituationen durch ausgedünnte Personaldecken, erhöhte qualitative Arbeitsanforderungen (höhere Komplexität, höhere Kooperationsanforderungen), erhöhte Anforderungen an Problemlösungskompetenzen sowie individuelle Verantwortung (ergebnisorientiertes Arbeiten).

Gefährdungsbeurteilung

Ist Arbeitsverdichtung also ein in erster Linie psychisches Problem? Eine Auffassung, die von vielen Experten geteilt wird. Gefordert sind ihnen zufolge daher Ansätze, die die Komplexität in den Zusammenhängen zwischen Arbeitsbedingungen und psychosozialen Gefährdungen berücksichtigen und auf gesund erhaltende Maßnahmen im Betrieb setzen (Führungskräfteverhalten, soziale Unterstützung, ausreichend Personal, etc.). Hierzu bietet die Gefährdungsbeurteilung die entscheidende Weichenstellung. Erfolgreiche Gefährdungsbeurteilungen zeichnen sich in der Regel dadurch aus, dass an ihnen die Belegschaften beteiligt werden und ihre Interessen und Sorgen ernst genommen werden. Die Mitarbeitenden wiederum können aber auch nur dann konstruktiv mitgestalten, wenn sie in der Lage sind bzw. durch Schulungen dazu gebracht wurden, die Zusammenhänge zwischen ihren Arbeitsbedingungen und den gesundheitlichen Risiken und Belastungen zu erkennen. Dadurch werden die Beschäftigten auch aus der „Individualisierungsfalle“ befreit und schieben die wahrgenommenen Belastungen nicht fälschlicherweise auf ihre vermeintlichen persönlichen Unzulänglichkeiten ab.

Es gibt verschiedene Facetten von Arbeitsverdichtung

Arbeitsverdichtung wird oft mit einer hohen Menge an Aufgaben unter Zeitdruck assoziiert. Was aber zeichnet die Arbeitsverdichtung darüber hinaus aus? Forscher des Lehrstuhls für Psychologie der Universität Erlangen-Nürnberg haben eine „grundlegende konzeptuelle Klärung“ durchgeführt und darauf aufbauend Hinweise für die Durchführung einer spezifischen Gefährdungsbeurteilung und entsprechenden Gegenmaßnahmen abgeleitet.

Bei ihrem Projekt „Zusammenstellung von Verfahren zur Ermittlung von neuen Formen der Arbeitsverdichtung und ihren Folgen sowie von Maßnahmen zur Prävention (AVENUE)“ wurden sieben „Facetten“ der Arbeitsverdichtung identifiziert:

  • Menge: Die Menge an Aufgaben, die zu erledigen ist.
  • Unterbrechungen: Bei der Aufgabenbearbeitung kommt es oft zu Unterbrechungen (z. B. durch E-Mails oder Anrufe).
  • Gleichzeitigkeit: Bei der Arbeit sind viele Aufgaben gleichzeitig zu erledigen.
  • Interdependenz: Die Bearbeitung der Aufgaben erfordert viel Abstimmung mit anderen Personen.
  • Arbeitsspitzen: Die Menge der Aufgaben steigt zeitweise stark an.
  • Erweiterte Erreichbarkeit: Die Erreichbarkeit für berufliche Angelegenheiten außerhalb der regulären Arbeitszeit.
  • Unklarheit: Bei der Arbeit ist die genaue Aufgabenstellung oder Rollenverteilung nicht klar.

Die Differenzierung zwischen verschiedenen Facetten der Arbeitsdichte, so die Forscher, lasse eine spezifische Beschreibung der jeweiligen Situation am Arbeitsplatz zu und ermöglicht die Anwendung bei einer Vielzahl von unterschiedlichen Tätigkeiten. Durch die Zerlegung in einzelne Facetten könnten im Anschluss gezielte Maßnahmen abgeleitet werden. Die Autoren kommen zu dem Schluss, dass Arbeitsverdichtung primär ein Problem der psychischen Gesundheit der Beschäftigten sei und daher im Rahmen einer psychischen Gefährdungsbeurteilung angegangen werden soll (Näheres zur Identifizierung der Facetten und zu Maßnahmen gegen Belastungen durch Arbeitsverdichtung auf der Projektwebseite: www.arbeitsverdichtung.de).

Dänemark: Ganzheitliche Gefährdungsbeurteilungen

Ein Beispiel für einen guten Umgang mit dem Problem der psychischen Folgen von Arbeitsverdichtungen ist Dänemark. Seit der Novellierung des Arbeitsschutzrechts in dem skandinavischen Land wird dort jeder Betrieb alle drei Jahre von ausgebildeten Arbeitsinspektoren der Gewerbeaufsichtsämter besucht Temporäre Arbeitsstätten mit fünf und mehr Angestellten, wie in der Baubranche, werden sogar durch spezielle Arbeitsschutzstellen betreut.

Dabei richten diese Experten ihre Aufmerksamkeit auch auf die psychosoziale Gesundheit der Angestellten, das quantitative Arbeitspensum und -tempo sowie die von den Führungskräften geleistete fachliche und psycho-soziale Unterstützung der Beschäftigten. Die psychisch-mentale Dimension der betrieblichen Gesundheit ist ein derart integraler Bestandteil der dänischen Arbeitsschutzgesetzgebung, dass mittlerweile in fast jedem Betrieb ganzheitliche Gefährdungsbeurteilungen durchgeführt werden, welche auch die psychosoziale Situation bewerten.

Anti-Stress-Verordnung in Sicht?

Eine Lösung für das Problem der Arbeitsverdichtung könnte eine Anpassung der Gesetzeslage bieten. Daher ist schon seit einigen Jahren in der Politik ein „Anti-Stress-Gesetz“ oder „Anti-Stress-Verordnung“ angedacht. Kritiker begrüßen dieses Ansinnen, warnen teilweise aber davor, mit dem Begriff „Stress“ die Situation in den Unternehmen zu verharmlosen und zu bagatellisieren.

Ein bundesweites Gesetz oder -eine Verordnung ist noch immer lediglich in der Diskussion. Daher übernehmen einige Bundesländer hierbei die Initiative, eigene Landesverordnungen zu schaffen. Allen voran Thüringen: Nach Vorstellungen der aktuellen dortigen Landesregierung, könnten die Arbeitsschutzbehörden wie in Dänemark ermächtigt werden, zu prüfen, ob in einem Unternehmen auf den Schutz von Arbeitnehmern vor psychischen Belastungen ausreichend geachtet wird.

Arbeitsverdichtung – wie real ist dieses Phänomen wirklich?

In wie vielen Betrieben ist Arbeitsverdichtung bzw. die gestiegene Arbeitsintensität ein Problem. Einen guten Hinweis darauf gibt die Betriebsrätebefragung des Wirtschafts- und Sozialwissenschaftliches Institut (WSI) der Hans-Böckler-Stiftung, die sich 2018 ganz dieser Frage widmete. Danach nahmen 80 Prozent der Betriebsräte eine gestiegene Arbeitsintensität in den Belegschaften wahr – besonders im Dienstleistungsbereich, allen voran im Erziehungs- und Gesundheitswesen sowie in Banken und Versicherungen.

Die hohe Bedeutung des Themas in den Betrieben zeigte sich vor allem darin, dass die Arbeitsintensivierung in 89 Prozent der betroffenen Betriebe bereits Gegenstand von Verhandlungen mit dem Arbeitgeber war. Die Arbeitsintensivierung bleibt für die Belegschaften offenbar nicht folgenlos: 77 Prozent der Befragten waren der Auffassung, dass dadurch die Anzahl der gesundheitlichen Probleme zugenommen habe und in 68 Prozent habe sich in Folge der Arbeitsverdichtung das Betriebsklima verschlechtert. Dass auch die Qualität der Arbeitsergebnisse darunter gelitten habe, vermuteten 47 Prozent der befragten Betriebsräte.