Die europäischen Richtlinien zu Arbeitsstätten und Baustellen verwenden ebenso wie das SGB IX den Begriff "behindertengerecht" bzw. "behinderungsgerecht". Wie "behindertengerecht" genau von "barrierefrei" abzugrenzen ist, bleibt offen, da belastbare Definitionen zu "behindertengerecht" im Regelwerk nicht vorhanden sind.

Der Begriff "barrierefrei" ist im deutschen Recht in 2 Spezialgesetzen definiert: im BGG und in den Bauordnungen der Länder: "Barrierefrei sind bauliche und sonstige Anlagen, Verkehrsmittel, technische Gebrauchsgegenstände, Systeme der Informationsverarbeitung, akustische und visuelle Informationsquellen und Kommunikationseinrichtungen sowie andere gestaltete Lebensbereiche, wenn sie für Menschen mit Behinderungen in der allgemein üblichen Weise, ohne besondere Erschwernis und grundsätzlich ohne fremde Hilfe auffindbar, zugänglich und nutzbar sind".[1]

Das BGG verfolgt damit einen breit angelegten Ansatz, gilt allerdings nur für Menschen mit Behinderungen, nicht jedoch für ältere Menschen oder solche mit kurzzeitigen Einschränkungen wie Schwangere.

Die Barrierefreiheit nach der Musterbauordnung (MBO) bezieht hingegen die gesamte Bevölkerung mit ein. Die Anforderungen der MBO gelten aber nur für die Errichtung, Änderung, Instandhaltung und Beseitigung baulicher Anlagen. Eine nachträgliche, verpflichtende Anpassung des Baubestandes, z. B. hinsichtlich einer barrierefreien Gestaltung, fordert sie nicht.

 
Praxis-Beispiel

Barrierefreie Arztpraxen

Arztpraxen sind als Einrichtungen des Gesundheitswesens nach dem Baurecht barrierefrei zu gestalten. Allerdings nur, wenn sie neu errichtet oder umgebaut werden. Es besteht keine Pflicht, den Bestand zu ändern, auch nicht bei Übernahme der Praxis durch einen Nachfolger. In Berlin befinden sich nicht wenige Arztpraxen in repräsentativen Altbauwohnungen. Oft sind bereits am Hauseingang Stufen zu überwinden, eventuell im Haus befindliche ältere Aufzüge erweisen sich als zu eng für Rollstühle.

Allerdings werden derzeit in Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonvention u. a. die Landesgleichberechtigungsgesetze (LGBG) mancher Bundesländer dem Geist der Inklusion angenähert. So fordert das Berliner LGBG, dass öffentlich zugängliche Bestandsbauten der öffentlichen Stellen mittelfristig barrierefrei umzugestalten sind, soweit dies bautechnisch und unter Ausschöpfung verfügbarer Mittel möglich ist. Bis 1.1.2026 sind Berichte über den Stand der Barrierefreiheit dieser Bestandsbauten zu erstellen.

Weitergehende bzw. umfassende Barrierefreiheit sind enthalten im sog. "Universal design" oder dem europäischen "Design for all". Sie beinhalten ein Konzept für die Planung und Gestaltung von

  • Produkten,
  • Umwelten (z. B. Gegenstände, Gebäude, öffentliche Wege, Straßen und Plätze, Anlagen und technische Einrichtungen),
  • Programmen und
  • Dienstleistungen.

Jene sollen von allen Menschen möglichst weitgehend ohne Anpassung oder spezielle Gestaltung genutzt werden können. "Design for all" soll somit den Inklusionsgedanken fördern, indem die Bedürfnisse aller Menschen betrachtet und Menschen mit Behinderungen als selbstverständlicher Teil der Gesellschaft anerkannt werden. Es wird nicht mehr zwischen einzelnen Personengruppen unterschieden, niemand soll wegen einer bestimmten Gestaltung von der Nutzung ausgeschlossen sein.

Hier wird deutlich, dass die derzeitige Fassung der ArbStättV diesem Gedanken noch nicht ausreichend Rechnung trägt. Wie im Folgenden noch detailliert ausgeführt wird, verfolgen die ArbStättV und die ASR V3a.2 einen von den individuellen Erfordernissen bestimmten Ansatz.

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