Overshoot Day: Wenn Deutschland ökologisch auf Pump lebt

Deutschland lebt seit dem 3. Mai 2025 ökologisch auf Pump. So lautet die zentrale Botschaft des diesjährigen nationalen Overshoot Days. Seit diesem Tag hat Deutschland rechnerisch alle natürlichen Ressourcen verbraucht, die der Planet im Laufe des Jahres regenerieren kann. Der sogenannte Weltüberlastungstag („World Overshoot Day“) markiert diesen Moment für die Weltgemeinschaft insgesamt – und macht regelmäßig Schlagzeilen.

Berechnet wird das Datum das Overshoot Days auf Basis des ökologischen Fußabdrucks (engl. ecological footprint). Dieser ist ein weit verbreiteter Indikator zur Bewertung der menschlichen Nutzung natürlicher Ressourcen. Viele Menschen kennen die Kernaussagen des Konzepts – etwa die Vorstellung, dass wir mehrere Erden bräuchten, wenn alle Menschen so leben würden wie etwa die Bevölkerung Deutschlands. Weniger bekannt ist hingegen die Methodik hinter diesem Indikator. Zudem wird der ökologische Fußabdruck häufig mit anderen Verfahren der Umweltbewertung verwechselt, etwa dem ökologischen Rucksack, dem Umweltfußabdruck von Produkten, der Ökobilanz oder auch dem sogenannten Handabdruck.

Dieser Artikel stellt die Methodik des ökologischen Fußabdrucks in ihren Grundzügen vor, erläutert die Berechnung des Overshoot Days und beleuchtet Kritik sowie Weiterentwicklungen dieses Indikators.

Der ökologische Fußabdruck – Ecological Footprint

Der ökologische Fußabdruck ist der Indikator, auf dem die Berechnung des Overshoot Days basiert. Die Methode wurde Anfang der 1990er-Jahre von Mathis Wackernagel und William Rees entwickelt (Lin et al., 2018; Wackernagel et al., 2021; Wackernagel & Beyers, 2019; Wackernagel & Rees, 1996, 1998) und hat sich seither zu einem viel genutzten Maßstab für die Bewertung der menschlichen Beanspruchung von Ökosystemleistungen entwickelt. Seine Bedeutung geht über die reine Quantifizierung hinaus: Er dient als medienwirksames und einfach kommunizierbares Barometer für Nachhaltigkeit und verdeutlicht das Verhältnis zwischen Ressourcenverbrauch und der Fähigkeit der Erde, diese Ressourcen zu regenerieren – der sogenannten Biokapazität.

Country Overshoot Day

Der ökologische Fußabdruck ist eine Kennzahl, die den Ressourcenbedarf von Ländern, Unternehmen und Individuen mit der biologischen Kapazität der Erde vergleicht. Sie beschreibt, wie schnell wir Ressourcen verbrauchen und Abfälle erzeugen – und in welchem Maß die Ökosysteme der Erde diese verarbeiten und neue Ressourcen bereitstellen können. Erklärt wird der ökologische Fußabdruck damit, wie viele Erden die Menschen bräuchten, wenn alle so leben würden, wie die Bewohner der USA (5 Erden), Deutschlands (3 Erden) oder Indiens (0.8 Erden) (siehe Abbildung 1).

Zur Berechnung des ökologischen Fußabdruckes werden alle Land- und Wasserflächen addiert, die notwendig sind, um Ressourcen zu produzieren und Abfälle aufzunehmen. Diese Flächenarten umfassen:

  • Acker- und Weideland für landwirtschaftliche Produktion und Tierhaltung
  • Wälder und Forste zur Erzeugung von Holz, Papier und anderen Forstprodukten
  • Fischgründe zur Nutzung mariner und limnischer Ressourcen
  • Bebautes Land für Siedlungen, Infrastruktur und Industrie
  • Waldflächen, die erforderlich wären, um die durch fossile Brennstoffe verursachten Emissionen zu kompensieren.

Um Unterschiede in der Flächenproduktivität weltweit zu berücksichtigen, wird der ökologische Fußabdruck in globalen Hektar (gha) gemessen – einer standardisierten Maßeinheit für biologisch produktive Flächen mit durchschnittlicher globaler Produktivität. So lassen sich Fußabdrücke und Biokapazitäten weltweit vergleichen.

Ökologischer Fußabdruck und ökologisches Defizit

Übersteigt der Fußabdruck die Biokapazität einer Region, entsteht ein Biokapazitätsdefizit. Die Nachfrage nach Nahrungsmitteln, Fasern, Holz, Fisch oder CO₂-Speicherung übersteigt dann die regenerative Leistungsfähigkeit des jeweiligen Ökosystems. In solchen Fällen lebt eine Region „auf Pump“ – entweder auf Kosten anderer Regionen oder zukünftiger Generationen. Es wird dann von einem ökologischen Defizit, ökologischen Schulden bzw. dem „overshoot“ gesprochen. Die Menschen in einer Region mit einem ökologischen Defizit benötigen dann „mehr als eine Erde“, um ihre Bedürfnisse zu befriedigen.

Zur Berechnung des Earth Overshoot Day analysiert das Global Footprint Network, wie viele Tage im Jahr die natürliche Biokapazität der Erde ausreicht, um den jährlichen Ressourcenbedarf der Menschheit zu decken. Die restlichen Tage stehen für den ökologischen Überverbrauch.

Die Formel lautet:

  • (Biokapazität des Planeten / Ökologischer Fußabdruck der Menschheit) × 365 = Earth Overshoot Day

er ökologische Fußabdruck lässt sich auf verschiedenen Ebenen bestimmen – weltweit, national oder individuell. Für Letzteres stehen Online-Rechner kostenlos zur Verfügung:

Beispiel: Berechnung des Schweizer Overshoot Days

Der Schweizer Overshoot Day für das Jahr 2025 basiert auf Daten der vorläufigen Ausgabe 2025 der National Footprint and Biocapacity Accounts. Da die aktuellsten verfügbaren Werte aus dem Jahr 2023 stammen, spiegelt das Ergebnis die Situation in diesem Jahr wider: 

  •     Ökologischer Fußabdruck der Schweiz im Jahr 2023: 4,25 globale Hektar (gha) pro Person
  •     Globale Biokapazität im Jahr 2023: 1,48 gha pro Person

Das bedeutet: Würde die gesamte Menschheit so leben wie die Bevölkerung der Schweiz, wären 2,87 Erden notwendig, um diesen Lebensstil langfristig aufrechtzuerhalten.

Zur Berechnung des Overshoot Days in Tagen:

365 Tage × (1,48 / 4,25) = 127 Tage


Die Menschheit hätte also ihr jährliches ökologisches Ressourcenbudget bereits am 127. Tag des Jahres 2025 aufgebraucht – das entspricht dem 7. Mai.

Wichtig: Wird das gesamte ökologische Jahresbudget verbraucht, bleibt kein Raum mehr für die Lebensgrundlagen wild lebender Arten.

Der globale Earth Overshoot Day rückt seit Jahrzehnten kontinuierlich nach vorn. Im Jahr 2023 fiel der deutsche Overshoot Day bereits auf den 4. Mai und jetzt ist er rechnerisch einen Tag eher erreicht – ein deutliches Zeichen für den überproportionalen Ressourcenverbrauch hierzulande.

Nationale Overshoot Days 2025

Es gibt auch Kritik am Konzept des ökologischen Fußabdrucks

Der ökologische Fußabdruck ist zweifellos ein erfolgreicher Nachhaltigkeitsindikator in der öffentlichen Kommunikation. Seine Popularität verdankt er der scheinbaren Einfachheit: Eine einzige Kennzahl vermittelt, ob der Ressourcenverbrauch einer Region oder der Menschheit insgesamt im Einklang mit der global verfügbaren Biokapazität steht. 

Prägnante Zahlen schaffen es in die Schlagzeilen! „Only bad news are good news“! Im ökologischen Fußabdruck zeigt sich eine besonders eindringliche Art, vor ständigem Wirtschaftswachstum und der Ausbeutung natürlicher Ressourcen zu warnen und ökologischen Schulden zu betonen. 

Doch gerade diese medienwirksame Reduktion komplexer Zusammenhänge auf eine Zahl ist ein zentraler Kritikpunkt aus wissenschaftlicher Sicht ((Blomqvist et al., 2013a, 2013b; Fiala, 2008; Galli et al., 2016; Giampietro & Saltelli, 2014; Jóhannesson et al., 2020; van den Bergh & Grazi, 2014; van den Bergh & Verbruggen, 1999).

Kritisiert wird etwa, dass der größte Teil der globalen „Übernutzung“ im Ecological Footprint durch CO₂-Emissionen verursacht wird – und diese Emissionen durch die Umrechnung in eine hypothetische Fläche von Wald dargestellt werden soll, die zur Kompensation notwendig wäre (Blomqvist et al., 2013a). Diese Konstruktion ist methodisch fragwürdig, da sie eine nachhaltige Waldbewirtschaftung unterstellt, deren Realisierbarkeit nicht überprüft wird. Andere Umweltprobleme – wie Biodiversitätsverlust, Bodendegradation oder Wasserknappheit – bleiben im EF weitgehend unberücksichtigt. Auch die Darstellung, dass alle Städte aufgrund ihres Ressourcenimports per Definition „unsustainable“ seien, liefert wenig Erkenntnisgewinn, da die langfristige Verfügbarkeit dieser Importe nicht bewertet wird. (Giampietro & Saltelli, 2014).

Ferner wird die epistemologische Grundlage, das Narrativ des Ecological Footprints kritisiert (Galli et al., 2016; Giampietro & Saltelli, 2014). Der Indikator suggeriere eine wissenschaftliche Genauigkeit, die er nicht leisten könne, da er zentrale Annahmen nicht transparent mache. Die verwendeten Maßeinheiten – der sogenannte „globale Hektar“ – entbehren häufig einer realen Referenz. So führe die Bewertung von Waldmonokulturen mit hohen Holzerträgen als besonders „biokapazitätsstark“ zu dem paradoxen Ergebnis, dass ökologisch problematische Landnutzungen als nachhaltig erscheinen. Die Kritiker sprechen daher von einem Widerspruch zwischen der Semantik des EF – also dem, was er zu messen vorgibt – und seiner tatsächlichen Berechnungslogik. Zudem konstatiert die Kritik eine gravierende Verzerrung durch das Missverhältnis von Modellkomplexität und Aussagekraft: Trotz einer aufwändigen Rechenlogik basiert der Ecological Footprint auf normativen Entscheidungen, etwa der Fixierung auf bestimmte Flächenarten und Umrechnungsfaktoren, die von der Global Footprint Network (GFN) regelmäßig angepasst werden. Dabei entzieht sich die Methodik einer externen Überprüfung und widerspricht etablierten Standards zur Modelltransparenz und -robustheit. Auf die Kritik, die sich sowohl auf die Logik als auch die Abschätzungen und die Datenqualität beziehen, hat das Global Footprint Network auch jeweils reagiert (Galli et al. 2016; Global Footprint Network research team 2020) und arbeitet beständig an einer Weiterentwicklung der Methode.

Fazit

Zusammenfassend lässt sich festhalten: Der Ecological Footprint ist ein anschlussfähiges Kommunikationsinstrument und eine hilfreiche Erzählweise, um den Einfluss des Menschen auf die Erde zu bewerten – sei es in Bezug auf den Lebensstil einer Person, die Wirtschaft eines Landes oder den Zustand des Planeten insgesamt. Aber er ist kein belastbarer wissenschaftlicher Indikator für Nachhaltigkeit im Sinne differenzierter ökologischer Systemanalysen. Die vereinfachende Aggregation komplexer Umweltwirkungen in eine globale Fläche verstellt häufig den Blick auf die tatsächlichen Belastungen von Ökosystemen und kann im schlimmsten Fall zu falschen politischen Schlussfolgerungen führen.


Quellen:

  • Blomqvist, L., Brook, B. W., Ellis, E. C., Kareiva, P. M., Nordhaus, T., & Shellenberger, M. (2013a). Does the Shoe Fit? Real versus Imagined Ecological Footprints. PLOS Biology, 11(11), e1001700. https://doi.org/10.1371/journal.pbio.1001700
  • Blomqvist, L., Brook, B. W., Ellis, E. C., Kareiva, P. M., Nordhaus, T., & Shellenberger, M. (2013b). The Ecological Footprint Remains a Misleading Metric of Global Sustainability. PLOS Biology, 11(11), e1001702. https://doi.org/10.1371/journal.pbio.1001702
  • Fiala, N. (2008). Measuring sustainability: Why the ecological footprint is bad economics and bad environmental science. Ecological Economics, 67(4), 519–525. https://doi.org/10.1016/j.ecolecon.2008.07.023
  • Galli, A., Giampietro, M., Goldfinger, S., Lazarus, E., Lin, D., Saltelli, A., Wackernagel, M., & Müller, F. (2016). Questioning the Ecological Footprint. Ecological Indicators, 69, 224–232. https://doi.org/10.1016/j.ecolind.2016.04.014
  • Giampietro, M., & Saltelli, A. (2014). Footprints to nowhere. Ecological Indicators, 46, 610–621. https://doi.org/10.1016/j.ecolind.2014.01.030
  • Global Footprint Network research team. (2020). Ecological Footprint Accounting: Limitations and Criticism. Verion 1.2. Global Footprint Network. https://www.footprintnetwork.org/our-work/ecological-footprint/limitations-and-criticisms/
  • Jóhannesson, S. E., Heinonen, J., & Davíðsdóttir, B. (2020). Data accuracy in Ecological Footprint’s carbon footprint. Ecological Indicators, 111, 105983. https://doi.org/10.1016/j.ecolind.2019.105983
  • Lin, D., Hanscom, L., Murthy, A., Galli, A., Evans, M., Neill, E., Mancini, M. S., Martindill, J., Medouar, F.-Z., Huang, S., & Wackernagel, M. (2018). Ecological Footprint Accounting for Countries: Updates and Results of the National Footprint Accounts, 2012–2018. Resources, 7(3), Article 3. https://doi.org/10.3390/resources7030058
  • van den Bergh, J. C. J. M., & Grazi, F. (2014). Ecological Footprint Policy? Land Use as an Environmental Indicator. Journal of Industrial Ecology, 18(1), 10–19. https://doi.org/10.1111/jiec.12045
  • van den Bergh, J. C. J. M., & Verbruggen, H. (1999). Spatial sustainability, trade and indicators: An evaluation of the ‘ecological footprint’. Ecological Economics, 29(1), 61–72. https://doi.org/10.1016/S0921-8009(99)00032-4
  • Wackernagel, M., & Beyers, B. (2019). Ecological Footprint: Managing Our Biocapacity Budget. New Society Publishers.
  • Wackernagel, M., Hanscom, L., Jayasinghe, P., Lin, D., Murthy, A., Neill, E., & Raven, P. (2021). The importance of resource security for poverty eradication. Nature Sustainability, 4(8), Article 8. https://doi.org/10.1038/s41893-021-00708-4
  • Wackernagel, M., & Rees, W. (1996). Our Ecological Footprint: Reducing Human Impact on the Earth. New Society Publishers.
  • Wackernagel, M., & Rees, W. (1998). Our ecological footprint: Reducing human impact on the earth (Bd. 9). New Society Publishers.