„Die Regulatorik funktioniert nicht“
Nachhaltigkeitsberichterstattung: entkoppelt von strategischen Zielen
Herr Bornschein, Herr Cleemann, Sie werfen in Ihrem Buch „Real World Impact“ einen kritischen bis skeptischen Blick auf die EU-Regulierung, die zahlreichen Richtlinien und das Berichtswesen in Sachen ESG. Welche Probleme haben Sie identifiziert?
Bornschein: Es funktioniert nicht. Und es funktioniert aus verschiedenen Gründen nicht, entlang der gesamten Entstehungsgeschichte. Das fängt im Großen an: Der Grundfehler liegt in der Annahme, der Staat verstehe zu hundert Prozent, wie das Design eines gewünschten Marktes sein solle und wie Märkte sich verhalten. Völlig ungeklärt ist auch, welche Rolle Staat und Wirtschaft dabei konkret spielen können. Warum ist das so? Weil die EU keine Industriestrategie hat. Weil ihr das Ziel fehlt, zu dem das alles – die Regulierung, die Berichterstattung, das ganze Datenerheben – führen soll und in einen funktionsfähigen Kanon staatlichen Handelns übersetzt werden kann. Diese oberste Dysfunktionalität ist schnell beschrieben und lässt sich in darunterliegende Dysfunktionalitäten übersetzen.
Geht es ein bisschen konkreter?
Bornschein: Ein Gesprächspartner sagte uns, und ich neige dazu, ihm Recht zu geben, dass die Idee, eine klimaneutrale Wirtschaft zu schaffen, über das Bankenrecht zu lösen, schlicht falsch ist. Aber dazu vielleicht später mehr. Die Balance zwischen Staat und Wirtschaft ist in Europa nicht stimmig, deswegen kann alles, was darauf folgt, nicht wirklich richtig sein.
Das Buch „Real World Impact. Wie sich mit den Mitteln des Kapitalismus und des technologischen Fortschritts die katastrophalen Folgen von Kapitalismus und technologischem Fortschritt lindern lassen“ von Christoph Bornschein und Sebastian Cleemann ist in der Buchhandlung Ihres Vertrauens erhältlich, aber auch im Haufe Onlineshop. |
Cleemann: Ein wesentliches Problem liegt darin, dass Deutschland und die EU sich eine andere Industrie, eine andere Wirtschaft schlicht nicht vorstellen wollen und können. Der Leitsatz hier lautet nicht „Wir wollen etwas grundsätzlich anders machen.“ Wir wollen im Gegenteil das, was wir seit Jahrzehnten machen, einfach weiterführen, nur soll es halt irgendwie ein bisschen nachhaltiger sein, was auch immer das dann heißt. Dieser Ansatz ist auf Dauer nicht tragfähig, denn er sendet die Botschaft „Wir verändern ein bisschen was und schaffen das schon. Aber ihr müsst euch keine Sorgen machen, denn gleichzeitig kann alles so bleiben, wie es ist“. Das stimmt aber schlicht nicht.
Wir wollen das, was wir seit Jahrzehnten machen, einfach weiterführen, nur soll es halt irgendwie ein bisschen nachhaltiger sein, was auch immer das dann heißt.
Sebastian Cleemann
Bornschein: Das Problem mit der Berichterstattung ist doch, dass aktuell zwei Firmen in derselben Fabrik in Bangladesh etwas von Kindern zusammennähen lassen können. Die eine sieht, dass da etwas nicht stimmt, und reagiert entsprechend, die andere sieht es nicht oder nimmt es hin. Und das ist in deren Bilanz und nach deren unternehmerischem Verständnis dann auch okay.
Nachhaltigkeitsberichterstattung ohne Ziel
Aber hat diese ganze Berichterstattung nicht genau das Ziel, dass sie es sehen?
Bornschein: Natürlich ist das die Idee des Ganzen. Aber es werden keine nächsten Schritte daraus abgeleitet. Die Berichterstattung besagt, dass wir uns erst einmal alles ganz genau anschauen und danach wissen, was wir gegebenenfalls verändern können. Und das Ganze möglichst umfassend und in einer Kaskade von den ganz großen Unternehmen, die jetzt schon alles erfassen und berichten müssen, über mittelgroße Unternehmen, die vielleicht auch sammeln und berichten müssen, bis hin zu kleinen, die das alles (noch) nicht tun müssen – aber als Teil der Lieferkette eben doch schon betroffen sind. Ehe wir aber konkrete Veränderung schaffen, wird diese ganze Kaskade in Gang gesetzt und einmal grundlegend durchleuchtet. Sorry, aber das ist einfach Quatsch.
Cleemann: In dieser Logik gilt dann auch, was uns ein Interviewpartner bei der Recherche für das Buch gesagt hat: Wenn du jetzt aus eigenem Antrieb etwas Richtiges machst, das aber nicht der Norm des Systems entspricht, musst du zurück auf Los und dasselbe Richtige noch einmal machen, dieses Mal aber gemäß der Regulatorik. Das kostet Zeit und Geld und bringt nichts Neues.
Wenn du heute aus eigenem Antrieb etwas Richtiges machst, das aber nicht der Norm des Systems entspricht, musst du zurück auf Los und dasselbe Richtige noch einmal machen, dieses Mal aber gemäß der Regulatorik.
Sebastian Cleemann
Wenn ich Sie richtig verstehe, gibt es drei große Kritikpunkte an der geltenden Regulatorik: Die geforderte Berichterstattung ist mit tausend Datenpunkten viel zu detailliert. Außerdem stehen die Datenpunkte in keinem Zusammenhang mit irgendeiner Nachhaltigkeitsstrategie irgendeines Unternehmens. Und die Finanzindustrie soll der Hebel sein, über den genuin politische beziehungsweise staatliche Ziele in den Markt gedrückt werden sollen. Was ist da schiefgelaufen?
Bornschein: Ganz grundsätzlich: Die Verantwortlichen hätten die Regeln mit den jeweiligen Industrien entwickeln müssen. Vielleicht sogar sektoral, also nach Branchen, denn die Voraussetzungen sind ja unterschiedlich. Und der größte Fehler ist, dass die ganze Regulatorik nicht Incentive-getrieben ist. Im Moment drohen wir Unternehmen, dass sie den Zugang zu Geld verlieren, wenn sie nicht nachhaltig im Sinne der Regulatorik werden. Richtig wäre gewesen zu sagen: „Was wir machen, dient dem Aufbau einer neuen, wettbewerbsfähigen und zukunftsfähigen Industrie. Und deshalb fördern wir dich, wenn du eine Batteriefabrik baust oder einen Speicher entwickelst oder …“ Das Ganze andersrum denken, wäre ein ganz interessanter Ansatz gewesen.
Der größte Fehler ist, dass die ganze Regulatorik nicht Incentive-getrieben ist.
Christoph Bornschein
Cleemann: Auch für diesen Ansatz wären Daten und Berichterstattung wichtig: Denn gerade, wenn es um Förderung geht, müssen die Empfänger natürlich Pflichten erfüllen und sich an überprüfbaren KPI ausrichten. Der Unterschied ist aber, dass diese Daten dann unmittelbar im Zusammenhang mit den Unternehmensstrategien und -zielen stehen. Aber genau das haben wir jetzt nicht. Heute fehlt die klare Verbindung zwischen „Was wird erfasst?“, „Warum wird es erfasst?“ und „Welche Entscheidungen werden auf Basis dieser Daten getroffen?“ Es braucht konkrete Handlungsempfehlungen, es geht um Produkte, Leistungen, Infrastrukturbedarfe und so weiter. Weil das alles fehlt, haben die Nachhaltigkeitsberichte auch in der nun überarbeiteten und gekürzten Form keinen Sinn.
Gesetzgebung und Regulatorik sind in der Regel eine Reaktion auf den Eindruck, dass Unternehmen von sich aus nichts tun. Die Regulatorik ist der Versuch, irgendetwas anzustoßen.
Bornschein: Spannend, dass Sie „irgendetwas“ sagen. Genau hier liegt das Problem. „Irgendetwas“ beschreibt kein Ziel, keinen gewünschten Zustand. Das ganze Erheben und Messen und Berichten soll „irgendetwas“ in Bewegung setzen, die dann irgendwohin ins Nachhaltige führt.
Heute fehlt die klare Verbindung zwischen „Was wird erfasst?“, „Warum wird es erfasst?“ und „Welche Entscheidungen werden auf Basis dieser Daten getroffen?“
Sebastian Cleemann
Nachhaltigkeitsberichterstattung: Es fehlt an Incentives
Die Berichterstattung dient ja auch dazu, dass Unternehmen zum Beispiel ihren CO2-Footprint kennen. Natürlich, um ihn dann zu verkleinern. Warum kommen viele Unternehmen nicht von allein auf die Idee?
Bornschein: Na ja, die kämen schon auf die Idee. Nehmen Sie die Stahlproduzenten, die Betonhersteller und Ähnliches. Die wissen, dass sie etwas machen müssen, aber ihre Bemühungen, cleaner zu werden, werden nicht incentiviert. Die CO2-Emissionen zu senken, verlangt riesige Investitionen. Und Märkte fangen erst dann an zu funktionieren, wenn Preisparität zwischen neuem und altem Markt besteht. Investitionen in Solarstromerzeugung und Stromspeicher beispielsweise sprudeln, sobald ein Incentive da ist. Insofern wäre die Frage, warum man sich nicht ein paar Märkte mit großen Hebeln gesucht hat, um die gezielt zukunftsfähig, nämlich nachhaltig zu machen? Eben den Energiemarkt, den gesamten Gebäudesektor hätte man in Richtung Preisparität entwickeln müssen. Dass wir das nicht gemacht haben, ist das Problem.
Das sehr unideologische, oder sehr andersrum ideologische, Texas hat heute einen riesigen Anteil an Clean Energy – Green Energy sagen sie in Texas nicht. Die Quote könnte nicht größer sein. Aber nicht, weil Texas nachhaltig und „sauber“ sein will, sondern aus pragmatischen, marktwirtschaftlichen Gründen: Mit Clean Energy lässt sich Geld verdienen. So verstehen wir die Rolle des Staates: Anfangs ineffiziente und zu teure Märkte so zu fördern, dass ein echter Markt entsteht und dass sich dann auf diesem Markt das Richtige durchsetzt. Man kann hundert Mal Dokumentationspflichten einführen für die Bau- und Immobilienwirtschaft: Wenn es keine Preisparität gibt, bauen alle mit Beton. Weil alles andere zu teuer ist.
Nichtsdestoweniger stellt sich die Frage, was Wohnungsunternehmen seit 20, 30 Jahren daran hindert, ihren Wohnungsbestand energetisch zu sanieren.
Bornschein: Es gibt zu wenige Incentives, das Richtige zu tun. Man kann über eine Pönalisierung kommen und Unternehmen dafür bestrafen, wenn sie nicht sanieren. Das ist, was im Moment geschieht. Und was passiert: Sie verkaufen „schmutzige“ Assets, statt den Bestand „sauber“ zu machen. Statt einen Markt zu schaffen, der seriell sinnvolles, gutes Bauen aus sich heraus erfolgreich macht.
So verstehen wir die Rolle des Staates: Anfangs ineffiziente und zu teure Märkte so zu fördern, dass ein echter Markt entsteht und dass sich dann auf diesem Markt das Richtige durchsetzt.
Christoph Bornschein
Cleemann: Im besten Fall findet man eine Balance aus Incentivierung und Pönalisierung. Man fördert das Richtige oder Bessere oder Sauberere und fängt an, beim Hergebrachten Abstriche zu machen. Und zu Ihrer Frage, warum Unternehmen nicht von sich aus sanieren: Weil es für ein kurzfristig profitorientiertes Unternehmen keine fassbaren wirtschaftlichen Vorteile hat.
Bornschein: Weil es oft keine spürbare wirtschaftliche Notwendigkeit gibt. In börsennotierten Unternehmen etwa mit extrem diffuser Eigentümerstruktur hat außerhalb von Quartalsberichten kaum jemand der ein langfristiges Interesse daran, die nächsten fünf Jahre in irgendetwas Nachhaltiges zu investieren.
Nachhaltigkeit: Welchen Preis sind wir bereit zu zahlen?
Sie sagen, Deutschland und der EU fehle eine Industriestrategie. Niemand frage, was wir noch haben wollen und was wir nicht mehr haben wollen …
Bornschein: Und niemand fragt danach, welche Schmerzen wir bereit sind zu ertragen. Der Grund dafür, dass die Politik nicht handelt, ist die Schwierigkeit den Menschen zu sagen: „Wenn wir den Braunkohletagebau in der Lausitz beenden, hat das kurzfristig negative Konsequenzen für die Arbeitsplätze einiger." Dieses Unvermögen, dieser Unwillen, Menschen zu sagen, dass der Aufbau neuer Märkte und Industrien Unbill erzeugt, ist das eigentliche Problem.
Wer das sagt, kriegt Schwierigkeiten. So wie Robert Habeck, als er gesagt hat, das Ende der Gasheizung wäre eine tolle Idee.
Bornschein: Es geht um Verhandlungsräume und Diskurse für Fortschritt und Zukunft. Was als Kompetenz verloren gegangen ist, sind nach vorne gerichtete Zukunftsdiskurse, die sich mit der Frage beschäftigen, welche Zukunft wir haben wollen und welchen Preis wir dafür zu zahlen bereit sind. Deutschland, die EU, das sind Gesellschaften, die das Gefühl haben, ihr Zenit liege in der Vergangenheit. Und die sich nicht vorstellen können, dass weiter vorne ein möglicher neuer Mount Everest liegt. Deshalb diskutieren wir auf dem Niveau von „Die wollen uns nur das XY“ wegnehmen. Was auch immer XY ist.
Deutschland, die EU, das sind Gesellschaften, die das Gefühl haben, ihr Zenit liege in der Vergangenheit. Und die sich nicht vorstellen können, dass weiter vorne ein möglicher neuer Mount Everest liegt.
Christoph Bornschein
Mein Eindruck ist, dass wir die ganze Zeit diskutieren, die Diskussion führt aber ins Nirgendwo.
Bornschein: Weil wir die Quengeligen mit Geld zuschütten. Die Menschen wollen keine Überlandleitung für erneuerbaren Strom vom Norden in den Süden? Dann bauen wir für das Vielfache an Kosten und Dauer halt unterirdische Leitungen. Die Menschen wollen kein Windrad sehen? Wir sagen, sie haben ein Recht darauf, dass ein Windrad mehr als einen Kilometer von jedem Haus entfernt steht. Eine Mülldeponie oder ein Kohlekraftwerk aber darf in unmittelbarer Nähe stehen. Wir diskutieren nicht, sondern geben den lautesten Protestierern recht.
Cleemann: Wir hören Beruhigungserzählungen, weil wir, weil die Gesellschaft vom dauernden Wandel und der Transformation überfordert sind. Politisch wird vermittelt, dass alles nicht so schlimm werde. Das wir es schon hinkriegten: „Natürlich werden wir weiterhin den Verbrennungsmotor haben, schütten wir halt demnächst Rapsöl in den Tank.“ Medial wiederum wird eher eine Aufregungserzählung verbreitet: „Die Transformateure, die Leute, die von Veränderung sprechen, wollen euch alle die Bratwurst wegnehmen und den Kleinwagen." Es gibt wenig Bereitschaft, die Notwendigkeit eines grundlegenden Wandels überhaupt zu thematisieren. Der komplette CDU-Wahlkampf war ein Beruhigungs- und ein Gegenwahlkampf.
Bornschein: Und gleichzeitig ein Drehen an der Polarisierungsschraube, denn die Bratwurstigkeit kommt ja durchaus von Markus Söder, der es natürlich besser weiß.
Cleemann: Und wenn Sie wissen wollen, wie wir da rauskommen … In unserem Buch stellen wir an dieser Stelle erst einmal nur fest, dass wir ein Problem haben. Doch umso notwendiger ist es, auf einer politischen Ebene Kompetenz zu schaffen und Narrative zu schaffen. Eine grobe Idee davon, wo es hingehen soll und wie wir dorthin kommen. Bis heute konstatieren wir hier einen Totalausfall.
Wir brauchen wenigstens eine grobe Idee davon, wo es hingehen soll und wie wir dorthin kommen. Bis heute konstatieren wir hier einen Totalausfall.
Sebastian Cleemann
Zurück zu Ihrer Kritik an der Berichterstattung und Regulierung. Es gibt zahlreiche Verbände und Unternehmen, die sie richtig finden und gegen den Rückbau sind. Gibt es denn gar nichts Bewahrenswertes an dem, was bislang geschaffen wurde?
Bornschein: Was wir brauchten, wäre Geradlinigkeit und Konsequenz in Regulierung. Nehmen Sie die Wärmepumpe. Kaum ist die neue Regierung im Amt, wollen Teile von ihr das Gebäudeenergiegesetz wieder abschaffen oder massiv verändern. Fatal. Wenn man etwas Großes im Kopf hat, wie die Entwicklung von Märkten, die es noch nicht gibt, dann sind planbare Rahmenbedingungen das Entscheidende. Damit, dass diese Rahmenbedingungen immer wieder verändert wurden, haben wir vieles vom Richtigen immer wieder zerstört. Hier an Beschlossenem festzuhalten und einmal eine lange Strecke einfach geradeaus zu fahren, wäre schon ein echter Gewinn. So, wie es beim GEG läuft, wird nie eine Wärmepumpen-Industrie in Deutschland entstehen. Bei Solarmodulen haben wir es ja auch geschafft, dass wir alle Hersteller aus Deutschland vertrieben haben. Deswegen ist der Omnibus bei der Berichterstattung gar nicht schlecht. Weil er keine 180-Grad-Wende darstellt, sondern ein sukzessives Anpassen. Dass diese Anpassungen eher vom Widerstand getrieben als auf ein klares Ziel ausgerichtet sind – daran könnte man noch arbeiten.
Nachhaltige Innovation braucht funktionierende Märkte
Der Journalist Wolf Lotter hat einmal gesagt, Unternehmen, vom Konzern bis zum kleinen Mittelständler, würden nur noch innovieren, wenn sie dafür Geld vom Staat bekämen. Das Unternehmerische sei komplett verschwunden.
Bornschein: Ich stimme dem allenfalls in Teilen zu. Ja, Unternehmen haben sich sehr daran gewöhnt, sich in die eine oder andere Richtung finanzieren zu lassen. Was im Übrigen auch wieder eine schlechte Industriestrategie ist. Wenn wir uns angucken, wie zum Beispiel Volkswagen agiert, dann ist das zutiefst wettbewerbsunfähig. Wir haben in Deutschland eine Situation geschaffen, in der ein anderes Verhalten, das nicht auf Subventionen wartet, schlicht irrational wäre. Warum sollte jemand aufhören, mit Steuergeld geförderte Hybride zu produzieren, bloß weil sie wissen, dass das Quatsch-Autos sind? Aber heißt das, dass alle ihr Unternehmertum verloren haben? Auf keinen Fall.
Das Zurück-zu ist hochsubventioniert, das Hin-zu kaum oder gar nicht. Das ist das Bizarre. Und die Regulatorik ändert daran nichts, im Gegenteil.
Christoph Bornschein
Aber wo sind denn die unternehmerisch denkenden und agierenden Unternehmen? Die, die sagen: „Wir wollen Neues erfinden, wir wollen etwas Geiles machen.“
Bornschein: Die sind doch da! Die ganzen Green-Tech- und Clean-Tech-Startups, die massiven Private-Equity-Investitionen, die wir in Energy Transition sehen … Das ist nur deshalb noch nicht wirklich groß und mächtig, weil wir es interessanter finden, unser Volksvermögen in die Garantieverzinsung dezentraler Verteilernetze und den Netzbetrieb von Eon zu stecken. Wer garantiert Geld verdient, muss nicht innovativ sein. So einfach ist es. Das Zurück-zu ist hochsubventioniert, das Hin-zu kaum oder gar nicht. Das ist das Bizarre. Und die Regulatorik ändert daran nichts, im Gegenteil.
Ist das ein europäisches Problem oder ein weltweites? Toyota zum Beispiel setzt auch voll auf Hybridautos.
Bornschein: Weil die auch ordentlich von der Subvention profitieren. Wir stehen vor einem Gewinner-Dilemma. Wir haben in Europa viele relativ reife Geschäftsmodelle und relativ wenige Länder, die ihre Wertschöpfung erst erfinden.
Die Rettung kommt aus Ländern, die ihre Wertschöpfung gerade erst finden?
Bornschein: Wenn man sich umsieht, bekommt man den Eindruck, dass moderne Industrien – im Digitalen, aber auch bei Clean Tech etc. – in der Tendenz schneller, beherzter und mit größerer Konsequenz an den Rändern Europas entstehen, die bislang nicht von starken Automarken bestimmt wurden.
Cleemann: Unternehmen sind innovativ, wenn sie einen wirtschaftlichen Anreiz dafür haben. Wenn dieser wirtschaftliche Antrieb nicht gegeben ist, weil zum Beispiel reale Kosten komplett externalisiert werden können und sich nicht im Geschäftsbericht niederschlagen, gibt es keinen Anlass, irgendetwas zu innovieren. Im Gegenteil, dann ist jede herangetragene Innovation überflüssiger Schnickschnack.
Wir haben ein Syndikat der Gewesenen.
Christoph Bornschein
Gegen Ende kommt jetzt die berühmte Journalistenfrage: Wie kommen wir da heraus? Wer entwirft denn das positive Zukunftsbild?
Bornschein: Das ist ein Elitenthema, ob wir wollen oder nicht. Das zwischen Politik, den Interessensvertretungen, der Industrie und anderen entstehen muss. Das Problem ist nur, dass wir da ein Syndikat der Gewesenen haben. Wir brauchen andere Stimmen: junge Leute, Frauen, Menschen mit anderen Hintergründen am Tisch, die im industriell vorgeprägten Deutschland einen anderen Diskurs und ein anderes Narrativ entwickeln. Wir sind aber überzeugt, dass ein positives Anders möglich ist.
Cleemann: Christoph ist da deutlich optimistischer als ich. Ich neige eher zur Frustration und Resignation. Aber auch Frustration und Resignation sind ja ein Beitrag zum Diskurs: So, wie es jetzt läuft, geht es einfach nicht mehr, das kann man ruhig immer wieder sagen. Die Zukunftserzählung kann nur im Gespräch entstehen, und wir brauchen Menschen, die aufbegehren. Die widersprechen. Die dem Syndikat der Gewesenen sagen, dass es Unsinn erzählt.
Nachhaltige Wirtschaft: Es gibt einen Markt dafür, das Richtige zu tun
Haben Sie zum Schluss noch eine positive Nachricht an all die Sustainability-Manager:innen in den deutschen Unternehmen?
Bornschein: Geschäftsmodelle, deren Output nachhaltiges Handeln, CO2-Reduktion und anderes ist, sind darstellbar und wettbewerbsfähig. Es gibt da draußen einen Markt dafür, das Richtige zu tun. Wir müssen nicht auf die Regulatorik setzen, sondern wir können damit einfach die eigene Wettbewerbsfähigkeit sichern. Das ist für mich eine wahnsinnig positive Nachricht. Weil sie heißt: Unternehmerisch ist der richtige Wandel durchsetzbar.
Cleemann: Das unterschreibe ich so.
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