Das Zeitalter des Green-Cashing bricht an
Dass Deutschland in einer Wirtschaftskrise steckt, dass Nachhaltigkeit in der öffentlichen Debatte an Relevanz verloren hat, dass im Wirtschaftsministerium derzeit ganz andere Prioritäten gesetzt werden: all das ist unbestritten und all das hat das auf marktorientierte Nachhaltigkeitsberatung spezialisierte Team von BAM bei der Organisation des eineinhalbtägigen Events zu spüren bekommen. Es war schwieriger als in den Vorjahren, stand zeitweise auf der Kippe und musste mit weniger Budget auskommen.
Trotzdem haben die „Bämies“ wieder ein sprühendes, fröhliches, lehrreiches Festival hingelegt – also etwas, das alle, die sich mit nachhaltigem Wirtschaften und dessen gefühltem Bedeutungsverlust beschäftigen, wirklich gut gebrauchen können. Nicht von ungefähr lautete das Motto in diesem Jahr: „Jetzt erst recht“ und der Claim: „Das Festival für mainstreamfähige Nachhaltigkeit“. Passend dazu begrüßte BAM-CEO Kerrin Löhe die 450 Teilnehmerinnen und Teilnehmer gleich mal mit der positiven Civey-Umfrage-Erkenntnis, dass die Lage in punkto Nachhaltigkeit besser ist als die Stimmung.
Die neue „Nachhaltigkeits-Ernsthaftigkeit“
Prof. Dr. Katharina Reuter, Geschäftsführerin des Bundesverband Nachhaltige Wirtschaft (BNW), sprach in ihrer Auftakt-Keynote von einer neuen „Nachhaltigkeits-Ernsthaftigkeit“. Treiber dafür sind unter anderem Banken und Versicherungen. Sie gewähren – wohl wissend um die Kosten des Klimawandels – nachhaltig wirtschaftenden Unternehmen bessere Konditionen. Selbst Discounter richten ihr Sortiment mittlerweile an der Planetary Health Diet aus und Institutionen wie die staatliche Förderbank KfW melden ganz offiziell, Nachhaltigkeit stärke die Widerstandsfähigkeit von Unternehmen, reduziere Risiken und schaffe langfristig Werte. „Nachhaltigkeit ist die neue Wettbewerbsfähigkeit“, ist Katharina Reuter überzeugt und plädiert für mehr „Zukunftsmut“.
Der Markt hat längst entschieden
Diesen Zukunftsmut wünschte sich nicht nur die BNW-Chefin auch von Wirtschaftsministerin Katharina Reiche. Die Ministerin hat den Begriff „Nachhaltigkeit“ aus vielen Dokumenten gestrichen, besucht Veranstaltungen zum Thema Erneuerbare Energien nicht einmal dann, wenn sie deren Schirmherrin ist (so geschehen bei der Windmesse) und interessiert sich eher für Gas.
Damit setzt die Politikerin aufs falsche Pferd, wie Journalist und Autor („Männer, die die Welt verbrennen“) Prof. Dr. Christian Stöcker in seinem Vortrag belegte. Stöcker ist bekennender Fan von Exponentialkurven und hat die schöne Gabe, trockene Zahlen unterhaltsam zu präsentieren. Zum Beispiel, dass laut einer fundierten globalen Studie von Nature 89 Prozent der Menschen möchten, dass ihre jeweilige Regierung mehr für den Klimaschutz tut. Oder dass der Markt für Verbrennungsmotoren seit 2017 schrumpft, während die E-Mobilität wächst. Dass 92,5 Prozent der im Jahr 2024 weltweit neu gebauten Kapazität zur Stromerzeugung erneuerbar war. Oder dass China im ersten Halbjahr 2025 doppelt so viel erneuerbare Energieversorgung zugebaut hat wie der gesamte Rest der Welt zusammen. Egal, was an Desinformation, Lobbyarbeit und Kampagnen kursiert, Christian Stöcker resümiert: „Der Markt hat längst entschieden.“ Denn natürlich wählen Unternehmen die günstigste Energiequelle, und die ist nunmal erneuerbar, womit wir wieder beim Stichwort Wettbewerbsfähigkeit wären.
Der Kapitalismus als Verbündeter
„Aktuell ist der Kapitalismus unser besser Verbündeter“, zitierte Kerrin Löhe die „Zeit“. In ihrer gemeinsamen Keynote mit BAMs Head of Science, Dr. Friedrich Bohn, ging es um die für alle Seiten gewinnbringende Allianz von Nachhaltigkeit und ökonomischem Handeln. Die Nachhaltigkeits-Community müsse weg von der ideologischen hin zur ökonomischen Argumentation. „Was ist denn unsere Währung: moralische Integrität oder nachhaltige Wirkung?“, so ihre rhetorische Frage.
„Wir brauchen Business Cases, die skalieren, und ganz nebenbei der Umwelt guttun. Denn wir haben das Potenzial für Nachhaltigkeit viel zu lange nicht richtig genutzt“, so Kerrin Löhe. Nach Greenwashing und Greenhushing sei nun „das Zeitalter des Green Cashing angebrochen“. Bisher hätte eine Seite vor allem in Richtung Profit und die andere Seite in Richtung Nachhaltigkeit geguckt und beide hätten selten das Gleiche vor der Linse gehabt. Das müsse sich ändern und dabei sei es „ziemlich wurscht, in welcher Linse der Business Case zuerst auftaucht. Wichtig ist, er muss sichtbar sein und er muss absolut skalieren.“ Die Botschaft: Je schneller offensichtlich wird, dass sich Nachhaltigkeit rechnet, desto schneller wird sie zur Normalität.
Jede Menge Wissenswertes
„Make Facts Great Again!“, dieses Motto aus der Session von Autor („Klima-Bullshit-Bingo“) und Blogger Jan Hegenberg passte gut zum diesjährigen BAM-Festival. Es gab viel zu lernen: Ob im „Großen Kreislauf-Quiz“ zum Thema Recycling. Oder in „Der Höhle der Gorillas“, in der unter anderem Dr. Cornelius Lahme von Bluu Seafood die Produktion von Zellfisch erklärte („Das Produkt ist zu gut als dass es sich nicht durchsetzt“) oder Dinah Hoffmann von Speiseräume die Idee von vernünftigem Kantinenessen vorstellte. Oder vom 25-jährigen Content-Creator Robin König, dem als Robinga Schnögelrögel allein auf Instagram knapp 510.000 Menschen folgen, weil er in seinem Garten so wunderbar Biodiversität erklärt (und zwar streng wissenschaftlich, denn auch er sagt: „Fakten sind keine Meinung“).
Marketing for Future Award 2025 Der Marketing for Future Award 2025 in Gestalt der „Kat’se Bullshit“ ging am ersten BAM-Abend je zweimal in Gold, Silber und Bronze an Konzerne, Start-ups und Hilfsorganisationen. Die „härteste Jury der Welt“ ist mit 21 Menschen aus Wirtschaft, Wissenschaft und Agenturen besetzt und prämiert Arbeiten, die wissenschaftlich, kommunikativ und kreativ überzeugen. Die „Kat’se Bullshit“ ging an: Gold Recup und Kastner mit „Niemand mag Einweg“ Deutsche Telekom und Saatchi & Saatchi mit „Gegen Hass im Netz“ Silber Hinz&Kunzt, KNSK und The Creative Room mit „Hinz&Pay“ „Robinga Schnögelrödel" aka Robin König Bronze Vattenfall und Nord DDB mit „Wind Farmed - The Taste of Wind Power" Deutsche Telekom, das Miniaturwunderland Hamburg und Grabarz & Partner mit „Telekom Miniatur Warmland“ |
Oder vom brillanten Impulsvortrag von Dr. Martin Wolff, dem Leiter des Internationalen Clausewitz-Zentrums (ICZ), in dem es darum ging, wie man mit Menschen umgeht, die nicht mitmachen, von dem man selbst glaubt, dass es richtig ist, und der die Frage in den Raum warf: „Was ist wichtiger: Klimaschutz oder Frieden?“. Von der beeindruckenden Runde mit Lu Yen Roloff von PLAN B, der Autorin und ehemaligen Correctiv-Geschäftsführerin Jeannette Gusko und Luca Piwodda, dem 26-jährigen Bürgermeister, der in seiner Heimatstadt Gartz zeigt, wie Politik funktioniert, wenn sie nah an den Menschen ist.
Ein Wermutstropfen: Es gab einige Parallelsessions und die Entscheidung für eine Session war zwangsläufig die Entscheidung gegen eine andere.
Ein sehr besonderer Mix
Was dieses BAM-Festival nun schon zum dritten Mal sehr besonders gemacht hat, ist – neben all den substanziellen Informationen, den kurzweiligen Vorträgen, dem interessanten Publikum – das BAM-Team rund um Kerrin Löhe, Jan Pechmann und Dr. Friedrich Bohn. Es legt sich für das Gelingen dieses Events dermaßen ins Zeug, dass eine fröhliche, freundschaftliche Atmosphäre entsteht. Stellvertretend sei hier Transformationsexperte und BAM-Besucher Stephan Grabmeier zitiert, der auf Linkedin so treffend den Mix aus „Tiefgang, Witz, Kreativität, Lässigkeit, Ernst, Lösung, Verbundenheit und Freude“ lobt. Das finde man sehr, sehr selten. Recht hat er. Und deshalb hier der Hinweis: Das nächste BAM! Bock auf Morgen-Festival findet am 4. und 5. November 2026 statt. Tickets gibt’s hier.
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