§ 6b-Rücklage Steueränderungsgesetz 2015

Nach § 6b Abs. 4 Satz 1 Nr. 3 EStG ist Voraussetzung für die Anwendung der Reinvestitionsvergünstigung, dass die Reinvestitionsobjekte zum Anlagevermögen einer inländischen Betriebsstätte gehören. Damit ist die Europäische Kommission nicht einverstanden. 

Sie hat Deutschland am 29.9.2011 förmlich aufgefordert, seine Steuervorschriften für stille Reserven dahingehend zu ändern, dass bestimmte grenzüberschreitende Transaktionen nicht länger benachteiligt sind. Durch § 6b Abs. 4 Satz 1 Nr. 3 EStG würden Steuerpflichtige, die Wirtschaftsgüter ihres Anlagevermögens veräußern möchten, um sich in einem anderen EU-Mitgliedstaat, in Island, Liechtenstein oder Norwegen niederzulassen oder dort ihre wirtschaftlichen Aktivitäten auszubauen, eindeutig benachteiligt (Quelle: Europäische Kommission, Steuer & Zoll, News v. 29.9.2011).

Der EuGH hat - nachfolgend auf ein gegen Deutschland eingeleitetes Vertragsverletzungsverfahren - die Beschränkung des § 6b Abs. 4 Satz 1 Nr. 3 EStG auf inländische Betriebsstätten als europarechtswidrig erkannt (EuGH, Urteil v. 16.4.2015, C-591/13). Danach muss ein Steueraufschub nach § 6b EStG auch bei einer Reinvestition in eine ausländische Betriebsstätte gewährt werden. 

Reaktion des Gesetzgebers

Der Gesetzgeber hat im Rahmen des StÄndG 2015 vom 2.11.2015 (BGBl 2015 I S. 1834) reagiert und durch Einfügung eines § 6b Abs. 2a EStG die Rechtsprechung des EuGH berücksichtigt, um § 6b EStG in einen EU-rechtskonformen Zustand zu versetzen. § 6b Abs. 2a Satz 1 EStG behandelt die Fälle, in denen innerhalb der 4- bzw. 6-jährigen Reinvestitionsfrist oder in dem der Veräußerung vorangegangenen Wirtschaftsjahr begünstigte Reinvestitionsgüter angeschafft oder hergestellt worden sind, die einem Betriebsvermögen des Steuerpflichtigen in einem anderen Mitgliedstaat der Europäischen Union oder des Europäischen Wirtschaftsraums zuzuordnen sind. In diesem Fall kann auf Antrag des Steuerpflichtigen die festgesetzte Steuer, die auf den Veräußerungsgewinn entfällt, in 5 gleichen Jahresraten entrichtet werden. Der Antrag kann nur im Wirtschaftsjahr der Veräußerung der begünstigten Wirtschaftsgüter gestellt werden (§ 6a Abs. 2 Satz 2 EStG).

Wahlrecht des Steuerpflichtigen

Die Neuregelung beinhaltet ein Wahlrecht, entweder die festgesetzte Steuer auf den Veräußerungsgewinn sofort zu entrichten oder in 5 gleichen Jahresraten zu zahlen. Eine Übertragung der stillen Reserven auf das Reinvestitionsgut im "Ausland" kommt nicht in Betracht. Fällt ein Veräußerungsgewinn i.S.v. § 6b Abs. 1 EStG in einem Verlustjahr an, sodass auf den Veräußerungsgewinn keine Steuer entfällt, ist auch keine Begünstigung im Rahmen der pauschalierten Steuerstundung nach § 6b Abs. 2a EStG möglich. Es fehlt an einer Steuer, die gestundet werden könnte. Dagegen hat der Steuerpflichtige nach den Regelungen des § 6b Abs. 1 EStG für den sog. Inlandsfall die Wahl, ob er trotz Verlusts einen Abzug durchführen oder eine Rücklage bilden möchte.

Nach der Gesetzesbegründung hat der Steuerpflichtige – wie bisher – das Wahlrecht, den Gewinn sofort zu versteuern, ihn im Wirtschaftsjahr der Veräußerung auf ein begünstigtes Reinvestitionsobjekt zu übertragen oder eine Rücklage für eine künftige Investition zu bilden. Zusätzliche bestehe nunmehr die Möglichkeit, auf Antrag bei einer beabsichtigten Investition im EU-/EWR-Raum die auf den Veräußerungsgewinn entfallende Steuer auf einen Zeitraum von 5 Jahren zu verteilen.

Antrag des Steuerpflichtigen

Wie erwähnt kann der Antrag auf Stundung nur „im“ Wirtschaftsjahr der Veräußerung der begünstigten Wirtschaftsgüter gestellt werden (§ 6b Abs. 2a Satz 2 EStG). Damit wird laut Gesetzesbegründung die Gleichbehandlung mit Inlandsfällen hergestellt. Denn auch bei diesen Fallgestaltungen müsse der Steuerpflichtige bereits im Wirtschaftsjahr der Veräußerung entscheiden, ob er den Veräußerungsgewinn unmittelbar auf ein Ersatzwirtschaftsgut übertragen oder aber alternativ eine Rücklage nach § 6b Abs. 3 EStG bilden will. Ausreichend soll sein, wenn der Antrag des Steuerpflichtigen zusammen mit der Steuererklärung für das Veräußerungsjahr gestellt wird (BT-Drucksache v. 23.9.2015, 18/6094 S. 86). Bedauerlich ist, dass das Gesetz, was den Zeitpunkt des Antrags betrifft ("im" Wirtschaftsjahr), nicht zielgenau formuliert ist.

Fälligkeit und Verzinsung der Raten

Nach § 6 Abs. 2a Satz 3 EStG ist § 36 Abs. 5 Satz 2 bis 5 EStG sinngemäß anzuwenden. Nach § 36 Abs. 5 Satz 2 EStG ist die erste Jahresrate innerhalb eines Monats nach Bekanntgabe des Steuerbescheids zu entrichten; die übrigen Jahresraten sind jeweils am 31.5. der Folgejahre fällig. Die Jahresraten sind nicht zu verzinsen (§ 36 Abs. 5 Satz 3 EStG). Wird der Betrieb oder Teilbetrieb während dieses Zeitraums eingestellt, veräußert oder in andere als die in § 36 Abs. 5 Satz 1 EStG genannten Staaten verlegt, wird die noch nicht entrichtete Steuer, also der komplette Restbetrag, innerhalb eines Monats nach diesem Zeitpunkt fällig (§ 36 Abs. 5 Satz 4 1. Halbsatz EStG). Nach § 36 Abs. 5 Satz 5 EStG sind die Jahresraten entsprechend anzupassen, wenn sich die festgesetzte Steuer ändert.

Anwendungsregelung

§ 6b Absatz 2a EStG ist auch auf Gewinne i.S.d. § 6b Absatz 2 EStG anzuwenden, die vor dem 6.11.2015 entstanden sind (§ 52 Abs. 14 Satz 1 EStG). Die Vorschrift soll europarechtsfreundlich zugunsten der Steuerpflichtigen rückwirkend in allen noch offenen Fällen anwendbar sein.

Dem wird aber vielfach die Antragsfrist entgegenstehen. Es reicht zwar nach der Gesetzesbegründung aus, wenn der Antrag erst zusammen mit der Steuererklärung für das Veräußerungsjahr gestellt wird. Wurde die Steuererklärung aber bereits eingereicht, ist die Antragsfrist abgelaufen und eine zeitlich gestreckte Besteuerung ist nicht mehr möglich. Anderenfalls kann der Antrag noch abgegeben werden und die Steuerstundung wird gewährt.

Beispiel: Veräußerungsgewinn 2016

Einzelunternehmer A betreibt ein Bauunternehmen in München. Er erzielt im Jahr 2016 bei der Veräußerung eines seit 10 Jahren zu seinem Anlagevermögen gehörendem Grundstück einen Gewinn von 100.00 EUR.

Fall 1: Wird das begünstigte Ersatzwirtschaftsgut im Wirtschaftsjahr der Veräußerung oder im vorangegangenen Wirtschaftsjahr in einer inländischen Betriebsstätte angeschafft oder hergestellt, kann A nach § 6b Abs. 1 Satz 2 EStG den Gewinn von den Anschaffungs- oder Herstellungskosten des Ersatzwirtschaftsguts abziehen. Die Möglichkeit der Übertragung stiller Reserven nach § 6b Abs. 1EStG ist ein eigenständiges steuerliches Wahlrecht (BMF, Schreiben v. 12.3.2010, Haufe Index 2311337, BStBl 2010 I S. 239, Rn. 14). Die Abweichung von der Handelsbilanz ist nach § 5 Abs. 1 Satz 2 und 3 EStG zu dokumentieren.

Erwirbt A zunächst kein Ersatzwirtschaftsgut oder sieht er von einer Gewinnübertragung ab, kann er den Veräußerungsgewinn nach § 6b Abs. 3 EStG in eine steuerfreie Rücklage einstellen. Wird bis zum Ende der Reinvestitionsfrist kein begünstigtes Ersatzwirtschaftsgut angeschafft oder hergestellt, ist die Rücklage gewinnerhöhend aufzulösen. Die Verzinsungsregelung des § 6b Abs. 7 EStG findet Anwendung.

Fall 2: Wird das begünstigte Ersatzwirtschaftsgut im Wirtschaftsjahr der Veräußerung oder im vorangegangenen Wirtschaftsjahr in der Betriebsstätte eines anderen Mitgliedstaats der Europäischen Union oder des Europäischen Wirtschaftsraums angeschafft oder hergestellt, kann A nach § 6b Abs. 2a EStG beantragen, die Steuer in 5 gleichen Jahresraten zu zahlen. Der Antrag auf Stundung der Steuer ist im Wirtschaftsjahr der Veräußerung zu stellen, nach der Gesetzesbegründung ist jedoch die Antragstellung in der Steuererklärung für 2015 ausreichend. Eine Dokumentationspflicht nach § 5 Abs. 1 Satz 2 und 3 EStG besteht nicht, da eine vom Handelsrecht abweichende Bilanzierung nicht vorliegt.

A kann trotz Erwerb eines Reinvestitionsguts in der Betriebsstätte eines anderen Mitgliedstaats der Europäischen Union oder des Europäischen Wirtschaftsraums von einem Antrag auf Stundung absehen und für den Veräußerungsgewinn nach § 6b Abs. 3 EStG eine steuerfreie Rücklage bilden. Diese Rücklage kann jedoch nur auf ein in der inländischen Betriebsstätte angeschafftes oder hergestelltes Reinvestitionsobjekt übertragen werden. Ansonsten muss die Reinvestitionsrücklage spätestens bei Ablauf der Reinvestitionsfristen gewinnerhöhend unter Anwendung der Verzinsungsregelung aufgelöst werden. Der Antrag auf Steuerstundung kann nicht mehr gestellt werden.