Entscheidungsstichwort (Thema)
Einkommensteuer, Lohnsteuer, Kirchensteuer
Leitsatz (amtlich)
Die Vorschrift des § 32 a Abs. 2 EStG verletzt nicht die Grundrechte aus Art. 3 Abs. 1 und 6 Abs. 1 GG, wenn sie die Anwendung des Splitting-Tarifs nach § 63 b EStDV davon abhängig macht, daß zusammen lebende Ehegatten die Zusammenveranlagung nach §§ 26, 26 b EStG wählen.
Es ist für die Verfassungsmäßigkeit des § 32 a Abs. 2 EStG unerheblich, daß gemäß § 32 a Abs. 3 EStG der Splitting-Tarif ausnahmsweise auch bei Unverheirateten (Verwitweten) angewandt werden kann.
Normenkette
EStG § 26/1, § 26/2, § 26a/1, §§ 26b, 32a/2, § 33a/3; EStDV § 63b; GG Art. 3 Abs. 1, Art. 6 Abs. 1
Tatbestand
Der Bf. ist kaufmännischer Angestellter, seine Ehefrau (Bfin.) ist Lehrerin. Das Finanzamt hat die Eheleute mit ihren Einkünften für das Streitjahr 1960 unter Gewährung von zwei Kinderfreibeträgen gemäß § 26 b EStG zusammen veranlagt. Unter Berücksichtigung eines Verlustes aus Vermietung und Verpachtung betrug das zu versteuernde Einkommen 20.723 DM. Das Finanzamt setzte die Einkommensteuer nach der Splitting-Tabelle des § 63 b EStDV auf 3.838 DM fest. Die Bf. sind der Auffassung, daß die Splitting-Besteuerung nach § 32 a Abs. 2 EStG gegen das Grundgesetz (GG) verstoße. Falls sie nicht Eheleute wären, sondern der Bf. ein Witwer mit zwei Kindern, dem eine Schwester der verstorbenen Ehefrau den Haushalt geführt hätte, so würden die Einkommensteuer des Bf. nach der Splitting-Tabelle 1.416 DM betragen und für die Bfin. bei der Anwendung der Grundtabelle 1.884 DM; insgesamt würde also die Einkommensteuer für beide nur 3.300 DM betragen. Als Eheleute stünden sie also schlechter als Unverheiratete. Das verstoße gegen Art. 6 GG.
Die Berufung blieb erfolglos. Das Finanzgericht führte aus, das von den Bf. gewählte Beispiel rechtfertige nicht die verfassungsmäßigen Zweifel an der tariflichen Regelung des § 32 a EStG. Das Vergleichspaar könne nicht ein Witwer mit zwei Kindern und einer ledigen Schwägerin bilden, sondern nur zwei ledige Steuerpflichtige. Bei diesem Vergleich würde aber die Einkommensteuer nur um eine DM niedriger sein. Die Bf. seien nicht gezwungen gewesen, sich zusammen veranlagen zu lassen, sondern hätten die getrennte Veranlagung wählen können, falls das für sie günstiger gewesen sein würde.
In der Rb. mit der die Bf. erneut die Verfassungswidrigkeit des § 32 a EStG rügen, berufen sie sich vor allem auf die Ausführungen von Scheffler in "Grundrechte", Bd. IV 1 S. 245 (herausgegeben von Bettermann-Nipperdey-Scheuner).
Entscheidungsgründe
Auch die Rb. konnte keinen Erfolg haben.
Der Senat tritt der Auffassung des Finanzgerichts bei, daß die Splitting-Besteuerung zusammen lebender Ehegatten nach § 32 a Abs. 2 EStG 1958/1960 in Verbindung mit § 63 b EStDV 1958/1960 die Grundrechte der Art. 6 Abs. 1 und 3 Abs. 1 GG nicht verletzt. Der Beschluß des Bundesverfassungsgerichts 1 BvL 4/54 vom 17. Januar 1957 (Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts - BVerfGE - Bd. 6 S. 55, BStBl 1957 I S. 193) nötige den Gesetzgeber, die bisherige Einkommensbesteuerung von Ehegatten neu zu regeln. Die frühere zwangsweise Zusammenveranlagung zusammen lebender Ehegatten führte wegen des progressiven Einkommensteuertarifs zu einer tarifmäßigen Schlechterstellung gegenüber nicht zusammen lebenden Ehegatten und Unverheirateten und verletzte damit nach Auffassung des Bundesverfassungsgerichts den durch Art. 6 Abs. 1 GG garantierten Schutz von Ehe und Familie durch den Staat. Die gesetzliche Neuregelung mußte auf der einen Seite Ehe und Familie vor einer steuerlichen Beeinträchtigung bewahren und sie auf der anderen Seite auch durch geeignete Maßnahmen fördern.
Mit der Neuregelung des § 26 EStG 1958 erhielten die Ehegatten das Recht, selbst zu wählen, ob ihre gemeinsamen Einkünfte getrennt oder zusammen veranlagt werden. Mit dem Recht, die getrennte Veranlagung zu wählen, war die bisherige steuerliche Benachteiligung der Ehegatten gegenüber Unverheirateten und dauernd getrennt lebenden Ehegatten beseitigt. Ehegatten zwingend getrennt zu veranlagen, hätte nicht der Tatsache Rechnung getragen, daß zusammen lebende Ehegatten überwiegend eine Wirtschaftseinheit bilden. Der Gesetzgeber entschloß sich unter diesen Umständen für die Einführung des Splitting-Tarifs bei zusammen veranlagten Ehegatten (Blümich-Falk, Kommentar zum Einkommensteuergesetz, 9. Aufl., Anm. 1 e zu § 26). Die Zusammenveranlagung in Form des Splittings trägt der Tatsache Rechnung, daß gesunde Ehen in der Regel auch eine Erwerbs- und Verbrauchsgemeinschaft bilden, an der jeder Ehegatte gleichen Anteil hat. Sie genügt damit dem Gebot aus Art. 6 Abs. 1 GG, Ehe und Familie zu schützen.
Die Bf. sehen zu Unrecht eine steuerliche Benachteiligung darin, daß sie als zusammen lebende Ehegatten nur zwischen der getrennten Veranlagung und der Zusammenveranlagung wählen können und ihnen bei der Wahl der getrennten Veranlagung die Vergünstigung des Splitting-Tarifs nach § 32 a Abs. 2 EStG in Verbindung mit § 63 b EStDV 1958/1960 versagt ist. Zu Unrecht betrachten sie es auch als eine verfassungswidrige Benachteiligung gegenüber verwitweten Personen mit ehelichen Kindern, daß diese als Unverheiratete gemäß § 32 a Abs. 3 EStG nach dem Splitting-Tarif besteuert werden können. Der Senat hat in den Urteilen VI 78/62 U vom 9. Juni 1965 (BStBl 1965 III S. 590) und VI 263/64 U vom 9. Juni 1965 (BStBl 1965 III S. 639) dargelegt, daß § 32 a Abs. 3 EStG eine Ausnahmevorschrift mit Billigkeitscharakter ist und bei bisher zusammen lebenden und zusammen wirtschaftenden Ehegatten den wirtschaftlichen änderungen Rechnung tragen soll, die gewöhnlich bei dem Tod eines Ehegatten eintreten. Die ausnahmsweise Anwendung des Splitting-Tarifs zugunsten des überlebenden Ehegatten bei den durch den Tod eines Ehegatten aufgelösten Ehen ist also keineswegs eine willkürliche Benachteiligung der noch durch das Eheband verbundenen Ehegatten. Die verschiedene steuerliche Behandlung unterschiedlicher Sachverhalte verletzt nicht den allgemeinen Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG. In der Billigkeitsregelung des § 32 a Abs. 3 EStG für Verwitwete kann man keine allgemeine Benachteiligung zusammen lebender Ehegatten sehen, die die Zusammenveranlagung wählen.
Wählen Ehegatten die Zusammenveranlagung, so wird nicht nur der günstigere Splitting-Tarif angewendet. Sie erhalten auch andere Vorteile, z. B. bei den beschränkt abzugsfähigen Sonderausgaben, deren Höchstbeträge sich verdoppeln, wenn auch nur einer der zusammen veranlagten Ehegatten im Kalenderjahr vier Monate über 50 Jahre alt war. Der Senat hat aus diesen Gründen im Urteil VI 82/64 U vom 22. Januar 1965 (BStBl 1965 III S. 176, Slg. Bd. 81 S. 488) entschieden, daß insgesamt die Ehegattenbesteuerung des EStG 1958 (und später) dem Gebot der steuerlichen Begünstigung der Ehe Rechnung trägt.
Soweit sich die Bf. auf Scheffler (a. a. O.) berufen, greifen ihre Einwendungen nicht durch. Die Einwände Schefflers richten sich vor allem dagegen, daß bei höheren Einkommen das unbegrenzte Splitting im Rahmen des progressiven Tarifs vor allem, wenn das Einkommen nur von einem Ehegatten erzielt wird, zu einer höheren steuerlichen Begünstigung führt, als dies durch die gemeinsamen Familienlasten erfordert wird. Das liegt aber im Wesen eines progressiven Steuertarifs begründet, der zur Folge hat, daß steuerliche Vergünstigungen bei steigender Progression oft zu einer größeren steuerlichen Entlastung führen als bei geringerem Einkommen, das nur einem niedrigeren Steuersatz unterliegt. Nach Auffassung des Senats hat der Steuergesetzgeber sich beim Aufbau des geltenden Splitting-Tarifs durchaus im System des Einkommensteuerrechts gehalten und konnte im Rahmen des ihm zustehenden weiten Ermessensrahmens die geltende Regelung schaffen, ohne gegen Grundrechte, vor allem ohne gegen den Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG zu verstoßen.
Da der Senat den § 32 a Abs. 2 EStG 1958 für verfassungsrechtlich einwandfrei hält, kann er - entgegen der Auffassung der Bf. - das Verfahren beim Bundesverfassungsgericht gemäß Art. 100 Abs. 1 GG nicht einleiten.
Fundstellen
Haufe-Index 411869 |
BStBl III 1966, 20 |
BFHE 1966, 58 |
BFHE 84, 58 |