Leitsatz (amtlich)
1. Zur Berechnung der Abgabe "Notopfer Berlin" für 1956 im Veranlagungsverfahren.
2. Es verstößt nicht gegen den Gleichheitsgrundsatz des Art. 3 GG, daß in Einzelfällen bei veranlagten Arbeitnehmern die Abgabe "Notopfer Berlin" für 1956 etwas höher ist als bei nicht veranlagten Arbeitnehmern.
Normenkette
GG Art. 3
Tatbestand
Der Erblasser der Bf. bezog im Streitjahr 1956 als leitender Angestellter ein Gehalt von 25 000 DM. Auf das ihm bis zum 30. September 1956 ausgezahlte Gehalt behielt die Arbeitgeberin die Abgabe "Notopfer Berlin" (NOB) ein. Bei den dem Erblasser nach dem 30. September 1956 zugeflossenen laufenden Bezügen von 6300 DM und der ihm nach dem 30. September 1956 gewährten Tantieme von 14 000 DM zog die Arbeitgeberin das NOB nicht ab; sie ging davon aus, daß nach Art. II Abs. 1 des Zweiten Gesetzes zur Änderung des Gesetzes zur Erhebung einer Abgabe "Notopfer Berlin" (II. NOG) vom 5. Oktober 1956 (BGBl 1956 I S. 785, BStBl 1956 I S. 432) diese Bezüge dem Abzug nicht mehr unterlägen.
Bei der Veranlagung des Erblassers für 1956 -- der Erblasser hatte außer dem Gehalt noch andere Einkünfte -- bezog das Finanzamt unter Berufung auf Art. II Abs. 2 Satz 1 des II. NOG auch die dem Erblasser nach dem 1. Oktober 1956 zugeflossenen Bezüge von (6300 DM + 14 000 DM =) 20 300 DM in die Berechnung des NOB für 1956 ein. Die Bf. wollten die Tantieme von 14000 DM aus der Berechnung ausgeschieden haben. Sie führten aus, § 6 Abs. 1 des Gesetzes zur Erhebung einer Abgabe "Notopfer Berlin" (NOG 1955) vom 16. Dezember 1954 (BGBl 1954 I S. 422, BStBl 1954 I S. 560) in der Fassung des Gesetzes vom 4. Juli 1955 (BGBl 1955 I S. 384, BStBl 1955 I S. 245) sei durch Art. I Ziff. 2 des II. NOG gestrichen worden; deshalb könnten mit Wirkung ab 1. Oktober 1956 die §§ 46 und 47 EStG nicht mehr entsprechend angewendet werden; es fehle eine Rechtsgrundlage für die Veranlagung 1956. Der Einspruch blieb ohne Erfolg.
Das Finanzgericht wies die Berufung als unbegründet zurück. Es bejahte die Möglichkeit der Veranlagung und wies auch den von den Bf. erhobenen Einwand, daß die gesetzliche Regelung mit dem Gleichheitsgrundsatz des Art. 3 des Grundgesetzes (GG) unvereinbar sei, unter Berufung auf die Entscheidung des Finanzgerichts Bremen (Entscheidungen der Finanzgerichte 1959 S. 177) zurück.
Entscheidungsgründe
Die Rb., mit der sich die Bf. weiterhin gegen die Einbeziehung der Tantieme von 14 000 DM in die Veranlagung des NOB für 1956 wenden, ist nicht begründet.
Durch das II. NOG wurde die persönliche Abgabepflicht für natürliche Personen aufgehoben. Nach Art. II Abs. 1 des II. NOG entfiel das Abzugsverfahren erstmalig bei laufendem Arbeitslohn für Lohnzahlungszeiträume, die nach dem 30 September 1956 endeten, und bei sonstigen, insbesondere einmaligen Bezügen für den Arbeitslohn, der nach dem 30. September 1956 zufloß. Die Arbeitgeberin des Erblassers ist beim Abzug des NOB demgemäß verfahren.
Ob und in welcher Weise Arbeitnehmer, deren Arbeitslohn dem NOB-Abzug unterlegen hatten, nach Ablauf des Kalenderjahrs zu veranlagen waren, bestimmten § 4 Abs. 1 NOG 1955 in Verbindung mit §§ 46 und 47 EStG. Der Gesetzgeber hatte danach die Erhebung der Einkommensteuer und des NOB im Abzugsverfahren und im Veranlagungsverfahren gleichmäßig gestaltet.
Der Wegfall der persönlichen Abgabepflicht mit Wirkung ab 1. Oktober 1956 mußte bei der Veranlagung des NOB für 1956 insofern zu Schwierigkeiten führen, als nach § 4 NOG 1955 das veranlagte NOB -- ebenso wie die veranlagte Einkommensteuer -- nach dem Einkommen des ganzen Kalenderjahrs zu bemessen war. Der Gesetzgeber beseitigte in Art. II Abs. 2 Satz 1 des II. NOG diese Schwierigkeit dadurch, daß er das NOB 1956 zwar nach dem Einkommen des ganzen Kalenderjahrs 1956 berechnen ließ, es aber dann nur mit 3/4 des Jahresbetrags erhob. Bei dieser gesetzlichen Regelung spielte keine Rolle, ob dem veranlagten Abgabepflichtigen bestimmte Einkünfte vor oder nach dem 1. Oktober 1956 zugeflossen und welcher Art diese Einkünfte waren, insbesondere, ob sie laufende oder außerordentliche Einkünfte waren. Alles, was gemäß § 2 EStG bei der Einkommensteuerveranlagung 1956 als Einkommen des Kalenderjahrs 1956 angesetzt werden muß, ist auch für die Berechnung des Jahresbetrags des NOB für 1956 anzusetzen. Hatte also z. B. ein Gewerbetreibender nach dem 1. Oktober 1956 einen Veräußerungsgewinn im Sinne des § 16 EStG erzielt, so war auch dieser Veräußerungsgewinn in die Berechnung der Jahresabgabe des NOB für 1956 einzubeziehen.
Ist ein Arbeitnehmer nach § 46 EStG zur Einkommensteuer zu veranlagen, so sind gemäß § 2 EStG seine gesamten im Kalenderjahr zugeflossenen Einkünfte in die Veranlagung einzubeziehen (Entscheidung des Senats VI 25/56 U vom 29. März 1957, BStBl 1957 III S. 161, Slg. Bd. 64 S. 428). Die Veranlagung von Steuerpflichtigen mit Einkünften aus nichtselbständiger Arbeit unterscheidet sich dann nicht von der Veranlagung aller anderen Steuerpflichtigen. Das Steuerabzugsverfahren ist, wenn ein Arbeitnehmer nach dem Ablauf des Kalenderjahrs veranlagt wird, nur ein vorläufiges Verfahren; die endgültige Steuerfestsetzung geschieht im Veranlagungsverfahren; die einbehaltene Lohnsteuer wird gemäß § 47 Abs. 1 Ziff. 2 EStG wie eine Einkommensteuer-Vorauszahlung auf die Jahreseinkommensteuerschuld angerechnet. Das Finanzgericht hat insoweit zutreffend auf die Entscheidung des Bundesfinanzhofs IV 69/55 U vom 12. Mai 1955 (BStBl 1955 III S. 213, Slg. Bd. 51 S. 39) hingewiesen. Die Vorinstanzen haben demnach mit Recht auch die dem Erblasser der Bf. nach dem 1. Oktober 1956 zugeflossenen Bezüge aus nichtselbständiger Arbeit, insbesondere die Tantieme, in die Berechnung des Jahresbetrags des NOB für 1956 einbezogen.
Die Bf. meinen, § 46 EStG könne für das NOB 1956 nicht mehr angewendet werden, weil § 6 Abs. 1 NOG 1955, der die entsprechende Anwendung des § 46 EStG vorgeschrieben habe, durch Art. I Ziff. 2 des II. NOG gestrichen worden sei, und zwar gemäß Art. II Abs. 1 Satz 1 des II. NOG mit Wirkung ab 1. Oktober 1956. Dem ist nicht zuzustimmen. Die Vorschrift über das Inkrafttreten der Änderung, wie sie in Art II Abs. 1 Satz 1 des II. NOG enthalten ist, gilt nur "vorbehaltlich des Absatzes 2". Aus Abs. 2 ergibt sich aber, daß die Veranlagung des NOB für 1956 grundsätzlich noch in der bisherigen Form geschehen sollte. § 6 Abs. 1 NOG 1955 enthielt nicht nur die Rechtsgrundlage für die Veranlagung von Arbeitnehmern gemäß § 46 EStG, sondern, weil dort auf § 25 EStG Bezug genommen war, die Rechtsgrundlage auch für die Veranlagung aller anderen Abgabepflichtigen. Wäre die Auffassung der Bf. richtig, so hätte das NOB für 1956 mangels einer gesetzlichen Bestimmung überhaupt nicht veranlagt werden können. Daß das dem Wortlaut und Sinn des II. NOG nicht entspricht, liegt auf der Hand.
Die Bf. weisen ferner darauf hin, daß nicht alle Abgabepflichtigen gleichbehandelt würden; die Belastung durch das NOB für 1956 könne verschieden hoch sein, je nachdem, ob das NOB für 1956 endgültig im Abzugsverfahren erhoben oder ob der Abgabepflichtige nach § 46 EStG veranlagt werde. Es ist den Bf. zuzugeben, daß in der Tat in einigen Fällen und in gewissem Umfang Ungleichheiten in der Höhe der Belastung eintreten können. Die gesetzliche Regelung ist aber deswegen nicht etwa, wie die Bf. meinen, wegen Verletzung des Gleichheitsgrundsatzes des Art. 3 GG nichtig. Der Gesetzgeber hat in Art. II des II. NOG drei Gruppen von Fällen gebildet: In Abs. 1 Satz 2 ist die Behandlung des NOB-Abzugs beim Arbeitslohn, in Abs. 2 Satz 1 die Veranlagung des NOB 1956 und in Abs. 2 Satz 2 der NOB-Jahresausgleich für 1956 geregelt. Diese gesetzliche Unterscheidung schließt sich an die üblichen Erhebungsformen des NOB an. Es ist eine bekannte Tatsache, daß die verschiedenen Formen der Erhebung in bestimmten -- allerdings engen -- Grenzen zu einer verschieden hohen Steuerbelastung führen können (vgl. z. B. die Urteile des Bundesfinanzhofs VI 141/56 S vom 8. Februar 1957, BStBl 1957 III S. 329, Slg. Bd. 65 S. 251; VI 228/59 S vom 6 Mai 1960, BStBl 1960 III S. 296). Diese Ungleichheiten beruhen aber nicht auf unsachlicher Willkür des Gesetzgebers, sondern auf den Besonderheiten der verschiedenen Verfahren und vorwiegend auf der Notwendigkeit, diese Verfahren einfach zu halten. Jedes Verfahren hat gewisse Vorteile und Nachteile für die Steuerpflichtigen und den Steuerfiskus, die sich aber -- auf das ganze gesehen -- ausgleichen. Das gilt besonders für das Steuerabzugsverfahren, das vor allem deshalb einfach gestaltet werden muß, weil die Arbeitgeber maßgebend dabei mitwirken. Der Gesetzgeber war bestrebt, hinsichtlich des NOB für 1956 alle Abgabepflichtigen gleichzubehandeln. In der großen Zahl der Fälle hat er diese Gleichstellung zwischen lohnsteuerpflichtigen Arbeitnehmern und veranlagten Steuerpflichtigen auch dadurch erreicht, daß bei den Veranlagten der Jahresbetrag des NOB für 1956 nur zu 3/4 erhoben wurde. Der Steuergesetzgeber hat eine typisierende Regelung getroffen, die sinnvoll und geeignet war, zu gerechten Ergebnissen zu führen. Wenn sie sich für einzelne Steuerpflichtige etwas günstiger und für andere etwas ungünstiger auswirkt, so bedeutet das nicht eine Verletzung des Gleichheitsgrundsatzes des Art. 3 GG (vgl. die Urteile des Senats VI 170/58 U vom 6. Mai 1959, BStBl 1960 III S. 102; VI 168/59 U vom 29. Januar 1960, BStBl 1960 III S. 103). Bei Steuergesetzen, die eine große Zahl verschieden gelagerter Fälle regeln und bei denen Einfachheit die beste Garantie für die gleichmäßige Durchführung und damit für die Gerechtigkeit ist, muß in weitem Umfang mit Typisierungen gearbeitet werden. Wenn dabei einzelne Steuerpflichtige etwas ungünstiger fahren als andere, so beruht das nicht auf unsachlicher Willkür des Gesetzgebers, sondern auf der Natur des Steuerrechts als eines Massenrechts und der Unmöglichkeit, im Rahmen dieses Massenrechts die absolute Gerechtigkeit durch vollständige Gleichbelastung aller Steuerpflichtigen zu erreichen (vgl. die im Fachverlag für Wirtschafts- und Steuerrecht Schäffer & Co. GmbH Stuttgart erschienene Zusammenstellung der Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs bei Grimm, "Besteuerung und Grundgesetz", 1959, S. 7 ff.).
Fundstellen
Haufe-Index 409739 |
BStBl III 1960, 356 |
BFHE 1961, 288 |