Entscheidungsstichwort (Thema)

Sonstiges Verfahrensrecht/Abgabenordnung Einkommensteuer/Lohnsteuer/Kirchensteuer

 

Leitsatz (amtlich)

Aufsichtsratsvergütungen der Arbeitnehmervertreter im Aufsichtsrat sind nach den allgemeinen Grundsätzen zu behandeln.

Bei einer Veranlagung wegen berechtigten Interesses (§ 46 Abs. 1 Ziff. 4 EStG 1954) sind grundsätzlich alle Einkünfte des Steuerpflichtigen in die Veranlagung einzubeziehen.

Zur Auswirkung des Beschlusses des Bundesverfassungsgerichts 1 BvL 4/54 vom 17. Januar 1957 (Bundesgesetzblatt 1957 I S. 186, Bundessteuerblatt 1957 I S. 193) auf die im Rechtsbeschwerdeverfahren anhängigen Sachen.

GG Art. 6; AO § 152; EStG §§ 18, 19, 26, 45, 45 a, 46; Beschluß des BVerfG 1 BvL 4/54 vom 17. 1.

 

Normenkette

GG Art. 6; AO § 152; EStG §§ 18-19, 26, 45, 45a, 46 Abs. 1 Ziff. 4, Abs. 2

 

Tatbestand

Der Beschwerdeführer (Bf.) ist kaufmännischer Angestellter bei der X-AG und hatte im Jahre 1954 ein Gehalt von 7.604 DM. Er ist auch Mitglied des Aufsichtsrats seiner Arbeitgeberin und erhielt in dieser Eigenschaft eine Aufsichtsratsvergütung von 583 DM, von der die Aufsichtsratsteuer mit 50 v. H. (= 291,50 DM) einbehalten und an das Finanzamt abgeführt wurde. Der Bf. beantragte für 1954 eine Einkommensteuerveranlagung wegen berechtigten Interesses (§ 46 Abs. 1 Ziff. 4 des Einkommensteuergesetzes - EStG -). Das Finanzamt setzte bei der Veranlagung die Aufsichtsratsvergütung mit 583 DM als Gewinn aus selbständiger Tätigkeit an und rechnete außer der Lohnsteuer auch die Aufsichtsratsteuer auf die Einkommensteuerschuld an. Dabei ergab sich ein Erstattungsbetrag von 122 DM. Mit dem Einspruch verlangt der Bf., bei der Veranlagung die Aufsichtsratsvergütung außer Ansatz zu lassen, weil sie unter 600 DM liege. Der Einspruch blieb erfolglos. Die Berufung wurde als unbegründet zurückgewiesen. Mit der Rechtsbeschwerde (Rb.) erstrebt der Bf. weiterhin die volle Erstattung der Aufsichtsratsteuer.

 

Entscheidungsgründe

Die Rb. ist in der Streitfrage nicht begründet.

Es ist in erster Linie zu prüfen, ob der Antrag auf Erstattung der einbehaltenen und abgeführten Aufsichtsratsteuer nach § 152 Abs. 1 Ziff. 2 der Reichsabgabenordnung (AO) gerechtfertigt war. Nach dieser Vorschrift ist eine Steuer zu erstatten, die für Rechnung eines Steuerpflichtigen ohne seine Mitwirkung entrichtet worden ist. Zu den Steuern dieser Art gehören neben der Lohnsteuer, der Kapitalertragsteuer und dem Steuerabzug bei beschränkt Steuerpflichtigen auch die Aufsichtsratsteuer, die gemäß §§ 45, 45 a EStG in Verbindung mit der Verordnung über den Steuerabzug von Aufsichtsratsvergütungen vom 31. März 1939 (Reichsgesetzblatt 1939 Teil I S. 691) mit der sich aus der Verordnung vom 16. Oktober 1948 (Gesetz- und Verordnungsblatt des Wirtschaftsrats des Vereinigten Wirtschaftsgebietes 1948 S. 181) ergebenden änderungen erhoben wird. Im Sinne des § 152 Abs. 2 Ziff. 1 AO ist eine Steuer im Abzugsverfahren zu Unrecht entrichtet, wenn sie nach den für das Abzugsverfahren geltenden Bestimmungen nicht erhoben werden durfte. Das ist bei der Aufsichtsratsteuer z. B. der Fall, wenn die von einer AG gewährten Bezüge zu Unrecht als Aufsichtsratsvergütungen angesehen oder ein zu hoher Satz angewendet worden sind.

Im Streitfall ist die Vergütung von 583 DM zu Recht dem Steuerabzug von Aufsichtsratsvergütungen unterworfen worden. Der Bf. ist zwar Arbeitnehmer der AG. Es ist in der Vorentscheidung nicht festgestellt, aus welchen Gründen er in den Aufsichtsrat seiner Arbeitgeberin berufen wurde. Es liegt nahe, daß er auf Grund der Bestimmungen des Betriebsverfassungsgesetzes vom 11. Oktober 1952 (Bundesgesetzblatt I S. 681) als Vertreter der Belegschaft in den Aufsichtsrat der AG gelangt. In solchen Fällen besteht ein sachlicher Zusammenhang zwischen dem Arbeitsverhältnis und der Aufsichtsratstätigkeit. Doch kann deswegen nicht etwa die Aufsichtsratstätigkeit als eine Hilfstätigkeit aus dem Arbeitsverhältnis angesehen werden, so daß die Aufsichtsratsvergütungen Bezüge aus dem Arbeitsverhältnis (Arbeitslohn) wären. Das Arbeitsverhältnis ist Voraussetzung und Veranlassung für die Berufung zum Aufsichtsrat. Beide Tätigkeiten sind aber nach Rechtsgrund und Inhalt verschieden. Ein Arbeitnehmer gelangt nicht auf Veranlassung und im Interesse einer Arbeitgeberin in den Aufsichtsrat, sondern durch Wahl der Belegschaft als deren Vertreter. Die Mitglieder des Aufsichtsrats haben die Geschäftsführung des Vorstands zu überwachen (§ 95 des Aktiengesetzes). Deshalb können sie grundsätzlich nicht gleichzeitig Vorstandsmitglieder oder leitende Angestellte der AG sein (§ 90 des Aktiengesetzes). Das Aufsichtsratsmitglied kann als solches nicht in den Betrieb der AG als Arbeitnehmer eingegliedert sein. Denn es wäre ein Widerspruch in sich, den überwachenden der Weisungsbefugnis des überwachten zu unterwerfen. Mit Recht wird im Fachschrifttum angenommen, daß die Arbeitnehmervertreter im Aufsichtsrat grundsätzlich die gleiche Rechtsstellung wie die anderen Aufsichtsratsmitglieder haben (vgl. Baumbach-Hueck, Aktiengesetz, 9. Auflage, S. 226).

Das gilt auch für die steuerliche Beurteilung. Ist deshalb ein Arbeitnehmer gleichzeitig Aufsichtsratsmitglied seiner Arbeitgeberin, so liegt ein Fall sogenannter gemischter Tätigkeit vor, d. h. eine unselbständige und eine selbständige Tätigkeit werden nebeneinander ausgeübt. Beide Tätigkeiten sind nach den für sie maßgebenden steuerlichen Bestimmungen zu behandeln. Die Vergütungen für die Aufsichtsratstätigkeit eines Arbeitnehmers unterliegen deshalb wie die Vergütungen der anderen Aufsichtsratsmitglieder der Aufsichtsratsteuer. Im Streitfall ist demnach der Steuerabzug zu Recht vorgenommen worden, so daß ein Erstattungsanspruch aus § 152 Abs. 2 Ziff. 1 AO nicht gegeben ist.

Die Vorinstanzen haben auf Grund des Antrags des Bf. zu Recht eine Veranlagung wegen berechtigten Interesses (§ 46 Abs. 1 Ziff. 4 EStG) vorgenommen. Der Bf. hatte durch Steuerabzug eine höhere Steuer gezahlt, als sich bei der Veranlagung als Einkommensteuerschuld für das Kalenderjahr ergab, so daß ihm ein Betrag von 122 DM erstattet wurde.

Mit Recht hat das Finanzgericht entgegen der Auffassung des Bf. angenommen, daß bei einer Veranlagung wegen berechtigten Interesses alle Einkünfte einzubeziehen seien und daß die Freigrenze von 600 DM in § 46 Abs. 1 Ziff. 2 EStG bei einer Veranlagung nach § 46 Abs. 1 Ziff. 4 EStG nicht gelte. Diese Auslegung entspricht dem Wortlaut des Gesetzes und dem Willen des Gesetzgebers. Sie ist darum für die Steuergerichte bindend. Die Fälle, in denen Arbeitnehmer zu veranlagen sind, werden in § 46 Abs. 1 EStG abschließend aufgezählt. Die einzelnen Fälle sind hinsichtlich ihrer Voraussetzungen selbständig zu beurteilen. Aus § 46 Abs. 1 EStG ergibt sich keineswegs, wie der Bf. meint, der allgemeine Grundsatz, daß Bagatelleinkünfte in eine Veranlagung nicht einzubeziehen seien. Auch § 46 Abs. 1 Ziff. 5 c EStG 1955, auf den sich der Bf. beruft, spricht das nicht aus. § 46 Abs. 2 EStG 1955 ergibt sogar das Gegenteil. Denn dort ist geregelt, unter welchen Voraussetzungen in Fällen des § 46 Abs. 1 Ziff. 3 EStG (mehrere Dienstverhältnisse) geringe Einkünfte außer Betracht bleiben können. Für die Fälle des § 46 Abs. 1 Ziff. 5 EStG 1955 - diese Vorschrift umfaßt die Fälle, in denen vorher eine Veranlagung wegen berechtigten Interesses in Betracht kam - ist eine entsprechende Regelung offenbar bewußt nicht getroffen worden. Das kommt auch in Abschn. 217 Abs. 1 der Einkommensteuer- Richtlinien (EStR) 1955 zum Ausdruck.

Die Finanzverwaltung hat allerdings in Verwaltungsanweisungen gestattet, über den Wortlaut des § 46 Abs. 1 EStG hinaus in bestimmten Fällen einzelne Einkünfte bis zu einer festgesetzten Höhe bei der Veranlagung von Arbeitnehmern nach § 46 EStG auszunehmen (vgl. z. B. Abschn. 166 EStR 1953 betreffend die Veranlagung von Arbeitnehmern bei mehreren Dienstverhältnissen gemäß § 46 Abs. 1 Ziff. 3 EStG; Abschn. 217 Abs. 2 EStR 1955 betreffend die Heranziehung von Einkünften aus Kapitalerträgen und Aufsichtsratstätigkeit bei Arbeitnehmern). Es ist zweifelhaft, welche Rechtsgrundlage für diese Verwaltungsanweisungen besteht. Abschn. 217 Abs. 2 EStR 1955 bezeichnet sich selbst als Billigkeitsregelung. Es kann dahingestellt bleiben, ob § 131 AO für allgemeine Regelungen dieser Art eine ausreichende Rechtsgrundlage bildet und ob die Durchführung von Billigkeitsregelungen im Besteuerungsverfahren vor den Finanzgerichten gezwungen werden kann; denn für das Streitjahr 1954 galt eine solche Billigkeitsregelung jedenfalls noch nicht.

Die Finanzverwaltungsbehörden sind nicht gehindert zu prüfen, ob im Fall des Bf. für das Jahr 1954 eine Billigkeitsmaßnahme nach § 131 AO angebracht ist. Es ist aber nicht, wie der Bf. meint, Sache der Steuergerichte, den Verwaltungsbehörden für die Ausübung ihres Ermessens Empfehlungen zu erteilen.

In der Streitfrage ist demnach der Rechtsauffassung des Finanzgerichts beizutreten. Der Senat hält es trotzdem für angebracht, die Vorentscheidung und die Einspruchsentscheidung des Finanzamts aufzuheben. Der Bf. ist verheiratet. Durch den Beschluß des Bundesverfassungsgerichts 1 BvL 4/54 vom 17. Januar 1957 (Bundesgesetzblatt 1957 I S. 186, Bundessteuerblatt 1957 I S. 193) ist § 26 EStG 1951 als mit Art. 6 des Grundgesetzes für die Bundesrepublik Deutschland unvereinbar für nichtig erklärt worden. Die dadurch entstandene Lücke im EStG muß durch ein Gesetz ausgefüllt werden. Entsprechende Vorbereitungen sind im Gange. Der Gesetzgeber wird möglicherweise aus der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts auch Folgerungen für andere Veranlagungszeiträume als 1951 ziehen. Der Senat hält es unter diesen Umständen nicht für richtig, durch eine endgültige Entscheidung in der Sache die Rechtskraft der streitigen Veranlagung herbeizuführen. Das Finanzamt hat abzuwarten, bis das Gesetz über die einkommensteuerliche Behandlung von Ehegatten vorliegt. Sodann hat es unter Beachtung der vorstehenden Rechtsgrundsätze erneut zu entscheiden.

 

Fundstellen

Haufe-Index 408739

BStBl III 1957, 161

BFHE 1957, 428

BFHE 64, 428

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