Restschuldbefreiung als rückwirkendes Ereignis

Der Buchgewinn ist grundsätzlich im Jahr des gerichtlichen Beschlusses zu erfassen. Bei einer Betriebsaufgabe vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens liegt jedoch ein in das Jahr der Aufstellung der Aufgabebilanz zurückwirkendes Ereignis vor.

Hintergrund: Betriebsaufgabe und anschließende Restschuldbefreiung

Der als Handelsvertreter tätige H betrieb in 1994/1995 daneben ein Einzelhandelsgeschäft. Dieses gab er Ende Oktober 1995 auf. Das Betriebs-FA stellte in den Gewinnfeststellungsbescheiden jeweils Verluste aus der gewerblichen Tätigkeit fest. In 1999 beantragte H die Eröffnung des Verbraucherinsolvenzverfahrens über sein Vermögen. Am 20.12.2006 erteilte das Amtsgericht durch Beschluss die Restschuldbefreiung.

In 2008 reichte H die ESt-Erklärung für das Streitjahr 2006 ein. Dabei machte er nur Angaben zu seiner Handelsvertretertätigkeit. Das FA setzte die ESt für 2006 auf 0 EUR fest und stellte den verbleibenden Verlust zum 31.12.2006 fest (Bescheide v. 7.5.2008). Nachdem das Staatliche Rechnungsprüfungsamt davon ausging, H habe seinen Gewerbebetrieb noch bis Januar 1996 ausgeübt und ihm seien aufgrund der Restschuldbefreiung betriebliche Schulden in unbekannter Höhe erlassen worden, forderte das FA den H auf, Angaben über Art und Höhe der von der Restschuldbefreiung betroffenen Verbindlichkeiten zu machen. Da H dem nicht nachkam, erließ das FA in 2008 einen geänderten Gewinnfeststellungsbescheid für 1995 und berücksichtigte einen sog. Befreiungsgewinn.

Am 25.8.2010 erließ das FA einen geänderten ESt-Bescheid 2006 mit Festsetzung auf 0 EUR sowie einen geänderten Verlustfeststellungsbescheid zum 31.12.2006, mit dem es den Verlust um den Befreiungsgewinn minderte. Das FG gab der Klage gegen den geänderten Verlustfeststellungsbescheid mit der Begründung statt, es fehle an der Änderungsbefugnis.

Entscheidung: Restschuldbefreiung als rückwirkendes Ereignis

Der BFH wies die Revision des FA als unbegründet zurück. Die Erteilung der Restschuldbefreiung führt nicht zu einem Erlöschen der Verbindlichkeiten, sondern zur Umwandlung in unvollkommene Verbindlichkeiten (sog. Naturalobligationen), deren Erfüllung von da an freiwillig möglich ist, aber nicht erzwungen werden kann. Daher wirkt die Restschuldbefreiung einkommensteuerrechtlich grundsätzlich nicht zurück.

Aufgrund der Einstellung der gewerblichen Tätigkeit hat ein Unternehmer – wie hier H – eine Betriebsaufgabebilanz (zur Ermittlung des Aufgabegewinns. bzw. Aufgabeverlusts) zu erstellen. Erst mit der Erteilung der Restschuldbefreiung in 2006 sind die in diese Bilanz eingestellten Verbindlichkeiten auszubuchen. Die Ausbuchung hat in der Aufgabebilanz (und somit vor dem Streitjahr) zu erfolgen. Somit stellt die Restschuldbefreiung bei einem Zusammenhangmit einer Betriebsaufgabe ein rückwirkendes Ereignis dar. Die Verbindlichkeiten werden nachträglich uneinbringlich. Die Änderung der Werthaltigkeit entfaltet steuerliche Rückwirkung. Das ist durch eine Änderung der Steuerfestsetzung im Jahr der Aufstellung der Aufgabebilanz zu berücksichtigen. Da in dem ursprünglichen Verlustfeststellungsbescheid zum 31.12.2006 somit im Ergebnis zu Recht kein Gewinn aus der erteilten Restschuldbefreiung angesetzt worden war, war der Änderungsbescheid vom 25.8.2010 schon materiell-rechtlich rechtswidrig und deshalb aufzuheben.

Hinweis: Besonderheiten bei einer Betriebsaufgabe

Der BFH bestätigt das Urteil vom 3.2.2016, X R 25/12 (BStBl II 2016, 391; Haufe Index 9155880). Danach ist der aufgrund einer erteilten Restschuldbefreiung entstandene Gewinn grundsätzlich kein rückwirkendes Ereignis. Denn die Restschuldbefreiung bewirkt kein rückwirkendes Erlöschen der Verbindlichkeiten, sondern lediglich, dass sie nicht mehr erzwungen werden können. Der entstandene Gewinn ist daher erst im Zeitpunkt der Erteilung der Restschuldbefreiung realisiert (BMF v. 22.12.2009, BStBl I 2010, 18; Haufe Index 2279412).

Davon unabhängig sind die Auswirkungen der Restschuldbefreiung im Zusammenhang mit einer Betriebsaufgabe. Bis zum Eintritt der Restschuldbefreiung sind betriebliche Verbindlichkeiten zum Nennwert anzusetzen. Erst der Eintritt der Restschuldbefreiung führt zu einer Neubewertung dahingehend, dass eine Inanspruchnahme des Schuldners nicht mehr zu erwarten ist. Die Restschuldbefreiung muss bei einem vor Insolvenz aufgegebenen Betrieb zum Wegfall der in der Aufgabebilanz ausgewiesenen betrieblichen Verbindlichkeiten führen. Folglich ist die Restschuldbefreiung insoweit ein rückwirkendes Ereignis. Die Änderung der Werthaltigkeit entfaltet steuerliche Rückwirkung. 

BFH, Urteil v. 13.12.2016, X R 4/15, veröffentlicht am 24.5.2017


Schlagworte zum Thema:  Betriebsaufgabe, Insolvenzverfahren, Vermögen