Keine Masseverbindlichkeit bei vorläufiger Eigenverwaltung

Der Umsatzsteueranspruch für einen Besteuerungszeitraum, in dem der Unternehmer einem Eröffnungsverfahren mit vorläufiger Eigenverwaltung nach § 270a InsO unterliegt, ist weder nach § 55 Abs. 2 InsO noch nach § 55 Abs. 4 InsO eine Masseverbindlichkeit. Auch eine analoge Anwendung dieser Vorschriften kommt nicht in Betracht.

Hintergrund: Masseverbindlichkeiten im vorläufigen Insolvenzverfahren 

Der Kläger war zum vorläufigen Sachwalter über das Vermögen einer GmbH bestellt worden, nachdem diese die Eröffnung des Insolvenzverfahrens in Eigenverwaltung beantragt hatte. Nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens wurde er zum Insolvenzverwalter bestellt und focht im vorläufigen Insolvenzverfahren von der GmbH geleistete Umsatzsteuerzahlungen an. Das Finanzamt zahlte aus und setzte die Beträge im Gegenzug gegenüber dem Insolvenzverwalter als Masseverbindlichkeit fest. 

Das Finanzamt argumentierte, dass es sich nach §§ 270a, 270 Abs. 1 Satz 2 i. V. m. § 55 Abs. 4 InsO um eine Masseverbindlichkeit handele. Nach § 55 Abs. 2 Satz 1 InsO gelten Verbindlichkeiten, die von einem vorläufigen Insolvenzverwalter begründet worden sind, auf den die Verfügungsbefugnis über das Vermögen des Schuldners übergegangen ist, nach der Eröffnung des Verfahrens als Masseverbindlichkeiten. Gleiches gilt gemäß § 55 Abs. 4 InsO für die Verbindlichkeiten des Insolvenzschuldners aus dem Steuerschuldverhältnis, die von einem vorläufigen Insolvenzverwalter oder vom Schuldner mit Zustimmung eines vorläufigen Insolvenzverwalters begründet worden sind. § 55 Abs. 4 InsO sei auch auf das Verfahren der vorläufigen Eigenverwaltung anzuwenden.

Auch dem vorläufig eigenverwaltenden Insolvenzschuldner komme die Stellung eines vorläufigen Insolvenzverwalters zu. Auch er habe nach dem Gläubigerinteresse zu handeln. Die Vorschriften für das in Fremdverwaltung abgewickelte Insolvenzverfahren seien auf das Eigenverwaltungsverfahren angepasst anzuwenden. Der Schuldner trete so an die Stelle des Insolvenzverwalters. Dementsprechend könne der eigenverwaltende Schuldner im eröffneten Insolvenzverfahren Masseverbindlichkeiten nach § 55 Abs. 1 Nr. 1 InsO begründen. Daher müsse auch § 55 Abs. 4 InsO auf das Verfahren der vorläufigen Eigenverwaltung angewendet werden. An die Stelle des vorläufigen Insolvenzverwalters trete der vorläufig eigenverwaltende Schuldner. 

Beschluss: Bei Eigenverwaltung aber keine Masseverbindlichkeiten

Der BFH hielt die Revision des Finanzamts für unbegründet (Beschluss v. 7.5.2020, V R 14/19, Parallelentscheidung V R 19/19) und schloss sich der Auffassung des BGH an (Urteil v. 22.11.2018, IX ZR 167/16; der Schuldner begründet im vorläufigen Eigenverwaltungsverfahren auch außerhalb des Schutzschirmverfahrens nach § 270b InsO nur insoweit Masseverbindlichkeiten, als er vom Insolvenzgericht hierzu ermächtigt worden ist. Im vorläufigen Eigenverwaltungsverfahren ist die Bestimmung des § 55 Abs. 4 InsO nicht entsprechend anwendbar).

Das FG habe zutreffend entschieden, dass der Umsatzsteueranspruch für einen Voranmeldungs- oder Besteuerungszeitraum, in dem der Unternehmer einem Eröffnungsverfahren mit vorläufiger Eigenverwaltung nach § 270a InsO unterliegt, weder nach § 55 Abs. 2 InsO noch nach § 55 Abs. 4 InsO eine Masseverbindlichkeit ist; auch eine analoge Anwendung dieser Vorschriften kommt nicht in Betracht. Für eine unmittelbare Anwendung von § 55 Abs. 2 und Abs. 4 InsO fehle es bereits an der Grundvoraussetzung der Bestellung eines vorläufigen Insolvenzverwalters. Weder § 55 Abs. 2 InsO noch § 55 Abs. 4 InsO sind auf ein Eröffnungsverfahren mit vorläufiger Eigenverwaltung nach § 270a InsO analog anzuwenden. 

Das Finanzamt lasse die Unterschiede außer Betracht, die zwischen einem Eröffnungsverfahren mit den in § 55 Abs. 2 und 4 InsO genannten vorläufigen Insolvenzverwaltern und dem Eröffnungsverfahren in vorläufiger Eigenverwaltung bestehen. Die Vorschriften setzen die Bestellung eines vorläufigen Insolvenzverwalters (§ 21 i. V. m. § 22 InsO) durch das Insolvenzgericht voraus, dem entweder Befugnisse mit der Rechtsfolge des § 55 Abs. 2 InsO zustehen oder dem das Insolvenzgericht Befugnisse mit der Rechtsfolge des § 55 Abs. 4 InsO zugewiesen hat. Demgegenüber stehen dem Insolvenzschuldner im vorläufigen Eigenverwaltungsverfahren die Verwaltungs- und Verfügungsbefugnisse über sein Vermögen aus eigenem Recht zu, soweit das Insolvenzgericht keine beschränkenden Anordnungen erlässt. Anders als im eröffneten Verfahren kann entgegen der Auffassung des FA auch nicht durch den Verweis auf die allgemeinen Vorschriften in § 270 Abs. 1 Satz 2 InsO abgeleitet werden, dass der Schuldner in der vorläufigen Eigenverwaltung - wie der Eigenverwalter im eröffneten Verfahren - als sein eigener vorläufiger Insolvenzverwalter anzusehen ist.
 

Schlagworte zum Thema:  Insolvenzverfahren, Insolvenz, Umsatzsteuer