Falsche Auswertung von übermittelten Versicherungsdaten

Ein Steuerbescheid ist nach § 175b AO aufzuheben oder zu ändern, soweit von der mitteilungspflichtigen Stelle an die Finanzbehörden übermittelte Daten im Sinne des § 93c AO bei der Steuerfestsetzung nicht oder nicht zutreffend berücksichtigt wurden.

Soweit ersichtlich hat sich das FG Münster als erstes Finanzgericht mit einer Änderung des Finanzamts nach § 175b AO (gilt für Besteuerungszeiträume nach 2016) beschäftigt (Urteil v. 9.3.2021, 1 K 2809/19 E).

Bescheidänderung nach § 175b AO

§ 175b AO soll die Aufhebung oder Änderung von Steuerbescheiden ermöglichen, die aufgrund fehlerhafter Auswertung übermittelter Daten ergangen sind. Die Regelung wurde im Hinblick auf die im Massenverfahren eingesetzte und in § 93c AO geregelte elektronische Datenübermittlung durch Dritte geschaffen, um Fehler bei der Mitteilung der Daten oder ihrer Auswertung im Sinne der materiell-rechtlichen Richtigkeit korrigieren zu können.

Die Regelung des § 93c AO betrifft steuerliche Daten eines Steuerpflichtigen, die von Dritten auf der Grundlage gesetzlicher Vorschriften verpflichtend (mitteilungspflichtige Stelle) an die Finanzbehörde zu übermitteln sind. Im Gegensatz zu § 173a AO und § 129 AO kann der Steuerbescheid nach auch dann geändert werden, wenn der fehlerhafte Bescheid auf einer falschen Tatsachenwürdigung oder Rechtsanwendung oder auf einem Ermittlungsfehler der Finanzbehörde und nicht auf einem Schreib-, Rechen- oder sonstigen mechanischen Fehler bei der Übermittlung der Daten beruht.

Fall des FG Münster: Krankenversicherungsbeiträge für Sohn

Die Eheleute sind geschieden, haben einen Sohn und werden einzeln veranlagt. Die Klägerin erklärte keine Krankenversicherungsbeiträge für den Sohn. Das Finanzamt setzte im Rahmen der Bearbeitung der Steuererklärung aber Krankenversicherungsbeiträge an, da sie für die Steuernummer der Klägerin übermittelt wurden.

Aus der Übermittlung ergab sich der Name, die Anschrift, die Steueridentifikationsnummer, das Geburtsdatum des Sohnes sowie die für ihn geleisteten Versicherungsbeiträge. Enthalten waren weiter der Name und das Geburtsdatum des Kindesvaters sowie die Information, dass er Versicherungsnehmer der Krankenversicherung des Sohnes war. Zur Steuernummer des Kindesvaters wurden entsprechende Datensätze nicht übermittelt.

Später änderte das Finanzamt den Bescheid nach § 175b AO, weil der Kindsvater im Rahmen seiner Steuererklärung die Krankenversicherungsbeiträge für den Sohn angegeben hat, er Versicherungsnehmer und die Beiträge auch unstreitig wirtschaftlich getragen hat.

Klägerin argumentiert mit Wortlaut und Ziel der Vorschrift

Die Klägerin vertrat die Auffassung, dass eine Änderung nach § 175b AO nicht zulässig sei, weil die Daten über die Krankenversicherungsbeiträge für den Sohn nicht zur Identifikationsnummer der Klägerin oder des Vaters des Kindes, sondern zu der des Kindes übermittelt worden seien.

Aus der Mitteilung selbst ergebe sich daher nicht, bei wem die Krankenversicherungsbeiträge zu berücksichtigen seien. § 175b AO erlaube nur dann eine Änderung, wenn Daten betroffen seien, die eben zu diesem Steuerpflichtigen übermittelt worden seien. Hieran fehle es, da hier Daten des Kindes übermittelt worden seien. Für diese Rechtsauffassung spreche der Wortlaut des § 93c Abs. 1 AO, der die Pflicht zur Übermittlung von Daten "eines" Steuerpflichtigen der jeweiligen Stelle auferlege. § 175b AO spreche von "der" mitteilungspflichtigen Stelle und nicht von "einer" mitteilungspflichtigen Stelle. Die mitteilungspflichtige Stelle sei daher immer nur die des betreffenden Steuerpflichtigen.

Außerdem regele § 175b AO nur den Fall, dass die elektronisch übermittelten "Daten als solche" nicht zutreffend berücksichtigt worden seien. Hieran fehle es, da die übermittelten Daten als "solche" zutreffend, jedoch beim falschen Steuerpflichtigen berücksichtigt worden seien. Ziel der Regelung sei es nicht, unbeschränkte Änderungsmöglichkeiten zu eröffnen.

FG lässt Änderung nach § 175b AO zu

Das FG Münster hat sich dieser Auffassung nicht angeschlossen. Das jeweilige Versicherungsunternehmen als mitteilungspflichtige Stelle hat unter Angabe der Vertrags- oder der Versicherungsdaten die Höhe der im jeweiligen Beitragsjahr geleisteten und erstatteten Krankenversicherungsbeiträge sowie den Familiennamen, den Vornamen, das Geburtsdatum die Anschrift und die Steueridentifikationsnummer des Steuerpflichtigen mit der Maßgabe mitzuteilen, dass insoweit als Steuerpflichtiger die versicherte Person gilt. Sind Versicherungsnehmer und versicherte Person nicht identisch, sind zusätzlich die Identifikationsnummer und der Tag der Geburt des Versicherungsnehmers anzugeben (so wie hier).

Keine Einschränkung der Änderungsbefugnis

Der Einwand, es handele sich bei den übermittelten Daten nicht um steuerliche Daten "der“"mitteilungspflichtigen Stelle "der" Steuerpflichtigen (Klägerin), greife nicht. Die Anwendung des § 175b AO hängt nicht davon ab, zu welchem Steuerfall die Daten mitgeteilt werden, denn § 93c AO regele nicht, dass die Daten "zu einem Steuerfall" mitzuteilen sind, sondern, dass steuerliche Daten "eines" Steuerpflichtigen an die Finanzbehörde zu übermitteln sind.

Hier gelte der Sohn als Steuerpflichtiger. Die Zuordnung der Daten zu dem Steuerpflichtigen, bei dem die mitgeteilten Daten sich steuerlich auswirken, ist die Frage der materiell-rechtlich zutreffenden Auswertung der mitgeteilten Daten, die nicht durch die mitteilungspflichtige Stelle vorgegeben oder vorgenommen wird. Dementsprechend ergäbe sich auch keine Einschränkung der Änderungsbefugnis danach, zu welcher Steueridentifikationsnummer die auszuwertenden Daten der Finanzverwaltung mitgeteilt wurden.

Vorrang materiell-rechtlichee Rechtmäßigkeit

Das Finanzamt hat die mitgeteilten Daten unzutreffend ausgewertet, mit der Folge, dass die steuerrechtliche Behandlung materiell-rechtlich falsch war. Worauf die unzutreffende Auswertung beruht kommt es nicht an. Für eine Änderungsbefugnis ist entscheidend, dass das Ergebnis der Auswertung materiell-rechtlich unzutreffend ist, so das FG. Auch der Einwand, die unzutreffende Auswertung müsse die Daten "als solche" betreffen, überzeuge nicht. Nach dieser Auffassung, greife § 175b AO nur ein, wenn ein im Datensatz mitgeteilter Wert, wie zum Beispiel die Höhe eines mitgeteilten Betrages unzutreffend übertragen wurde.

Ein solches Verständnis der Vorschrift würde aber dazu führen, dass sie überflüssig wäre, weil diese Fälle von § 129 AO und § 173a AO erfasst würden. Vielmehr sei § 175b AO aber vor dem Hintergrund eingeführt worden, dass im Ergebnis eine dem § 175 Abs. 1 Nr. 1 AO entsprechende Rechtsfolge für neue, korrigierte oder fehlerhaft ausgewertete elektronisch übermittelte Daten erreicht werden sollte. Ziel des Gesetzgebers war es, der materiell-rechtlichen Rechtmäßigkeit den Vorrang vor der formell-rechtlichen Bestandskraft zu geben.

Revisionsverfahren beim BFH anhängig

Gegen die Entscheidung des FG Münster läuft ein Revisionsverfahren vor dem BFH (Az. X R 5/21). Vergleichbare Fälle sollten offen gehalten werden, bis der BFH entschieden hat.


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