Entscheidungsstichwort (Thema)

Sozialgerichtliches Verfahren. vorgerichtliche Rechtsanwaltskosten. Ausschluss der Erstattung für private Pflegeversicherungsunternehmen. Verfassungsmäßigkeit

 

Leitsatz (amtlich)

Vorgerichtliche Rechtsanwaltskosten, die während des Mahnverfahrens entstehen, sind nicht zugunsten eines Unternehmens der privaten Pflegeversicherung als Kosten des gerichtlichen Verfahrens erstattungsfähig. Eine Erstattungsfähigkeit dieser Kosten kann auch nicht aus den zivilrechtlichen Vorschriften zum Verzugsschaden hergeleitet werden.

 

Orientierungssatz

Private Versicherungsunternehmen werden hinsichtlich der prozessualen Kostenregelung den Trägern der sozialen Pflegeversicherung gleichgestellt. Neben der Pflicht zur Entrichtung der Pauschgebühr iS von § 184 SGG ist auch der Ausschluss der Erstattungsfähigkeit jeglicher Rechtsanwaltskosten gem § 193 Abs 4 SGG verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden. Der Justizgewährleistungsanspruch gebietet danach nur dann eine Berücksichtigung der Anwaltskosten in sozialgerichtlichen Verfahren, wenn die Inanspruchnahme eines Rechtsanwalts zur Erlangung wirkungsvollen Rechtsschutzes erforderlich ist, weil die rechtskundige Partei ihre Interessen nicht selbst vertreten kann (vgl BVerfG vom 31.1.2008 - 1 BvR 1806/02 = BVerfGK 13, 262 = SozR 4-1500 § 184 Nr 2).

 

Tenor

Auf die Berufung des Beklagten wird der Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Lüneburg vom 11. November 2015 aufgehoben, soweit der Beklagte verurteilt worden ist, der Klägerin i. H. v. 147,56 € entstandene vorgerichtliche Rechtsanwaltskosten zu zahlen. Insoweit wird die Klage abgewiesen.

Im Übrigen wird die Berufung zurückgewiesen.

Die Klägerin hat dem Beklagten 1/5 seiner außergerichtlichen Kosten zu erstatten.

Im Übrigen sind außergerichtliche Kosten nicht zu erstatten.

Die Revision wird zugelassen.

 

Tatbestand

Die Beteiligten streiten über die Verpflichtung des Beklagten, für die Zeit vom 1. Oktober 2013 bis 1. März 2015 Beiträge zur Pflegeversicherung i. H. v. 545,76 € zahlen zu müssen.

Der Beklagte war bei der Klägerin in dem genannten Zeitraum gegen Pflegebedürftigkeit versichert. Er zahlte ab 1. Oktober 2013 keine Beiträge mehr. Die Klägerin erwirkte daraufhin am 17. Februar 2015 gegen den Beklagten einen Mahnbescheid über 545,76 € nebst Kosten i. H. v. 84,36 €, Mahnkosten i. H. v. 15 € und Anwaltsvergütung für vorgerichtliche Tätigkeit i. H. v. 147,56 €. Nebst Zinsen ab 2. Februar 2015 ergab dies einen Betrag von 793,68 €. Nachdem der Beklagte dagegen Widerspruch eingelegt hatte, wurde das Verfahren über das Amtsgericht J. an das Sozialgericht (SG) Lüneburg abgegeben.

Nachdem der Beklagte sich zum Verfahren nicht äußerte, erließ das SG am 11. November 2015 einen Gerichtsbescheid, worin es den Beklagten verurteilte, an die Klägerin 545,76 € nebst Zinsen sowie vorgerichtliche Kosten i. H. v. 15 € und vorgerichtliche Rechtsanwaltskosten i. H. v. 147,56 € zu zahlen. Außerdem wurden ihm die Gerichtskosten des Mahnverfahrens auferlegt. Zur Begründung hat das SG angeführt: Es lege den von der Klägerin vorgetragenen Sachverhalt zugrunde, danach sei die Hauptforderung berechtigt. Die Erstattungspflicht der vorgerichtlichen Mahnkosten und Zinsen beruhe auf § 8 Abs. 7 Musterbedingungen der privaten Pflegeversicherung (MB/PPV) i. V. m. §§ 247, 280, 286, 288, 291 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB). Den entstandenen Verzugsschaden habe die Klägerin ausreichend dargelegt. Der Gerichtsbescheid war mit einer Rechtsmittelbelehrung versehen, wonach die Berufung dagegen nicht zulässig sei.

Gegen den ihm am 21. November 2015 zugestellten Gerichtsbescheid hat der Beklagte am 29. November 2015 “Beschwerde„ eingelegt und zur Begründung angeführt, er habe die Mitgliedschaft bei der Klägerin im Februar 2013 gekündigt, denn er habe zu diesem Zeitpunkt ein sozialversicherungspflichtiges Beschäftigungsverhältnis begonnen. Seit Februar 2013 sei er bei der K. versichert und habe deshalb keine Prämien mehr an die Klägerin gezahlt. Er habe von der Klägerin für den hier streitigen Zeitraum keinerlei Mahnungen erhalten. Der Beklagte hat dem Gericht am 17. Oktober 2016 per Fax ein Schreiben vom 6. Februar 2013 übersandt, das an die Klägerin gerichtet ist, worin er seine private Krankenversicherung mit sofortiger Wirkung bzw. zum nächstmöglichen Termin kündige. Einen Zustellungsnachweis hat der Beklagte für dieses Schreiben nicht vorgelegt. Außerdem hat er eine Bescheinigung der K. nach § 175 Sozialgesetzbuch Fünftes Buch (SGB V) vom 31. Januar 2013 übersandt, wonach er bei dieser ab 1. Februar 2013 Mitglied ist. Diese Bescheinigung war an die Firma L. in M. gerichtet.

Der Beklagte beantragt,

den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Lüneburg vom 11. November 2015 aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Die Klägerin beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Die Berufung sei im vorliegenden Fall nicht deshalb zulässig, weil es sich bei den in Rede stehenden Versicherungsbeiträgen um eine “wiederkehrende Leistung„ i. S. v. § 144 Abs. 1 S. 2 Sozialgerichtsgesetz (...

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