Entscheidungsstichwort (Thema)
Vertragsarzt. Honorarkürzung wegen übermäßiger Ausdehnung der Kassenpraxis durch Beschäftigung eines Assistenten. keine vorherige Aufhebung oder Widerruf der Genehmigung. sachlich-rechnerische Richtigstellung durch Kassenärztliche Vereinigung
Leitsatz (amtlich)
Eine Honorarkürzung wegen übermäßiger Ausdehnung der Kassenpraxis mit Hilfe der Beschäftigung eines Assistenten setzt nicht voraus, dass zuvor die Genehmigung seiner Beschäftigung aufgehoben bzw widerrufen worden ist.
Normenkette
SGB V § 82 Abs. 1, § 85 Abs. 4, 4b S. 7 Fassung: 1998-12-19, § 98 Abs. 2 Nr. 13; Ärzte-ZV § 32 Abs. 2 S. 2 Fassung: 1992-12-21, S. 4 Fassung: 1992-12-21, Abs. 3 Fassung: 1988-12-20; BMV-Ä § 45 Abs. 2 S. 1 Fassung: 2000-07-01; EKV-Ä § 34 Abs. 4 S. 1 Fassung: 2000-07-01, S. 2 Fassung: 2000-07-01
Verfahrensgang
Tenor
Die Revision des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Dortmund vom 6. November 2003 wird zurückgewiesen.
Der Kläger hat der Beklagten ihre außergerichtlichen Kosten für das Klage- und Revisionsverfahren zu erstatten.
Tatbestand
I
Streitig sind Honorarkürzungen wegen der Aufrechterhaltung eines übergroßen Praxisumfangs mit Hilfe einer Assistentin.
Der Kläger ist als Facharzt für Allgemeinmedizin zur vertragsärztlichen Versorgung im Bezirk der beklagten Kassenärztlichen Vereinigung (KÄV) zugelassen. Bis zum Quartal III/1998 war er in Gemeinschaftspraxis mit einem weiteren Arzt tätig, danach in Einzelpraxis, aber mit Beschäftigung von Assistenten. Seine Fallzahl betrug, seitdem er eine Einzelpraxis betrieb, zunächst ca 2.600 (Quartal IV/1998), verringerte sich bis Quartal I/2001 auf ca 2.250 und – nach einer zwischenzeitlichen Tätigkeit wieder in Gemeinschaftspraxis (Quartale II und III/2001) – zum Quartal IV/2001 auf ca 2.000 Behandlungsfälle. Für die hier in Rede stehende Zeit vom 1. Juli 2000 bis zum 31. Dezember 2001 genehmigte ihm die Beklagte die Beschäftigung der Ärztin H… als Weiterbildungsassistentin (Bescheid vom 9. August 2000).
Die Beklagte kürzte die Honoraranforderung des Klägers für die Quartale III/2000 bis I/2001 und IV/2001 durch die hier streitigen Bescheide wegen der Aufrechterhaltung einer übergroßen Praxis mit Hilfe der Beschäftigung von Assistenten. Dabei gestand sie dem Kläger – in Orientierung an einer Vergleichsvereinbarung, die sie mit ihm wegen ua entsprechender Beanstandungen seiner Abrechnungen für die Quartale IV/1998 bis II/2000 geschlossen hatte und in der er sich zu einer Honorarrückzahlung für diese Quartale in Höhe von 320.000 DM verpflichtet hatte – eine Überschreitung der Durchschnittsfallzahl der Fachgruppe um 80 % zu und reduzierte den Kürzungsbetrag, der sich für die diese Fallzahl übersteigenden Fälle ergab, um 20 % (für das Quartal III/2000 – 2.423 Fälle gegenüber durchschnittlich 948 Fällen – Zubilligung einer zu vergütenden Fallzahl von 1.706, dementsprechend Kürzung des Honorars von 126.492,39 DM um 32.667,93 DM, dies reduziert um 20 %, verbleibende Kürzung 26.134,34 DM = 13.362,28 €, Bescheid vom 8. März 2001 und Widerspruchsbescheid vom 12. Juni 2001; für die Quartale IV/2000, I und IV/2001 Kürzungen – korrigierte Berechnung – um 15.216,71 DM ≪= 7.780,18 €≫, 18.036,47 DM ≪9.221,90 €≫ und 10.230,66 DM ≪5.230,85 €≫). In den Bescheiden ist ausgeführt, die Beschäftigung von Assistenten dürfe nicht der Aufrechterhaltung eines übergroßen Praxisumfangs dienen. Dieser habe erheblich über dem Durchschnitt der Fachgruppe gelegen. Rechnerisch hätten sich Tagesarbeitszeiten des Klägers von bis zu 20 Stunden ergeben.
Der Kläger hat das Sozialgericht (SG) gegen den Honorarkürzungsbescheid für das Quartal III/2000 angerufen und später die Kürzungsbescheide für die Quartale IV/2000, I und IV/2001 in das Verfahren einbezogen. Das SG hat die Klage abgewiesen (Urteil vom 6. November 2003). Zur Begründung ist ausgeführt, die Klage sei zwar zulässig, auch insoweit, als der Kläger sie im Wege der Klageerweiterung auf die weiteren Honorarkürzungsbescheide erstreckt habe. Sie sei jedoch unbegründet. Rechtsgrundlage für die (Teil-)Aufhebung der Honorarbescheide seien die Regelungen des § 45 Abs 2 Bundesmantelvertrag-Ärzte (BMV-Ä) und des § 34 Abs 4 Arzt-/Ersatzkassen-Vertrag (EKV-Ä). Diese erfassten alle Unrichtigkeiten von Honorarbescheiden. Die Beschäftigung der Weiterbildungsassistentin habe entgegen § 32 Abs 3 Zulassungsverordnung für Vertragsärzte (Ärzte-ZV) der Aufrechterhaltung einer übergroßen Praxis – mit mehr als dem zweieinhalbfachen einer durchschnittlichen Fallzahl – gedient. Die Genehmigung der Beschäftigung der Assistentin stehe der Beanstandung des Praxisumfangs nicht entgegen, denn die Beklagte habe mit dieser Genehmigung nur die Voraussetzungen für eine Weiterbildung der Assistentin durch den Kläger anerkannt, aber keine Befreiung von Vergütungsbeschränkungen erteilt. Ein Vertrauensschutz sei nicht entstanden. § 45 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB X) sei nicht anwendbar.
Mit seiner Revision rügt der Kläger, die Honorareinbehalte der Beklagten seien mit Bundesrecht nicht vereinbar. Eine Honorarkürzung könne nicht darauf gestützt werden, dass entgegen § 32 Abs 3 Ärzte-ZV die Beschäftigung der genehmigten Assistentin einem übergroßen Praxisumfang gedient habe. Die Leistungen, die er mit ihrer Hilfe erbracht habe, seien ordnungsgemäß. Die Beklagte habe ihm die Beschäftigung der ganztags tätigen Weiterbildungsassistentin in Kenntnis – und damit “wegen” – seines überdurchschnittlichen Praxisumfangs genehmigt. Deren Beschäftigung habe nicht zur Erhöhung seines Fallzahldurchschnitts geführt (deswegen habe auch nicht die Fallzuwachsbegrenzung eingegriffen), vielmehr sei seine Fallzahl schon ab dem Quartal IV/2000 geringfügig (auf ca 2.200 Fälle) und schließlich zum Quartal IV/2001 deutlich (auf ca 2.000 Fälle) gesunken. Er habe seine Assistentin entsprechend den allgemein geltenden Regeln gemäß ihren Fähigkeiten bei der Patientenversorgung und bei der Erbringung vertragsärztlicher Leistungen eingesetzt und sie je nach Behandlungsfall unterschiedlich intensiv beaufsichtigt. Durch den übergroßen Umfang seiner Praxis habe weder er noch die Assistentin in unzulässiger Weise an der vertragsärztlichen Versorgung teilgenommen. Die Genehmigung ihrer Beschäftigung sei zudem ein statusbegründender Verwaltungsakt, der selbst dann den Status wirksam verleihe, wenn die Erteilung der Genehmigung rechtswidrig gewesen sei. Dementsprechend dürften Honoraransprüche, die durch die Beschäftigung eines genehmigten Assistenten entstanden seien, nicht angetastet werden, solange die KÄV dessen Genehmigung bestehen lasse. Ein Honorareinbehalt könne nicht mit der Begründung erfolgen, die Voraussetzungen für die Genehmigung hätten nicht vorgelegen. Dies gelte insbesondere dann, wenn – wie vorliegend – der KÄV der übergroße Praxisumfang bekannt gewesen sei. Er – der Kläger – habe insoweit weder falsche Angaben gemacht noch Tatsachen verschwiegen. Den Vorwurf eines mit § 32 Abs 3 Ärzte-ZV unvereinbaren Praxisumfangs hätte die Beklagte nur im Genehmigungs- oder Widerrufsverfahren erheben können. Insoweit gelte das Gleiche wie im Falle der Genehmigung einer Gemeinschaftspraxis. Solange diese Bestand habe, dürften Honoraransprüche nicht wegen Mängeln bei der Konstituierung der Gemeinschaftspraxis in Zweifel gezogen werden, wie mehrere Landessozialgerichte zu Recht entschieden hätten (Hinweis auf LSG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 16. April 2003 – L 10 B 21/02 ER –, und auf LSG Niedersachsen-Bremen, Beschluss vom 13. August 2002 – L 3 KA 161/02 ER –, GesR 2002, 21, 28). Fehlerhaft sei ferner die Anwendung der Regelungen über sachlich-rechnerische Richtigstellungen. Diese beträfen nach der bisherigen Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) Fehlansätze einzelner Gebührenordnungspositionen, Abrechnung von Leistungen, die nicht von der Leistungspflicht der gesetzlichen Krankenversicherung erfasst seien, Fälle mangelhafter Leistungsqualität, Leistungen durch nicht genehmigte Assistenten und die Unwirksamkeit genereller Grundlagen der Honorarverteilung. Diesen Konstellationen sei gemeinsam eine Unrichtigkeit des Honorarbescheides. Daran fehle es aber im vorliegenden Fall. Sowohl seine – des Klägers – Leistungen als auch diejenigen seiner Assistentin seien ordnungsgemäß erbracht worden. Eine Fehlanwendung des Rechts liege im Übrigen auch deshalb vor, weil ihm Vertrauensschutz erwachsen sei. Die Beklagte habe ihm in Kenntnis seines Praxisumfangs die Beschäftigung der Assistentin genehmigt sowie ohne Honorarkürzungen die Honorarbescheide erteilt und die Honorarzahlungen gewährt. Demgegenüber könne sich die Beklagte nicht – zumal nicht erstmals in der Revisionsinstanz – darauf berufen, der Hinweis auf § 32 Abs 3 Ärzte-ZV stelle eine Nebenbestimmung der Honorarbescheide dar. Dies treffe nicht zu, denn dieser Hinweis sei nur im Rahmen des Bescheides über die Genehmigung der Beschäftigung der Assistentin erfolgt und könne nicht auf die Honorarbescheide bezogen werden.
Der Kläger beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Dortmund vom 6. November 2003 aufzuheben und den Bescheid der Beklagten vom 8. März 2001 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 12. Juni 2001 sowie die Bescheide vom 24. April 2001, vom 24. Juli 2001 und vom 16. April 2002 aufzuheben.
Die Beklagte beantragt,
die Revision des Klägers zurückzuweisen.
Sie hält das Urteil des SG für rechtmäßig. Sie weist darauf hin, dass sie – die Beklagte – die Beschäftigung der Weiterbildungsassistentin nicht “wegen” des klägerischen Praxisumfangs genehmigt habe, und dies sei so auch nicht vom SG festgestellt worden. Dem Kläger sei vielmehr bekannt gewesen, dass er mit Hilfe der Beschäftigung von Assistenten keinen übergroßen Praxisumfang aufrecht erhalten dürfe, worauf sie ihn in der Assistentengenehmigung hingewiesen habe und was ihm im Übrigen aus seinen eigenen Kenntnissen durch seine Tätigkeiten in Prüfungs- und Beschwerdeausschüssen bekannt gewesen sei. Die Genehmigung der Assistentin sei ihm allein zur Weiterbildung erteilt worden, nicht aus Gründen der Sicherstellung der Versorgung und/oder zu seiner Entlastung wegen seiner großen Fallzahl. Unzutreffend sei seine Ansicht, § 32 Abs 3 Ärzte-ZV regele Statusfragen. Die Weiterbildungsgenehmigung könne nicht wegen übergroßen Praxisumfangs versagt werden. Ferner sei die vom Kläger aufgeworfene Frage, ob überhaupt eine Konstellation für eine sachlich-rechnerische Richtigstellung gegeben sei, ohne weiteres zu bejahen. Diese erfasse nach den Kriterien des BSG auch § 32 Abs 3 Ärzte-ZV. Danach sei ein Verstoß durch Honorarkürzung zu ahnden. Die Möglichkeit eines Widerrufs der Genehmigung sei dagegen zweifelhaft und im Vergleich zur Honorarkürzung auch unverhältnismäßig.
Entscheidungsgründe
II
Die (Sprung-)Revision des Klägers hat keinen Erfolg. Wie das SG im Ergebnis zutreffend ausgeführt hat, sind die angefochtenen Honoraränderungs- und -rückforderungsbescheide rechtmäßig.
Rechtsgrundlage der Honoraränderungsbescheide sind die Bestimmungen der Bundesmantelverträge über die Berechtigung der KÄVen zu sachlich-rechnerischen Richtigstellungen (§ 45 Abs 2 Satz 1 BMV-Ä, § 34 Abs 4 Satz 1 und 2 EKV-Ä, jeweils in der seit 1. Juli 2000 geltenden Fassung), die in ihrem Anwendungsbereich die Regelung des § 45 SGB X verdrängen (stRspr, vgl zB BSG, Urteile vom 31. Oktober 2001, BSGE 89, 62, 65 ff = SozR 3-2500 § 85 Nr 42 S 344 ff, vom 26. Juni 2002, zB B 6 KA 26/01 R – juris –). Nach diesen – für die hier betroffenen Quartale III, IV/2000, I und IV/2001 maßgeblichen und im Primär- und Ersatzkassenbereich im Wesentlichen gleich lautenden – Vorschriften hat die KÄV die Aufgabe, die von den Vertragsärzten eingereichten Abrechnungen rechnerisch und gebührenordnungsmäßig zu prüfen und nötigenfalls richtig zu stellen. Dies kann auch im Wege nachgehender Richtigstellung erfolgen, dh dass sie, soweit Honorarbescheide bereits erlassen wurden, diese ganz oder teilweise ändern oder zurücknehmen und ggf neue erlassen kann. Dabei kann die KÄV das Richtigstellungsverfahren von Amts wegen oder auf Antrag einer Krankenkasse durchführen (vgl BSGE 89, 90, 93 f = SozR 3-2500 § 82 Nr 3 S 6 zum vertragsärztlichen Bereich). Die Befugnis zur sachlich-rechnerischen Richtigstellung der Honoraranforderung auf bundesmantelvertraglicher Rechtsgrundlage besteht nicht nur im Falle rechnerischer und gebührenordnungsmäßiger Fehler, sondern erfasst auch Fallgestaltungen, in denen der Vertragsarzt Leistungen unter Verstoß gegen Vorschriften über formale oder inhaltliche Voraussetzungen der Leistungserbringung durchgeführt und abgerechnet hat (vgl zum Ganzen zuletzt Urteil des Senats vom 8. September 2004 – BSG SozR 4-2500 § 39 Nr 3 RdNr 7, 14 mwN). Dementsprechend hat das BSG in seiner Rechtsprechung das Rechtsinstitut sachlich-rechnerischer Richtigstellung zB bei Abrechnung fachfremder Leistungen oder qualitativ mangelhafter Leistungen durchgreifen lassen, aber auch zB bei Leistungen nicht genehmigter Assistenten und ferner bei Operationsleistungen, die zwar zunächst ambulantvertragsärztlichen Charakter hatten, dann aber auf Grund einer sich anschließenden Aufnahme in eine sog Tagesklinik der stationären Versorgung zuzurechnen waren (zu den verschiedenen Fallgestaltungen s zB BSG SozR 4-2500 § 87 Nr 5 und SozR 4-5533 Nr 273 Nr 1; BSGE 84, 247 = SozR 3-2500 § 135 Nr 11; BSGE 93, 170 = SozR 4-2500 § 95 Nr 8; BSG USK 94165; BSG SozR 3-5525 § 32 Nr 1; BSG SozR 4-2500 § 39 Nr 3 RdNr 10 ff). In solchen Fällen ist auch kein Raum für einen Vergütungsanspruch aus ungerechtfertigter Bereicherung (vgl BSG SozR 4-2500 § 39 Nr 3 RdNr 14 f; BSGE 94, 213 RdNr 26 = SozR 4-5570 § 30 Nr 1 RdNr 23).
Die Beklagte hat vorliegend die sachlich-rechnerischen Richtigstellungen zu Recht darauf gestützt, dass der Kläger mit Hilfe seiner Weiterbildungsassistentin Leistungen in einem Umfang erbrachte, der nicht mit den in § 32 Abs 3 Ärzte-ZV (Fassung seit 1989 bis heute unverändert) festgelegten Bedingungen der Leistungserbringung mit Hilfe eines Assistenten vereinbar war. Nach dieser Bestimmung darf die Beschäftigung eines Assistenten nicht der Vergrößerung der Kassenpraxis und auch nicht der Aufrechterhaltung eines übergroßen Praxisumfangs dienen. Sinn und Zweck der Beschäftigung eines Weiterbildungsassistenten bestehen darin, dass diesem praktische Erfahrung und zusätzliche Kenntnisse vermittelt werden, um auch in Zukunft eine möglichst hohe Versorgungsqualität zu gewährleisten. Um dieses Zieles der Qualitätssicherung willen soll mit § 32 Abs 3 Ärzte-ZV verhindert werden, dass Assistenten zur Vergrößerung der Kassenpraxis oder zur Aufrechterhaltung einer übergroßen Praxis beschäftigt werden. Dies war aber beim Kläger der Fall.
Nach der Rechtsprechung des erkennenden Senats zur Vorläufervorschrift des § 32 Abs 3 Zulassungsordnung für Kassenärzte (ZO-Ärzte) ist ein übergroßer Praxisumfang jedenfalls dann anzunehmen, wenn die Fallzahl etwa zweieinhalbmal so groß ist wie im Durchschnitt vergleichbarer Kassenärzte (BSGE 8, 256, 264; BSGE 20, 52, 58 = SozR Nr 3 zu § 368c RVO). Dies entspricht ungefähr dem Begriff der “übermäßigen Ausdehnung” der Tätigkeit des Vertragsarztes iS des § 85 Abs 4 Fünftes Buch Sozialgesetzbuch ≪SGB V≫ (Satz 6 aaO seit dem 1. Januar 2000 auf Grund des GKV-Gesundheitsreformgesetzes vom 22. Dezember 1999, BGBl I 2626, – davor, dh im Jahr 1999, Satz 5 aaO; davor seit 1993 Satz 4 aaO). Diese kann ab dem Doppelten eines durchschnittlichen Praxisumfangs angenommen werden (so zB BSG SozR 3-2500 § 85 Nr 8 S 47, mwN, bezogen auf die Fallpunktzahl; s dazu auch zB BSGE 81, 213, 224 = SozR 3-2500 § 85 Nr 23 S 159 f; BSGE 92, 233 = SozR 4-2500 § 85 Nr 9, jeweils RdNr 11).
Die von der Beklagten wegen Verstoßes gegen die Regelung des § 32 Abs 3 Ärzte-ZV vorgenommenen Honorarkürzungen sind weder dem Grunde noch der Höhe nach zu beanstanden.
Die Beklagte ist in den streitbefangenen Quartalen bei den Fallzahlen der klägerischen Praxis zu Recht von dem Aufrechterhalten einer übergroßen Praxis durch Beschäftigung einer Weiterbildungsassistentin ausgegangen. Diese Fallzahlen lagen um 255 % (Quartal III/2000), 234 % (Quartal IV/2000), 230 % (Quartal I/2001) und 208 % (Quartal IV/2001) über den jeweiligen Durchschnittsfallzahlen der Fachgruppe; sie entsprachen denjenigen, die die Praxis aufwies, als sie noch als Gemeinschaftspraxis mit zwei Ärzten geführt worden war. Die Beklagte hat dem Kläger bei der Honorarkürzung eine Überschreitungstoleranz von 80 % über den Durchschnittsfallzahlen der Fachgruppe zugestanden, die sich danach ergebenden Kürzungssummen dann – in Anlehnung an die Vorgehensweise in der mit dem Kläger für Vorquartale getroffenen Vergleichsvereinbarung – um 20 % ermäßigt, wonach ihm noch Überschreitungen der Durchschnittsfallzahlen von jeweils ca 95 % blieben.
Der Kläger kann der Annahme eines übergroßen Praxisumfangs bei den aufgezeigten prozentualen Überschreitungen der Durchschnittsfallzahlen nicht mit Erfolg entgegenhalten, die Genehmigung der Beschäftigung einer Weiterbildungsassistentin bedeute zugleich die Billigung so hoher Fallzahlen. Die Genehmigung rechtfertigt nicht Überschreitungen in der aufgezeigten Größenordnung. Bei Weiterbildungsassistenten kann im Regelfall nur ein Praxiszuwachs bis zu 25 % akzeptiert werden. Dies erschließt sich aus der Regelung des § 85 Abs 4b Satz 7 SGB V (in der bis heute unveränderten Fassung des GKV-Solidaritätsstärkungsgesetzes vom 19. Dezember 1998, BGBl I 3853), die zwar den zahnärztlichen Bereich betrifft, aber in Ermangelung von Anhaltspunkten für abweichende Verhältnisse im ärztlichen Bereich auch für diesen aussagekräftig ist. Danach kann die Beschäftigung eines Entlastungs-, Weiterbildungs- oder Vorbereitungsassistenten einen Punktmengenzuwachs von bis zu 25 % ergeben. Diese für den Punktmengenzuwachs getroffene Regelung kann unbedenklich auch auf den Fallzahlzuwachs angewendet werden. Danach sind bei der Beschäftigung eines Weiterbildungsassistenten, dessen ordnungsgemäße Ausbildung, Anleitung und Überwachung erheblichen Aufwand erfordert, Honorarkürzungen wegen eines mit seiner Hilfe aufrecht erhaltenen übergroßen Praxisumfangs jedenfalls insoweit nicht zu beanstanden, als dem betroffenen Arzt – wie im vorliegenden Fall – das Honorar für Überschreitungen der durchschnittlichen Fallzahl der Fachgruppe um ca 80 % oder 90 % belassen wird. Dies gilt zumindest dann, wenn die Durchschnittsfallzahl – wie im vorliegenden Fall mit ca 950 Behandlungsfällen je Quartal – nicht besonders niedrig liegt.
Der Auffassung des Klägers, die Honorarkürzungen könnten nicht auf einen Verstoß gegen die Vorschrift des § 32 Abs 3 Ärzte-ZV gestützt werden, weil ein solcher die KÄV nur zum Widerruf oder zur Rücknahme der Genehmigung der Beschäftigung des Assistenten berechtige und erst danach die Rückforderung von Honorar in Betracht komme, ist nicht zu folgen. Welche Sanktion im Falle eines Verstoßes gegen § 32 Abs 3 Ärzte-ZV in Betracht kommt, ist weder in dieser Bestimmung selbst noch sonst näher geregelt. In § 32 Abs 2 Satz 4 Ärzte-ZV (in der bis heute unveränderten Fassung des Gesundheitsstrukturgesetzes vom 21. Dezember 1992, BGBl I 2266) ist der Widerruf einer Assistentengenehmigung nur für den Fall vorgesehen, dass der Grund für dessen Beschäftigung (Aus- oder Weiterbildung oder Sicherstellung der vertragsärztlichen Versorgung) entfallen ist oder dass in der Person des Assistenten Gründe liegen, die beim Vertragsarzt zur Entziehung der Zulassung führen könnten. Eine Regelung der Rechtsfolgen für den Fall einer mit § 32 Abs 3 Ärzte-ZV unvereinbaren Vergrößerung der Kassenpraxis oder der Aufrechterhaltung eines übergroßen Praxisumfangs besteht nicht. Gibt es keine besondere Regelung über eine Sanktion, so gilt der Grundsatz, dass Vorschriften, die den dem Arzt gestatteten Leistungsumfang einschränken, zugleich – iVm den Bestimmungen über sachlich-rechnerische Richtigstellungen – eine Grundlage für die Kürzung des Honorars für seine darüber hinausgehenden Leistungen darstellen, und dies unabhängig davon, ob die Verstöße die KÄV außerdem zum Widerruf oder zur Rücknahme eines Status – hier: der Assistentengenehmigung – berechtigen (für ein Nebeneinander der Befugnisse zu Versagung und Widerruf einerseits und zu Honorarkürzung andererseits offenbar Kamps, MedR 2003, 63, 70 iVm 75). Dementsprechend hat die Rechtsprechung des BSG auch schon bisher in Fällen von durch Täuschung erlangter Zulassung oder Approbation keinen Schutz wegen Fortbestehens des Status Zulassung oder Approbation anerkannt, sondern vielmehr Rückforderungen bereits gezahlten Honorars als rechtmäßig angesehen (vgl BSG, Urteile vom 13. November 1974, SozR 2200 § 368f Nr 1 und vom 22. März 1984, USK 8447; vgl auch BSG, Urteil vom 21. Juni 1995, BSGE 76, 153, 155 = SozR 3-2500 § 95 Nr 5 S 22; BSG, Urteile vom 9. Dezember 2004, BSGE 94, 50 = SozR 4-2500 § 72 Nr 2 jeweils RdNr 99, und vom 23. Februar 2005 – B 6 KA 69/03 R –, SozR 4-2500 § 95 Nr 10 RdNr 18).
Auch der weitere Einwand des Klägers, die Beklagte habe vor der Erteilung der Genehmigung der Beschäftigung der Assistentin seine großen Fallzahlen gekannt, diese mithin implizit gebilligt, sodass deren Beanstandung ihr nunmehr verwehrt sei, greift nicht durch. Dem Genehmigungsbescheid der Beklagten kann eine Billigung des bisherigen Praxisumfangs nicht entnommen werden. Die Beklagte bewilligte die Beschäftigung der Assistentin “zwecks Weiterbildung” und nicht als Entlastungsassistentin, und sie wies in dem Bescheid ausdrücklich auf die Beschränkungen des § 32 Abs 3 Ärzte-ZV hin.
Erfolglos ist auch der Einwand des Klägers, der große Praxisumfang sei nicht durch die Beschäftigung der Ärztin H… als Assistentin kausal bedingt gewesen. Er habe vielmehr einen ebenso großen Praxisumfang schon früher und auch später wieder gehabt und diesen ohne Unterstützung durch einen Praxispartner oder einen Assistenten bewältigt. Das Merkmal des übergroßen Praxisumfangs in § 32 Abs 3 Ärzte-ZV kann nicht nach praxisindividuellen Gegebenheiten bestimmt werden. Vielmehr kommt nur eine Bemessung nach allgemein anwendbaren Kriterien in Betracht. Demgemäß ist nicht zu beanstanden, dass die Beklagte den übergroßen Praxisumfang ausgehend von den Durchschnittsfallzahlen der Fachgruppe bestimmt hat, zumal diese mit ca 950 Behandlungsfällen je Quartal nicht etwa besonders klein waren.
Ebenfalls zu keiner anderen Beurteilung führt das Vorbringen des Klägers, er habe nach dem Ausscheiden seines Partners Zeit benötigt, um von seinen hohen Fallzahlen herunterzukommen; er habe nicht einfach den ihn aufsuchenden Patienten die Behandlung verweigern können. Dies hat die Beklagte mit der Zubilligung einer Überschreitung der Durchschnittsfallzahl der Fachgruppe im Ergebnis um ca 95 % ausreichend berücksichtigt. Wenn ein öffentliches Interesse daran bestanden haben sollte, dass er die große Zahl der auch von seinem Praxispartner versorgten Patienten weiter betreut bzw die Zahl nur allmählich abbaut, hätte für den daraus resultierenden befristeten Bedarf möglicherweise die Genehmigung eines sog Entlastungsassistenten – zur Sicherstellung der vertragsärztlichen Versorgung gemäß § 32 Abs 2 Satz 2 Ärzte-ZV – in Betracht kommen können (vgl zum Entlastungsassistenten auch Schallen, Zulassungsverordnung, 4. Aufl 2004, § 32 RdNr 735 ff).
Ein Vertrauensschutz des Klägers kann nicht anerkannt werden. Dafür reicht nicht aus, dass die Beklagte ihm zunächst Honorarbescheide ohne Honorarkürzungen erteilte und entsprechende Honorarzahlungen gewährte. Für die Begründung von Vertrauensschutz wäre vielmehr eine dem Kläger günstige Abhilfe hinsichtlich einer zuvor verfügten sachlich-rechnerischen Richtigstellung erforderlich (BSGE 89, 90, 98 ff = SozR 3-2500 § 82 Nr 3 S 11 ff). Aber weder dies noch ein vergleichbarer Sachverhalt ist im Urteil des SG festgestellt oder sonst ersichtlich.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Abs 1 Sozialgerichtsgesetz in der bis zum 1. Januar 2002 geltenden und hier noch anzuwendenden Fassung (vgl BSG SozR 3-2500 § 116 Nr 24 S 115 ff). Sie erfolgt auch für das Klageverfahren, weil das SG keine Kostenentscheidung getroffen hat.
Fundstellen
Haufe-Index 1484578 |
ArztR 2006, 217 |
MedR 2006, 307 |
SGb 2005, 639 |
GesR 2006, 163 |